Regenperlmuttmädchen
Sie sitzt auf ihrer roten Couch, der Bildschirm füllt sich langsam mit Buchstaben. Draußen regnet es, Musik tönt durch ihr Fenster, vermutlich von irgendeinem Auto, das an der Ampel in der Nähe ihrer Wohnung warten muss. Im Nebenzimmer sitzt der Mann ihrer Träume, aber er redet nicht mit ihr. Zumindest nicht in diesem Moment. Vor wenigen Minuten haben sie noch geredet, sie sind spazieren gewesen, haben die frische Luft genossen und die Zweisamkeit. Sie haben über den morgigen Tag geredet, darüber, dass er sie wohl nicht zu der Party einer gemeinsamen Freundin begleiten wird. Die Schmerzen bestimmen momentan ihr beider Leben. Es sind seine Schmerzen, er leidet darunter, sie leidet mit ihm. Es ruiniert ihre gemeinsame Zeit, dass er sich momentan mehr Gedanken darüber macht, wann all das ein Ende finden wird, anstatt daran zu denken, wie sie beide im Bett liegen, sich küssen und kuscheln. „Ich liebe dich.“ Hat sie zu ihm gesagt „Ich liebe dich auch.“ Daran hat sie keine Zweifel, aber manchmal zweifelt sie an sich selber. Ist sie die richtige Frau für ihn? Sie kann ihn nicht dazu bringen seine Schmerzen zu vergessen, sie kann ihm die Schmerzen nicht nehmen.
Draußen hört der Regen für wenige Minuten auf. Das einzige Licht im Raum wird von dem Fernseher ausgestrahlt, es läuft eine Serie, die sie schon lange nicht mehr verfolgt hat. Das Thema ist ein typischer Mordfall, der Mörder steht seit der ersten Minute fest, es interessiert sie also nicht länger, wie es dazu kam. Gerade folgt das Geständnis, passend dazu setzt der Regen wieder ein. Von Draußen fällt nun ein sanfter Lichtschein in das Zimmer, die Lampe die vor dem Zimmer hängt wird durch den Wind nach oben gedrückt, einige der Tropfen schlagen mit einem seltsamen Geräusch vor die Glasscheibe. Das Klicken der Tastatur hat eine beruhigende, beinahe besänftigende Wirkung auf sie. Aus dem Nebenzimmer hört sie, wie er ihr einen Kuss mitgibt. Sie erwidert den Kuss, drückt sich tiefer in die Couch. Es ist, als würden sie gerade getrennte Leben verbringen, dabei trennen sie lediglich eine Wand und zwei Türen. Aber was zwischen ihnen steht sind seine Schmerzen, die ihn immer wieder dazu bringen sich zurückzuziehen, Zeit alleine zu verbringen.
Die Serie endet, eine neue Serie beginnt. Sie langweilt sich, die Worte auf ihrem Bildschirm ergeben wenig Sinn und sie ist verärgert, dass es ihr nicht gelingt niederzuschreiben, was ihr tatsächlich im Kopf vorgeht. In ihren Gedanken ist alles vollkommen klar, das Perlmuttregenmädchen hat Gestalt und Charakter, aber wenn sie sich bemüht sie zu Papier zu bringen, dann verschwimmt alles vor ihren Augen, ganz so, als ob der Regen direkt vor ihren Pupillen von den Wimpern tropfen würde. Wütend hackt sie auf die Tastatur ein, das Klacken übertönt die Gespräche der Serie. Es geht um irgendeinen ermordeten Ehemann und nach Mord steht ihr ebenfalls gerade der Sinn. Sie überlegt das Regenmädchen zu töten, wenn es ihr schon nicht gelingt ihr Leben einzuhauchen. Die Lampe draußen flackert nun stärker, der Regen hat zugenommen und hüllt die Straße in einen dichten Schleier aus Perlen. In ihnen spiegelt sich vereinzelt das Licht wieder und lässt sie wie kleine Regenbögen auf dem Straßenboden zerplatzen. Sie steht auf, setzt sich auf die Fensterbank und blickt nach Draußen, versucht einzelnen Regentropfen zu folgen, aber sie gehen im Spiel aus Licht, Schatten, Wasser und vorbeiziehenden Autos unter. Neben ihr liegt eine Holzbürste, sie nimmt sie auf und fährt sich damit durch die Haare. Ständig fällt ihr der Pony ins Gesicht und lässt sie blind zurück.
Plötzlich zerreißt ein Blitz die Stille und die Dunkelheit, aber es folgt kein Donner darauf. Es amüsiert sie, dass in eben diesem Moment eine der Figuren sagt „Sie sind mein erster Lichtblick heute.“ Irgendwie erscheint es ihr passend. In ihren Gedanken liegt ein blasses junges Mädchen unter einer Trauerweide und blickt in die Sternbilder. Der Mond lugt hinter den Wolken hervor und wirft sein Perlmuttlicht auf sie. Ihre blonden Haare fallen wie ein Fächer um ihr Gesicht, der Baum schirmt sie vor dem Regen ab. Ein Lächeln liegt auf ihren Lippen.
Die Türe des Nebenzimmers öffnet sich. „Ich wollte dir bloß sagen, dass ich dich liebe.“ Sagt er und küsst sie. „Ich liebe dich ebenso.“ Sagt sie in jenem Moment, als ihre Lippen sich voneinander lösen. „Und danke nochmals für die wunderschöne Sonnenblume.“ „Weißt du, es tut gut, dich mal wieder glücklich zu sehen.“ Antwortet er. Dann verlässt er das Zimmer und zieht die Türe hinter sich zu. Das Permuttmädchen schließt ihre Augen. Draußen prasselt der Regen wieder hart gegen die Fensterscheibe. Der Wind weht die Geräusche der vorbeifahrenden Autos zu ihr hinauf. Als er sich schlafen legt,gibt sie ihm einen sachten Gute-Nacht-Kuss. Sie selber sitzt noch Stunden später am Rechner und bemüht sich, das Mädchen unter der Trauerweide wieder lebendig zu machen. Es will ihr nicht gelingen. Schließlich legt sie sich zu ihm und ihre Hand auf seine. Sie will damit die Kluft zwischen ihnen beiden überbrücken, will ihm zeigen, dass sie immer für ihn da ist. Und ein wenig möchte sie sich daran erinnern, dass sie für ihn da sein will.