Beschwörung
Wie der Höllenschlund lag das dunkle Kirchenportal vor mir. Bedrohlich türmten sich an seinen Seiten Säulen auf, die in Statuen endeten. Schwach glänzeten sie im matten Schein des Vollmondes, der die Nacht erläuchtete.
Die Nacht war still, nichts als der bedrohliche Schrei einer Eule durchzog die Ruhe.
Die Ruhe vor dem Sturm, dachte ich und griff nach dem Ring, der als Türgriff fungierte.
Knarrend öffnete sich das Portal und ich trat in die Kirche.
Die anderen warteten schon, im gedämpften Kerzenlicht sahen sie seltsam bedrohlich aus.
Die größte der drei Männer, Ephraim, warf mir aus seinen matten, grauen Augen einen vorwurfsvollen Blick zu.
„Verzeiht, Meister“, sagte ich als Entschuldigung für meine Verspätung.
„Du weißt, dass wir einen Zeitplan einzuhalten haben? Ich denke du bist dir im Klaren darüber, was passiert, wenn wir diesen nicht einhalten? Ich hoffe du hast eine gute Erklärung, sonst endest du nachher noch so, wie Emiras…“, sein Mund verzog sich zu einem finsteren Lächeln. Ich schluckte. So wie Emiras wollte ich bestimmt nicht enden, doch ich wusste, dass ich nicht wichtig genug für die Mission war, um verschont zu bleiben.
Ich bemühte mich darum, meine Antwort möglichst gefasst klingen zu lassen, man sollte mir die Furcht nicht anmerken.
„Natürlich weiß ich von dem Zeitplan und ich bitte um Verzeihung, obwohl ich weiß, dass keine Entschuldigung der Welt das Geschehene ungeschehen macht. Und nein, ich habe keine gute Erklärung für meine Verspätung.“ Ich senkte den Blick ehrfürchtig und entschuldigend zugleich und hoffte, dass er mich dafür nicht umbrachte.
„Lass es nicht noch einmal soweit kommen!“, warnte er mich und ich zuckte beim Klang seiner Stimme zusammen. Dann wandte er sich um und der schwarze Umhang, den er, genau wie Minor und ich trug, wehte leicht auf.
"Elias, bitte begib dich an deinen Platz", befahl mir Minor, der bis dahin nur stumm zugesehen hatte.
Er sah nicht mal auf, als er mir die Anweisung gab, der ich sofort Folge leistete. Stumm stellte ich mich neben ihn und wartete darauf, dass es losging.
„Du bist an der Reihe“, verächtlich nickte Ephraim in meine Richtung und reichte mir das große Buch mit dem blutroten Einband. Die kleinen Goldfragmente, die das Buch einrahmten lagen kalt auf meiner Haut. Auf dem Buch stand nichts geschrieben, doch die Fragmente schlängelten sich graziös und geisterhaft, wie ein böses Omen. Als wollten sie mir zurufen: Leg mich weg! Leg mich weg!
Ich atmete einmal tief durch, dann schlug ich die erste Seite auf. Die schwarzen Seiten sahen so aus, als würden sie alles verschlingen.
Ich sollte die feine, golden eingeprägte Schrift laut vorlesen und mir war bewusst, dass jeder kleine Fehler meinen Tod bedeuten könnte. Ob das nicht sogar besser war? Besser als für immer zu den Verdammten zu gehören? Unsinn, was dachte ich mir nur. Natürlich war es besser so, wie es war. Wir hatten Macht, Geld und wurden von allen gefürchtet. Wir bekamen alles, was wir wollten auf dem Silbertablett serviert und die Furcht in den Augen der Menschen war unser Energiequell. Es war ein schönes Gefühl, die Menschen in Todesangst zu beobachten. Ich lächelte, dann begann ich, den Mächtigen Dämon heraufzubeschwören, der uns erst die Möglichkeit gab, so zu leben. Er war gleichzeitig unser größter Feind und unser bester Freund. Wie nah das manchmal zusammenlag.
Ich hörte auf zu lesen und wartete auf die Geschehnisse, die ihn in unsere Welt rufen würden.
Wind toste durch die Flure der Kirche, die Bänke knirschten unter der peitschenden Wucht des Windes. Das große Kreuz vor uns wurde vom Winde in eine schiefe Lage gebracht, doch es blieb hängen.
Die Kerzen, die uns in das Dämmerlicht getaucht hatten, flammten Wild in alle Richtungen, doch die Flammen verstarben nicht. Bedrohlich züngelten sie sich gegen die hohe Decke, als wollten sie sie anzünden.
Ephraims lange, schwarze Haare flogen im Wind und sein Umhang wurde so hoch gewirbelt, dass die Kleidung, die er darunter Trug, zum Vorschein kam. Auch sie war schwarz wie eine Mondlose Nacht. Er starrte wie gebannt an die Decke, hinauf in die Flammen.
Minor dagegen blickte hoch zu der großen Orgel, der durch den Aufbrausenden Wind die schrecklichsten Töne entlockt wurden. Mit einer Hand hielt er sich den Kopf, der von seinem braunen Haar umweht wurde.
Ich wandte den Blick von ihm ab und starrte wie Ephraim hoch in die Flammen, die Figuren zu bilden schienen. Dann war auf einmal alles ruhig und die Stille war so erdrückend, dass ich meinte, Kopfschmerzen von ihr zu bekommen.
Ich ging davon aus, dass ich etwas falsch gemacht hatte und wollte den Blick wieder dem Buch zuwenden, um den Fehler zu suchen, als ich im Schatten hinter einer der riesigen Säule etwas erblickte.
Fortsetzung folgt...