Cristal-Träume.
So nun liegt auch das fünfte Kleid auf dem Sessel, der Kleider, die ich für den heutigen Tag als unpassend empfinde. Als erstes habe ich das Rote, mit dem großen Ausschnitt und dem ausladenden Kragen probiert, dann kam das Dunkelgrüne, ok ein bissel zu eng und unbequem, danach dieses sonnengelbe Corsagenkleid, welches mich irgendwie klein und pummelig wirken lässt, dann das kleine Schwarze mit der Rose am Ärmel und nun als letztes, das weiße Kleid mit den Strasssteinchen. Am besten schneidet immer noch das weiße Seidenkleid ab, nur diese Steinchen, so auffällig, so übertrieben, zu puppig, für einen Nachmittag, von dem man nicht weiß, wie er wird, war überhaupt passiert.
Ich schlüpfe noch einmal in diese weiße Pracht. Angenehm kühl schmiegt sich die Seide an meinen Körper, ich gefalle mir, aber es bleibt dabei, es wirkt zu elegant, viel zu elegant. Meine Augen bleiben an einer türkisen Stola hängen. Wenn ich die locker um die Schulter lege, sind schon mal die funkelnden Glitzersteinchen unsichtbar, naja für den Moment jedenfalls. Ich schlüpfe in die weißen Pumps und bin wirklich mit mir zufrieden. Jeder weitere Blick in den Spiegel würde nur neue Unsicherheit mit sich bringen. Ein letzter Blick sagt mir, gut, passt, schön, lass alles wie es ist und mach dich auf den Weg.
Mit vor der Brust gefalteten Händen steht eine zarte Thailänderin vor mir: „Du bist CristalTräume?“. Bitte was, wer bin ich, „nein mein Name ist Rosemarie“. „Ja schön, du bist CristalTräume, kommen mit, bitteschön“. Irrtum Süße, denke ich, aber hört sich nett an, CristalTräume, wer auch immer das ist, ich bin es nicht, aber egal. Vorbei an 10 Liegen, auf denen sehr gut getarnte Damen, in dicken weißen Baumwollbademänteln liegen. Eine weiße Front, mit grünen, rosa und weißen Gesichtsmasken. Unkenntlich gemacht, durch den Willen schön zu sein oder besser schön zu werden. Innerlich muss ich lachen, weil ich kurz denken muss, wie ein Spalier bei einer Hochzeit, liegen sie rechts und links am Straßenrand und ich stöckele ganz in weiß in der Mitte durch. Was mag in den Köpfen der Damen vor sich gehen? Ich schaue nochmal nach rechts und links, ob nicht vielleicht doch ein Herr dazwischen liegt, nein es bleiben Frauen, mit Turbanen und Gurkenscheiben und dicken Socken an den Füßen.
„Kommen mit“ fordert mich diese kleine Elfe, die vor mir geht, noch einmal auf. Natürlich folge ich ihr, frage mich kurz, wohin sie mich wohl bringt und jage dann sogleich alle neugierigen und unsicheren Gedanken rasch wieder weg. Kurz schleicht sich die Frage, wie komme ich hierher und was mache ich hier, in meinen Kopf. Ich weiß es nicht, aber da ich nun mal hier bin, lasse ich mich einfach überraschen.
Irgendwie niedlich, wenn diese kleine Thailänderin ihre Hände vor der Brust zusammenlegt und mir mit einem Nicken zu verstehen gibt, was ich als nächstes tun soll. Sie ist sehr jung und sehr hübsch, riesengroße Augen und ein wunderschöner Schmollmund geben ihr etwas kindchenhaftes. Gerade dadurch wirkt sie noch ein bisschen ehrfürchtiger und bezaubernder. Auf ihren Handflächen balanciert sie 2 flauschige weiße Handtücher. Ihr einzigartiges Kopfsenken, sagt mir, dass ich mich ausziehen soll und ja, ich nehme mal an, ich soll mich in diesen Plüschtraum wickeln. Sie breitet eines dieser dicken Tücher auf einer Massagebank aus und das andere legt sie wieder zur Seite.
Nackt liebe ich auf der Teakholzbank. Ein bisschen hart, denke ich, trotz des Tuches, aber irgendwie auch so naturverbunden. Ich rieche das Holz und schließe für einen Moment die Augen, eine angenehme Wäre durchfließt meinen Körper, ich atme diesen Holzgeruch tief ein und fühle mich in einer anderen Welt. Während ich auf dem Bauch liege, gießt sie Öl in ihre kleinen Hände und verteilt es wellenförmig auf meiner Haut. Träumend schaue ich aus dem großen, bis zum Boden reichenden Fenster, Palmen und Gardenien säumen zu beiden Seiten der Fensterfront einen weißen Kiesweg. Direkt gegenüber steht ein riesiges Bürogebäude, kühl und distanziert wirkt es, direkt unpassend, vollkommen fehl am Platz. Und obwohl es mir überhaupt nicht gefällt, bleibt mein Blick, wie gebannt auf der Tür dieses Komplexes hängen. Geradezu magnetisch zieht mich etwas an. Auf der einen Seite fühle ich mich gerade wunderbar von diesen kleinen Händen verwöhnt und auf der anderen Seite zieht mich etwas raus in diese kalte Bürolandschaft.
Wohlig, gebe ich mich den Griffen, der kleinen Thailänderin hin, genieße fast lustvoll den Duft von Lavendel und Orangenblüten, fühle mich erotisiert und lasse alle Gedanken los.
Mein Blick hängt immer noch an der gegenüberliegenden Tür, fasziniert schaue ich zu, wie dort Menschen in sehr korrekter Kleidung aus und ein gehen. Die Damen in Kostümen und die Herren durchweg in Anzügen, mache Blau und andere Schwarz. Ein Mann fällt mir besonders auf, weil er so ganz anders aussieht. Irgendwie denke ich, affig, er schaut ein bissel affig aus, aber auch wahnsinnig elegant. Er trägt einen weißen Hut, mit schwarzem Band und einen weißen Anzug. Die Schuhe kann ich nicht erkennen, dafür ist er zu weit weg. Unter dem Arm trägt er eine Mappe, die in der Sonne blinkt und funkelt und ich kann lesen, dass vorn drauf, CristalTräume, steht. Ich wundere mich ein wenig, dass ich diese Schrift erkenne und denke daran, dass mich dieses Mädchen vorhin so genannt hat. Mein Blick folgt diesem Mann, bis er verschwunden ist. Etwas an ihm kommt mir sehr vertraut vor, so fremd und doch so nah.
Ich schließe meine Augen und gebe mich wieder den Händen dieser jungen Frau hin, irgendwie fasst sie viel fester zu, als vorhin. Fordernder und doch auch intimer. Ich spüre wie nur ein Finger, ganz langsam meine Wirbelsäule bis zur Pofurche herunterfährt. Ich stöhne leise auf und gebe mich total diesem Moment hin. Sanft streichelnd gleiten die Hände wieder zu meinen Schultern, greifen unter meine Haare. Ich spüre einen warmen Hauch in meinem Nacken, atme schwerer. Gerne möchte ich mich umdrehen, möchte sehen was sich verändert hat, denn irgendetwas ist anders, schöner und prickelnder.
Neben mir steht ein wunderschön geschliffenes Sektglas. Die Sonne bricht sich in dem Diamantschliff. In allen Regenbogenfarben strahlt dieses Glas, wirft bunte Farben an die Wand. Wie lebendige Murmeln tanzen Kreise durch den Raum, zaubern eine magische Atmosphäre, beleben die Luft mit Farben und wunderbaren Düften.
Sanft und mit großer Zärtlichkeit fühle ich mich zwischen den Schulterblättern geküsst. Eine Duftwolke aus Feigen und Orangenblüten umhüllt mich, trägt mich und hält mich sehnsüchtig fest.
Wieder muss ich an diesen Mann denken, der mir so vertraut war, so bekannt und doch auch wieder nicht. Immer deutlicher wird seine Gestalt und je mehr ich diesen Duft einatme, um so mehr wird er zur Herzgestalt, zu Nähe und zu Liebe. Sehnsucht erfasst mich, eine tiefe und traurige Sehnsucht. Meine Augen bleiben wieder an dem CristalGlas hängen, dieses wunderbare Funkeln berührt mein Herz ganz tief. Was hat dieses Mädchen vorhin zu mir gesagt? „Cristalträume!“ Was für ein eigenartiges Wort. Noch nie zuvor habe ich es gehört und doch ist dieses wunderbare Wort in mir, erfüllt mich mit einer Stille und Zärtlichkeit, mit großer Sanftmut und auch mit Sehnsucht.
Gläser klirren, singend aneinander, leise Musik erfüllt den Raum, endlich erkenne ich dich in diesem Mann, der ganz in weiß gekleidet, aus diesem Bürogebäude kommt. Endlich weiß ich, dass es deine Hände sind, die über meinen Körper wandern, dein Mund der meinen Nacken küsst, dein Duft, der mich so warm einhüllt, Feigen und Orangenblüten. Sehnsüchtig winde ich mich unter deinen Händen, möchte nichts mehr als mit dir verschmelzen, eins mit dir sein, für jetzt und immer, für Gestern, Heute und Morgen.
Meine Hand tastet nach dem Glas. All meine Sinne geben sich dem leisen, nicht enden wollenden, klirrendem Singen hin. Ich suche weiter, bis ich etwas Kühles berühre. Ich klappe mein Handy auf und lese deine SMS: „Guten Morgen meine Cristalprinzessin, waren deine Träume genauso schön wie meine? Komm lass uns noch eine Weile nachgenießen. Ich küsse dich und begleite dich mit meiner Liebe und Sehnsucht durch den Tag….
© Ute AnneMarie Schuster 7.8.2010