Kurzgeschichte
Das rosarote Ungeheuer

„Leeeen!“, schallt es durch unsere WG, „schau dir bitte DAS mal an!!“. Ich höre schon eilige Schritte zu meinem Zimmer hinüber trippeln. Dann bin ich unfähig außer kreischendem Lachen etwas von mir zu geben. Ich drücke ihr den neuesten Hit meiner Tante in die Hand: Es ist rosa, wollig und offensichtlich für Kinder gemacht. „Zieh das sofoort an, bittebittebitte!“, mit Tränen in den Augen hält sie sich den Bauch und wirft es mir zu. Als ich mich in das Modeverbrechen gezwängt habe, ist es um uns geschehen. Wir müssen uns vor Lachen auf mein ohnehin wackliges Bett werfen. Dieses bricht natürlich erneut unter unserer Last zusammen. Aber das ist mir momentan egal, kein Bett der Welt kann diesen Moment ersetzen. Dann gehen wir auf den Balkon zur Beruhigung eine rauchen. „Wie schafft sie´s nur jedes Jahr mir so nen Scheiß zu schenken??“, grinsend blase ich den Rauch in die Welt. „Wie schaffst du´s nur, dass der Scheiß an dir doppelt so bescheuert aussieht??“, gackert meine Freundin. Ich äschere ihr gelassen auf die Jeans und fuhr mir voller Dramatik durch die Haare. „Du hast ja keine Ahnung von Stil!“, ätze ich belustigt in ihre Richtung, worauf sie das Einzige tut, um mich zum Schweigen zu bringen – Kitzelattacke!! Dabei wird aus meinem Gelächter Gebrüll, bis die Nachbarn rüberrufen, wir sollen doch endlich mal die Fresse halten.

Am nächsten Tag mach ich mich irrsinnig schick um einen irrsinnig anstrengenden Shoppingtag zu bewältigen. Meine beste Freundin hat Geburtstag und ich brauchte dringendst ein neues Ohrzeugs für mein Riesenohrloch. Ungefähr alle 3 Monate brauchte ich so ein Ohrzeugs. Immer ganz dringend. Mein Freund macht sich seit Ewigkeiten über diesen Tick lustig. Es war dasselbe mit den Schuhen, sah ich ein Paar, das mir gefiel, musste es mir gehören. Und das ging ziemlich rasch. Ich war doch irgendwie ein richtiges Mädchen, auch wenn das niemand glauben konnte, der mich kannte. Ich – das sarkastische Miststück, dass meistens in Turnschuhen und Jeans am Straßenrand herumlümmelte. Ja, genau diese Ich hat diesen mädchenhaften Schuhtick. Aber ich schwöre, ich versuche seit Monaten mich in Grenzen zu halten.

Als meinem ipod bei der Straßenbahnfahrt in die Innenstadt der Saft ausgeht, bekomme ich es mit der Angst zu tun: Musste ich mir nun den Scheiß anhören, den meine Mitfahrer regelmäßig von sich gaben? Und immer dieses nervende Telefonieren, wen interessiert es, was der abgeschleckte Anzugidiot als Projekt für seine Firma plant? Mich auf jeden Fall nicht. Und normalerweise konnte ich diesem Spaß auch per Knopfdruck entkommen, aber jetzt ließ mich anscheinend sogar schon Apple im Stich. Wem soll man da noch vertrauen?? Wenigstens hatte ich mir mal wieder ne Verkühlung eingefangen und war dadurch nicht gezwungen, an der olfaktorischen Abenteuerreise Straßenbahn teilzunehmen. Abenteuerlich war es ohnehin genug, da ich als notorische Schwarzfahrerin ständig auf der Hut sein musste, bei etwaigen Kontrolleuren nicht die Hüte hochgehen zu lassen. Sollte es doch passieren, gab es ein natürlich den ausgeklügelten Plan B: Ausweis nicht dabei, falsche Daten. Hat mich immer noch rausgerissen. Ich stolpere fröhlich aus der Straßenbahn und lasse mich vom Menschenstrom mitreißen. Dann zünde ich mir ne Zigarette an und stolziere ganz Diva-like über die Straße. Plötzlich stupst mir jemand auf die Schulter. „Madame, hamma leicht was verloren?“, grinsend reicht mir ein offensichtlich Obdachloser meinen Schal. Ich lächle ein wenig verlegen, hauche ein „Danke“ und eile weiter. Verdammt, das hatte mal wieder meinen Auftritt versaut.

2 Stunden später lasse ich mich erschöpft auf Len´s Sofa fallen und schleudere meine Schuhe in die nächstbeste Ecke. „Ich sag´s dir, das Leben ist kein Ponyhof!“, seufze ich melodramatisch. „Natürlich hatte kein Schwein den passenden Ohrring und wenn, dann hätte mich das ein Vermögen gekostet. Wo bleibt mein reicher Mann, der mich aus diese Nöten für immer befreien wird??“, Len lacht mich aus und zeigt auf meine Zimmertür. „Du hast Glück, er ist vor ner Minute gekommen!“, erstaunt stapfe ich zu meinem Zimmer und.. tatsächlich. Mein Freund sitzt vor meiner Playstation und knackt all meine Guitar Hero Rekorde. „Neeeeeeein!“, ich lass mich auf ihn fallen und entwinde seinen kalten, begabten Händen die Gitarre. Hämisch grinsend zeigt er auf den Fernseher. Er hat die drei Songs freigeschalten, wofür ich schon seit Monaten kämpfte. „Na warte....“, ich stürzte mich auf ihn und kitzle ihn mit äußerster Brutalität. „Gnade, Gnade, ich bitte daruuum“, er windet sich vor Lachen (oder doch Schmerz) unter meinen Händen. Doch die kennen keine Gnade. „Weißt du, das Fachwort dafür ist –Gargalesis-, wusstest du das? Ha? Wusstest du niiicht!“, ich freue mich über meine Macht, die nur von allzu kurzer Dauer ist. Denn er ist natürlich weitaus stärker und befreit sich rasch aus meinem Profi-Catcher-Griff. Dann bin ich die Gefolterte. Es wird laut geschrien und der Kampf ist blutig, aber rasch vorbei. Schließlich muss ich um Gnade betteln.

Als ich nach einigen Jahren mein Studium erfolgreich beendet hatte, löste sich schließlich auch unsere WG auf. Wir zogen in eigene Wohnungen oder mit unseren Freunden zusammen, lernten neue Freunde in der Arbeit kennen. Aber wir verloren nie den Kontakt zueinander. Als wir unser 20jähriges Maturatreffen hatten, zwängte ich mein rosarotes Ungeheuer meiner Tante. Len sah mich an und prustete augenblicklich los. Dann fielen wir uns in die Arme. Von da an wusste ich, dass wir für immer Freunde bleiben würden. Doch zwei Jahre später bekam ich ein Angebot in Australien. Nach langen Überlegungen sagte ich zu. Der Abschied war schmerzlich, mein damaliger Freund und ich beschlossen, dass es sinnlos sein würde und wir trennten uns. Len und ich halten bis heute Email Kontakt. Ich vermisse sie wie die Hölle. Jedesmal, wenn ich im Kasten das rosarote Jäckchen entdecke, kommen mir die Tränen. Es war ne verdammt geile Zeit und ach – Ich möchte sie wiederhaben.