Kurzgeschichte
Das Briefpapier

Weiß und unschuldig lag das Blatt auf seinem Schreibtisch. Seit Stunden schon schaute der Mann auf das unbeschriebene Blatt und dachte nach, was er ihr wohl schreiben sollte. So viele Dinge wollte er sagen, doch so sehr er auch nachdachte, er fand einfach nicht die richtige Worte, die das zum Ausdruck brachten, was er wirklich fühlte. Immer wieder setzte er die Feder an und beobachtete dabei, wie die dunkle Tinte das feste Papier mit geschwungener Schrift bedeckte. Er hatte eine schöne Handschrift; doch all das vermochte nicht zu verbergen, dass er sie nicht fand, die richtigen Worte.

Das gedämpfte Licht erhellte den Raum nur spärlich, doch warf es ein angenehmes, behagliches Lächeln auf das leere Blatt. Der Mann lehnte sich zurück und schaute in das Weinglas. „In vino veritas...“ Er musste lachen, denn zwar hatte er seine Wahrheit gefunden, doch wie um Himmels Willen konnte er sie auf dieses verwunschene Blatt Papier bringen?

Seine Blicke fielen in den Raum und erkannten die schemenhaften Umrisse der Dinge, die das Zimmer zu seinem kleinen Reich machten. In der Ferne sah er das Pult. Auch wenn er es nicht sah, so wusste er um das Notenblatt darauf, das ihn stets daran erinnerte, wie sie zusammen in seinem Zimmer saßen und die Harmonien für das nächste Stück versuchten, dabei diskutierten und fachsimpelten ehe sie sich beinahe kindlich albernd vor Lachen die Bäuche hielten. Welch königliche Zeit sie hatten, dachte er. Auch wenn sie längst Vergangenheit war, so war sie doch besonders. Anders und auf ihre Weise heilig.

Wieder fielen seine Blicke auf das weiße, leere Blatt. Nicht zu erklären, wie es trotz seiner vornehmen Blässe seltsam lebendig beschrieben war. Für einen Moment konnte er den Geruch ihrer Haut riechen als er mit den Fingerspitzen über das Papier strich und lächelnd in seinem Sessel versank. Als hätte man sie genau zu diesem Zwecke geschaffen, diese samtweiche, seidene Haut. So viel Wärme hatte sie gegeben, so viel Geborgenheit, so viel Vertrauen, so dass es auf immer ein Teil von ihnen werden sollte. Und während er vor sich hin sinnierte und in Gedanken versunken auf das so endlos unbeschriebene Papier starrte, schien es für einen Moment, als wäre das spärliche Licht in seinem Zimmer ihr Lächeln, das sich gutmütig um ihn legte.

Vielleicht... Das war es! Plötzlich funkelten seine Augen und er hatte sie gefunden, die richtigen Worte, die alles erklären sollten, die seine Gedanken und seine Gefühle ausdrückten. Und so setzte er die Feder an und brachte die schwarze Tinte in geschwungenen Bahnen auf das Weiß. Er schrieb und schrieb und vergaß die Zeit. Er schrieb von den Noten, dem spärlichen Licht, dem endlos weißen und dennoch samtigen Papier und von seinen Erinnerungen. Das Papier; ein Stück von dir und mir.