Romane & Erzählungen
12. Das Erbe der Rappoltstein - 12. Kapitel: Gräfin von Urslingen zu Rappoltstein

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"12. Das Erbe der Rappoltstein - 12. Kapitel: Gräfin von Urslingen zu Rappoltstein"
Veröffentlicht am 01. Oktober 2010, 18 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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12. Das Erbe der Rappoltstein - 12. Kapitel: Gräfin von Urslingen zu Rappoltstein

12. Das Erbe der Rappoltstein - 12. Kapitel: Gräfin von Urslingen zu Rappoltstein

 

12. Kapitel: Gräfin von Urslingen zu Rappoltstein

 

 

Emma blickte ihren Vater Ludolf mit großen erstaunten Augen an. In ihrem Blick war ein einziges Fragezeichen zu lesen.

Maria hielt ihren Mund weit geöffnet und vergaß die Gabel, die sie noch in ihrer Hand hielt, in den Mund zu stecken. Ihr war sprichwörtlich der letzte Bissen im Hals stecken geblieben.

Auch Wilhelm und die anderen Wittichs waren sprachlos.

Agatha löst sich abrupt aus Emmas Armen und sagt:

„Herr Wittich, sie haben mich schon einmal gefragt; - heißen Sie nicht auch noch mit Familienname; von Rappoltstein?“

„Ja, das habe ich Sie gefragt!“, antwortet Ludolf ebenso förmlich.

„Was können Sie darüber wissen, wer hat Ihnen da etwas verraten?“

Auch Agatha war nicht weniger sprachlos, als Ludolf sie mit; Frau Gräfin Agatha von Urslingen zu Rappoltstein, ansprach.

„Ich habe mir meinen eigenen Reim gemacht, Frau von Rappoltstein, als ich ihr Wappen an Ihrem Haus prangen sah. Es ist das Wappen der ehemaligen Grafen von Rappoltstein!“

„Woher kennen Sie dieses Wappen, Ludolf?“, fragte jetzt Agatha etwas ruhiger und nannte Ludolf wieder bei seinem Vornamen.

„Am Abend, bevor ich hierher zum Messerschleifen kam, hatte unser Großvater Gunther von einer Urkunde gesprochen, die sich in unserem Besitzt befindet. Als er sie uns zeigte, war darauf  das gleiche Wappen zu sehen, wie an diesem Haus, und da ist vom Grafen Rappoltstein die Rede!“

„Ihr besitzt eine Urkunde von den Rappoltsteinern?“

Opa Gunther war die ganze Zeit der Unterhaltung aufmerksam und mit wachsendem Interesse gefolgt. Auch er hatte das Wappen am Haus von Agatha von Urslingen wiedererkannt.

„Sind Sie die Nachfahrin der netten Herrn von Rappoltstein, welche die Vorfahren unsere Sippe unter ihre Lehnsherrschaft genommen haben?“, fragt Opa interessiert.

„Es scheint wohl so zu sein!“, antwortet Agatha.

„Oh, liebe gute Frau. Heute geht für mich die Sonne auf, vor der ich nicht glaubte, sie jemals zu sehen zu bekommen!“

Bei diesen Worten steht Opa von seinem Sitz auf, begibt sich mit seinen schlottrigen Gliedern zur Gräfin und küsste ihr, ganz in alter Manier die Hand.

„Gnädige Frau, ich will mich hier im Namen meiner gesamten Sippschaft und im Namen unserer Vorfahren bei Ihnen und Ihrem erlauchten Hause herzlich bedanken.

Agatha hebt Gunther von seinen Knien auf und sagt: „Auf meiner Seite liegt die große Ehre und Sie, als alter ehrwürdiger alter Herr haben nicht nötig vor mir knien!“

Opa Gunther begibt sich gerührt zurück zu seinem Platz, wo er von seiner Frau Notburga anerkennend empfangen wird.

„Gut gemacht, Gevatter!“, sagt sie zu ihm.

„Darf ich diese Urkunde denn mal sehen?“, bittet Agatha die Familie Wittich.

„Warte, ich gehe sie holen!“, sagt Wilhelm als er sieht, dass Opa im Begriff stand wieder von seinem Stuhl aufzustehen.

„Sie befindet sich unter meiner Bettstatt, in der alten Armeekiste, Wilhelm!“

„Ich weiß, Großvater. Ich habe sie ja selbst an dem Abend wieder dorthin zurück gelegt.

Als Wilhelm zurückkehrt kommt er mit leeren Händen.

„Sie ist nicht da!“, ruft Wilhelm bestürzt. Ich habe sie doch selbst unter die Wäsche gelegt!“

Während nun im Haus der Urslingen rege Aufregung herrschte, war im Gasthaus zur Aubergè du Rinè eine ausgelassene Stimmung.

Raoul zeigte seinem Kumpan Marcel gerade ein, in ein Leder eingeschlagenes Dokument.

„Sieh her, was ich hier habe!“

Marcel nimmt Raoul das Leder aus der Hand und bringt das Dokument hervor. Als er einen Blick darauf wirft, sagt er:

„Das ist doch das Falsche Dokument, du Schwachkopf! Wann hast du die denn gestohlen?“

„Als ich die Wittichs beobachtet habe und sie in ein Restaurant zum Essen gingen, dachte ich, dies sei eine günstige Gelegenheit ihrem Wagen einen Besuch abzustatten!“

Von seiner Begegnung mit Ferdinand erwähnte er Marcel gegenüber nichts.

„Es waren zwei junge Aufpasser da, die habe ich leicht ausgetrickst. Der eine passte auf den Stand dieser Weinhändlerin auf und der anderen behielt den Wagen der Wittichs im Auge. Ich habe dem dummen Burschen erzählt, dass sein Freund nach ihm gerufen habe, worauf dieser gleich durch das Tor, im Park verschwunden ist. Dann konnte ich in aller Ruhe den Wagen der Jenischen durchsuchen und fand dieses Dokument in einer Kiste unter dem Bett!“

„War denn da sonst nichts, außer diesem wertlosen Fetzen?“

„Nein, ich fand nur noch eine alte Flöt vor, die mir aber zu sperrig war sie ebenfalls einzustecken und dann waren da nur noch ein paar alte getragene Klamotten und Bettzeug von diesem Greis!“

„Keine zweite Urkunde?“

„Nein, nichts!“

„Dann muss der Alte sie wohl woanders versteckt haben!“ Mit diesen Worten legte Marcel die Urkunde offen auf den Tisch, sie war schließlich für ihn wertlos.

Während sie sich unterhielten, wurden sie vom Nachbartisch aus beobachte!

„Dann müssen wir uns doch die kleine Zigeunerbraut kaschen!“, überlegt Marcel laut. „Ich habe auch schon ein Versteck für sie gefunden!“

„Wo denn?“, will Raoul wissen.

„Hier im Haus! Ich habe noch eine zusätzliche Kammer angemietet und der Wirtin erzählt, wir erwarten noch einen Freund. Die Alte merkt doch nichts! Die ist nur an ihrem Umsatz hier interessiert! Habe ihr natürlich ein paar Franc extra gegeben! Wird allerdings höchste Zeit, dass wir wieder zu neuen Penunzen kommen, ich bin fast pleite!“

Da steht der unbekannte Mann vom Nachbartisch auf, geht zu den Beiden an den Tisch und sagt:

„Echt billiger Fusel hier!“, verstellt er sich lallend. Dabei wirft er heimlich einen Blick auf das Dokument, welches offen nach oben auf dem Tisch liegt.

„Mach dich sofort zu deinem Platzt, sonst knall ich dir eine!“, faucht Marcel den Fremden an und steht halb von seinem Stuhl auf.

„Ist ja gut, ist ja gut!“, wehrt der Fremde mit beiden Händen ab. „Ich wollte doch keinen Streit mit Euch!“

Der Fremde begibt sich zurück zu seinem Tisch, trinkt sein Glas Rotwein in einem Zug leer, wirft ein paar Centimes auf den Tresen der Wirtin und verlässt das Lokal.

Draußen verliert sich seine Maskerade und er sagt zu sich: „Das sind die Beiden Burschen, die Ferdinand sucht.

Sofort begibt er sich zurück über die Rheinbrücke zum Lager der Roses, zu deren Sippe er gehörte.

„Hör zu, Ferdinand!“, sagt er zu seinem Sippenchef. „Ich habe die Zwei Nabelos in einer Kaschemme auf der anderen Seite des Rheins entdeckt. Die saßen dort vor einen Stück Papier, das für den einen scheinbar von Wichtigkeit war. Hab mich dann an die Beiden rangemacht und einen Blick auf das Papier geworfen. Der Eine wollte mir sogar ein paar auf die Ohren hauen.

„Was war das für ein Papier?“, will Ferdinand wissen.

„“Das Papier gehört bestimmt unseren Freunden, den Wittichs. Ich konnte ihren Namen in gemalter Schrift darauf erkennen und ein Wappen war da auch drauf!“

„Wir brechen auf!“, kommandierte Ferdinand über den Lagerplatz hinweg. Ich brauche zehn Mann, um einen Laden in der Stadt aufzumischen!“

Die zehn Männer waren gleich gefunden und gemeinsam ging es zurück über die Rheinbrücke. Der Mann, den sie Manolo nannten, hatte Marcel und Raoul entdeckt und führte die Sippe der Rose nun an. Er war einer der Cousins von Ferdinand. Nach kurzer Dauer stehen die Roses vor der Aubergè du Rinè.

„Geht du erst mal allein ins Lokal, Manolo!“, flüstert Ferdinand seinem Cousin zu. „Drei Mann zum Hintereingang, damit uns die Gatsche nicht entwicht!“, kommandiert er drei seiner Leute ab.

„Manolo, du fängst einfach einen Streit mit den Beiden an. Sagst, du willst dich für die Drohung rächen. Tu dabei weiter so, als seihst du besoffen!“

Manolo betritt das Lokal und sieht Marcel und Raoul immer noch auf ihren Plätzen sitzen.

„Ah, da sind ja die beiden Großmäuler, die ich haben will!“, ruft er laut durchs Lokal. Alles im Lokal verstummte.

„Was ist, ihr Beiden? Ich hab mit Euch noch ein Kachny zu rupfen!“

Sofort war Marcel klar, dass er es hier mit Zigeunern zu tun hatte. Er kannte ihre Vorgehensweise zur Genüge.

„Komm Raoul, schnell durch den Hinterausgang!“

Aber da was es bereits zu spät. Ferdinand betritt mit sechs Mann durch die Vordertüre das Lokal.

„Halt, ihr Spitzbuben! Ihr besitzt etwas das uns gehört!“

Marcel dreht sich zu Ferdinand um und fragt: „Was soll Euch gehören?“

„Ein Papier!“

„Wie bitte? Seit wann können Zigeuner lesen?“

„Werd nicht so frech, du Nabelo, sonst ziehe ich dir eine mit der Peitsche über!“ Ferdinand trug immer seine Peitsch am Gürtel.

„Wir besitzen kein Papier, das Euch gehört. Hier durchsuche mich!“ Dabei öffnete Marcel seine Jacke und zeigte seine leeren Jackentaschen.

„Nun, zufrieden?“

„Dann hat der andere das Papier einstecken!“

„Nein, ich besitze auch nichts!“

„Dann lass Dich durchsuchen!“

„Nein, mich durchsucht hier keiner in der Öffentlichkeit, wie einen Verbrecher!“, wehrt sich Raoul mit Worten.

„Marco, zeig diesem Nabelo mal dein Schuri!“

Marco tat, was ihm sein Vater gesagt hatte und zog das Messer.

„Ja, ist ja gut, hier habt ihr das Dokument. Es ist so wie so nichts Wert!“

Damit greift Raoul unter sein viel zu groß geratenes Jackett, dass er schon in Trier angehabt hatte, und holt die Ledermappe hervor.

„Gib her!“, kommandiert Ferdinand, Raoul an.

Einer der neben ihm stehenden Sinti nimmt ihm den Lederumschlag ab und übergibt ihn an den Zigeunerkönig.

Ein kurzer Blick auf den Inhalt zeigte Ferdinand, dass es das richtige Papier in Händen hält. Er konnte sehr wohl lesen.

„Lasst Euch von mir ja nicht mehr blicken!“, drohte er und verließ mit seinen Leuten das Aubergè du Rinè.

Marcel Herzberger drohte seinem Freund Raoul mit den Worten: „Wegen dir Idiot sind wir in diese Situation geraten. Jetzt haben wir es mit den Zigeunern zu tun!“ Darauf verließen sie durch die Hintertüre das Lokal.

Es war bereits später Abend, als Ferdinand das Weingut der Urslingen erreicht. Er betätigt die schmiedeneiserne Aussenklocke, denn das große Holztor war bereit verschlossen.

Der Klang der Glocke war weithin zu hören. Nach einigen Minuten kommt jemand zum Tor und fragt:

„Wer ist da?“ Es war die Stimme Frederiks.

„Wohnen hier eine Familie Wittich?“

„Ja, die wohnen bei uns!“

„Ich habe an Ludolf etwas abzugeben. Sage ihm das bitte!“

„Moment, ich werde Herrn Wittich holen!“

Nach ein paar Minuten steht Ludolf hinter dem Tor und fragt:

„Wer will da was von mir?“

„Ich bins, Ferdinand!“

Das schwere Holztor quietscht in den Angeln und das Tor wurde aufgemacht.

„Ferdinand, du so spät hier? Komm herein!“

Ludolf klärte Frederik kurz darüber auf, wer der späte Besucher ist.

„Kommen sie mit ins Haus Herr Rose!“, sagt Frederik freundlich und geht voran.

Drinnen waren alle noch wach, da man wegen des Diebstahls der Urkunde nicht zur Ruhe kam. Am meisten hatte Großvater Gunther, als Hüter der Urkunde, darunter zu leiden.

„Guten Abend Herr Rose. Was verschafft uns die späte Ehre?“, begrüßt die Hausherrin Ferdinand Rose, nachdem Ferdinand ihr vorgestellt wurde.

„Ich will Herrn Wittich ein Dokument wieder geben, das offensichtlich seiner Familie gehört, wir haben es zwei Strolchen abgenommen!“

„Die Urkunde!“, ruft Gunther laut und springt trotz seiner Altersgebrechlichkeit von Stuhl auf. Er war ja im Grunde auch noch sehr rüstig, nur dass seine Knochen nicht mehr so schnell wollten, wie er es gerne gehabt hätte.

Ferdinand bringt den Lederumschlag aus einer Umhängetasche zum Vorschein.

„Ja, das ist sie! Ich erkenne den Umschlag ganz genau, das ist meiner! Das ist unsere Urkunde!“

Ferdinand übergibt Opa den Lederumschlag, den dieser öffnet. „Die verloren geglaubte Urkunde war wieder da! Gott sei Dank!“, ruft dieser und hebt die Hände wie zum Gebet in die Höhe.

Gunther übergibt die Urkunde an Agatha, die diese ganz erstaunt betrachtet.

„Ja, dies ist das Wappen der Rappoltstein. Es ist das Wappen unserer Familie. Kein Zweifel, diese Urkunde ist Echt!“

Die Freude über das Wiederfinden des historischen Dokuments war allseits sehr groß. Am meisten freute sich darüber Opa Gunther.

Agatha lud Ferdinand noch zum bleiben ein, doch dieser wollte noch am selbigen Abend zu seinem Lager zurück.

Nachdem Ferdinand gegangen war, nahm sie nochmals die Urkunde zur Hand und studierte sie sehr aufmerksam.

„Nach dieser alten Urkunde zu urteilen, haben sich unsere Familien schon früher gut gekannt. Bei genauerer Betrachtung ist sie weit mehr, als nur eine einfache Lehenurkunde!“

„Was verstand man eigentlich unter einer Lehenurkunde?“, will Wilhelm wissen.

„Das Lehenwesen war im Mittelalter eine gesellschaftliche Ordnung der Feudalherren gegenüber ihren Vasallen. Ein Lehnsherr hatte im Lehnswesen die Aufsicht über einen oder mehrere Vasallen, genannt Lehnsmänner. Er hatte die Verpflichtung, diesen ein Lehen, Land oder ein Amt zu überlassen und ihnen Unterhalt und Schutz im Angriffsfall zu gewähren. Diese waren ihm dafür zu absoluter Treue, Gehorsam und Dienst verpflichtet!“

„Wir sind doch keine Vasallen!“, protestierte Ludolf lautstark.

„Warum regst du dich darüber so auf, Ludolf?“, lächelt Agatha.

„Warum, fragst du? Bei unseren Reisen und Fahrten werden wir unterwegs regelmäßig von den Leuten als Zigeuner und Vasallen beschimpft. So sagten sie; die haben hier mal wieder gehaust, wie die Vasallen!“

„Dann wussten diese Leute nicht, was Vasallen sind!“, erklärte Agatha im Ton einer Gräfin. „Ein Vasall war im frühen Mittelalter ein Herr, der sich freiwillig als Gefolgsmann in den Dienst eines anderen Herrn stellte. Auch ein Fürst konnte Vasall sein und sich der Oberherrschaft eines anderen Fürsten unterwerfen. Beide verpflichteten sich zu gegenseitiger Treue. Der Lehnsherr zu Schutz und Schirm, der Lehnsempfänger zu Rat und Hilfe!“

„Dann sind ja Vasallen nichts schlechtes!“, meinte Ludolf beruhigt.

„Im Gegenteil. Es bildete die Grundlage der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung, vor allem aber des Heiligen Römischen Reichs. Im Ãœbrigen Ludolf hast du mir heute als treuer Vasall gedient, indem du mir Rat und Hilfe hinsichtlich der Gaunerzinken gabst!“

„Aha“, lachte Ludolf. „Dann stehen wir jetzt alle unter deinem Schutz, Agatha!“

Agatha lächelte dazu nur und sagte: „Bei Ihrer Lehenurkunde handelt es sich genau gesagt um eine Erbgifturkunde. Nun, meine Damen und Herren, lasst uns für heute schlafen gehen!“

Am anderen Morgen fährt Agatha in aller Frühe los, um für ihre Gäste in einer Nähe gelegenen Boulangerie frische Brötchen zu holen. Von da an war die Gräfin Agatha von Urslingen zu Rappoltstein spurlos verschwunden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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