Prolog
Man sollte es ihnen endlich wegnehmen. Dann gäbe es vielleicht noch eine Chance, alles wieder zum Guten zu wenden. Aber so würde alles einfach weiter im Chaos versinken. Neid. Gier. Macht. Man könnte es alles ändern. Wir haben genug Kraft, um es einfach verschwinden zu lassen. Sollte man vielleicht lieber alles so lassen und allem freien Lauf lassen?
Genau das erklärte ich dieser begriffsstutzigen Frau, die mich mit einem solchen Kuhblick anstarrte, dass ich noch mehr in Fahrt kam. Und verrückt war sie auch.
Vor etwa fünf Minuten hatte ich auf ihre Klingel gedrückt. Und was hörte ich da? Ein Miauen. Erst nachdem ich nochmal geklingelt hatte, konnte ich es glauben.
Abweichung vom Thema, ich merk das schon. Mit der Unterschriftensammlung wedelte ich vor ihrer Nase rum und der Kugelschreiber, der daran baumelte, traf ihr Gesicht.
„Tut mir Leid“, sagte ich, obwohl ich mir sicher war, dass es nicht wirklich weh getan haben konnte.
„Es ist mir egal.“ Gelangweilt, aber jede Silbe betont.
„Wenn du dagegen wärst, würde ich das akzeptieren. Aber ich hasse es, wenn Menschen gar keine Position haben und sich nicht darum kümmern, was um sie herum passiert!“
Ich ahnte, mit welchem Gegenargument sie es jetzt versuchen würde. Und ich traf auch ins Schwarze.
„Aber es passiert ja eben nicht um mich herum, sondern auf der Erde!“
„Die Erde gehört…“
„Nein, nein, nein!“, wetterte sie wie ein kleines Kind dagegen.
Also musste ich sie übertönen.
„DIE ERDE GEHÖRT ZU UNS. DER TOD VERBINDET UNS!“ Von meinem eigenen Geschrei bekam ich Kopfschmerzen. Selbst schuld, aber diese verdammte Alles-Egal-Einstellung… Ich sollte nicht „verdammt“ sagen, ich weiß, denn das passt eigentlich gar nicht zu meiner Position, aber… zum aus der Haut fahren war es trotzdem.
„Und ich bleibe dabei, die Menschheit auf der Erde wird sich selbst umbringen, wenn wir ihnen nicht das Geld wegnehmen.“
Wahre Verlierer erkennen jedoch, wenn sie verloren hatten. Ich schwieg.
„Warum hast du eigentlich zwei Mal geklingelt, Raphael? So langsam war ich doch gar nicht.“
„Ach, weißt du ich fand das Miauen so toll, dass ich es nochmal hören wollte.“ Wieder der Kuhblick. Einfach zu dumm, um selbst einfachste ironische Mittel zu begreifen.
Ich wollte mir noch einen krönenden Abgang verschaffen:
„378 mal Raub mit Todesfolge. 492 Morde. 66.186 Diebstähle.“
Ich war schon wieder auf dem Kiesweg.
„Pro Tag.“ Tor erreicht. „Alles für Geld.“
„Ich unterschreibe.“ Ich ging zurück.
„Gib mir das Brett.“ Ohne mir eine Gelegenheit zu lassen, dass zu tun, riss sie es mir aus der Hand. Es klickte. Es kratzte. Es klickte. Dann hatte ich das Brett wieder in der Hand.
„Viel Glück.“ Ich nickte.
Musste ich verstehen, wie man so schnell von einer Meinung zur anderen springen konnte? Naja, eigentlich hatte sie ja vorher gar keine gehabt.
Tausend. Die ersten tausend Unterschriften von vielen. Ich drehte mich um, Kiesweg und hörte die Türzuschlagen.
Zum Glück verliefen nicht alle Dialoge so. Ich erinnerte mich noch sehr gut daran, wie ein älterer Herr mir sehr schnell zustimmte. Hier in der Form eines Theater-Dialogs.
Er: Du willst also das Geld abschaffen? Auf der Erde?
Ich: Ja.
Er: Und du meinst, dann würde die Welt weniger einem mörderischen, diebischen Haufen gleichen.
Ich: Ja.
Er: Und es wäre auch einfach so möglich das Geld verschwinden zu lassen?
Ich: Ja.
Er: Ich glaube das ist der richtige Schritt.
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Wie einfach es gehen kann.
So jetzt zu euch: Im Moment muss es noch ziemlich kompliziert sein, aber spätestens bei der Stelle –
„DIE ERDE GEHÖRT ZU UNS. DER TOD VERBINDET UNS!“
- hättet ihr darauf kommen sollen, dass ich mich nicht auf der Erde befinden, sonder… (Trommelwirbel) … im Himmel.
Ich möchte euch noch einige Fragen beantworten, die ihr euch vielleicht stellt.
Also erstens: Wo befindet sich der Himmel?
Ich wette, ihr denkt, dass der Himmel im Himmel liegen muss, in jenem ewigen, blauen Horizont, der sich über eure Welt spannt. Um die Frage zu beantworten: Der Himmel ist da, wo eure Erde auch ist, nur in einer Art Paralleluniversum. Betonung liegt auf „Art.“ Ich habe die Welt schließlich nicht geschaffen, sondern Gott. Und selbst er war sich nicht mehr 100% über das Dasein seiner Schöpfung bewusst. Und wo wie gerade beim Thema Gott sind: Ich glaube an Gott, aber selbst hier im Himmel, gibt es keinerlei Beweis für seine Existenz.
Frage 2: Wenn es den Himmel gibt, gibt es dann auch die Hölle?
Antwort: NEIN.
Ich sollte es etwas besser ausführen. Es stimmt schon, dass nur Menschen, die Zeit ihres Lebens gut waren, in den Himmel kommen, aber die anderen kommen nicht in die Hölle, sondern ins Sein. Ich werde euch erst im Verlauf dieser Geschichte erklären können, was das Sein ist, denn im Moment müsste ich dazu noch zu viel anderes erklären und wir würden gar nicht weiter kommen.
Und noch was: Ob ein Mensch gut ist oder nicht, hängt nicht von ihrem Glauben an Gott ab, weil er vielleicht wirklich gar nicht existiert.
Dann noch kurz zu mir. Schon mal das Wort „Erzengel“ gehört? Tja, ich bin einer. Was vielleicht erklärt, warum ich nicht „verdammt“ sagen sollte.
Wenn ihr mal in Wikipedia nachschaut – ja, Engel kennen sich durchaus mit weltlichen Dingen aus – findet ihr die Definition: Erzengel sind Engel, die anderen Engeln übergeordnet sind.
Aber natürlich bin ich nicht der einzige. Dem Dialog mit der verrückten Dame könnt ihr entnehmen, dass ich Raphael heiße. Fällt euch noch ein Erzengel ein? Gabriel ist noch ziemlich bekannt. Und dann sind da noch Jeremiel, Israfil und Mikail. Keine Sorge es ist nicht schlimm, wenn ihr euch noch nicht alles merken könnt.
So, wenn ihr noch mehr Fragen habt, müsst ihr euch etwas gedulden. Lest einfach weiter. Aber erst einmal aus anderen Perspektiven – weltlichen Perspektiven.