Hundstage
Sommer 2010. 35 Grad im Schatten. Mich juckt das Fell. Nein – ich habe keine Flöhe, ich bin eine reinliche Retriever-Dame. Kein asozialer Bastard, auf welchem sich Kolonien von Mikroben fröhlich tummeln. Aber der Schweiß lässt sich nicht mehr allein durch meine Zunge, welche ich wie eine rote Krawatte stolz vor mir her trage, absorbieren. Der Schweiß rinnt mir durchs Fell.
Wäre doch der arme Herr Kachelmann in Freiheit. Sicherlich hätte er Erbarmen mit mir und würde eine kühlere Witterung schaffen. Doch er leidet im Knast und ich unter der Hitze. Womit haben wir dies verdient?
Meine einst rotbraune Nase – der Stolz meiner Besitzer – ist zwischenzeitlich dunkelbraun. Sonnenbrand! Schaue ich in den Spiegel, fühle ich mich wie ChowChow. Ich habe Angst ich könnte mir auch noch einen Sonnenbrand auf der Zunge einfangen. Ein Retriever mit schwarzer Nase und blauer Zunge. Mein Frauchen würde mich wohl auslachen und der Pfalzgraf gemeine Witze über mich reißen.
Herrchen und Frauchen haben es leichter als ich. Ich beobachte heimlich, wie sie sich mittels Knöpfen und Reißverschlüssen ihrer Felle entledigen. Ich habe stundenlang nach einem Reißverschluss an meinem Fell gesucht. Vergebens. Doch dieses intensive Forschen nach einer Möglichkeit mich meiner Haarpracht kurzzeitig zu entledigen und die damit im Zusammenhang stehende eigene Untersuchung meiner Anatomie hatte lediglich zur Folge, dass auch meine Herrschaft glaubte ich sei von Flöhen besessen und griff zur chemischen Keule: Das Flohpulver vermischte sich mit dem Schweiß zu einer zähen gipsartigen Masse auf meiner Haut. Nun schwitzte ich noch mehr.
Selbst der von mir so geliebte Lauf über Wald und Flur wurde zur Tortur. Die Sonne verbrannte erbarmungslos auf mein blondes Haarkleid. Wenn es nur nicht nachdunkelt. Eine Retriever-Hündin mit dunkelbraunem Fell, einer schwarzen Nase und blauer Zunge. Ich wäre das ideale Wappentier für Absurdistan.
So laufe ich schatten suchend in Begleitung meines Frauchens und dem Pfalzgrafen über die ausgedörrten Felder und suche mir einen Platz um meine Notdurft zu verrichten. Da sehe ich etwas Grün in der ansonsten verbrannten Landschaft. Eine wunderschöne saftige Wiese mit weichem Gras. Die Wiese suggeriert mir nahezu wörtlich: „Komm zu mir und wälze Dein verbranntes Fell in meinem weichen Gras“. Dies lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich stürme los und räkele mich wohlig – ein Grummeln der Zufriedenheit entrann meiner Kehle.
Dann höre ich wie sich meine menschlichen Begleiter in ihrer vermeintlichen Intelligenz besprachen: „Schau mal unsere Frida. Wie sie sich auf dem Rücken wälzt. Sicher hat sie immer noch Flöhe“. Ich ahnte was dann kam. Noch mehr Flohpulver. Der Gips wurde langsam zu Zement.
Wenn sie mich nun wiegen, denken sie ich hätte 10 Kilo zugenommen und setzen mich noch auf Diät. Dies war meine schlimmste Befürchtung. Ich – dessen größte Leidenschaft das Fressen ist. Selbst im Sommer. Appetitlosigkeit war für mich stets ein Fremdwort.
Was könnte mir jetzt noch alles passieren? Reduzieren die beiden wirklich meine Futterration? Werde ich jetzt täglich mit Flohpulver traktiert bis ich bewegungsunfähig einer Gipsstatue gleiche? Rasiert man mich, dass ich aussehe wie ein zu groß geratener peruanischer Nackthund.
Ich war deprimiert. Nein – deprimiert war ein zu milder Ausdruck. Ehr sah ich mich als manisch depressiv. Eine Retriever-Hündin mit Suizidgedanken. Doch wie sollte ich diesen letzten Schritt wagen? Mich vergiften? Sicherlich – Frolic ist nicht unbedingt ein Gaumengenuss. Aber zum Vergiften doch nicht geeignet. Mich erhängen? Dies ließ zwar meine Intelligenz, nicht jedoch die Anatomie meiner Vorderpfoten zu. Mich erschießen? Ich besaß keine Waffe.
Während ich in meinen selbstmörderischen Gedanken verweilte, gewahr ich plötzlich eine wundersame Eingebung meines Frauchens: „Lass uns zum See gehen und baden. Auch Frida wird sich freuen im Wasser Abkühlung zu finden“. Dies war Labsal in meinen selbstmordgefährdeten Ohren.
Am See angekommen sprang ich in die kühlen Fluten wie ein neugeborener Heuler. Ein Seehundbaby. Ich schwang wie Francisca von Almsick meine Bahnen und tauchte wie Jacques Cousteau.
Dem kühlen Nass entsprungen war mein Haarkleid gereinigt, der Zement aus meinem Fell gespült und die Nase erfrischt. Ich sah auch keinen Grund mehr weiterhin den imaginären Reißverschluss zu suchen. Ich stellte das Kratzen und die anderen unwürdigen körperlichen Untersuchungen ein.
Dies hatte auch zur Folge, dass meine Herrschaft zur Überzeugung fanden ihr Flohpulver hätte gewirkt. Ich ließ sie in dem Glauben.
Heute schreiben wir den 29. Juli 2010. Herr Kachelmann wurde aus dem Gefängnis entlassen. Bitte lieber Wettergott Kachelmann. Enttäusche mich nicht. Lass die Temperaturen in diesem Sommer die 25 Grad-Marke nicht mehr überschreiten.