1991. Zwei Uhr morgens schreckt das Ehepaar Lange aus dem Schlaf. Der noch aus GroĂmutters Zeiten stammende Wecker kennt kein Erbarmen. Schlaftrunken greift Michael Lange in die Richtung, aus der das unbarmherzige Rasseln kommt. Er sucht den Knopf zum Abschalten des GerĂ€tes. "Mach doch endlich diesen verflixten Wecker aus," schimpft seine Frau. "Ich möchte gerne weiterschlafen. In drei Stunden muĂ ich auch aufstehen." Endlich gibt der Wecker Ruhe.
FĂŒr Michael Lange beginnt ein neuer, schwerer Arbeitstag. Eigentlich ging der vorherige erst vor einigen Stunden zu Ende. Nur vier Stunden hatte er schlafen können. Sehr spĂ€t war er erst von einer Fahrt zurĂŒckgekommen und dann sofort todmĂŒde in sein Bett gefallen. Lange quĂ€lt sich hoch. So geht das schon seit mehreren Wochen. Er kommt nicht mehr dazu, einmal richtig auszuschlafen. Mit der Frau gibt es kaum noch ein vernĂŒnftiges GesprĂ€ch und ĂŒber die ErfĂŒllung ehelicher Pflichten will er schon gar nicht reden. Michael Lange muĂ mit seinem Doppelstockbus seit einigen Wochen Reiselusige zu Werbeveranstaltungen transportieren.Busfahrer hassen Werbeveranstaltungen. Sie bringen nur Ărger und Stress mit sich. Meistens liegen die Einladeorte der FahrgĂ€ste weit von den Wohnorten der Fahrer entfernt und so ist ein Arbeitstag von sechszehn bis zwanzig Stunden die Regel. Tag fĂŒr Tag muss er sich neu motivieren um nicht einfach den Krempel hinzuwerfen.
Lange steuert seinen Reisebus ĂŒber die Autobahn in Richtung Hof. In Borna und Umgebung hat er Frauen und MĂ€nner geladen, die zu einer Werbeveranstaltung nach Bayern wollen. Das groĂe Revier der Braunkohle, mit seinen vielen kleinen, versteckten Dörfern, war das Gebiet gewesen, wo er seine GĂ€ste hatte abholen mĂŒssen. Bis er die letzte Haltestelle bedient hatte, waren zwei Stunden vergangen. Es gibt Tage, an denen es schwer ist, die von der Werbefirma ausgeschriebenen Einladeorte und Haltestellen zu finden. Heute war so ein Tag gewesen. Die Dörfer um Borna und Espenhain herum, lagen ziemlich weit auseinander. Dazu kam, dass einige dieser Orte in keiner Karte dieser Welt eingetragen waren. Vermutlich wurden sie erst im Verlaufe der letzten Jahre angelegt. Dunkelheit, chaotische StrassenverhĂ€ltnisse, tief hĂ€ngende Ăste an den BĂ€umen und nur matt leuchtende Strassenlampen hatten das Einsammeln zusĂ€tzlich erschwert. Lange ist gereizt und genervt. Er hat es satt.
Etwa eine halbe Stunde dauert es noch, bis er die Ausfahrt "Bad Steben" erreichen wird. Bis zum Werbelokal in der bekannten Kur-und BĂ€derstadt, sind es dann noch sechszehn Kilometer. Der Reisebus ist bis auf den letzten Platz mit 68 Personen besetzt. Es sind vowiegend Ă€ltere Menschen, die er Tag fĂŒr Tag, sechsmal die Woche, zur Werbung fĂ€hrt. Einige der Herrschaften kennt er inzwischen persönlich. Sie fahren bei ihm ein bis zweimal im Monat mit. Fragt er, warum sie so oft zu Werbeveranstaltungen fahren, bekommt er immer die gleiche Antwort: "Was sollen wir zu Hause? Da sitzen wir auch nur den ganzen Tag herum. Hier fahren wir mit Bekannten und Freunden und sehen dabei noch etwas von den StĂ€dten und der Natur. AuĂerdem können wir mal so richtig schwatzen. Mittagessen und Kaffetrinken sind auch dabei. Also, was wollen wir mehr!"
Lange kann die Ă€ltern Herrschaften verstehen. Vor allem dann, wenn er sie von Dörfern abholt, in denen sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Die Menschen drĂ€ngt es danach, die alten BundeslĂ€nder kennenzulernen. Und sei es nur einen Tag lang. Seit den frĂŒhen Morgenstunden sind sie nun unterwegs und die Stimmung ist, wie an anderen Tagen auch, gut. Geschnatter und Fröhlichkeit erfĂŒllen den Bus. Es wird viel und laut gelacht. Man kennt sich untereinander und mehrere Tage hat man sich noicht gesehen. Da gibt es viel zu erzĂ€hlen.
"WeiĂt du, das die Tochter von der Friedel inzwischen einen Sohn geboren hat?" " Nee, das weiĂ ich nicht. Wieso weiĂ ich das eigentlich nicht ?"
"Das frage ich mich auch. Du weiĂt doch sonst immer alles."
"Das ist wahr."
"Jeder im Dorf weiĂ das schon."
"Gut das du mir das erzÀhlst. Sonst hÀtte ich das womöglich niemals erfahren."
"Dann weiĂt du aber, das der alte Friedrich vergangene Woche verstorben ist?"
"Was, unser Lehrer?"
"Ja, der!"
"Das kann doch nicht sein!"Â
"Doch, es ist so!"
"Das tut mir aber leid. Ich will es gar nicht glauben."
"Schön, das wir uns heute getroffen haben, Magda. Stell dir nur mal vor, was ich an Neuigkeiten verpasst hÀtte!"
"Aber das die Karla nĂ€chste Woche das zweite Mal heiratet, das weiĂt du schon?"
"NatĂŒrlich weiĂ ich das. Ein schöner Mann. Was fĂŒr ein Kleid ziehst du zum Polterabend an?"
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Lange hat mit seinem Doppelstockbus die letzte Anhöhe vor der Stadt erklommen.Vor ihm im Tal erscheint die schöne und bekannte Kleinstadt Bad Steben. Rote DÀcher glitzern in der Sonne und der laue herbstwind spielt seine eigene Melodie dazu.
"ooch, ist das schön," ertönt es hinter ihm.
"So ein herrlicher Anblick."
"Max, guck doch mal. Die grĂŒnen Wiesen und die braunen Pferde, Ist das nicht schön?"
"Was soll der Quatsch, Henriette. Gibt's in unserem Dorf etwa keine Wiesen und keine braunen Pferde?"
"Doch, doch Max. Aber hier ist alles so anders."
"Was ist hier anders. Gar nichts ist hier anders. Papperlapapp, rede nicht solchen Unsinn." Die Frau zieht sich schmollend in ihren Sitz zurĂŒck. Lnge lĂ€chelt in sich hinein. "Wie sich doch die GesprĂ€che tĂ€glich gleichen..." Er nimmt das Mikrofon: " Herrschaften, in wenigen Minuten erreichen wir Bad Steben und das Werbelokal. Ich wĂŒnsche ihnen einen schönen Aufenthalt und Tag und wenn sie mir erlauben, will ich ihnen noch einen gutgemeinten Ratschlag geben. Nicht alles, was ihnen heute angeboten wird, mĂŒssen sie kaufen. Lassen sie sich nicht jeden Schund andrehen und ĂŒberlegen sie genau, was sie gebrauchen wĂŒrden und was nicht. Das behalten sie aber fĂŒr sich. Sonst bekomme ich Schwierigkeiten!"
BeifĂ€lliges Gemurmel geht durch den Bus. Lange ist zufrieden. Sie haben ihn verstanden. Er wirft einen kurzen Blick auf seine Uhr. Die vorgegebene Zeit zum Eintreffen am Werbelokal wird er wieder nicht schaffen. Das gibt Ărger! Schon jetzt hört er den Werrbesprecher sagen: " Ich muss ĂŒberlegen, ob ich ihre Firma noch fĂŒr uns fahren lasse. Sie kommen regelmĂ€Ăig zu spĂ€t. Da ist kein Zuck dahinter!"
Er wird wieder antworten: " Da mĂŒssen sie eben die Zeiten zum Einsammeln Ă€ndern. dann ist das auch zu schaffen. Schneller geht es eben nicht!"
Lange hat Bad Steben erreicht. Als er das Ortseingangsschild passiert, erkennt er rechts von sich auf dem Busparkplatz zwei Reise- busse seiner Firma. Er hebt die Hand und winkt den Kollegen zu. Offensichtlich haben sie die Zeiten halten können. Nur er kommt wieder zu spÀt. Er biegt um die Ecke zum Gasthof " Goldenes Lamm" und sieht schon aus einiger Entfernung den Assistenten des Werbesprechers wild gestikulieren. Laufend hebt er drohend seine Hand in Richtung eines Àlteren Herrn.
" Was ist denn los?", fragt er, nach dem er angehalten und die vordere EinstiegstĂŒr geöffnet hat. " Warum regst du dich so auf?"
" Der Mann hier will sich vor der Werbung drĂŒcken. Wo gibt's denn sowas!"
Lange reicht dem Aufgebrachten das Mikrofon. " Hier, nimm! BegrĂŒĂe erst mal deine GĂ€ste!"  Lange will von dem verschĂŒchterten Ă€lteren Mann ablenken. Es gelingt ihm auch. Der Assistent des Sprechers hat sich wieder beruhigt.
" Wieviele Leute hast du eigentlich?"
" 68!"
" Mann o Mann, da ist ja die Bude bis auf den letzten Platz gefĂŒllt."
" Ist doch gut fĂŒr euch, oder nicht? Da könnt ihr ja richtig verkaufen!"
" Stimmt! Schindelhuber wird sich freuen. Hoffentlich kaufen sie auch. Hast du was gesagt?"
" Ich werde mich hĂŒten!"
" Also gut. Fangen wir an. Ich wĂŒnsche ihnen einen Guten Morgen, meine Damen und Herren. Mein Name ist Hendrik und ich bin ein Mitarbeiter von Herrn Schindelhuber, ihrem heutigen Sprecher auf der Veranstaltung. Hatten sie eine gute Fahrt?"
Die FahrgĂ€ste bejahen die Frage und klatschen. Hendrik, der sich offenbar fĂŒr unwiderstehlich hĂ€lt, sieht Lange an. Dann wendet er sich wieder den GĂ€sten zu. " Ich hoffe, sie haben viel Geld einstecken. Wir bieten ihnen nur beste Ware aus erster Hand. Sie haben doch, oder?"
Schweigen im Bus. Leise flĂŒstert er, ohne das die anderen ihn verstehen können: " Was hast du denn hier fĂŒr Gurken angeschleppt. Von welchen Nestern kommen die denn. Können die ĂŒberhaupt reden?"
Lange kennt die SprĂŒche zur GenĂŒge.
" Schindelhuber wird verrĂŒckt, wenn er solche TrantĂŒten vor sich sitzen sieht," stellt Hendrik fest..
" Also dann! Folgen sie mir bitte! Herr Schindelhuber wartet! Folgsam wie Schafe trotten die Leute hinter Hendrik her. Die nĂ€chsten sechs Stunden werden sie von einem ausgekochten Werbesprecher in Beschlag genommen. Redegewandtheit und unglaubliche Energie wird er ausstrahlen und seine Waren zum Kauf anbieten. Er hat sie fĂŒr billigesGeld eringekauft und wird mit einem Gewinn von mindesten 400% nach Hause fahren. Das ist sein Ziel! Koste es, was es wolle!
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Im Saal hat die Werbeveranstaltung begonnen. EinhundertfĂŒnfzig Frauen und MĂ€nner im restlos gefĂŒllten Saal des Gasthofes lauschen gebannt den Worten des Herrn Schindelhuber. Er ist ein groĂgewachsener Mann im mittleren Alter mit graumelierten SchlĂ€fen.
" Hier, meine Damen und Herren, habe ich die neueste Errungenschaft der berufsbegleitenden Medizin. Schlafdecken, meine Damen und Herren, aus erster Hand und in allerbester QualitĂ€t. Hier mein Herr, probieren sie. Fassen sie dieses Lammfell an. Es wird sie begeis- tern. Die eingenĂ€hte heizspirale sorgt dafĂŒr, dass sie stĂ€ndig eine wohlige WĂ€rme am Körper verspĂŒren. Und das wollen sie doch alle, oder? Ist das was, meine Dame? Sind sie auch so begeistert davon wie ich? Ich frage sie, sind sie es?"
" ja,ja," haucht eine etwas dickliche Frau in Schindelhubers Mikrofon, was diesen augenblicklich in VerzĂŒckung geraten lĂ€sst.
" Sehen sie, meine Herrschaften, ich habe ihnen nicht zu viel versprochen. Greifen sie jetzt zu und kaufen sie. Nur noch wenige Decken sind zu haben. Ihre VorgĂ€nger haben mich in den letzten Tagen nahezu leergekauft. Nur mit MĂŒhe konnte ich einige der neuesten Exemplare fĂŒr sie zurĂŒckhalten. Mein Hendrick hĂ€tte am liebsten gleich alle verkauft. Aber nicht mit mir, meine Damen und Herren."
" Also, wer macht den Anfang? Nur nicht so schĂŒchtern. Keiner tut ihnen hier etwas. Nur eintausend Mark fĂŒr die Decke, meine Herr- schaften. Sie brauchen sie auch nicht zum Bus schleppen. Das erledigen meine Mitarbeiter und die Busfahrer fĂŒr sie. Wozu sind die sonst da." "Ha-ha, kleiner Witz am Rande. Na wie schön! Die ersten GĂ€ste haben sich aufgerafft. Zehn Decken habe ich hier noch liegen. Also, wer will in Zukunft in einem warmen Bettchen liegen!"
" Hendrik, zĂ€hlen sie mal die ausgestreckten HĂ€nde!" Â
" Eins, zwei, drei, vier..., sechszehn und siebzehn."
" Siebzehn, meine Damen und Herren, brĂŒllt Schindelhuber los. " Was mach ich denn jetzt? Hendrik, Hendrik, wo sind sie denn nur? Hendrik, haben wir in unserem Lager viellicht doch noch sieben von den wunderschönen Schlafdecken herumliegen? Schauen sie nach. Dalli, dalli! Die Leute sollen nicht warten mĂŒssen! Das man immer erst seine Mitarbeiter auf Trap bringen muss, bis sie Bewegung geraten. Furchtbar ist so was!"
Schindelhuber gluckst wie eine Henne. Hendrik bringt mit einer Kellnerin des Gasthofes die fehlenden sieben Schlafdecken angeschleppt. Mit einem Augenzwinkern legt er sie seinem Chef auf den Tisch.
" Haben sie ein GlĂŒck, meine Damen und Herren. Mein Hendrik hat fĂŒr sie die fehlenden Decken im Lager noch gefunden. Ist das nicht einen Beifall wert ? Einen Applaus fĂŒr unseren Hendrik, meine Herrschaften!"
Hendrik verbeugt sich vor dem Publikum und grinst. TatsĂ€chlich erfĂŒllt Beifall den Saal. Er ist zwar spĂ€rlich. Aber immerhin! Schindelhuber ist zufrieden. Er hat den Saal jetzt fest im Griff!
" Ja mei, wĂ€r doch gelacht wenn's anders wĂ€re!" I bin eben doch der Beste! Stimmt's, Hendrik?"Â
Michael Lange erlebt die schauspielerischen Glanzleistungen des Schindelhuber und seines Assistenten Hendrik nicht mehr mit. Er ist zu seinen Kollegen auf den Busparkplatz gefahren. Mit angstvollem Blick verfolgt er seit geringer Zeit, wie die Nadel der Temperaturanzeige bedenklich nach oben schnellt.
" Es wird doch kein Keilriemen weggeflogen sein?", denkt er, wĂ€hrend er seinen Bus mit Hilfe eines Kollegen rĂŒckwĂ€rts in die Parkspur setzt. Im AuĂenspiegel sieht er, wie sich der zweite Kollege unter den Bus beugt und an seiner Hand riecht.Â
" Ist es Diesel oder Wasser", ruft Lange nach hinten.Â
" Wasser! Vermutlich tropft es aus dem KĂŒhler! Ăffne mal deine Motorraumklappe."
Lange steigt aus dem Bus und reicht den Kollegen die Hand. " Das fehlt mir gerade noch! Ob es in der Stadt eine Omnibuswerkstatt gibt?"
" Ich glaube ja", meint einer der Kollegen. " Sie befindet sich wohl am anderen Ende der Stadt. Soll nicht schwer zu finden sein. Aber sie hat eine saublöde Zufahrt. Da kannst du nur vorwĂ€rts oder rĂŒckwĂ€rts ein- oder ausfahren. Ein Bekannter von mir war schon einmal dort. Sehr hilfsbereite Leute im ĂŒbrigen. Am bsten ist, du fĂ€hrtst gleich mal hin."
" Hast recht. Besser so, als wenn ich heute Abend irgendwo in der Pampa stehen bleibe. das muss ja nicht sein."
Lange startet den Motor und fĂ€hrt los. Wie sein Kollege gesagt hatte, findet er die Werkstatt auf Anhieb. Er wartet auf der HauptstraĂe bis der Gegenverkehr an ihm vorbeigerollt ist und steuert dann auf die Einfahrt des WekstattgelĂ€ndes zu.
" Die ist ja schmaler als ich dachte. Wie kann man nur so eine Zufahrt fĂŒr Lkw's und Busse bauen?"
Er muss den schweren Reisebus gerade in der Spur halten um zu verhindern, dass er seitlich in einen Graben rutscht. Auf seiner rechten Seite nimmt er eine Betriebseinfahrt war. Davor steht ein kleines WachhÀuschen aus Holz. Rechter Hand davon sichert ein Maschendraht- zaun das GelÀnde. Michael Lange erkennt im Vorbeifahren noch ein graues Schild mit dem Namen einer Maschinenfabrik darauf. Es ist an einem blau weià gestrichenen Schlagbaum angebracht.
Lange fĂ€hrt auf den Hof der Omnibuswerkstatt. Er sieht zwei MĂ€nner, die heftig miteinander diskutieren. Einer davon ist der Meister des Betriebes. Lange grĂŒĂt freundlich. " Sie wĂŒnschen?, wird er gefragt.
" Ich bitte sie mal nach meinem KĂŒhler zu sehen."
" Was ist mit dem?, antwortet der Meister. " Soll ich nachsehen ob er noch da ist! Oder was meinen sie!"
" Von wegen ganz nett", denkt Lange noch als er sich reden hört:: " Nein, nein. Ich glaube nur, das er ein Leck hat."
" Das ist natĂŒrlich etwas anderes. Also sehen wir mal nach. Zeit ist Geld!"
" Ja mei", sagt er dann. " Ich glaube, sie werden in KĂŒrze einen neuen KĂŒhler brauchen können. Der hier ist total durchgerostet. Im Moment habe ich aber keinen auf Lager. Wenn sie wollen, kann ich ihnen bis morgen frĂŒh einen Neuen beschaffen! Sind sie lĂ€ngere Zeit hier in der Gegend?"
" Nein, nur bis heute Abend."
" Das ist nicht gut. Das einzige was ich fĂŒr sie im Moment tun könnte, wĂ€re ein Dichtungsmittel in den KĂŒhler zu fĂŒllen. Das hĂ€lt fĂŒr die nĂ€chsten Tage den KĂŒhler dicht. Da brauchen sie keine Bedenken zu haben."
" Wollen wir das machen?"
" Das wollen wir machen!" Lange ist erleichtert.
" Was bekommen sie von mir?"
" Nichts. Ist geschenkt und Gute Fahrt!"
" Danke," sagt Lange und reicht dem Meister die Hand.
" GrĂŒĂ Gott," ruft der ihm lachend hinterher.
Lange steigt in seinen Bus und legt den RĂŒckwĂ€rtsgang ein. Vorsichtig rollt er langsam aus dem Hof des WerkstattgelĂ€ndes. Er muss wieder höllisch aufpassen, dass er nicht zu weit an den Graben herankommt. Im rechten AuĂenspiegel sieht er hinter sich die Torein- fahrt der Maschinenfabrik auftauchen. Ganz vorsichtig fĂ€hrt er in sie hinein. Hinter dem Fenster des Wachhauses erkennt er das Gesicht einer Frau. Lange lĂ€chelt ihr freundlich zu. Sie winkt ihm zurĂŒck. Nachdem er sich mit einem schnellen Blick davon ĂŒberzeugt hat das um den Bus herum alles frei ist, schlĂ€gt er das Lenkrad nach links ein, schaltet in den zweiten Gang und fĂ€hrt los. Fast ist er schon um die Kurve herum, als es seitlich neben ihm kracht! FĂŒr einen Moment ist er erschrocken. Schnell vergewissert er sich noch einmal in den AuĂenspiegeln - kann aber nichts feststellen.
" Das Krachen kann nicht von mir gewesen sein", hofft er instĂ€ndig fĂŒr sich.
Er fĂ€hrt wieder an und dieses Mal gibt es einen noch gewaltigeren Schlag. Er macht eine Vollbremsung und springt mit einem Satz aus dem Bus. Schlagartig fĂŒhlt sich Lange in einen schlechten Film versetzt. Mit Entsetzen stellt er fest, wie die WĂ€nde des PförtnerhĂ€us- chens sich in Zeitlupe in alle vier Himmelsrichtungen auseinanderlegen.
" O mein Gott", stöhnt er auf. " Das ist nicht wahr. Sag mir, das ich trÀume!"
Mit fĂŒrchterlichem Getöse fallen die HolzwĂ€nde auf die Erde. Lange springt noch durch einen offenen Spalt in das HĂ€uschen hinein. Mit einem Ruck zieht er die schockierte Wachfrau, die ihm eben noch zugewunken hatte, aus den TrĂŒmmern. Widerstandslos lĂ€sst sie sich von Lange wegfĂŒhren. Sie begreift nicht was soeben passiert ist.
" Kommen sie, wir mĂŒssen hier weg", schreit Lange sie an. " Das Dach kommt!"
Starr vor Schreck und wie versteinert steht die Frau vor den Resten ihres ehemaligen Arbeitsplatzes. Laut weint sie vor sich hin. Lange nimmt sie in den Arm und versucht sie zu trösten. Wieder poltert etwas mit ohrenbetĂ€ubendem LĂ€rm zu Boden. Das Dach hat sich endgĂŒltig verabschiedet. Lange ist auĂer sich vor Angst!
" Sind sie wirklich in Ordnung?", fragt er die Frau immer wieder.
Plötzlich muss Lange laut lachen. Besorgt schaut die Frau ihn an. Jetzt hört sie es auch. Ein Telefon klingelt unter der zerlegten HĂŒtte. Sie suchen danach und finden es unter einem Haufen Brettern, Papier und Pappe.
" Jawohl Chef", sagt die Frau immer wieder weinerlich in den Hörer. " Jawohl, Chef!"
Lange begutachtet seinen Bus und ĂŒberlegt, womit er das Wachhaus zum Einsturz gebracht haben könnte. Mit gewisser Erleichterung stellt er fest, dass auĂer an der oberen rechten Begrenzungsleuchte und einem kleinen Kratzer an der rechten hinteren Heckseite nichts zu sehen ist. DafĂŒr ist die Pförtnerbude weg! Immer noch hĂ€lt er die Frau an der Hand. Sie kann sich nicht beruhigen!
" Sagen sie mal, wer ist das, der da hinten so angschossen kommt?"
In einiger Entfernung hat Lange einen Mann gesichtet.
" Das ist der Chef!"Â Oh Gott, oh Gott!"
 Der Mann ist inzwischen bei ihnen angekommen. Das Hemd ist ihm aus der Hos gerutscht und sein Binder hĂ€ngt schlaff an ihm herunter. Völlig auĂer Atem brĂŒller los: " Was ist denn hier passiert? Hier sieht's ja aus wie auf einem Schlachtfeld!"
" Bevor sie weiterreden", wirft Lange ein, " muss ich ihnen etwas sagen!
" Wer sind sie denn?"
" Das will ich ja gerade erklĂ€ren. Ich bin der Busfahrer, der aus ihrem Wachhaus gerade Kleinholz gemacht hat!" Â
Der Chef ist verdattert und hatte mit so einer Antwort nicht gerechnet. Er wirkt völlig ĂŒberrumpelt und wird augenblicklich ruhiger.
" Na dann mein Freund, dann folgen sie mir mal."
" Und sie Frau Fleischberger, sie gehen in's Sekretariat und lassen sich einen Schnaps geben. Das hilft!"
" Danke Chef! Ich weiĂ gar nicht, wie das passieren konnte. Ich kann mich an nichts erinnern!"
Nachdenklich schaut der Chef auf das Kennzeichen am Reisebus. " Sie sind doch aus der ehemaligen DDR, junger Mann?"
" Jawohl."
" Kommen sie jetzt endlich! Ich habe mit ihnen noch ein HĂŒhnchen zu rupfen!" Lange wird ĂŒbel. " Der wird mich zur Sau machen und ordentlich zur Kasse bitten! Mein Gott, was habe ich nur fĂŒr einen Mist gebaut!"Â Â Â
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"Nehmen sie Platz!" Der Chef und Lange sind in dessen BĂŒro angekommen. Es ist ein vornehmer Raum mit schwarzen Ledersesseln und einem Tisch aus Eichenholz. BĂŒcher sieht Lange keine. DafĂŒr aber Berge von Akter.
" Sie kommen aus Dresden, der Stadt an der Elbe?"
" So ist es! Woher wissen sie das eigentlich?"
" Das höre ich an ihrer Aussprache. Sie sÀchseln! Ich komme nÀmlich auch von dort aus der NÀhe! Auch wenn man das an meiner Sprache nicht mehr hört! 1959 bin ich da weg. Ich habe damals hier den kleinen Betrieb geerbt. Nicht schlecht, was?"
Lange schluckt und nickt höflich.
" Aber jetzt genehmigen wir uns erstmal einen auf den Schreck! Sie sind mir sympathisch. Auch wenn ich nicht gutheiĂen kann, was sie hier fĂŒr Chaos hinterlassen! Aber sie eiern wenigstens nicht so 'rum! Stehen zu ihrem Mist, den sie gebaut haben. Das gefĂ€llt mir!"
Der Chef fĂŒllt zwei CognacglĂ€ser bis zum Rand und stöĂt mit Lange an.
" Worauf?", fragt Lange.
" Darauf, mein Freund, dass sie der erste Landsmann sind, der sich zu mir verirrt hat. Und zweitens, dass sie meinen Handwerkern viel Arbeit abgenommen haben!"
" Wie bitte?"
" Wie bitte, wie bitte", Àfft der Chef ihm nach.
" Sie haben ganze Arbeit geleistet! Die alte Pförtnerbude sollte schon lange einmal abgerissen werden! Wohl bekomm's!"
UteSchuster das ist so lebendig geschrieben - wie das nur jemand kann, der eine solche Fahrt erlebt hat. OK ich war noch nie auf einer Werbeveranstaltung und habe auch noch nie ein PförtnerhĂ€uschen plattgelegt, aber ich glaubte eben wirklich ich bin dabei gewesen. Eigentlich bin ich jetzt fast ein bissel neugierig auf so eine Fahrt. Liebe GrĂŒĂe Ute |