Kapitel 3
Schlagartig wurde ich wach. Ich lag immer noch auf der Hollywood-Schaukel und starrte auf den nun mehr sonnigen Himmel. Meine Gedanken kreisten die ganze Zeit um meinem Traum letzte Nacht. Aber es war nur ein Traum. Ein Traum. Ich sollte einfach nicht so viel darüber nachdenken. Ich musste an etwas anderes denken. Zum Beispiel an ein leckeres Frühstück, mit Eier und Speck.Obwohl auf Speck hatte ich nicht sonderlich Lust zu. Ich glaube, dass es einfacher Müsli auch täte, um meinen Hunger zu stillen. Und ich werde auf keinen Fall an den Traum denken, wo auf dem See der Wolf stand und das Tor...
Na Toll! Ich kann nicht aufhören daran zu denken. Warum aber machte mir dieser Traum dermaßen zu schaffen? Ich schaffte es nicht mal bis drei zu zählen ohne nicht gleich daran zu denken!
Mein Magen knurrte. Schwer seufzend schwang ich mich von der Schaukel, nahm meinen iPod und schlurfte durch die Terrassentür ins Wohnzimmer und bemerkte, dass jemand auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. Ich wog noch im Kopf ab, was wichtiger war.
Magen oder Anruf? Das ständige rote Aufleuchten des Telefons, zeigte mir, dass es nicht eher aufhören würde zu blinken, bis ich endlich den Anruf entgegen nahm.
Völlig genervt von dem ständigem An und Aus Spiel, stapfte ich zu dem Gerät auf der kleinen Kommode rüber und drückte auf „Play“.
„Dies ist Ihr persönlicher Anrufbeantworter. Zwei neue Nachrichten. Empfangen gestern. Nachricht von Agnes.“ :
„Hey Süße, hier ist Agi. Ich hoffe es geht dir besser, denn morgen musst du für Gaby einspringen, weil sie krank ist. Naja, die ist nicht krank. Sie hat sich den Knöchel verstaucht, als sie gestern gegen die Wand geprallt ist. Kannst du dir das vorstellen? Na, ich mir nicht. Egal. Also komm morgen bitte so gegen zwölf. Tschüssi!“
Piep, Piep, Piep.
Die Leitung war unterbrochen. Ich drückte auf „Stop“ und sah auf die Uhr. Toll! Konnte sie mir das nicht schon früher sagen, dass ich Gaby ersetzen sollte? Jetzt hatte ich nur noch eine
Viertelstunde, um dort zu sein. Allein das hinfahren dauerte schon zehn Minuten und ich musste mich noch anziehen, waschen und was wusste ich noch alles tun. Aber fluchen allein half hier nicht viel weiter. Ich musste jetzt einfach sehen, dass ich mich schnell fertig machte, mich auf das Rad schwang und richtig in die Pedalen trat. Und das flott.
Auf dem Weg nach oben, zu meinem Zimmer, blieb ich am Flurspiegel stehen und betrachtete mich eine Weile lang. Meine Haare sahen zwar zerzaust aus, aber wenn ich mir einen Pferdeschwanz machen würde, würde es sicherlich akzeptabel aussehen.
Immer zwei Stufen zusammen sprintete ich die Treppe hoch in mein Zimmer und holte mir die erst besten Sachen, die mir in die Hände fielen und zog sie mir in Rekordzeit an.
Ein Blick in den Spiegel zeigte mir, dass ich Glück gehabt hatte. Die lässige Jeans mit den zwei aufgesetzten Taschen vorne passte sehr gut zu meinem weißen langen Top,das von schönen Schmetterlingen vorn und hinten bedruckt war. Zufrieden mit dem Ergebnis ging ich hurtig ins Bad, um meine restlichen Sachen zu erledigen.
Nach sieben Minuten war ich schließlich fertig, schnappte mir einen Apfel, weil ich mir wegen der dummen Agnes keinen Frühstück mehr leisten konnte und zog mir Schuhe und Jacke an.
Als wäre der Teufel hinter mir her, raste ich zur Bar, um dann völlig erschöpft und total aus der Puste vor Agnes zu stehen, die auf einem Barhocker saß und vor meinen Augen einen super lecker aussehenden Erdbeerkuchen in sich reinzog.
Mir lief das Wasser im Munde zusammen. Ich das Stück gebannt an.Ich war extra so schnell herkommen, um rechtzeitig hier zu sein und hatte dafür meine liebste Mahlzeit am Tag ausgelassen und was machte Agnes? Sie hatte wirklich Nerven vor mir, völlig erschöpft und halb verhungert, wie ich war, einen so verlockenden Kuchen zu essen. Ich hielt das einfach nicht mehr aus, was mein Magen nur bestätigte, als er wie eine Rakete laut zu grummeln anfing.
Agnes sah mich irritiert an. Plötzlich fing sie an zu lachen, doch im nächsten Moment hörte sie wieder damit auf, da sie sich an ihrem Stück Kuchen verschluckt hatte. Sie schluckte das Stückchen runter und kicherte immer noch weiter vor sich hin.
„Was ist denn so lustig?“ ,fragte ich sie gekränkt. Lachte sie mich etwa aus, weil ich auf dem Boden vor ihr kniete und verlangend den Kuchen ansah? Na herzlichen Dank!
„Du hast es wohl wieder gemacht, was?“ Sie hatte nun aufgehört sich einen ab zu lachen und sah mir wieder in die Augen.
„Was hab ich?“ Ich wurde aus dieser Frau nie richtig schlau.
„Na, du hast dir wieder einmal nicht die ganzen Anrufe auf deinem Anrufbeantworter angehört, stimmt' s?“ Sie stand auf, ging mit dem nun leeren Teller um den Tresen und wusch ihn ab. Währenddessen rief ich mir das im Kopf auf, was Agnes gesagt hatte. Das stimmte, wie ich mich wieder erinnerte, es waren wirklich zwei Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Doch wegen dem ganzen Trubel von Agnes' erstem Anruf, musste ich wohl vergessen haben mir den zweiten anzuhören. Doch warum lachte sie mich dafür aus, nur weil ich so schnell wie ich konnte Agnes' Bitte nachgegangen bin und hier her gerast bin. Da fiel mir wieder etwas ein: „Was wolltest du mir denn auf der zweiten Nachricht sagen?“
Sie beendete das Teller waschen, legte es in den Schrank hinter ihr zurück und setzte sich wieder auf dem Hocker. Ich folgte ihrem Beispiel und setzte mich auf dem Hocker neben ihr.
„Ich wollte meine Bitte rückgängig machen die ich in der ersten Nachricht an dich gestellt habe.“
„Moment, deine Bitte? Meinst du, die, dass ich für Gaby einspringen soll? Warum?“
„Naja … Ich habe heute etwas anderes vor...“ Agnes wurde langsam immer mehr rot, wie eine Tomate und tat beide Hände an ihre Wangen. Sie war wohl sehr aufgeregt und schüchtern, wie ein kleines Mädchen, dass zum aller erstem Mal ein Date mit einem Jungen hatte. Ein klares Zeichen dafür, dass sie über beide Ohren verknallt war.
„Und?“ , fragte ich mit verschwörerischem Grinsen und einem wissendem Blick. „Was GENAU hast DU vor?“
Sie sah mich an, wie ein Lebkuchen-Pferd. Sie tat ihren Zeigefinger an ihre Lippen und schloss ein Auge.
„Ge- Heim- Nis!“
Seufzend fuhr ich mit meinem Rad durch die Gegend. Nachdem ich noch stundenlang mit Agnes in der Bar geplaudert hatte, wurde es später Nachmittag und das hieß für Agnes „Aufbruch zum Date!“. Weil das Lokal somit geschlossen hatte, hatte ich keine andere Wahl, als wahllos herum zu fahren.
Es wurde immer mehr dunkler. Doch komischerweise wurde ich nicht im geringsten Müde. Es fuhren kaum noch Autos zu dieser späten Uhrzeit herum und wenn, fuhren sie in die mir entgegengesetzten Richtung davon. Somit war auf den Straßen ganz alleine. Dies störte mich aber aber nicht. Ich konnte für eine Weile nur für mich sein und mir die vergangenen vierundzwanzig Stunden in Erinnerung rufen.
Zuerst das mit diesem Mann, der sich Victor nennt, der sofort erkannte, dass ich Kontaktlinsen trug. Nur warum wollte er denn so unbedingt meine echte Farbe wissen? Ich meine es war schon eigenartig genug, dass er das überhaupt mit den Linsen wusste, aber wieso kamen dann auch noch diese komischen Bilder in meinem Sinn, die ich vorher noch nie gesehen hatte, als ich eine indirekte Berührung mit diesem Victor hatte? Alle Bilder waren im schnell Durchlauf vorbei gerauscht, aber nur eines eher in Zeitlupe.
Wolf.
Ja. Wolf. Der Wolf, den ich auch in meinem Traum letzte Nacht gesehen hatte, der mit dem schönen schnee weißen Fell, das in der kühlen Nacht am See wunderschön glitzerte, als bestünde er nur aus lauter Glitzersteinchen und nicht aus tausenden von Haaren und der auch, so weit ich das beurteilen konnte, doch genau die selbe Augenfarbe hatte wie ich. Doch im Gegensatz zu meinen Augen, zeigten die von ihm doch etwas total anderes, als es die meine taten. Solche Augen, die sich von den anderen unterschieden, hatte auch meine Großmutter gehabt. Sie waren voll von Wissen, Trauer, Freude und noch anderen starken Emotionen zugleich. Zwar könnte man meinen, dass jeder Mensch diese Gefühle hatte, aber das stimmte nicht genau. Bei meiner Großmutter und bei diesem Wolf aus meinem Traum zeigten sie … einfach mehr. Mehr Lebenserfahrung. Diese Augen hatten wohl schon einiges erlebt und mitangesehen, die ich mir nicht mal im Traum vorstellen konnte. Genau diese Augen drückten ein sehr langes Leben aus, den sie erlebt hatten. Es waren einfach unvergessliche und das wusste ich auch. Ich wollte diese Augen wieder sehen, aber ich wusste nicht wie. Es war wahrscheinlich eine Projektion meiner selbst, weil ich meine Großmutter so sehr vermisste. Diese Einbildung von einem Wolf mit dem selben Ausdruck in den Augen, sollte sicherlich meine Großmutter widerspiegeln, die ich vor einigen Jahren verloren hatte. Ich war mir sicher, dass es diesen atemberaubenden Wolf nicht in der Realität gab. Ja … nur Einbildung …
Mit der Zeit machte sich eine Trägheit in meinem Körper breit, die mich dazu veranlasste an der Kreuzung in der nähe von meinem Haus vom Fahrrad abzusteigen, um am Straßenrand eine kleine Erholungspause einzunehmen. Auch hier war es Menschenseelen leer, als wäre ich die einzige Bewohnerin auf der Erde. Kein Vogel zwitscherte fröhlich vor sich hin; man hörte überhaupt keine Geräusche. So langsam wurde es mir ziemlich unheimlich. Ich entschloss mich daher wieder auf mein Fahrrad zu schwingen und nach Hause zu fahren.
Plötzlich spürte ich einen angenehmen Luftzug aus einer anderen Richtung und drehte mich herum. Der Wind wirbelte Blütenblätter von der Straße, die zu dem im nahem gelegenem Wald führte, durch die Luft und dann war da … ein merkwürdiges Gefühl. Mein gesunder Menschenverstand sagte mir, dass ich einfach dieses Gefühl ignorieren und nach Hause fahren sollte, aber mein Bauch sagte mir genau das Gegenteil. Ich stieg auf mein Fahrrad, doch dann änderte der Wind blitzartig seine Richtung. Er bahnte sich nun einen Weg zu den Wäldern und nicht mehr in die entgegen gerichtete Richtung. Es schien, als ob der Wind mich auffordern würde genau dort entlangzufahren. Ich trat kräftig in die Pedalen und fuhr in Richtung Wald. Was genau ich da tat wusste ich nicht. Aber irgendetwas sagte in mir, dass ich genau dort hin fahren musste.
Ich fuhr schon einige Minuten mit dem Rad durch die schmale Straße. Hier war auch tote Hose. Aber wenigstens begleiteten kleine singende Vögel meinen Weg. Das beruhigte mich einerseits, da ich nun nicht mehr so ganz alleine war, aber andererseits wusste ich immer noch nicht warum ich so etwas blödes tat. Ich wusste genau, dass ich mich am nächsten Tag dafür hassen würde, weil ich nicht auf meinen Kopf gehört hatte und einfach nach Hause gefahren war, aber ich konnte einfach nicht. Es war, als hätte mein Körper ein eigen Leben entwickelt.
Schließlich endete die Straße. Dennoch machte ich nicht kehrt, sondern stieg vom Rad und lehnte es an einem Baum. Auch wenn die Straße ab hier zu Ende war, gab es einen kleinen schlängelnden Pfad, den mein Körper scheinbar entlanggehen wollte. Ich machte mir nicht mehr die Mühe, dagegen anzukämpfen, denn ob ich nun wollte oder nicht, ich wusste, dass nichts half. Also begann ich den Pfad hinaufzugehen. Nach einer Weile, wurde der Weg wieder eben, was es mir umso leichter machte voran zu kommen und mich dann auch schneller vorwärts brachte. Ich bekam aber auch durch jeden weiteren Schritt mehr und mehr Unbehagen und Unwissenheit, vielleicht auch ein wenig Angst. Ich wusste zumal nicht, was mich am Ende dieses Pfades erwartete. Und ich war wirklich nicht der Typ dafür, das heraus finden zu wollen. Aber wie vorhin schon konnte ich nichts machen.
Was mich allerdings am Ende des Weges tatsächlich erwartete, hätte ich nie gedacht. Es war ein wirklich atemberaubender See, der vom Schein der untergehenden Sonne nur so strahlte. Das Wasser war so rein und blau, als ob er bis jetzt unentdeckt gewesen war.
Mich überkam ein plötzliches Déjà- Vu Gefühl. Nur der Grund, der fiel mir nicht ein...
Ein Bild, dass ich nur zu gut kannte schoss mir in den Kopf.
Der Wolf.
Genau. Mir fiel alles auf einen Schlag wieder ein, aber ich wollte es nicht glauben. Ich stand genau am gleichen See, den ich auch in meinem Traum gesehen habe.
Nur was ich nicht verstand war, warum ich schon vorher von dem See geträumt hatte bevor ich ihn überhaupt das erste mal zu Gesicht bekam...?