Wann kommt Mama?
Es gibt überall auf der Welt außergewöhnlich begabte und begnadete Jungens und Mädchen denen man es nicht anmerkt, dass sie außergewöhnliche Begabungen und Fähigkeiten besitzen. Man nennt sie „Indigokinder.“ Doch dieser Begriff war zur Zeit der folgenden Geschehnisse noch nicht geboren. Er wurde erst viele, viele Jahre später entdeckt, als man feststellte, dass es sehr ausgeprägte spirituelle Menschen sind, deren Aura in einem indigoblauen Licht erstrahlt.
Indigokinder haben für uns mitunter ungewohnte und schwierige Charakter- und Persönlichkeitseigenschaften. Sie sind sehr spirituell, Sie wissen durch ihre Intuition, dass alles im Universum eins ist und miteinander verbunden. Sie wissen über die Gesetze des Universums bescheid, wie zum Beispiel das Gesetz von Ursache und Wirkung, oder Gleiches zieht Gleiches an. Indigokinder sind Handlungsorientierte Menschen. Das heißt, sie handeln oft ohne zuviel nachzudenken, aus ihrem Bauchgefühl heraus. Wenn sie jemand einengt, suchen und finden sie die Freiheit, wenn sie jemand blockiert, sprengen sie sich den Weg frei. Sie lassen sich nicht eingrenzen durch überholte Ideale oder Glaubenssätze. Sie können nicht gezwungen werden etwas zu tun woran sie nicht glauben. Sie akzeptieren keine Autorität, die nicht die selben ethischen Grundsätze haben, wie sie selbst. Indigokinder sind meist Experten in einem oder mehreren Handlungsfeldern. Ihre ganze Leidenschaft gilt dann diesem Thema (z.B.: Malen, Musik, Literatur, Altertumsgeschichte, Geisteswissenschaften, Archäologie, Religion oder Technik) Andere Handlungsfelder bleiben oft auf der Strecke, da sich diese Kinder nicht damit beschäftigen wollen.
Mit einem Wort, sie waren in den Augen der damaligen Erwachsenen eigenbrötlerische Querulanten.
Ohne es zu ahnen war ich ebenfalls ein Indigokind. Aber das war das eigentliche Problem, denn niemand aus meinem Umfeld, weder die Eltern noch die Lehrer bemerkten meine außergewöhnlichen Begabungen. Im Gegenteil, man hielt mich für verrückt. Man sah in mir nur einen Rabauken und ein nicht sonderlich begnadetes Kind.
Ich nahm am Unterricht der örtlichen Volksschule kaum, oder nur ungenügend teil, redete den Erwachsenen stets ins Wort, weil ich meinte es besser zu wissen als sie, was diese dann von mir als Altklug bezeichneten.
Auch sonst benahm ich mich nicht wie andere Jungs in meinem Alter. Der Psychologe, bei dem ich seit dem Epilepsieanfall, der auf dem Hof meiner Großeltern erstmals in Erscheinung trat, in Behandlung war kam zu dem Schluss, ich sei für mein Alter sehr unreif, viel zu verspielt, obendrein unkonzentriert, und sobald man mir eine Aufgabe stellte, fehlte mir das nötige Verständnis dafür. Überhaut seien meine geistigen Fähigkeiten nicht diejenigen eines fast achtjährigen Jungen. Der Psychologe resümierte überdies hinaus, dass mein Verhalten und meine zurückgebliebene geistige Entwicklung möglicherweise die Folge der, inzwischen häufiger aufgetretenen, epileptischen Anfälle sei, welcher eine Geisteskrankheit zugrunde liege. Er betrachtete mein ganzes Verhalten als eine Störung in meiner kindlichen psychologischen Entwicklung.
Denn Jungs in meinem Alter erzählten nicht im Brustton der Überzeugung so wirres Zeugs wie: „man könne Hexen und Geister überall um uns herumschleichen und fliegen sehen, wenn man sich nur das rechte Auge zukniff, um durch das linke Auge hindurch in die Umgebung zu blinzeln.“
Einige Jungs aus meiner Nachbarschaft, die es auch versucht hatten, indem sie sich ihr rechtes Auge zuhielten, um mit dem linken Auge zu gucken, sahen weiter nichts, als undeutlich verschwommene Landschaften oder Gegenstände. Als ich dann auch noch behauptete, man würde selbst wie ein Geist unsichtbar werden, sobald man sich im halbdunklen Raum vor einem Spiegel längere Zeit konzentriert ins linke Auge blickte, hielten meine Freunde mich für total verrückt und spielten nur noch für sich allein.
Ich war als Exote mehr oder weniger aus ihrem Kreis ausgeschlossen, durfte ihnen aber jeweils bei ihren Schulaufgaben helfen.
Im Normalfall kämpften Jungs wie ich mit selbstgebastelten Holzschwertern, um ihre Helden, wie Robin Hood und Tibor zu imitierten, und hauten große Luftlöscher in die Landschaft, indem ich behauptete gegen unsichtbare Gegner zu kämpfen.
Eines Tages spielte ich wieder auf der Straße, fuchtelte mit meinem Holzschwert in der Luft herum und rief: „Kommt doch her ihr bösen Geister, ich habe keine Angst vor Euch, ich werde euch alle besiegen!“
Da ich wieder einmal die Schule geschwänzt hatte, war unsere Straße fast Menschenleer. Einzig ein katholischer Kaplan kam des Weges, sah mich mit meinem Holzschwert Löcher in die Luft hauen und sprach zu mir: „Na Junge, kämpfst du den guten Kampf des Glaubens?“
„Nein, Herr Kaplan, ich verhaue böse Geister, die hier überall herumfliegen“, gebe ich ihm zur Antwort.
„Soso, wo sind die denn, die Geister? Ich sehe keine!“ Dabei blickte er um sich, als ob er nach unsichtbaren Wesen Ausschau hielte.
„Dort!“, sagte ich, zu einem alten Gemäuer deutend.
Gegenüber unseres Wohnhauses befindet sich eine, vom Kriege zerstörte Kirche. Einige nackte Mauern und das Kirchenschiff ragten noch, wie düstere Monumente aus einer anderen Zeit in den bewölkten Himmel. An einigen Stellen des Mauerwerks sieht man fratzenartige Köpfe aus den Wänden ragen, die durch den Kugelhagel des zweiten Weltkriegs stark beschädigt waren. Man sah überall noch die Einschusslöcher der Gewehrsalven in dem ehemaligen Kirchengemäuer.
Die Teufels- und Schlangenköpfe konnte man daher nur noch undeutlich als solche erkennen. Es gehörte schon eine gehörige Portion Phantasie dazu, diese dämonischen Fratzen auszumachen. Ein paar Raben saßen auch heute mal wieder auf den Simsen und schauen neugierig und lauernd zu uns auf die Straße herunter.
Ich blicke zu der alten Kirche, deute mit der Hand auf das zerstörte Mauerwerk, und sage:
„Dort, in den Nischen der alten Kirche schlafen sie des Nachts, und tagsüber fliegen sie unsichtbar hier die Straße rauf und runter!“
Ich stellte mich neben den Kaplan, wie ein Tempelritter, und senkte mein Holzschwert dabei auf die Straße.
„Herr Kaplan“, sehen Sie die Fratzen in der Wand denn nicht?“
Er folgte meinem Blick, schüttelte den Kopf und meinte; „Ich sehe dort nur Raben sitzen!“
„Die Raben habe ich auch nicht gemeint, obwohl sie dazugehören“, fuhr ich wissend fort. „Die Raben sind die Helfer der Geister. Oder haben Sie noch nie gehört“, sprach ich nun im leisen und vertraulichen Ton zu ihm, „dass fast alle Hexen einen Raben besitzen, der ihnen alles erzählt, was sie wissen wollen? Die Raben fliegen mal hierhin, mal dorthin und verraten einer Hexe alles, was sie sehen! Wenn die Raben schlafen, fliegen die Hexen auch mal allein durch die Nacht, um überall zu spionieren. Doch kann man sie des Nachts nie sehen, weil sie sich als Tarnung schwarze Kleider anziehen!“
„Sehr interessant, sehr interessant, was du mir da mitteilst“, meinte der Kaplan mit ernster Mine und salbungsvollem Ton, ebenso leise und geheimnisvoll tuend wie ich.
„Komm mal mit, ich will dir etwas zeigen“, flüsterte ich ihm ins Ohr, und gehe dabei ein Stück die Pflasterstraße entlang. Er folgte mir auf den Schritt, ohne seine würdevolle Haltung aufzugeben. Bei einem alten, halbverfallenen und windschiefen Haus angekommen bleibe ich stehen und sage:
„Schau, dort in dem alten Haus wohnt eine echte Hexe, eine Zauberin, die mich jedes Mal auslacht und so hexenhaftes Zeugs und Zaubersprüche zu mir sagt. Das tut sie immer dann, wenn sie mich alleine auf der Straße antrifft und sich von den anderen Menschen unbeobachtet fühlt. Sie sagt, ich sei in Wirklichkeit ein gestohlenes Kind und stamme aus einem alten Zigeunergeschlecht. Den Leuten in der Stadt erzählt sie dann, ich sei als kleines Kind aus einem fahrenden Zigeunerwagen herausgeworfen worden.“
„Na so was!“
Ich zeigte mit dem Finger auf das angegebene Haus, wo gerade eine schwarzhaarige Frau, mit einem Binsenkorb unter dem Arm aus der Türe kommt. „Das ist sie!“, fuhr ich erschrocken zurück. Der Kaplan nimmt seinen Hut vom Kopf, grüßte die Frau von Weitem mit den Worten: „Guten Tag, liebe Frau, ich bin der neue Kaplan in der Basilika!“ dabei lächelte er ihr freundlich zu.
„Die ist nicht lieb“, flüstere ich dem Kaplan halblaut zu. „Sie ist eine Hexe!“
„Na du Bengel“, ruft sie spöttisch, „erzählst du wieder mal wirres Zeug?“
Bei diesen Worten kommt sie zu uns heran, blickte mir mit ihren grünschimmernden Augen zornig ins Gesicht und zischte:
„Du mit deinen ewigen Lügengeschichten!“
Entweder hatte sie hinter ihrem Fenstervorhang gestanden und zur Straße hin gelauscht und somit alles gehört. Oder ein Rabe hatte ihr erzählt, was ich vorhin dem Kaplan verraten hatte. Wie sonst konnte sie wissen, was zwischen uns gesprochen wurde?
„Sie müssen wissen, Hochwürden“, sagte sie zum Kaplan gewand, „der Junge ist nicht ganz normal, nicht ganz richtig im Kopf!“, dabei deutet sie sich mit dem Finger an die Stirn. Sich mit einem flüchtig angedeuteten Knicks vor dem Kaplan verbeugend und demütig hinkniend, fasst sie die Hand des Kaplans mit dem goldenen Ring und küsste diesen,
„Wissen Sie, Hochwürden glauben Sie dem Bengel kein Wort, der Junge spinnt und erzählt nur Lügengeschichten!“ Dabei stand sie wieder von ihren Knien auf, verneigte sich mit den Worten „Gelobt sei Jesus Christus“ und geht langsamen Schrittes die Straße runter.
Am ende der Straße verschwand sie in einem Tante Emmaladen. Gemeinsam blickten wir ihr hinterher.
Da bewerke ich, dass der goldene Ring von der Hand des Kaplans verschwunden war.
„Hochwürden, ihr Ring ist weg!“
Der Kaplan schaute auf seine Hand, senkte nachdenklich seinen Blick auf den Boden, nimmt aus einer Blechdose eine silbrige Medaille heraus, legte sie mir in die Hand mit den Worten: „Möge die Mutter Gottes dich behüten, mein Junge!“ Er streichelte mir zum Segen nochmals über mein schwarzes Haar und geht mit würdevollen Schritten der Hexe hinterher.
aaHH
Während er kopfschüttelnd die Kopfsteinpflasterstraße entlang seiner Wege geht, sprach er halblaut zu jemandem, den er eigentlich nicht sehen konnte.
Mich hielt man dafür für verrückt.
Ich nahm mir in diesem Moment vor, später auch einmal Priester werden zu wollen, weil man dann mit unsichtbaren Wesen sprechen konnte, ohne gleich dafür als geisteskrank abgestempelt zu werden.
Als die „Alte Lauer“, so nannten wir die alte Hexe, aus dem Tante Emmaladen zurückkommt, versteckte ich mich schnell hinter einem parkenden Opel Blitz. Doch sie hatte mich schon gesehen.
Bei mir angekommen sagte sie: „Du brauchst dich nicht zu verstecken, du Bankert! Der Pfaffe hat seinen Ring ja wieder, den ich auf der Straße gefunden habe, dir glaubt er so wie so kein Wort.“
Dann verschwand sie in ihrem Haus, um kurz darauf aus ihrem Fenster zu gucken und hämisch zu mir herüber zu grinsen.
Es lässt sich denken, dass man mich für mein Verhalten und wegen meiner epileptischen Anfälle für verrückt halten musste.
Manche Leute aus unserer Straße waren obendrein auch noch sehr abergläubisch und glaubten, ich sei wirklich von einem bösen Geist besessen. Irgendwann verbreitete sich dann das Gerücht; ich besäße sogar den „bösen Blick.“
Meine dunkelbraunen, ja fast schwarzen Augen, waren natürlich geeignet solchen Aberglauben in den Köpfen der Leute aufrecht zu erhalten. Dieses Gerücht hatte auch die Hexe Lauer in Umlauf gebracht und den Leuten Glauben gemacht ich sei mit den bösen Geistern im Bunde, die ich angeblich bekämpfte. In Wirklichkeit aber war sie es, die sich mit allerlei Zauberei beschäftigte. Keiner wusste nämlich, was sie hinter ihren verschlossenen Türen tat. Ich selbst hatte innerlich nur eine gewisse Ahnung.
Dass die Lauer mit bösen Mächten zu tun haben musste, das war dem Kaplan auch aufgefallen. Sie hatte nämlich die traditionell alljährlich durch die katholische Kirche an die Haustüre mit Kreide geschriebenen Buchstaben; 19 - C + M + B – 59 für „Caspar – Melchior – Balthasar“, mit einem Schwamm von ihrer Türe weggewischt. Das allein war schon ein Indiz dafür, dass die Hexe Lauer mit christlichen Symbolen nichts zu tun haben wollte.
Immer, wenn sie mich von nun an sah, rief sie mir Worte zu wie; „Du Teufel, du bist verhext, du wirst deine Aufgabe auf Erden nie erfüllen, so eine Brut wie dich müsste man auf dem Scheiterhaufen verbrennen und deine Asche ins Universum zurückschicken!“
Es folgte noch jede Menge anderer Flüche von ihr, die ich hier nicht wiedergeben will.
Ich konnte mir jedenfalls nicht erklären, warum diese Frau so hinter mir her war, und mich abgrundtief hasste. Ich hatte ihr doch nie etwas böses getan. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht.
Laut Stadtgeschichte war die Stadt Trier, meine Heimatstadt und Geburtsstadt, tatsächlich im Mittelalter eine der Hochburgen von Hexenverbrennung gewesen, und Reste dieses Aberglaubens oder Hexenwahns hielten sich nach wie vor noch hartnäckig in den Köpfen vieler Leute.
Bevor das Kesseltreiben, um mich und um diese Hexe in unserer Straße überhand nehmen konnte, denn immer mehr Leute riefen inzwischen aus ihren Fenstern;
„Die Teufelsbrut muss weg“, kam man zu dem Schluss, mich in eine andere Schule zu verlegen, wo man mir und meiner Entwicklung mehr Aufmerksamkeit widmen und gleichzeitig meine Epilepsie unter Beobachtung stellen zu wollen.
Bis dahin hielt man nämlich die Epilepsie für eine Geisteskrankheit, die vermutlich als Folge anderer schwerer geistiger Krankheiten ausgelöst worden sein musste. Nur durch welche geistige Krankheit, das wusste niemand.
Mit einer Dampflokomotive kommen wir nach mehreren Stunden Fahrt in Rüdesheim am Rhein an. Es lagt noch ein gewaltiger Fußmarsch vor unseren Augen. Der Weg führte über Assmannshausen zu einem Anwesen, welches weit außerhalb jeglicher Ortschaften lag.
„Es ist nicht mehr weit!“, sagte meine Mutter, nachdem wir eine halbstündigen Marsch am Rheinufer entlang hinter uns hatten. Sie keuchte unter der schweren Last des Koffers, den sie trug.
„Nur noch vier Kilometer, dann sind wir in Aulhausen!“
Mit dem Handrücken wischte sie sich den Schweiß aus der Stirn und schob eine Haarlocke, die ihr ins Gesicht gerutscht war, wieder unter ihr Kopftuch. Wir bogen irgendwann rechts ab, durchliefen einige enge Gassen einer kleinen Ortschaft mit Fachwerkhäusern, und kommen an einem Holweg an, der in einen tiefen Wald zu münden schien. Unser Weg schlängelte sich durch ein schmales Tal, wo uns links des Weges ein Wildbach entgegen geflossen kommt. Das Rauschen des Wildbachs übertönte alle anderen Geräusche. Rechts und links war der Weg von Büschen und Bäumen eingesäumt an denen sich Lianen rankten, die das Dickicht undurchdringbar zu machen schienen. Die hoch aufragenden Bäume treffen mit ihren Ästen in den Wipfeln zusammen, so dass die Sonnenstrahlen das Laubdach nur Stellenweise durchbrechen konnten. Auf dem Boden sieht man die sich bewegenden Schatten der Äste, wo sie bizarre Formen annahmen.
„Das hier ist das Mühlental“, erklärte mir meine Mutter mit lauter Stimme. „In zehn Minuten kommen wir bei einer Wassermühle und Herberge vorbei, dort werden wir eine kurze Rast einlegen.
Es befindet sich ein Gasthof dort, mit Biergarten!“ Ich verstand nur Bruchstückhaft, was sie mir zurief. Das laute Plätschern des Wassers hatte die Hälfte ihrer Worte verschluckt.
Dieses Tal und der Holweg gab bestimmt ein toller Abenteuerspielplatz ab, dachte ich mir, die Landschaft aufmerksam betrachtend. Man konnte sich hier gut in den Büschen verstecken, auf Bäume klettern, Höhlen bauen, Forellen fangen und vieles andere mehr. Das hier herrschende Halbdunkel verlieh diesem Holweg obendrein auch noch etwas geheimnisvolles, ja gespenstisches. Was mochte dieser Holweg in früheren Zeiten wohl alles gesehen haben, fragte ich mich?
Unwillkürlich kniff ich mein rechtes Auge zu und blinzelte, wie schon so oft, mit dem linke Auge in die Landschaft. Automatisch stellten sich in meinem Kopf Phantasiebilder ein, die nur ich sehen konnte.
Ich sehe meine Mutter schemenhaft vor mir weiter gehen, wobei der Weg auf einmal zu wackeln beginnt, die Büsche und Bäume scheinen seitlich meinem Blickfeld zu entschwinden, und dann löste sich meine Mutter vor meinen Augen in Nichts auf. Stattdessen sehe ich ein Kohorte Soldaten, mit silbrigen Helmen, glänzenden Brust und Rückenpanzer, wollenen Strumpfhosen, und die Lenden geschürzt mit Lederröcken, den Weg entlang marschieren. An ihren Seiten tragen sie kurze Schwerter.
Ohne dass es mir jemand zu sagen brauchte wusste ich sofort, das waren römische Soldaten, die hier in der Nähe den Limes bewachen sollten. Und wie sich später geschichtlich herausstelle, befand sich in den vor uns liegenden Wäldern tatsächlich damals der Limes, und ieser Holweg wurde einst wirklich von den römischen Legionen benutzt.
Dass wir uns hier in einer geschichtsträchtigen Landschaft befinden erfuhr ich ebenfalls erst viel später.
Natürlich war meine Fähigkeit solche Dinge zu sehen, in erster Linie meiner kindlichen Phantasie zuzuschreiben. Doch irgendwie war alles so echt, dass ich selbst darüber erstaunte. Es kam mir jedes Mal so vor, als befände ich mich an Zeit und Ort des jeweiligen Geschehens. Ich erzählte natürlich niemandem davon, was ich sah und hörte, da man mich ohnehin schon für verrückt hielt.
Ich öffnete wieder beide Augen und sehe meine Mutter, wie sie nach wie vor den Weg entlang läuft. Doch erschien sie mir auf einmal als eine fremde Person.
Es waren so viele Dinge, die gerade mein junges Herz bewegten. Was kam da alles noch auf mich zu, fragte ich mich? Ich wollte, nein, ich musste dass ganze als ein Abenteuer betrachten. Und so verscheuchte ich meine trüben Gedanken.
Meine Mutter ist eine zierliche Person, die allerdings von der Landarbeit her einige Strapazen gewohnt war. Sie war schließlich eine Bauerntochter. Doch bei dem steilen Weg einen schweren Koffer so weit zu schleppen, schien auch ihr zuviel zu werden.
Zum Schutz gegen Sonne und Zeckenbisse hatte sie sich ein buntes Kopftuch um die Stirn gebunden, welches sie hinten so verknotet hatte, dass die Enden als Zipfeln herunter hingen. Extra für diese Reise trug sie ihr hellblaues Kostüm, bestehend aus einem enganliegendem Rock, der ihr bis zu den Waden reichte, einer weiße Bluse, und eine zum Kostüm gehörige, hellblaue Jacke. Über ihre Füße hatte sie sich kurze beige Wollsöckchen gezogen, die in schwarzen Schuhen mit breitem Absatz steckten.
Es waren jene Schuhe, die Oma ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, eine Auftragsarbeit eines Landschusters, der für die Zweckmäßigkeit der Schuhe mehr Geschick hatte, als für das Design. Ich steckte mit meinen selbstgestrickten Wollstrümpfen in schwarzen Schnürschuhen, die ebenfalls eine Arbeit des gleichen Schusters waren und eine Schuhnummer zu klein geraten sind.
Auf dem Kopf trage ich eine graue Schirmmütze, die ich mit einem Druckknopf zur Kappe umfunktioniert hatte. Leider rutschte sie mir immer wieder über die Augen ins Gesicht, da der Druckknopf ausgeleiert war und unterwegs jedes Mal wieder aufging. Mein Opa hatte mir diese, etwas zu groß geratene Mütze, geschenkt, als ich das letzte Mal bei ihm auf dem Bauernhof war. Ich trug diese Kappe sehr gerne, da sie mir das Aussehen eines frechen Straßenjungen verlieh und in unserer Stadt als „Gassenhauer“ galt. Mit dieser Kappe würde ich in meiner neuen Bleibe auf jeden Fall auch Eindruck schinden.
Wegen der Zugfahrt hierher musste ich heute meine grauweißkarierte Anzugshose tragen, die nun durch das Schwitzen in meiner Poritze klemmte. Immer wieder fasste ich beim Gehen nach hinten um die Hose aus meiner Poritze rauszuziehen.
Auch mein weißes Leinenhemd klebte mir inzwischen am Körper fest. Die kurze Lederhose, die ich sonst Tagein Tagaus tragen durfte, befand sich leider im Koffer. Meine Mutter meinte, die Lederbuchs sei viel zu schmutzig und verschrammt, als dass man sie zu einem solch wichtigen Anlass anziehen sollte.
Wir befinden uns ja schließlich auf dem Weg zum Vorstelltermin in meiner neuen Schule und künftigen Heimstatt.
Zur meiner Beruhigung erzählte meine Mutter mir, dass ich zu den Schulferien, an Weihnachten und zu Ostern jeweils wieder nachhause kommen durfte. So hatte sie es mir fest versprochen.
Wir haben Hochsommer und die Sonne scheint inzwischen fast senkrecht auf uns beide hernieder. Der Holweg war inzwischen breiter geworden und lichtete sich endlich ganz. Er mündete auf einem freien Platz. Dort sehen wir den Gasthof, an dessen linker Wand sich ein Mühlrad drehte. Den Wildbach hatte man hier zu einem Wehr aufgestaut, wo das Wasser nur langsam über ein grünvermoostes Holzbrett hinwegfloss, wo es sich in einem Becken sammelte, und von dort rauschend ins Tal stürzte. Vor dem Haus befindet sich ein Biergarten, mit roh gezimmerten Bänken und Tischen. Einige Sonnenschirme stehen dort und spendeten den wenigen Gästen Schatten. Uns beiden rann der Schweiß in dicken Perlen über Gesicht und Nase. Meine Mutter schien sich in ihrem enganliegenden Kostüm auch nicht mehr sehr wohl zu fühlen, denn sie schwitzte offensichtlich noch mehr als ich. Im Biergarten, an einem der Tische angekommen, nahm sie ihr Kopftuch vom Haar und wollte mir damit den Schweiß aus meinem Gesicht wischen. Ich hatte mir jedoch Geistesgegenwärtig schnell mit dem Ellenbogen selbst über das Gesicht gewischt und sagte:
„Mama, diesmal warst du zu langsam!“
„Und du bist heute ganz schön frech“, antwortete sie. „Warte ab, bis du deine neuen Erzieher kennen lernst!“
Sie putzte sich mit ihrem weißes Stecktüchchen, dass sie zuhause mit „4711 Echt kölnisch Wasser“ geträufelt hatte, selbst über das Gesicht und band sich das Kopftuch wieder um.
Wir nehmen unter einem der Sonnenschirme platz und stellten das Gepäck beiseite. Die andere Gäste wendeten ihre Köpfe zu uns herum, um uns neugierig zu betrachten. Es waren durchweg Männer und Frauen, ohne Kinder. Ich war der einzige Junge hier.
Der Wirt kommt aus dem Haus und fragte: „Darf ich Ihnen etwas zum trinken bringen? Zu essen gibt es heute Rinderbrachten mit Kartoffeln und Salat, als Vorsuppe eine Hühnerbouillon!“ Mit diesen Worten legte er uns die Speisekarte auf den Tisch
„Wenn es schnell geht nehmen wir zweimal Rinderbraten mit Suppe, eine Limo für den Jungen und eine Tasse Kaffee für mich. Wir müssen nämlich noch weiter!“
„Wollt ihr zum Vinzenzstift oder nach Mariehausen?“, fragte der Wirt, wobei er mich komisch ansieht.
„Zum Vinzenzstift“, antwortete meine Mutter. Die Köpfe der anderen Gäste ruckten wieder zu uns herum, als hätten sie etwas weltbewegendes gehört. Einige mitleidige Blicke trafen mich. Der Wirt verschwand und kam nach kurzer Zeit mit den Getränken wieder. Kurz darauf servierte er uns auch das bestellte Essen.
„Wenn ihr zum Vinzenzstift wollt, dann nehmt ihr am besten gleich den Weg hinter dem Haus, dort führt ein Feldweg direkt zum Kloster und ist kürzer als die Straße!“ Nicht weit von dem Gasthof führte eine Kopfsteinpflasterstraße den Berg hinauf.
Nachdem wir gegessen hatten marschierten wir weiter, wie uns der Wirt empfohlen hatte. Es ging kurz durch den Wald einen steinigen holprigen Weg empor, dann befanden wir uns auf einem Feldweg. Links und rechts streicht der Wind über weitausgedehnte Kornfelder und Wiesen.
Wir waren inzwischen ein gutes Stück des Wegs voran gekommen, als ich in der Ferne ein großes Anwesen erblickte das aussah, wie eine Einsiedelei oder alte Festung. Neben einem großen Gebäudekomplex sieht man mehrere einzelnen Häuser verstreut in der Landschaft liegen.
Meine Mutter deutete mit der Hand voran und sagte: „Dort befindet sich deine neue Schule. Es wird dir dort bestimmt gefallen und du wirst dich auch bald eingewöhnen!“ Ihr Gesicht zeige bei ihren Worten den Ausdruck von Erleichterung, so als wäre sie bald ein Problem los. Ich achtete nicht darauf und nahm als Grund den weiten Weg und den schweren Koffer an.
„Nur noch ein Viertelstündchen, dann sind wir da“, sagte sie. Sie stellte den Koffer kurz am Wegesrand ab, um sich wieder einmal den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Gleichzeitig zupfte sie sich ihr Kostüm zurecht, als gingen wir zu einer Hochzeit, und strich mit der Hand über den Rock um einige Falten zu glätten.
Mir war gar nicht so leicht zumute, wie ihr. Es war ein sonderliches Gefühl, dass sich meiner Bemächtigt hatte. Wie durch Adleraugen ließ ich meinen Blick misstrauisch über das Gelände gleiten. Ich sehe die Gebäude inmitten einer idyllischen bäuerlichen Landschaft liegen. Die Gelände, dass sich vor meinen Augen auftat hatte eine große ähnlich mit dem, welches ich aus der Nähe des Gehöfts meiner Großeltern her kannte. Es roch hier, wie dort auch nach würziger Landluft. Einzig, dass diese Landschaft hier viel höher gelegen war, als die beim Hofe meiner Großeltern. Was ich sah vermittelte mir ein Gefühl von Ursprünglichkeit und Einsamkeit. Einsamkeit, ja das war das Gefühl, dass sich mir mit einmal breit gemacht hatte. Hierher verirrte sich so leicht kein Mensch, dachte ich. Wir befanden uns in den Ausläufern des Taunusgebirges, nähe des Rheins. Das hatte mir meine Mutter während der Zugfahrt unterwegs hierher erzählt.
Ich hatte sie überhaupt während der ganzen Fahrt ausgefragt, wohin es denn ginge, was mich in dem Internat erwartete, ob ich sehr lange dort bleiben musste u.s.w. Doch wollte sie mir keine richtige Antwort geben. Irgendwie wich sie meinen Fragen gezielt aus, indem sie mich fragte; „Mein Sohn. möchtest du ein Brot essen, willst du einen Apfel oder einen schluck Tee?“ Einzig, dass sie erzählte, wie schön es dort sein würde. wo wir hinfuhren, und dass das Ganze im schönen Taunusgebirge gelegen wäre, ansonsten schwieg sie.
Ich war natürlich misstrauisch geworden, denn ich wollte wissen, was mit mir geschah und wo ich hinkam, weil ich das Gefühl nicht los wurde, als verschweige sie mir etwas. Doch wegen der vielen neuen Eindrücke, ich war bisher im Zug immer nur bis zu meinen Großeltern gefahren, verschwand das Gefühl des Misstrauens wieder und machte meiner Neugier platz..
Inzwischen waren wir der Einsiedelei ziemlich nahe gekommen und ich konnte die Mauern eines Klosters erkennen. Weit davor erblicke ich einen riesen Bauernhof, wohin der Feldweg gerade darauf zuführte.
Wir passierten ein Gehöft mit Stallungen und Scheunen. Daneben sehe ich ein weitausgedehntes Backsteingebäude mit einer großen Toreinfahrt, der in einen Innenhof führte. Mehrere Jungs, in meinem Alter, waren dabei den Innenhof mit Reisigbesen zu fegen. Alle trugen sie blaue Arbeitsanzüge. Vor den Fenstern sind überall Gitter zu sehen.
„Ist das ein Gefängnis, Mama?“, wollte ich wissen.
„Nein, das ist Marienhausen, eine Erziehungsanstalt für böse Jungs, die ihren Eltern nicht gehorchen!“
„Komme ich hierhin?, fragte ich erschrocken. Erinnerte mich aber gleichzeitig daran, das meine Mutter zu dem Wirt gesagt hatte, dass wir nicht nach Mariehausen, sondern zum Vinzenzstift wollten.
„Keine Angst, deine neue Schule ist weiter oben.“ Dabei deutete sie den Weg entlang auf ein großes Anwesen, mit einem Zwiebelturm.
„Dort befindet sich dein Internat!“
Ich sehe das Kloster von reichen Feldern und Wiesen umgeben. Rechts davon führte eine schmale Straße zu einen Mischwald, der leicht ansteigt und sich in den Höhen des Waldes verliert.
Still und wie Zeugen einer längst vergangenen Zeit stehen dort die Gebäude vor mir. Obwohl das Ganze in einer blühenden Landschaft gelegen war, strahlten diese Gebäude etwas Bedrohliches aus.
Ich kniff mir wieder bewusst mein rechtes Auge zu und blinzelte mit dem anderen auf das vor mir liegende Kloster. Schwups, schon sehe ich einige schleierhafte Gestallten um die Klostermauern herum fliegen. Sie umkreisten einige male das Gemäuer und verschwanden in dem Zwiebelturm. Dort gab es also auch Geister, wie in unserer Straße, stellte ich fest. Und gleichermaßen wie dort handelte es sich wieder um eine Kirche.
Nun waren wir nach dem langen Weg endlich am Ziel unserer Reise angekommen. Nur noch einen steilen Hang hinauf und wir sind da. Wuchtig erheben sich jetzt die Gebäudekomplexe vor unseren Augen. Ein warmes Lüftchen wehte uns entgegen und der Wind bewegt leicht die Blätter der Bäume, die eine Zufahrt säumten.
„Hier wirst du bald zur Schule gehen, Maurice“, sagte meine Mutter.
Ich sehe mir das Gebäude jetzt doch etwas genauer an. Ich, hier zur Schule? Mir wollte scheinen, als befände man sich hier am Ende der Welt, aber nicht in einer Schule. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. In einiger Entfernung grasten mehrere Kühe auf einer Weide, ansonsten war es hier trostlos und einödig. Die Ortschaft Assmannshausen und der Mühlenwirt lagen weit hinter uns, und nun versperrte uns ein eisernes Rolltor entgültig den Weg. Eine schmale Gasse führte dahinter in Richtung eines Portals. Dies war scheinbar der einzige Weg, um in dieses Gelände zu betreten.
Etwas sträubte sich in mir, hier weiter zu gehen. Doch meine Mutter hielt mich fest bei der Hand und zog mich, schwer atmend, hinter sich her: „Nun lass dich nicht so hängen, dein Koffer ist mir schon schwer genug!“, sagte sie.
Ich kam mir mit einmal vor, als ob ich zur Schlachtbank geführt werde. Ich hatte das zuletzt auf dem Hof meines Opas gesehen, als dort ein Schwein geschlachtet wurde. Es sträubte sich mit aller Kraft dagegen in die Scheuer zum Schlachten geführt zu werden. So erging es mir jetzt auch. Das Schwein merkte instinktiv, dass es ihm an den Kragen gehen sollte. Falls wir Menschen auch so einen Instinkt besitzen, so hatte ich ihn jetzt.
Als wir das Tor erreicht hatten, ging es wie durch Geisterhand von alleine auf, und schob sich hinter eine Mauer. Man hat uns von weitem schon kommen gesehen. Eine in weiß gekleidete Frau kam aus einem Eingang und wartete. Ein Handzeichen von ihr deutete uns an, dass wir zu ihr kommen sollten. Wir gehen die letzten Meter die Zufahrt entlang und befinden uns mit unserem Gepäck vor einer Pforte.
„Guten Tag“, grüßte meine Mutter. Die Nonne nickte meiner Mutter nur zu, drehte sich auf dem Absatz um und wendete sich wieder zur Pforte.
„Der Junge wird gleich abgeholt“, sagte sie nur, und schon war sie in der Pforte verschwunden. Wir folgen ihr hinterher und sehen sie gerade noch hinter einer Milchglastüre verschwinden.
Den schweren Koffer schleppend betreten wir den Warteraum. Der Raum ist nicht sehr groß, aber dafür angenehm kühl. Die bunten Bleiglasfenster ließen Lichtschatten auf dem steinernen Fußboden widerspiegeln und erzeugten, durch die eindringenden Sonnenstrahlen, bunte hüpfende Schatten. Dieser Effekt entstand durch einen Baum, der unweit vor dem Fenster stand und den Schatten in bewegenden Bilder verwandelten, sobald der Wind die Blätter des Baumes bewegte.
Während wir in der Pforte warteten, beobachtete ich hier alles sehr genau. Ich lies meine Blicke überall umher schweifen. Mir entging nicht das kleinste Geräusch, nicht einmal die verschiedenen Gerüche, die von irgendwo herkamen, und auch die kleinste Bewegung hatte sofort meine Aufmerksamkeit. Ich sah nämlich einen kleinen Käfer den Boden entlang krabbeln. Alle meine Sinne waren, sprichwörtlich, wie ein Flitzebogen gespannt. Ein krummer Nagel an der Türe und die abgesprungene Farbe an der Decke, wo Heiligenbilder zu sehen sind, erregte gleichermaßen mein Interesse. Das größte Bild an der Decke stellte eine Person in weißem Gewand dar, der seine segnenden Hände ausstreckte. Den Hintergrund hatte der Maler als blauer Himmel dargestellt, an dem allerdings die Farbe ebenfalls bereits abgeplatzt war. Dieses Bildnis kam mir jedoch sehr bekannt vor, ich hatte es schon einmal irgendwo gesehen. Doch wo war das?
Ich grübelte, und durchforstete blitzschnell alle Stationen meines jungen Lebens, wo ich das Bild schon einmal gesehen haben könnte. Doch es fiel mir nicht ein. Vielleicht war das ja auch nur eine meiner vielen Einbildungen und ein Gespinst, so wie eben alle Gespinste, die ich sah, wie die Geister eben, die um den Kirchturm flogen oder Geister, die ich mit meinem Holzschwert bekämpft hatte. Mein Holzschwert war übrigens zuhause geblieben.
Vor uns befindet sich die weiß gestrichene Holztüre mit der Milchglasscheibe, wo die Nonne verschwunden war. Die Türe war verschlossen. Neugierig blicke ich durchs Schlüsselloch. Dahinter schien sich ein langer Gang zu erstrecken, mehr konnte ich nicht erkennen. Also warteten wir, dass die Nonne oder jemand anderer, wiederkam.
Wir warteten nun schon eine ganze Weile darauf abgeholt zu werden. Doch nichts war zu vernehmen außer die Geräusche der nahen Natur. Da hören wir, wie die Kirchturmuhr viermal Gong, Gong, Gong, Gong schlägt, und danach gleich zwölfmal hintereinander Bim, Bim, Bim.... Eine volle Stunde war also vergangen, seit wir hier warteten. „Nun sollte aber jemand kommen, sonst verpasse ich noch meinen Zug“, hörte ich meine Mutter seufzend sagen.
Auch ich war inzwischen schon sehr gespannt und sehnte mich nach dem Ende dieser Warterei. Ich sollte ja schon längst abgeholt worden sein. Doch scheinbar gingen hier die Uhren wirklich viel, viel langsamer als anderswo.
Man hatte vom Gefühl tatsächlich den Eindruck, als ob hier die Zeit stehen geblieben, oder zumindest die Zeit viel langsamer lief.
Auf einmal sehe ich einen kurzen Schatten an der offenen Pfortentüre vorbeihuschen und höre etwas flattern. Etwa wieder Geister?
„Da! Guck mal Mama, ein Vogel!“, sagte ich. Ein Jungvogel hatte sich in die Pforte verirrt und flatterte an der Fußleiste entlang. Ich stehe von der Bank auf, um mir den Vogel näher zu betrachten.
„Lass das Tier in Ruhe. Man darf keine kleinen Vögel anfassen, da sie sonst von ihrer Mutter verstoßen werden!“
Das wollte ich natürlich nicht.
„Hm!“, machte ich nur und blickte meine Mutter dabei sinnend an. Sie schien meinen Blick falsch zu verstehen und wandte ihr Gesicht zur Seite.
„Nun lass den Vogel halt in Ruhe, der findet sich alleine zurecht!“
Nach einigem hin und her Geflatter hatte der Vogel auch tatsächlich den rettenden Ausgang wieder gefunden und flog davon. Am liebsten wäre ich gleich mit davon geflogen. Ich ging zum Ausgang der Pforte, die Türe stand noch offen, und blicke hinaus. Der Vogel hatte sich in der Nähe auf einen Ast gesetzt und piepste fröhlich vor sich hin. „Piep, piep, piep!“
Noch stand die Pfortentür offen. Ich überlegte, ob ich nicht besser von hier weglaufen sollte. Doch wohin? Nach Hause, zurück in meine Stadt? Nein, meine Mutter würde mich wieder hier abliefern. Der Vogel musste ja hier nicht zur Schule, sondern ich. Gerne wäre ich jetzt dieser kleine Vogel gewesen.
So warteten wir, und warteten. Außer den Geräuschen, der nahen Natur, herrschte hier drinnen eine heilige, ich möchte fast sagen, gespenstige Stille.
Unruhig geht meine Mutter inzwischen auf und ab. Ich beobachtete indes eine Hummel, die verzweifelt an der Fensterscheibe hoch und runter fliegt. Dumme Hummel, dachte ich und lasse meine Blicke wie zuvor durch den Raum schweifen. Von hier will wohl jeder irgendwie entfliehen, zuerst der Vogel und dann die Hummel.
Vor Langeweile zauberte ich in meiner kindlichen Phantasie einfach wieder ein paar Gespenster an die Pfortendecke, indem ich mein rechtes Auge zukniff. „Huhu“, machte ich laut und sehe, wie einige Phantasiegespenster durch die Pforte fliegen. Sie fliegen immer ganz knapp über dem Kopf meiner Mutter hinweg, als wollten sie meine Mutter irgendwie ärgern. Doch sie bemerkte nichts davon, sondern lief nervös auf und ab. Um mich kümmerten sich die Geister gar nicht. „Ätschibätsch“, rufe ich den Gespenstern laut zu und streckte ihnen meine Zunge heraus. Im nu war der Spuk auch wieder verschwunden.
„Lass das bleiben!“, sagt da meine Mutter im gereiztem Ton. „Wir sind hier an einem geweihten und heiligen Ort. Da darf man solche Mätzchen nicht machen und die Zunge heraus strecken. Was soll man da von uns denken?“
Ich setzte mich wieder brav auf die Bank, um gelangweilt meine Beine hin und her baumeln zu lassen.
Was das wohl für Kinder hier waren, die hier zur Schule gingen? Konnten die auch, so wie ich, alles schnell verstehen? Was sich wohl die Jungs aus meiner Straße untereinander alles erzählen würden, nachdem sie hörten, dass ich weg war? Das alles ging mir durch den Kopf. Dabei hatte ich wohl gedankenverloren meinen Zeigefinger in den Mund gesteckt.
„Lass das Piedeln an deinen Fingern sein“ riss meine Mutter mich aus meinen Gedanken. „Du knabberst doch nicht schon wieder an den Fingernägeln?“
„Nein, Mama!“, gebe ich ihr zur Antwort und legte meine Hände in den Schoß.
Endlich hören wir, wie jemanden den Gang entlang kommt, und sehen, das die Milchglastüre vor uns aufgeschlossen wird. Eine andere Nonne erscheint und sagte: „Guten Tag, ich bin Schwester Kunigunde! Sind Sie Frau Neureuter?“
„Nein, ich heiße wieder Schneider mit meinem Mädchennamen, mit dem Namen Neureuter habe ich.....!“ Hier unterbrach sie sich, denn sie hätte beinahe etwas verraten, dass nicht jeder wissen sollte.
He, dachte ich. Sollte ich vielleicht deshalb hierher abgeschoben werden, weil meine Mutter gar nicht meine Mutter war? Stimmte es vielleicht sogar, was die Leute sich über mich erzählten, dass mich Zigeuner damals aus einem Wagen geworfen haben? Ich kam nicht weiter darüber nachzudenken, da mich die Nonne fragte:
„Aha, dann bist du der neue Schüler?
Oh, hast du aber schöne schwarze Haare und so dunkle Augen, fast wie die kleine Maralda. Sie müssen wissen, Frau Schneider, wir haben hier ein kleines Mädchen, mit langen schwarzen Zöpfen. Ihre Eltern sind Roma!“
Ich verstand natürlich nicht, was sie mit Roma meinte. Hatte sie vielleicht Römer gemeint, dass ihre Eltern echte Römer waren?
Diejenige, die das sagte, war eine zierliche Person. Sie trug eine dunkle Brille mit Horngestellt und hatte eine schwarze Kluft an. Auf ihrem Kopf trug sie einen ebensolchen Schleier der mit einem breiten weißen Stirnband verbunden war.
„Ich bin die Schwester Kunigunde“, wiederholte sie noch einmal. Dabei lächelt sie mich freundlich an, bückte sich und gab mir die Hand. Im ersten Moment war mein Verdacht, dass sich hinter diesen Mauern vielleicht etwas Schlimmes verbergen könnte völlig weggewischt. Ich fasste also Vertrauen und harrte der Dinge die da kommen sollten.
„So, mein Junge, die anderen Kinder warten schon auf dich. Sie wissen nämlich schon, dass heute ein Neuer kommt!“
Der Neue, war natürlich ich.
„Wenn wir uns beeilen, ist vielleicht noch etwas vom Mittagessen übrig“, lächelte sie mich freundlich an. Das alles sagte sie mit einer solchen Selbstverständlichkeit, als gehörte ich schon längst zu dieser Elite-Schule dazu.
„Wir haben bereits gegessen“, sagte meine Mutter.
„Nun gut, Sie müssen wissen“, sprach die Nonne zu meiner Mutter gewand, „wir essen hier im Kloster immer pünktlich um 12.00 Uhr. Darauf legen wir sehr großen Wert. So lernen die Kinder schon früh Disziplin. Doch leider bin ich selbst schon ein wenig spät. Sie entschuldigen mich also, Frau Neureuter - oh Verzeihung, Frau Schneider, wenn ich es kurz mache!“
„Ja, ich muss auch schauen, dass ich meinen Zug noch bekomme!“ Dabei gab sie der Nonne die Hand zum Abschied.
„Am besten du verabschiedest dich jetzt auch“, erklärte mir nun die Nonne, „und du sagst deiner Mutter Lebewohl!“
„Auf Wiedersehen, Mama“, sagte ich und gab ihr die Hand zum Abschied. Eine dicke Träne schoss mir ins Auge, und ich fing an zu weinen.
Die Nonne nahm mich daraufhin fest bei der Hand und führt mich in Richtung der Milchglastüre. Diese war inzwischen wieder verschlossen. Doch brachte sie einen großen Schlüsselbund unter ihrer Kutte hervor und schloss die Türe wieder auf. Zwischen Tür und Angel stehend gebe ich meiner Mutter nochmals die Hand und frage: „Mama, wann kommst du mich wieder abholen?“
„Bald, mein Junge“, höre ich sie nur leise sagen und schon fällt die schwere Glastüre mit einem lauten Rums hinter mir ins Schloss.
Mit einem letzten Blick sah ich wieder die Gespenster in der Pforte erscheinen, wie sie meiner Mutter hinterher fliegen, als würden sie meine Mutter von nun an in ihren Bann ziehen wollen. Irgendwie kam mir das Entfernen meiner Mutter wie eine Flucht von hier vor. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass sie schleunigst ihren Zug erwischen musste und mich bald wieder besuchen kommen würde.
Da fiel mir ein, der Koffer und mein Karton stehen ja noch draußen in der Pforte. Den hatten wir bei dem kurzen Abschied völlig vergessen.
„Mein Koffer, mein Koffer!“, rufe ich laut. Doch die Nonne hörte nicht auf mich. Vielmehr hatte sie es mit einmal sehr eilig. Mich fest bei der Hand packend zieht sie mich hinter sich her, als wäre ich ein nasser Sack. Ich war erstaunt, welche Kraft in der Hand einer solch zierlichen Person steckte.
Ein letztes Mal blickte ich zurück, in der Hoffnung, meine Mama doch noch einmal zu sehen. Vielleicht hatte sie ja auch gemerkt, dass wir den Koffer und Karton vergessen hatten. Doch sie war nicht mehr zu sehen.
Mit einmal fühlte ich mich sehr einsam und verlassen. Mama, Mama, höre ich mich selber laut in Gedanken rufen. Doch meine Lippen blieben dabei fest verschlossen. Mich innerlich sträubend, ergab ich mich in mein Schicksal!“
Vor uns erstreckte sich ein nie enden wollender, fensterloser Gang. Von der gewölbten Decke hängen schwarze Lampen herunter. Überall sehe ich Heiligenbilder an den Wänden. Kurz darauf kommen wir bei einem Kreuzgang an und gehen links, wieder einen langen Gang entlang.
„Wir sind gleich da“, meinte die Nonne und zieht mich immer weiter mit sich fort.
„Du kommst erst einmal auf die Gruppe Herman Joseph. Du bist doch schon acht Jahre alt, mein Junge?“ fragte sie mich, völlig außer Atem.
„Ja“, gebe ich ihr eingeschüchtert als Antwort. Ich wusste es aber selber nicht genau wie alt ich war. War ich denn nun schon acht, oder war ich noch sieben Jahre alt? Mir drehte sich sowieso alles im Kopf und ich konnte keinen richtigen Gedanken mehr fassen. Ich musste ständig an meine Mutter denken und was sie gesagt hatte.
Die Nonne gab sich mit meiner Antwort zufrieden und ich versuchte auch nicht länger darüber nachzudenken, wie alt ich war.
Weiter geht es endlose Gänge entlang und dann eine breite Steintreppe hinauf. Nach zahlreichem Treppauf und Treppab befinden wir uns in einer Art Vorhalle. Der Boden ist hier blitzblank gebohnert, dass sich sogar unsere Schatten auf den dunklen Steinplatten wiederspiegelten. Als erstes sehe ich einen Jungen in kurzer Lederhose, der mit einem Blocker in der Hand den Boden bohnerte. Er trägt ein kurzärmeliges Hemd und lief barfuss.
Als er uns die Treppe hochkommen sieht, unterbricht er seine Arbeit und blickt mich mit großen neugierigen Augen an. Ich blicke ebenso neugierig zurück. Sofort fielen mir seine traurigen Augen auf.
„Was stehst du so herum, Cornelius? Mach, das deine Arbeit fertig wird, dann kannst du auch wieder mit den anderen Jungs spielen. Das nächste Mal hörst du, wenn man dir etwas sagt!“
Die Stimme der Nonne klang nicht laut, aber sehr zwingend und duldete keinen Widerspruch. Dieser Junge mit den traurigen Augen machte jedenfalls gerade eine Strafarbeit. Das merkte man ihm sofort an.
„Ja, Schwester Kunigunde!“ höre ich ihn kleinlaut erwidern. Damit wendete er sich seiner aufgetragenen Arbeit wieder zu und beachtete uns nicht mehr. „Klick, block, Klick, block“, machte es im Takt, als er den Blocker in regelmäßigen Zügen lustlos hin und her schiebt.
Von irgendwo roch es hier stark nach Kerzenwachs. Die Nonne bemerkte, dass ich die Luft hörbar einzog und meinte, als wir an einer doppelflügligen Türe vorbei kommen:
„Dort befindet sich unsere Kapelle!“
Dabei deutete sie auf zwei große mit Kupferblech beschlagenen Doppelflügeltüren an denen schon der Grünspan angesetzt hatte.
Wieder geht es ein Stockwerk höher und wir befinden uns erneut in einer Vorhalle. Auch hier war der Boden blitzblank. Man roch sogar noch das frische Bohnerwachs. Vermutlich hatte der Junge hier gerade eben erst seine Strafarbeit verrichtet. Der Geruch von Terpentin war noch deutlich zu riechen.
So ähnlich roch es auch manchmal bei uns zuhause im Treppenhaus. Doch wo war mein Zuhause, fragte ich mich nun? Kam ich überhaupt je wieder dorthin zurück? Zurück zu den Kindern in meiner Straße, dem Palastgarten und dem Busental mit seinen Sandsteinhöhlen? Würde ich das alles je wiedersehen? Instinktiv spürte ich in meiner kindlichen Brust, dass diese Zeit für mich endgültig vorüber war. Sofort musste ich an die traurigen Augen des Jungen von eben denken. Bei diesem Gedanken spannte sich abrupt eine starke innere Klammer um mein Herz und zog sich immer fester zusammen, so dass ich beinahe daran erstickte. Diesen Vorgang meiner Seele bemerkte jedoch keiner, vor allem nicht die Nonne, die nun schnaufend vor einer Türe stehen blieb.
„So, mein Junge, nun sind wir da!“
Völlig außer Atem öffnete sie die Türe. Dabei ruft sie laut einen Namen:
„Schwester Consulata, der Neue ist da!”
Aus einer der Seitentüren erscheint eine Nonne, in weiß gekleidet. Diese kommt uns mit wehender und vorn geschürzter Kutte entgegen gegangen. An den Füßen trug sie Sandalen, so wie ich es später bei allen Nonnen sah. Doch liefen sie darin nicht Barfuss, sondern hatten schwarze Baumwollstrümpfe unter. Sich nach Rückwärts wendend ruft sie im barschen Ton:
„Wollt ihr wohl wieder auf euere Plätze gehen!“ Dabei sehe ich an den Türpfosten neugierige Köpfe hinter dem Türstock hervorblicken.
„Macht dass ihr wieder rein kommt“, schimpft die Schwester nochmals in Richtung dieser Köpfe. Und im Nu waren sie hinter dem Türstock verschwunden.
„Aha, du bist der Neue!“ sagte sie. „Ich bin die Schwester Consulata, deine zukünftige Gruppenschwester!“
Ohne viele Worte nimmt sie mich fest bei der Hand, damit ich ihr nicht ausreißen konnte und verabschiedete sich von Schwester Kunigunde mit den Worten:
„Gegrüßt seihst du Maria!“ Worauf diese antwortete: „In Ewigkeit Amen!“
Dann war Schwester Kunigunde auch schon davon. Sie hatte es ja bekanntlich sehr eilig, wie sie meiner Mutter an der Pforte mitgeteilt hatte.
Wieder fällt eine schwere Tür hinter mir ins Schloss. Schwester Kunigunde war verschwunden und ich stehe hier alleine mit einer mir fremden Person. Nämlich jener Nonne Consulata, die schon wieder in Richtung dieses Türstocks schimpfte, weil erneut die neugierigen Gesichter von mehreren Jungs zu sehen sind.
„Macht, dass ihr von der Türe weg kommt, sonst gibt es heute kein Abendbrot!“
Nun also befinde ich mich in der Gruppe „Hermann-Josef“, ohne meine Mama, die scheinbar gar nicht meine Mama gewesen ist und ohne meinen Koffer, in dem sich all mein Eigentum befand. Ich fühlte mich Mutterseelenallein. Nicht einmal mein Hab und Gut blieb mir, welches wir den ganzen Weg hierher umsonst hinauf geschleppt hatten. Mich überkam mit einmal eine fürchterliche Angst. Meine Mutter war weg, meine Sachen waren weg. Ich fühlte mich total entblößt. Am liebsten wäre ich sofort wieder umgekehrt. Ich fühlte mich in dieser fremden Umgebung ganz hilflos und verlassen. Eine tiefe Angst durchflutete mich und ich begann laut zu schluchzen und zu weinen. Mein Körper zitterte dabei vor Erregung. Ich wollte hier wieder weg. Ich weinte und schrie: „Mama...!“ Meine Tränen nahmen mir die Sicht. Alles um mich herum verschwamm und wie aus weiter Ferne ertönen Geräusche an mein Ohr und ich vernehme von weit her fremde Stimmen.
Dies war der Beginn eines neuen epileptischen Anfalls.
Abrupt reiße ich mich von der Hand der Nonne los, den ein Anfall verlieh mir unheimliche Kräfte, und renne zurück zur Türe, die jedoch verschlossen war. In Gedanken laufe ich alle Gänge zurück, und überlegte unterwegs ob ich meine Mutter noch einholen könnte. Am Bahnhof und im Zug war sie wohl noch nicht angekommen. Dafür war der Weg zu weit und die Zeit unseres Abschieds zu kurz. Mir war es auch egal, ob sie meine richtige Mutter war, oder nicht. Nun rannte ich und rannte, und blickte mich dabei immer wieder um, ob ich nicht von der Nonne verfolgt und eingeholt werde. Es war ein Trauma. In Gedanken öffnete ich alle Türen, denn ich hatte mir den Weg hierher genauestens eingeprägt. Ich drücke am Schluss die Klinke der Pfortentüre herunter, doch die Türe ist leider fest verschlossen. „Mama“, rufe ich so laut ich nur konnte, und rüttelte wie verrückt an dem Türgriff. Das alles geschah wie in Trance.
„Maaaamaaaa, komm zurück!“ schreie ich mir die Seele aus dem Leib. Dabei laufen mir die Tränen wie Sturzbäche die Wangen herunter.
Es war natürlich nicht die Türklinke, die zur Pforte, und dann zum Ausgang führte, es war immer noch die verschlossene Türe der Gruppe des heiligen Hermann Josef, wo ich nun eine gefangener Klosterschüler war.
Copyright: Ernst G. Dierking