Romane & Erzählungen
Luftzug

0
"Luftzug"
Veröffentlicht am 27. Juli 2010, 4 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich bin ein Honigkuchenpferd, Honigkuchendachs, Honigkuchen, oder einfach nur Ich. http://www.rdedition.com/ http://honigkuchendachs.wordpress.com/
Luftzug

Luftzug

Sie saß in der Küche und rührte gedankenverloren in ihrem Kaffee. Es war wieder einmal soweit. Die schlimmste Zeit des Tages hatte begonnen. Der Morgen. Langsam stieg es in ihrem Inneren hinauf, es loderte, es lauerte, es drohte zu explodieren. Sie atmete tief ein. Und aus. Dann raffte sie sich auf, nahm den Kaffee und räumte ihn in die Spüle. Der Löffel fiel ihr aus der Hand und landete klirrend am Boden. Das war der Auslöser. Sie brach in Tränen aus, kniete sich auf den Küchenbodn und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Es fühlte sich an, als würde ihr Herz kochen, ihre Seele brennen. Diese Spannung, diesen Schmerz schrie sie hinaus, aber es schaffte keine Erleichterung, es änderte nichts. Das tat es nie. Ihr langes, dunkles Haar hing glanzlos, kraftlos herab, strähnig und stumpf, so stumpf wie sie ihr Dasein empfand. Eigentlich hatte sich auf den heutigen Tag gefreut, sich extra hübsch gemacht und ihren Lieblingsrock angezogen. Schwarzer Jeansstoff, mit kleinen schwarzen Nieten an den Gürtelschlaufen. Und natürlich ihren Lieblingspulli in XXL, in dem man sich so herrlich verkriechen konnte. Sich verstecken, vor dem Wahnsinn, der sich schleichend in ihre Gedanken krallte. Der alles Gute auszulöschen schien und die Welt in einen düsteren, freudlosen Ort verwandelte. Wie ein gefräßiges Monster, das alle Freude stiehlt und in einen dunklen, kalten Keller entführt. Einatmen, ausatmen. Sie zählte die verstreichenden Sekunden, um nicht denken zu müssen. Tick, tack. Der Kühlschrank surrte. Ganz vorsichtig und sachte erhob sie sich vom Boden. „Niemals, verdammt, niemals“; sagte sie mit lauter und bestimmender Stimme. Dann brach sie erneut in Tränen aus.

Es war Freitag Abend. Der Supermarkt war brechend voll. Die Leute hatten wie üblich die große Panik, das Wochenende nur knapp zu überleben, wenn sie nicht haufenweise unnötigen Scheiß in ihren Einkaufswagen schaufelten. Sie warf einen kurzen Blick auf das allwöchentliche Spektakel und schob danach kopfschüttelnd ihren Wagen weiter. Bloß nicht den Blick heben. Ausweichen, ignorieren. Ihre Hände, die den Wagen lenkten, waren schweißnass. Sie spürte es, die Panik, die ihr den Hals hinaufkroch und drohte, alles zu überfluten. „Du schaffst das, komm schon“, flüsterte sie sich leise zu. Doch es war bereits zu spät, sie hatte nur mehr eines im Sinn – hier rauskommen. Sie stieß ihren Wagen achtlos beiseite und schob sich an der Masse vorbei. Richtung Ausgang, Erlösung, Rettung. Als sie es geschafft hatte, lehnte sie sich keuchend an die nächste Mauer und atmete tief ein. Und aus. Langsam glitt sie entlang der Mauer auf den Boden und vergrub ihre schweißnasse Stirn zwischen ihren Beinen. Automatisch bohrten sich ihre Fingernägel in ihre Oberarme.

 

Sie war gerade beim CDs sortieren und summte dabei „Come as you are“. Es war ein guter Tag. Die Sonne schien, sie hatte Kekse gebacken und keiner war dabei verbrannt. Eine Freundin hatte sie besucht, ihr Herz ausgeschüttet. Die üblichen Probleme: Freund, Geld und Arbeit. Sie hatte wie immer interessiert ihren Geschichten gelauscht und so gut es ging Ratschläge verteilt, getröstet und gelacht. Das war die Persönlichkeit, die ihre Freunde, ihre Familie, ihre Arbeitskollegen kannten. Das verfaulte, modernde Innere behielt sie für sich.

Das war ihr Leben. Und es endete sekündlich. Wer von uns hat hier eigentlich das große Los gezogen? Und was war der Gewinn?

http://www.mscdn.de/ms/karten/v_241917.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_241918.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_241919.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_241920.png
0

Hörbuch

Über den Autor

Honigkuchenpfe
Ich bin ein Honigkuchenpferd, Honigkuchendachs, Honigkuchen, oder einfach nur Ich.

http://www.rdedition.com/
http://honigkuchendachs.wordpress.com/

Leser-Statistik
20

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Honigkuchenpfe Re: Immer wieder merke ich -
Zitat: (Original von BrianBrazzil am 12.08.2010 - 08:26 Uhr) wie schwer es ist, am Computer ist, die Texte vernünftig zu lesen. Habe ihn daher ausgedruckt.

Sehr dunkel, der Titel passt sehr gut zu dem Text .
...am Anfang blässt der Wind stark, dann das pfeifen und dann das abebben...
Die Szene im Supermarkt finde ich sehr stark geschrieben, die ist mir sehr nah gegangen und ist einfach klasse.

Gruß
Brian


oh wow, ein buch von mir ausgedruckt, das freut mich aber :)
und auch, dass es dir gefallen hat.

zum glück ist momentan sommer, da bedrückt einem solch ein text vermutlich weniger!

liebe grüße
pferdchen
Vor langer Zeit - Antworten
BrianBrazzil Immer wieder merke ich - wie schwer es ist, am Computer ist, die Texte vernünftig zu lesen. Habe ihn daher ausgedruckt.

Sehr dunkel, der Titel passt sehr gut zu dem Text .
...am Anfang blässt der Wind stark, dann das pfeifen und dann das abebben...
Die Szene im Supermarkt finde ich sehr stark geschrieben, die ist mir sehr nah gegangen und ist einfach klasse.

Gruß
Brian
Vor langer Zeit - Antworten
KarinRegorsek Deine Formulierungen - gefielen mir sehr gut!

Inhaltlich beinhaltet dieser Text soviel Schwere, die ich persönlich nicht nachvoll ziehen kann, allerdings hast Du es sehr gut realitätsnah dargestellt!

Liebe Grüße an Dich Honigkuchenpferd! Karin
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Re: Der gefällt mir richtig... -
Zitat: (Original von Honigkuchenpfe am 27.07.2010 - 16:16 Uhr) das freut mich jetzt aber wirklich sehr, vor allem, weil es ein text ist, den ich hier geschrieben habe und die meisten andere sind ja schon etwas älter. und irgendwie war ich mir nie sicher ob ich das noch so gut kann. puh.

hm nein, zumindest momentan nicht, keine angst!

liebste grüße
pferdchen

PS: nein. habs soeben geändert, komische sache das ;-)

Puh, dann bin ich ja beruhigt. Also nicht, dass es nicht doch DAS Keks heißt (was mich nicht mal mehr gewundert hätte), sondern was das andere betrifft. ;-) Nee, haste gut geschrieben. Sicher aus 'ner gewissen Stimmungslage heraus. Aber manchmal geht's so am besten. Auch wenn man mal 'ne längere Pause gemacht hat. Ich glaub, so schnell verlernt man da nichts, auch wenn ich das selbst ja auch immer denke.

Liebste Grüße zurück
The T.
Vor langer Zeit - Antworten
UteSchuster wunderbar geschrieben - die Verzweiflung, wenn man Panikattacken hat. Hat mich an früher erinnert, als mich so etwas manchmal befallen hat, genau so, ganz genau so war es.

Liebe Grüße Ute
Vor langer Zeit - Antworten
Honigkuchenpfe Re: Der gefällt mir richtig... - das freut mich jetzt aber wirklich sehr, vor allem, weil es ein text ist, den ich hier geschrieben habe und die meisten andere sind ja schon etwas älter. und irgendwie war ich mir nie sicher ob ich das noch so gut kann. puh.

hm nein, zumindest momentan nicht, keine angst!

liebste grüße
pferdchen

PS: nein. habs soeben geändert, komische sache das ;-)
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Der gefällt mir richtig... - ... gut, der Text. Vielleicht weil ich mal 'nen recht ähnlichen geschrieben habe und die Gedanken irgendwie gut greifen kann. Vielleicht auch einer, weil einige Bilder echt sitzen. Z.B. das stumpfe Haar und das stumpfe Dasein. Und dann diese zwei Sätze, die alles aussagen: "Das war ihr Leben. Und es endete sekündlich". Hoffentlich ist in dem Text weniger Hottehü, als ich annehmen würde.

Liebe Grüße
Thomas

PS: Noch was Amüsantes: Du sagst aber nicht wirklich DAS Keks, oder??? ;-)
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
8
0
Senden

38351
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung