Sonstiges
Peter - Warum grad Heute

Lieber Peter,

Du wirst sicher staunen, dass Du heute, so viele Jahre nach Deinem himmelblauen Brief, Post von mir bekommst. Hätte ich Dir früher geschrieben, vielleicht hätte ich Dich dann noch gehasst.

Gehasst dafür, dass ich Prügel bekommen habe, wegen Deiner vielen Rechtschreibfehler, ja das hab ich wirklich. Aber noch mehr habe ich Dich gehasst, für Dein Verhalten mir gegenüber.

Warum? Hast Du es wirklich vergessen? Wirklich? Erinnerst Du Dich nicht mehr an den Waldweg? Erinnerst Du Dich wirklich nicht mehr oder hast Du Dich damals vielleicht doch geschämt?

Du warst einer von Ihnen, Deine Hände waren genau so brutal, wie die der anderen Jungs. Ausprobieren wolltet ihr Euch, wissen wie es ist, mit einem Mädchen. Zu fünft habt ihr mich festgehalten oder ward ihr noch mehr. An fünf kann ich mich noch erinnern, Du auch?

 Ich sag Dir die Namen: DU!! Ja ich nenne zuerst Dich, weil Du mir ja diesen ersten Liebesbrief, geschrieben hast. Deine Worte sprachen von *ich liebe Dich und muss Dich immer ansehen, Deine braunen Augen und Deine langen Haare. Ich finde Dich so wunderschön, setzt Dich doch bitte in die Bank vor mir*. Ich fand den Brief schön und war so stolz. Die Schläge meines Vater waren gar nicht so schlimm O, doch es hat sehr wehgetan, aber nur auf der Haut, im Herzen war ich glücklich, ich fühlte mich so erwachsen, denn nur Erwachsene bekamen doch Liebesbriefe.



 Weh getan hast Du mir erst in dem Waldweg, nicht nur körperlich, nein auch mein Herz hast Du kaputt gemacht.  Fällt es Dir jetzt wieder ein oder immer noch nicht? Was wolltest Du beweisen, als Du mich festgehalten hast? Hat es Dir nicht weg getan, als Du meinen Tränen gesehen hast, oder als ich um Hilfe schrie? Hast Du wirklich nichts gespürt? Hat Dich das alles so kalt gelassen. Du wolltest mich als Freundin und hast doch nicht den Mut gehabt zu sagen, lasst sie gehen, ich mag sie.

Dann kommt Günther, der Coolste, Anführer, der den alle Mädchen wollte, Ich auch, ja ich fand ihn genauso Klasse, wie alle anderen Mädchen auch. Ich weiß nicht warum, aber ihm habe ich das nachgesehen. Ich habe ihn übrigens wieder getroffen, er wollte sich mit mir verabreden, weil doch immer alles so schön war und weil er mich heute so toll findet. Heute!!

Max, kommt mir da grad in den Sinn. Der Kleinste von Euch und der Brutalste. Wie sehr habe ich diesen Widerling gehasst. Ich sehe in direkt vor mir, spüre seine Hände und hätte ich ihn vor mir, ich wüsste nicht was ich täte. Doch ich wüsste es, aber das müssen wir ja nun nicht vertiefen.

Der Name von dem großen Blonden, mit den abstehenden Ohren fällt mir nicht mehr ein, irgend so ein Doktorsöhnchen, eitel und arrogant. In Wirklichkeit hat er hat Euch alle dämlich gefunden, das einzige was er wollte war , er wollte bei den Mädchen mitmachen, allein war der feine Kerl doch viel zu feige. Eine Freundin hatte er nie oder doch? Klar, irgendwann war er mit Brigitte zusammen, die ihr ja verschont habt? Warum eigentlich, wieso habt ihr Brigitte nicht in die Mangel genommen, warum mich, was war es, was sie verschont hat und mich nicht?

Charly, hätt ich doch fast vergessen, als Zweiter hatte er mich vorgenommen. Ich sehe noch seinen Mund vor mir, wie er feucht und mit jeder Menge Spucke versucht hat mich zu küssen, o Gott, wie schrecklich das alles war.

Warum ich Dir das heute schreibe, willst Du wissen? Weil ich Dir danke sagen will, für meinen ersten Liebesbrief und weil ich gerade eben in der Zeitung gelesen habe, dass Du nach langem Leiden verstorben bist. Deshalb denke ich heute an all das und muss weinen, weil wir doch noch Kinder waren, als das alles passierte. Kinder, die sich entdecken wollten und die rücksichtslos nahmen, was nicht so wollte wie sie. Ihr Jungs wolltet Mädchen endlich erforschen und wir Mädchen wollten wissen, wie wir bei Euch ankommen, wir wollte flirten, wir wollten Frau sein. Glaub mir Peter, es hat weh getan und heute tut es doppelt weh, weil ich Dich noch vor mir sehe. Den kleinen blonden Buben, mit seinem blauen Brief. Vielleicht hätte ich Dir damals Danke sagen sollen, vielleicht hättest du mich dann beschützt.

Ich denke an Dich und küsse Dich ganz zart auf deine kalten Lippen, die Schuld lag in uns Beiden. Die Tränen, lieber Peter, die ich heute weine, sind ein Stück Vergangenheit, ein Stück Verzeihen, ein Stück Angst, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Gestern noch Kind und heute schon nicht mehr auf dieser Welt.

Deine Anna

(C) Ute AnneMarie Schuster 22.9.2010