Psychodrogen
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Psychodrogen
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Als die Sonne am nächsten Morgen durch meine Fensterscheibe blinzelte und mich an der Nase kitzelte, wachte ich auf. Ein leichtes brummen in meinem Kopf erinnerte mich daran, dass ich letzte Nacht wieder einmal mit meinem Freund in unserer Stammkneipe war und wir doch einiges gebechert hatten. Wir hatten zwei recht interessante Leute kennen gelernt. Einen Philosophen und einen Physiker.
Es dauerte eine geraume Zeit bis ich vollständig wach geworden war und mich so nach und nach an alles erinnerte. Ich erinnerte mich auch an meinen Traum. Es war ein sehr nachhaltiger Traum, der mir nach und nach, wie kleine Papierfetzen ins Bewusstsein zurückkehrte. Ich träumte von einen Großgedanken dem ich dort begegnet war. In meinem Gehirn wimmelte es dort regelrecht von lebendigen Wesen.
Ich trank meinen Kaffee und ging wie gewohnt zur Arbeit. Doch den ganzen Tag beschäftigten sich meine Gedanken mit den Traum und was er wohl zu bedeuten hätte.
Von der Arbeit recht müde geworden, machte ich mich auf den Nachhauseweg. Ich hatte in der letzten Nacht nur wenig geschlafen und legte ich mich nach Feierabend gleich hin und schlief ziemlich schnell ein.
Schwupp schon war ich wieder mitten drin in meinen Gehirnwindungen und träumte die Fortsetzung des letzten Traumes.
Es sah noch alles genau so aus wie ich es vor kurzem verlassen hatte. Meine Neuronen durchzogen weiterhin ganz gemütlich die einzelnen Gehirnregionen und sangen ihren Neuronensong. Bei dem rhythmischen Klick, Klick, Plong, schienen sie sich recht Wohlzufühlen.
Mich hatte inzwischen die pure Begeisterung gepackt und es schossen mir die allerwildesten Ideen durch den Kopf. Angefangen bei meiner Idee über die Erfindung und Patentanmeldung einer effektiveren Nutzung für die Solarenergie, über künstlerische geniale Sitzmöbel bis hin zu meinem Traumhaus und einer intakten Liebesbeziehung. Darüber wollte ich heute mit meinen Großgedanken sprechen.
„Hallihallo, mein geliebter Schöpfer und Meister der Gedanken ist wieder da, begrüßte mich mein Großgedanke freudig.
Der inzwischen vollkommene nüchterne Haupt- und Großgedanke strahlte mich mit seinen Neuronenverbindung innig an.
„Wo warst du denn, ich habe dich unter den vielen Nervenzellen gar nicht bemerkt!“
„Ich bin immer für dich da, wenn du mich aufsuchst. Du bist bestimmt gekommen um deine Gedanken zu ordnen und dir zu überlegen, was du willst! Ohne ein bestimmtes Ziel erreicht man nämlich nicht soviel. Jetzt denke einfach an deinen nächstliegenden Wunsch“, forderte er mich unversehens auf.
„Aha, ich gelte hier also jetzt schon als der große Meister der Gedanken“, fragte ich erstaunt? Ich hatte die Frage noch gar nicht zuende gestellt, da tauchte wie durch Zauberei das Bild einer reizenden Frau vor meinem geistigen Auge auf.
„He Hauptgedanke, was soll das denn jetzt?“
„Mein Hauptgedanke grinste. Du denkst doch in letzter Zeit sehr oft an die Frau deiner Träume und hegst den Wunsch sie endlich zu finden?“
„Ja, aber...“
„Dann will ich dich fragen, was du erwartest. Stell dir vor du lernst jemanden kennen der diesem Bild entspricht und fragst sie, ob sie mit dir gehen will. Und sie sagt überraschender Weise Ja? Was machst du dann?“
„Oh Schreck was mache ich dann, wenn sie Ja sagt? Darüber habe ich ja noch gar nicht nachgedacht. Mit einer positiven Antwort habe ich eigentlich gar nicht gerechnet. Irgendwie ist das total unlogisch, wenn ich es mir genau überlege, aber es ist so wegen dieser vielen Körbe die ich im laufe der Zeit erhalten habe. Da rechnet man immer weniger mit einem Ja!“
„Siehst du, genau das war immer dein Problem. Du wünschst dir etwas ohne es wirklich zu erwarten und vor allem es auch zu empfangen. Ist dir denn in früheren Jahren noch nie aufgefallen, das immer, wenn du dir etwas wünschtest und du es ohne Zweifel erwartet hattest, stets eingetroffen ist. Also erwarte künftig stets, dass das was du glaubst auch zustande kommt!“
„Mensch, du alter Pfurzgedanke – entschuldigung, Großgedanke wollte ich sagen, du hast ja völlig recht! Ich erinnere mich jetzt genau an damals. Immer, wenn ich etwas ohne Zweifel erwartet hatte, ist es stets so eingetroffen!“
„Also erwartest du jetzt endlich, dass die Frau ja sagt wenn du ihr begegnen würdest?“
„Ja!“
„Bist du darauf vorbereitet? Wie steht es da mit deiner Bereitschaft Gefühle zuzulassen?“
„Ich weiss es nicht, ich kenne mich mit Gefühlen nicht so gut aus. Ich weiß nur, an diese wunderbare Person zu denken ist ein sehr schöner und wohliger Gedanke und verursacht mir jetzt schon ein gewisses Schmetterlingsflattern im Bauch. Huah!Â
Siehst du, jetzt wo ich daran denke geht das schon wieder los. oh... krrrrrrr... , wie schön das in meinem Bauch kribbelt und kitzelt!“
Vor meinem geistigen Auge malte ich mir diese Person in allen schillernden Farben aus. Dabei drückte ich dem Idealbild, das mir wieder wie durch Zauberei erschien, einen Kuss auf die Lippen. „Schmatz“ machte es so laut in meinem Kopf, dass ich meinte einen Hörsturz zu bekommen.
„Mensch du Träumer“, sagte ich laut zu mir selbst. Diese Frau ist doch nur in deiner Phantasie vorhanden!“
„Warum sagst du das“, wendet mein Großgedanke ein. Deine Träume entspringen deinen Wünschen und sind somit nicht nur die Vorboten deiner Fähigkeiten, sondern im Besonderen auch die Vorboten deiner Möglichkeiten, vergiss das nicht!“
„Sag mal lieber Hauptgedanke, kannst du mir den Ursprung dieses Gedankens zeigen? Wo entsteht ein so herrliches Gefühl? Sind das nur chemische Reize, die durch Drogen wie Dopamin und Endorphin verursacht werden?“
„Nein! Jetzt ist es wohl an der Zeit dir die Zusammenhänge der chemischen Nervenleitungen zu erklären!“
„Na gut! Aber bitte mache es nicht wieder so kompliziert wie zuvor bei der elektrischen Nervenleitung!“
Mein Großgedanke zauberte einen Zeigestock unter seinem Neuronenhemd hervor und deutete auf bestimmte Bereiche in meinem Gehirn, das ich auf einmal wie eine Landkarte vor mir liegen sah.
„Wenn ein elektrisches Signal die Spitze des Axons erreicht, dabei zeigte er mit seinen Stock auf einen bestimmten Punkt in meinem Gehirn wo es wie an einer Lichterkette funkelte, regt es in der Zelle die kleinen präsynaptischen Versikel an; diese..., „Stop, du fängst ja schon wieder mit diesen Fremdwörtern an!“
„Mein Lieber, wenn du nicht bis zum Ende zuhörst, lernst du es nie verstehen. Alles Lernen ist halt nun mal am Anfang schwer!“
Ungehindert fährt er in seiner Rede fort.
„Diese winzigen Bläschen enthalten Neurotransmitter, chemische Botenstoffe, die in den nicht einmal im Lichtmikroskop sichtbaren Zwischenraum zwischen den Neuronen, den synaptischen Spalt, entlassen werden. An der Oberfläche des...
„Machs bitte nicht wieder so schwer“, unterbrach ich ihn nochmals, „mir raucht ja jetzt schon der Schädel!“.
„Bin ja gleich damit fertig! Im Ãœbrigen willst du ja wissen wie dein Gehirn funktioniert!
 Also, an der Oberfläche des benachbarten Neurons heften sich die Moleküle das Neurotransmitters an besondere Rezeptoren. Das erzeugt einen Reiz der zur Depolarisierung der Nachbarzelle und damit zur Entstehung eines neuen Aktionspotentials führt.“
„Ist das der Reiz der das Liebesgefühl auslöst und die Menschen ganz Wuschig macht?“
„Nein! Der vom Neurotransmitter vermittelte Reiz ist nur von begrenzter Dauer (er beträgt einige Millisekunden), weil die Substanzen im synaptischen Spalt durch Enzyme abgebaut oder von dem Neuron, das sie abgegeben hat, wieder aufgenommen werden.
Früher glaubten eure Gehirnforscher, jeder von uns Neuronen produziere nur einen Neurotransmitter. Wie sie jedoch gleverer Weise herausgefunden haben, bilden manche von uns auch mehrere solche Substanzen. Diese Neurotransmitter können erregende und hemmende Funktionen haben.
„Heißt das für uns Männer, wenn mein Neuron mehrere Neurotransmitter produziert, kann man in viele Frauen gleichzeitig verliebt sein?“
„Nein! Das entscheidest du jeweils selbst, du geiler Bock! Die Wirkung von Acetylcholin, das u. a. im Zentralennervensystem vorkommt, ist auf die postsynaptische Membran vorwiegend erregend. Das Serotonin wirkt erregend, das Dopamin, ein Neurotransmitter, wirkt dagegen hauptsächlich hemmend.“
„Das heißt also, wenn ich zuviel Dopamin produziere bin ich gehemmt und wenn ich genug von dem, wie heißt das Zeug noch, Serotonin und Acetylcholin produziere, bin ich total geil und dann ist keine Frau mehr vor mir sicher“ grinste ich ihn nun frech an?
Mein Hauptgedanke räuspert sich und sagt: „Merkst du das denn nicht? Du selbst bist der Schöpfer aller deiner Gedanken und setzt dadurch die einzelnen chemischen Prozesse frei. Du produzierst diese Drogen in deinem Gehirn, aber vor allem in deinem Bauch, weil du gerne verliebt oder gar geil sein willst!“
„Halt! Waaas sagtest du da, ich habe im Bauch Gedanken?“
„Keine Angst, das ist völlig normal, wie du später verstehen wirst!“
„So, so und ich dachte schon...“
„Was dachtest du?“
Hierauf gab ich ihm keine Antwort und fragte meinen Hauptgedanken: „Was soll ich denn jetzt machen?“
„Du musst versuchen auf die Gedanken, Gefühle und Wünsche einer Frau einzugehen?“
„Aber das habe ich doch. Nur wenn die Mädels aus heiterem Himmel anfangen zu heulen verstehe ich die Welt nicht mehr.
Produzieren denn die Frauen auch so ein geiles Zeug, wie ich, in ihrem Nervensystem?“
„Ja selbstverständlich!“
„Aber warum heulen sie dann ständig, wenn sie doch das gleiche Zeug wie ich produzieren? Serotonin macht doch eher glücklich und nicht traurig? Da soll mal einer die Frauen verstehen. Ich denke, am besten schmeißen die Frauen und Männer ihre chemischen Substanzen zusammen und dann entsteht daraus die Liebe?“
„Nein, so einfach geht das nicht! Eine Frau empfindet ganz anders als ein Mann. Männliche und weibliche Gehirne unterscheiden sich in etwa einem Dutzend anatomischer Merkmale. Die Aera preoptica im Hypothalamus ist bei jungen Männern mehr als doppelt so groß wie bei jungen Frauen. Männer denken in Systemen, Frauenköpfe dagegen anders!“
„Dass Frauenköpfe anders denken habe ich schon oft bemerkt, nur verstanden habe ich das nie!“
„Was meinst du denn, wie die Frauen denken?“
„Ich kann das vielleicht nicht chemisch oder elektrisch erklären. Doch wenn ich an Frauen und Mädchen denke fällt mir ein, dass sie gerne mit Puppen spielen, Nagellack und Lippenstifte in rauen Mengen verbrauchen, gemeinsam mit ihrer Freundin auf´s Klo gehen, über alles oder nichts kichern und, wenn ihnen nichts mehr einfällt, dann strecken sie einem die Zunge raus und machen bä-bä-bä, oder tzz-tzz-tzzt und sagen blöder Kerl. Wie soll ich da wissen, wie ihr Gehirn funktioniert?“
Hier musste selbst mein sonst so trockener Großgedanke laut lachen.
„Frauen erfassen die Welt mit Hilfe ihrer Emphatie“ sagte er grinsend, „also der Kunst, sich in andere hineinzuversetzen!“
„Und wir Männer können das wohl nicht. Wir denken in ihren Augen wahrscheinlich nur an Fußball, Biertrinken und Sex?! Ich vermute somit, dass es den Frauen umgekehrt auch so ergeht und sie die Denkweise von uns Männern nicht verstehen. Da muss man doch endlich etwas dagegen tun!“
„Zumindest denken Männer nicht von Natur aus emphatisch. Man kann aber Einfühlungsvermögen ein Stückweit erlernen. Vielleicht verstehst du dann irgendwann warum Frauen heulen!“
Wie soll ich das je begreifen Herr Großgedanke?“
„Sieh doch einfach in deinem Bauch nach, dort wo die Gefühle ihren Sitz haben!“
„Ach ja, in meinem Bauch schwirren ja auch noch ein paar Gedanken herum, hast du mir erzählt. Doch Halt! Wie funktioniert denn das?“, höre ich mich fragen und wachte von meinem kurzen Nickerchen wieder auf...
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Fortsetzung folgt
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Copyright: Ernst Dierking