Beschreibung
Eine alte Dame kehrt zurück an die Stätte ihrer Jugend und erinnert sich...
Zukunftsvision 2050
Die Rückkehr der alten Dame
Sie duckte sich unter den wurmstichigen, verzogenen, jahrhundertealten Holzstock des Cafés und drückte die handgeschmiedete, schon vor langer Zeit glanzlos gewordene Messingklinke herunter. Laut knarzend und in den Scharnieren quietschend öffnete sich die Türe.
Sofort umfingen sie die altvertrauten Gerüche ihrer Kindheit nach warmem Kaffee, frischgebackenem Kuchen und dem Wachs der alten Lebzelterei.
Sie betrat den dunklen, engen Raum. Rechts befand sich die Vitrine mit buntem Gebäck, der berühmten Sachertorte und selbstgefertigten Wachsbildern; dahinter die Verkäuferin.
Eine unbekannte Dame. Seit langem unbekannt.
Früher, in ihrer Schulzeit, als sie und ihre Klassenkameraden jede geschwänzte Schulstunde hier verbracht hatten, hatte sie hier alle gekannt – Anni, die immer mürrische Bedienung, mit dem unter harter Schale gut versteckten goldenem Herzen, Peter, den Wirt und seine Familie.
Es war befremdlich, in der so vertrauten Umgebung ein fremdes Element zu finden. Sie durchquerte den Vorraum und betrat durch die noch kleinere Tür das eigentliche Cafe.
Alles war noch da – der alte, knisternde, wohlige Wärme verbreitende Kachelofen, die kleinen, aber massiven Holztische, die wurmstichigen Balken der niedrigen Decke.
Auch die Zusammensetzung der Gäste hatte sich nicht geändert. Eine amüsante Mischung aus alten Damen beim Kaffeekränzchen, Schülern, die ihre Stunden schwänzten und Lehrern, die Freistunden hatten und genau wussten, wo sie ihre vermissten Zöglinge zu suchen hatten – und hier friedlich neben diesen saßen.
Unwillkürlich huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. „Zuhause“, dachte sie sich, und setzte sich an ihren alten, seit Jahrzehnten nicht benutzten Stammplatz in die Ecke.
Erinnerungen wurden in ihr wach.
Erinnerungen an ihre Schulzeit, ihre einstmals beste Freundin Vreni, an die Streiche, die sie gespielt hatten, an die Jungs, die sie verehrt hatten.
An Müller, ihren alten Geschichtslehrer, der Noten für Mutproben vergeben hatte und dessen letzte Missetat vor seiner Entlassung und Verbringung in die psychiatrische Anstalt das Verbrennen unkorrigierter Schulaufgaben gewesen war, an Friedrich, ihren Mathelehrer, der bei Streichen der Schüler begeistert mitgespielt hatte, an Puck, dem Lateinlehrer mit dem Lieblingszitat: „Da werden Weiber zu Hyänen“, an Schmidt, den alten Griesgram, der nicht nur ihr im Musikunterricht auf ewig die Freude am Singen und Musizieren ausgetrieben hatte, an Zimmer, den Englischlehrer, bei welchem sie Texte von The Doors, Pink Floyd und Led Zeppelin besprochen hatten, an den ersten Joint auf dem Schulausflug.
Sie schloss die Augen, spürte unter ihren Fingern das raue Holz der uralten Tische, an welchen Generationen von Schülern gesessen hatten. Die Geräusche von unterdrücktem Stimmengewirr waren dieselben, der Geruch nach brennendem Holz, Kaffee, frischgebackenem Kuchen, dem Wachs der alten Lebzelterei. So, mit geschlossenen Augen, fühlte sie sich zurückversetzt n eine lange vergangene Zeit. Förmlich konnte sie den Druck der nächsten Schulaufgabe spüren, den Schmerz der ersten Liebe, das Gefühl der beginnenden Freiheit, der Jugend, der Neugier, des Aufbruchs in ein noch unbekanntes Leben. Aller Unbill, alle Schicksalsschläge, die danach kamen, waren vergessen. Sie war wieder jung- sie war wieder frei.
Die alte Frau schlurfte langsam zum Ausgang.
Nun konnte sie gehen- sie hatte ihren Frieden gefunden.