Beschreibung
Diesen Text habe ich geschrieben, als ich selber kurz vorm Verzweifeln war. Er drückt Wut, Hass, Trauer, und ein bisschen auch Sehnsucht aus, genau das, was ich in dem Moment fühlte, als ich diese Kurzgeschichte schrieb...
Wenn die Luft knapp wird...
Und wie so oft sitzt sie am Fenster, ihr Atem geht gleichmäßig und ruhig. Die kühle Scheibe beschlägt. Sie schaut hinaus in den dunklen Abend. Dunkel, obwohl es noch so früh ist. Viel zu dunkel, denkt sie sich und öffnet das Fenster. Leichter Wind drängt sich in den warmen Raum, ungeduldig zerrt sie das Fenster weiter auf.
Die Luft, die sich zart, und doch aggressiv um ihren Körper legt, benebelt sie.
Tief atmet sie ein, um zu spüren, wie sich der Wind mit der Trauererfüllten Luft in ihrem Raum mischt. Sie macht noch einen Atemzug, dann steigt sie leichtfüßig aus dem Fenster nach draußen.
Keine Sekunde vergeht, und sie ist der Macht dieser magischen Luft unterlegen. Barfuß läuft sie los. Ohne sich nur einmal umzudrehen läuft sie über den Asphalt. Sie läuft in ihren leichtesten Kleidern, ihr Atem bleibt ruhig. Sie läuft, ohne zu wissen, wohin, ohne zu wissen, warum. Sie geht mitten auf der Straße, den beißenden Asphalt unter ihren Füßen. Der Schmerz, der sie innerlich zerreißt, treibt sie weiter. Um diese Zeit fahren hier keine Autos mehr, keiner der oberflächlichen, großen Wagen.
Und sie läuft weiter, die Häuser am Straßenrand nicht beachtend. Ein paar Leute stehen am Straßenrand. Misstrauisch schauen sie dem Mädchen hinterher, dass von der schwarzen Dunkelheit verschluckt wird, dass barfuß über den Asphalt läuft. Doch keiner nimmt sie wirklich wahr. Sie hört niemanden, der versuchen würde, sie aufzuhalten, nur leises Tuscheln hinter ihrem Rücken umgibt sie. Sie läuft weiter, die Stimmen der Menschen sowie die in ihrem Kopf ignorierend.
Kühle Tropfen fallen, fallen auf ihre blasse Haut, dann auf die Straße, und verdampfen dort wieder. Sie ignoriert es. Und sie läuft, ihre Füße schmerzen, doch sie spürt es nicht. Kein einziges Mal bleibt sie stehen, doch sie ist ungewöhnlich dankbar, dass diese wunderbare Luft sie umgibt. Es regnet nun stärker, ihre Kleider sind vollkommen durchnässt, doch es stört sie nicht. Sie denkt nicht mehr nach, geht weiter. Die Häuser stehen dicht an dicht, die Vorgärten bis ins Detail gepflegt. Sie sieht es nicht. Stunde um Stunde läuft sie, doch ihr Atem bleibt ruhig. Sie fühlt sich zerrissen. Die Abstände zwischen den Häusern werden größer, so groß, bis sie als Einzige diese einsame Straße entlangläuft.
Sie sieht eine Laterne, nur wenige Meter von ihr entfernt. Sie ist die letzte Lichtquelle weit und breit. Und sie läuft, bis sie das Licht weit hinter sich gelassen hat. Eine Träne entschleicht sich ihrem Auge, läuft über ihr schönes Gesicht und tropft dann auf den Asphalt. Eine weitere Träne folgt der ersten. Der Wind trocknet die Tropfen aus ihrem Auge, doch es laufen immer mehr über ihr Gesicht. Ihre Schritte verhallen leise und unschuldig in der Dunkelheit. Benebelt tappt sie weiter, sie sieht nicht, wohin. Das Rauschen von Wasser lässt sie aufhorchen, sie ist sich nicht sicher, ob es der strömende Regen oder ein Fluss ist. Nein, der Regen hinterlässt kleine, leise Echos. Doch das Wasser, das ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, klingt aggressiv.
Blind folgt sie dem Geräusch, bis sie seichtes, kaltes Wasser an ihren Zehen spürt. Ohne zu zögern steigt sie hüfthoch in das kalte Wasser, die eisige Kälte betäubt ihre Glieder. Sie läuft weiter. Langsam spürt sie das Wasser an ihrem Hals, ihr Puls beschleunigt sich. Und dann ergibt sie sich den Wellen. Hier sieht man nicht, dass sie geweint hatte, denkt sie. Und dann verschlingt die tiefschwarze Dunkelheit das schöne, Tränenverschmierte Mädchen.
Heute noch gehen Menschen diese lange Straße entlang, doch sie sind nicht traurig. Se haben ein Ziel vor Augen, das sie erreichen werden. Und wenn sie genau hinhören, können sie die leisen Schritte hören, die das Mädchen als einzige irdische Erinnerung gelassen hat. Der Fluss strahlt eine Art von Freiheit aus, eine solche Freiheit, wie das Mädchen erlangt hatte. Ihre ewige Freiheit…