Der Tag, so dunkel er begann so endete er auch – mit Wolkenbauten, die den Thron zum Himmel hin, noch über einst erhoben, und alle Scheu war auch, wenn nur bis zur Nacht, verschwunden.
Mein Name ist Bernhard Havengardt. Ich bin, durch meine Familie bestimmt, ein Händler und Geschäftsmann. Dem Bäuerlichen nie wirklich zugewandt, hatte ich früh meine Sinne auf die Zahlen gelenkt. Mit Stolz konnte ich das Familienwappen auf der Brust tragen – die weiße Lilie mit dem angedeuteten H., stand in den Kreisen in denen ich mich bewegte für Qualität und somit auch für Vertrauen, welches mir in jedem Geschäft entgegengebracht wurde. All dies ist für mich nun unwichtig. Ein vergebenes Leben liegt hinter mir und das einzige was ich jetzt noch suche ist die Vergebung an sich.
Die Stadt lag ruhig zu dieser Stunde, in der die Geschäfte des Tages ihr Ende fanden und Ware und Geld die Besitzer gewechselt hatten. Mein Anliegen, der Verkauf von zehn Dutzend Vieh mit den Waren des Jahres, die geerntet in den vergangenen Wochen nun zu dem Nutzen anderer Leute wurden, war besiegelt. Für wahr, es war ein guter Preis, der mir vergönnt war zu erhandeln. Meine Taschen waren voller Gold und Silber, nur wenige Schuldscheine nahm ich entgegen, da meine Vorbereitungen hin zu der Vermählung meiner Tochter, zu gutem Hause versteht sich, der notwendigen Finanzen bedarf.
Mein Herz war leicht ob der Gegebenheiten, die nun hinter mir lagen, aber auch jene, die mir noch bevorstanden sah ich mit Freude kommen. Mein zukünftiger Schwiegersohn, war von stattlicher Erscheinung und mit dem Land seiner Väter geradezu eine gute Partie. Sein Alter von über dreißig sollte meiner Tochter von milden siebzehn Jahren wohl entsprechen. Er war ein Edelmann von reinstem Blute und mit den Manieren eines Gentleman und guter Bildung in der Lage den jugendlichen Flausen meiner Tochter zu begegnen.
Meine Knechte, so schalt ich mich, sollten meinem guten Freund Francis von Greiden noch das Einladen und Verstauen seiner von mir erworbenen Waren sichern, wodurch ich in die Verlegenheit geriet allein den Heimweg anzutreten. Ich mied es jedoch mich seiner Einladung hin zu einem Freudenhaus hinzugeben, obwohl mir die Unfreundlichkeit meiner Abweisung bewusst war, konnte ich nicht anders. Meine Finanzen mussten in Sicherheit gebracht werden.
Und nun, da ich auf meinem Pferde gerade die Stadtmauern hinter mir lies, begriff ich, wie mir die Gefahr so unheimlich leicht die Fäden aus der Hand hat nehmen können.
Mein Freund lud mich ein - auf einen Umtrunk, obwohl gerade ihm bewusst war, wie ich es nach Abschluss eines Geschäftes mit jenen Traditionen zu halten pflegte. Ich wurde ärgerlich und schimpfte auf ihn, da er mich nötigte über Gebühr abweisend zu werden und mich zu diesem Nachtritt verpflichtet sah.
Die Reise zu Pferde würde keine drei Stunden dauern, doch zu diesen Zeiten, wo Unholden keine Tat zu schäbig galt, waren Wald und Weg für jeden Reisenden, sei er auch von hohem Blute nicht ohne Gefahr zu überstehen. Der Stadtvogt sollte die Soldaten rufen um dem Pack ein für allemal das Fell über die Ohren zu ziehen, war mein ständiger Gedanke. Nach seiner Meinung wäre die Stadt jedoch nicht dafür verantwortlich. Jede Klage prallte ab und war unnütz ausgesprochen.
Die Wolken verdichteten sich und wurden dunkler. Ein spätherbstliches Gewitter war gewiss und trieb mir die Not in der ich mich befand von neuem in den Geist. Eine Umkehr war unmöglich. Ich höre mich noch mit dem Freunde einige vorschnelle Sätze wechseln.
„Mein Freund Bernhard, wollt ihr meine Einladung zu einem ganz persönlichen Feste annehmen?“ Seine Gesten deuteten ein verwerfliches Gedankenspiel an, an dem ich meine Teilnahme unter allen Umständen zu verhindern suchte.
„Mein Lieber Freund, ihr wisst, wie ich es mit den Freuden halte und nach einem Geschäft ist ein solcher Genuss nicht rechtens.“
„Was redet ihr nur, man könnte meinen ihr seit einem Pfaffenrock entsprungen. Der Genuss von Wein und Rauchwerk muss uns als Herren über Land und Leuten doch erlaubt sein.“
„Ich versprach bei meiner Abreise bei Zeiten und vor der Nacht zurück zu sein. Mein Weib würde sich sorgen.“
„Sie würde Verständnis zeigen, dass ihr die Nacht mit all dem Wert, der nun sich in euren Taschen wölbt, nicht einer solchen Gefahr aussetzt.“
„Mein Wort ist bindend und so muss ich, mit dem gütigen Wunsch für eine gute Nacht für euch und die Euren, die Stadt nun verlassen.“ Ich reichte ihm die Hand und schloss mit dem Satz: „Habt Dank für dieses Geschäft und gehabt euch wohl.“
„Ich wünsche euch eine gute Heimkehr und den Dank muss ich euch erwidern. Das Geschäft war für mich ebenso ein Gewinn.“
Ich verbeugte mich und verlies sein Zimmer.
In der Warenhalle waren gut zwei Dutzend Männer damit beschäftigt, die großen bis zu fünfzig Pfund schweren Ballen auf Karren zu verladen, um sie zum nahegelegenen Hafen auf die Seimarin zu verladen. Francis hatte das Schiff selbst erworben. Seine Freude war groß, als es gegen Mittag des ablaufenden Tages zum ersten Mal hier im Hafen von Dover einlief. Der Zweimaster war nicht mehr ganz frisch, doch von einer Pleite her für ein vierjähriges Schiff geradezu für einen Spottpreis in seinen Besitz gewechselt.
Ich suchte meine Knechte und fand zumindest einen.
„Sam, wenn ihr morgen hier nicht mehr gebraucht werdet, erwarte ich euch gegen 10.00 Uhr.“
„Ja, Herr.“
„Seit Vorsichtig mit den Waren. Es ist edles Porzellan von der Frau dabei.“
„Ich werde vorsichtig sein.“
Ich ging zu meinem Pferd, packte aus dem Karren einige Geschenke in die Satteltaschen, so auch den Sprössling für mein Kind.
Ich verlies den Hafen in schnellem Ritt. Die Sonne war beizeiten unter gegangen und der Mond verbarg sich hinter finsteren Wolken.
Der Regen durchweichte die Kleidung, obwohl ich sie für teures Geld beim hiesigen Schneider Makan hatte anfertigen lassen, binnen weniger Minuten. Vereinzelte Blitze zuckten am Himmel und erhellten so die Strasse, die zu einem schlammigen Untergrund wurde. Der Degen hing locker an meiner Hüfte und schaukelte im Galopp hin und her.
Nach gut einer halben Stunde strammen Ritts verlangsamte ich das Tempo. Mein Pferd Merin sollte nicht die Torheit seines Herrn mit gebrochenen Beinen vergelten müssen. Der Himmel entfachte einen tosenden Laut, der gleichsam einem Schrei über die Felder huschte und mit schier endlosem Atem für Unruhe sorgte. Ich musste Merin zur Ruhe halten. Angst stieg in dem Tier auf und übertrug sich auf mich.
Die letzte Hemmung schien überwunden, alle Feuchtigkeit aus der Luft suchte den Weg zum Boden.
Zumindest vor Gesindel dürfte ich verschont bleiben, dachte ich nur für einen Moment. Ein Blitz mit direktem Donner nahm mir diese Zuversicht in nur einem Augenblick.
Vor mir erschien ein Wald, dunkel und bedrohlich wirkte er auf mich mit allerlei Unfrieden beladen, von den mächtigen Eichen beschützt, warteten gewiss die Banditen auf ein leichtes Opfer. Ich wollte ihnen keines bieten.
Mein Weib mit dem Kinde war Daheim und wartete sicherlich mit der Kerze in der Hand auf ein Zeichen ihres Ernährers hoffend. Es war eine schiere Unvernunft ihr dies Versprechen zu geben. Mein Denken über die Dauer einer Handelsreise muss sich verkehrt haben. Da ich noch die Wünsche meiner Lieben Selbst zu erledigen hatte, verging die kostbare Zeit wie im Fluge. Für die Abwesenheit meiner lieben Damen musste ich teuer bezahlen; allerlei Spielereien mussten es sein, die ich zu erwerben hatte. Die Grübeleien meiner Frau sollten sich über die vielen Geschenke wieder erhellen und ihr Gemüt auf die nahe Hochzeit wenden. Vorbereitungen waren in Angriff zu nehmen, die ich unter keinen Umständen meiner geliebten Frau abzunehmen gedachte. Meine liebe Tochter war in den Wochen, die vergangen, selten mit einem gütigeren Lächeln auf mich zugekommen als in der Stunde meiner Abreise und mit der Bitte beseelt ihr eine Pflanze mitzubringen. In einem guten Bund verborgen ruhte die Pflanze sicher hinter mir auf den Satteltaschen zusammen mit den wenigen Kleinigkeiten, die sie mir noch aufnötigten. Ich musste Schmunzeln, doch verging mir dieser glückliche Gedanke wieder schnell, als die Nässe meinen Leib ergriff und ihn frösteln lies.
Ich hielt mit dem Pferd vor dem Wald. Der Weg führte durch ihn hindurch. Keine vier Meter konnte man schauen und im Wald würde die Sichtweite noch geringer werden.
Die Finsternis grub jene Bestien frei, die sich nur in der Dunkelheit ihren Pfad zu den Augen bahnen können. Gestalten waren dort in der reinen Schwärze und warteten auf mich. Der kalte Kragen stand mir hoch im Nacken und von der Hutkrempe floss es wie von einem kleinen Bachabhang. Mein Pferd wieherte und wollte ebenso wenig wie ich in die Dunkelheit vordringen, doch ein Zurück kam nicht in Frage. Ich trieb meine Stiefel in die Flanken, mehr aus Schreck als aus zu großer Stärke sprang Merin nach vorne und galoppierte in den Wald.
Pure Angst griff nach meinem Herzen - Geister wirbelten herum, Dämonen folgten mir nach und das Böse stieg auf, um mich als dann mit fort zu nehmen, zu jenem Ort, der nur als Hölle zu bezeichnen ist. Todesangst bemächtigte sich meiner und ohne einem wahren Sinn suchte ich in mir, mich zu fassen. Nach Minuten, an denen der Leibhaftige selbst seinen Finger auf die große Uhr gelegt hatte um der Zeit selbst Einhalt zu gebieten, strauchelte ich im Geiste mehr als mit dem Körper, der sich dem tapferen Merin voll überantwortet gegeben sah, raffte ich nach und nach wieder meiner Seele entschwundenem Geiste und kehrte zurück in die Wirklichkeit. Tiefe kühle Nacht mit einigen verstohlenen Tropfen, die sich durch das dichte Blattwerk bahnten, entschwand jedoch jegliche Hoffnung diesen Alptraum zu überleben.
Ich fing das Pferd wieder ab und zwang es zu einem sicheren Schritt und konnte mir so einbilden einer möglichen Gefahr entsprechend begegnen zu können. In Gedanken nahm ich Abschied von allem was mir lieb und teuer war. Mein Glaube diesen Wald wieder zu verlassen schwand mit jedem Schritt den mein Tier tiefer in jene Unendlichkeit setzte. Nach meiner Ansicht hätte der Wald schon nach einer Stunde wieder enden müssen, doch das tat er nicht. Sein Schritt verlangsamte sich zusehends und ich vermied es mitunter nach rechts und links zu schauen nur um dem nicht ins Auge blicken zu müssen, das sich nach meiner Ansicht dort verbarg. Der Weg vor mir war nicht mehr. Keine Augen konnten dort sehen. Blind geschlagen trieb ich mein Pferd an diese Hürde, die der Herr mir auferlegt hatte zu meistern. Merin scheute immer häufiger und ich konnte nicht umhin abzusteigen und es zu führen. Der feuchte Untergrund lies mich rutschen und fallen. Von Matsch bedeckt erreichte ich das Ende des Waldes; mindestens zwei Stunden bin ich von diesen Bäumen verschluckt worden. Der Wald lies mich jedoch ziehen. Mit Angst und Dankbarkeit sah ich zurück auf diese dunkle Masse, die sich hoch zum Himmel hin erstreckte.
Peitschende Tropfen schlugen in mein Gesicht und der Wind scheuchte die Felder zu meiner rechten und linken in Wellen durcheinander. Die Blitze, die nun wieder sichtbar waren verband das Grollen und schlugen immer wieder zu Boden. Ich duckte mich instinktiv, als ob mir die Naturgewalt dann gnädig wäre.
Ich dachte an die vergangenen Tage, als ich immer wieder mit der Tochter Unbehagen ob der bevorstehenden Hochzeit konfrontiert wurde. Meine Frau, in all den Jahren immer auf meiner Seite, hielt zur Tochter. Ich blieb hart und wollte nicht mehr diskutieren. Zum ersten Mal seit dieser Tage hatte ich nun die Zeit über die Geschehnisse zu grübeln. Mir wurde unwohl. Meiner Tochter Glück so zu bestimmen, war es zwar mein Recht und auch meine Pflicht, doch ihr Unglück zu bestellen sollte keines Vaters Dienst an seiner Tochter sein. Meiner Frau Drängen band ich stumm mit herben Worten und auch Gesten. Es war ein Fehler, dies erkannte ich in dieser finsteren Nacht, in der ich alles hinter mir lies und nur noch den einen Pfad hin zu folgen hatte. Ich ritt durchs Tor mit Schuld in meinem Gesicht. Es war eine gefährliche Nacht, für wahr, und doch ist es nicht anders als ein kleines Wunder, das mir offenbarte, welch schweren Fehler ich zu machen, schon halb getan.
Ich erreichte mein Gut mit den bekannten Bäumen und Mauern. Die Tür öffnete sich und der gute Diener Gernold, der gewacht hatte um seinen Herrn in empfang zu nehmen, kam mir entgegen. Erleichtert ging ich in die Eingangshalle und nahm ein Handtuch um mir die Haare zu trocknen. Ich entledigte mich in meinem Kaminzimmer schnell der kalten und durchnässten Sachen. Gab noch Weisung meinem Tier Merin alles Wohl angedeihen zu lassen, dass ein Pferd sich nach einem solchem Ritt nur wünschen könnte.
Ich lies mich am Feuer nieder und ertränkte mich in einem heißen Tee, den man mir bereit gestellt hatte. Von meinem Weib und meinem Kinde sah ich nichts. Gernold war verschwunden, ich wollt nach ihm rufen, als ich mich doch dann wohlig in den Sessel nieder gleiten lies. Ich schloss die Augen mit dem Gedanken, meiner Frau und dem Kinde jenes Glück zu überlassen, welches ihr von mir genommen.
Ich überlies es ihr, doch anders als ich es mir dachte. Jener Tee war für mich gedacht und drum leerte ich ihn auch. Nur war er mit dem Gifte versetzt, welches mir die Augen für immer schloss.
Zu jener Zeit, wie ich geschildert, war das Banditenhandwerk weit verbreitet und so entlud man die Wut über meines gewaltsamen Todes auch an jene, die mit mir die Nacht in diesem Wald verbrachten, ohne das wir von dem anderen wussten. Mein Leichnam wurde erschlagen und beraubt in jenem Wald gefunden. Sam wurde es zu Teil, die Nachricht über meinen Tod, der Frau und dann dem Kinde zu berichten und meinen Körper aus dem durchweichten Pfad zu bergen. Mein Weib und Kinde nahmen diese Schuld in Kauf. Welch ein Unheil muss ich über sie gebracht haben, dass nur dieser Schritt für sie als der einzig richtige erschien. Mein Geist wird kaum ruhe finden. Meine Seele wird einhergehen mit dieser Schuld und auf die Erlösung hoffen in ständigem Dasein und wachen ihrer Leiber.
Auf meinem Grab wurde der Sprössling von meiner Tochter gepflanzt, den ich für sie durch das Unwetter trug. Eine weiße Lilie. Der möglichen Deutungen gibt es viele, doch Vergebung und Gnade sind hier die angedachten – und so warte ich und hoffe ich darauf, dass mir einst Vergebung zu Teil wird, so wie ich ihnen vergeben habe.
Wind echt krass - Hui. Das, was ich hier gelesen habe, ist wirklich gut. Der Satzbau, der ein wenig alt anmutet hatte mich zunächst etwas irritiert und minderte mein Interesse an der Geschichte, aber im Nachhinein versetzte er mich sogar noch besser in das Geschehen hinein, noch besser nachzuempfinden udn zu fühlen, was geschah. Gruß, Florian |