Biografien & Erinnerungen
Der Schlüssel

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"Der Schlüssel"
Veröffentlicht am 22. Juli 2010, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Rainer Güllich, Jahrgang 1954, lebt in Marburg/Hessen. Als begeisterter Leser schon ewig von dem Wunsch getrieben selbst zu schreiben, nahm er an einem Kurzkrimiwettbewerb teil, der im Rahmen des 1. Marburger Krimifestivals stattfand. Er kam auf einen der vorderen Plätze und sein Kurzkrimi ?Hass? wurde in der regionalen Presse veröffentlicht. Dadurch motiviert belegte er seinen ersten Schreibkurs in kreativem Schreiben. Weitere schlossen sich an ...
Der Schlüssel

Der Schlüssel

Beschreibung

Über die Tücken des Alltags

Der Schlüssel

Es war an einem Freitagabend. Ich hatte mir den Schlüssel vom Schlüsselservice anfertigen lassen. Ein Schlüssel für eine ganz normale Zimmertür. Ich wohnte in einem Zimmer, im obersten Stockwerk, beziehungsweise unter dem Dach, einer Altbauwohnung. Studentenwohnung. Klein, nicht teuer, aber auch nicht schön. Ich war kein Student, nur Berufsaufbauschüler. Mit dem Bafög, das ich bekam konnte ich mir immerhin ein solches Zimmer leisten. Seit kurzer Zeit hatte ich eine  neue Freundin. Es war was Ernstes. Deshalb die Anfertigung des Schlüssels. Er war für sie.

Ich sah mir den Schlüssel an. Am Bart hatte er eine verdächtig dünne Stelle. Ich machte den Mitarbeiter des Schlüsselservice darauf aufmerksam. Ob der Schlüssel denn nicht genau an dieser Stelle brechen könne, die doch erstaunlich dünn sei meinte ich. Könne nicht passieren meinte der nette Herr vom Schlüsselservice. Ich glaubte ihm zu vierzig Prozent und dachte mir, dass ich die Sache ja testen könne.

Ich begab mich also in meinen Wohn- und Lebensraum, schloss die Tür von innen, nahm den neuen Schlüssel, steckte ihn ins Schloss und drehte den Schlüssel herum. Der Schlüssel schloss … genau einmal. Ich hörte wie die Zunge des Schlosses einrastete, zog den Schlüssel heraus und hatte den Schlüssel ohne den Bart in der Hand. Der abgebrochene Bart verblieb im Schlüsselloch. Die Tür war verschlossen. Ich hatte also doch Recht gehabt. Der Bart war zu dünn gefeilt worden. Na gut. Ich nahm meinen Originalschlüssel um die Tür wieder aufzuschließen. Es gelang mir nicht den Schlüssel in das Schlüsselloch zu stecken, der abgebrochene Bart blockierte das Schlüsselloch. Ich hatte mich also selbst eingeschlossen, hatte mich in meinem eigenen Zimmer zum Gefangenen gemacht. Was jetzt. Als Erstes kochte ich mir einen Kaffee und überdachte die Lage. Ich musste den abgebrochenen Bart aus dem Schlüsselloch entfernen. Nachdem ich meinen Kaffee getrunken hatte machte ich mich mit optimistischem Schwung daran das Problem zu lösen. Ich versuchte mit verschiedenen Gegenständen an den abgebrochenen Bart heranzukommen. Es gelang mir weder mit einer Pinzette, einer Ahle, einem Stück Draht und auch nicht mit einer Kuchengabel an diesen verflixten Bart zu gelangen. Mittlerweile stand mir der Schweiß auf der Stirn. Eine Mischung aus Angstschweiß und Anstrengung.

Ich unterbrach meine Bemühungen, setzte mich auf meinen überdimensionalen Fernsehstuhl, der mindestens ein Drittel des Zimmers beherrschte und dachte über das Problem nach. Mir fiel nichts ein.

Da hörte ich aus dem Nebenzimmer Stimmen. Mein Zimmernachbar hatte wohl Besuch. Schön, vielleicht war von hier Hilfe zu erwarten. Ich ging zu einem meiner kleinen Fenster, die auf das Dach hinausgingen, öffnete es und rief, etwas zaghaft allerdings: „Hilfe!“ Als sich nebenan nichts tat, etwas lauter: „Hilfe“! Als sich immer noch nichts rührte, rief ich mit lauter Stentorstimme: „Hilfe“!

Nebenan öffnete sich ein Fenster, ein Kopf erschien, der mich fragte was denn los sei. Ich erklärte die Sachlage. Der Kopf sagte: „Ich komme rüber.“

„Wie bitte?“ Das war ich.

„Ich komme rüber. Kleinen Moment.“ Der Kopf.

Eine Gestalt schwang sich aus dem Zimmer, machte zwei, drei Schritte über den Teil des Daches unterhalb meines Zimmers und schwang sich zu meinem Fenster herein. Rudolf, mein Zimmernachbar, stellte sich vor. Wir hatten uns nämlich noch nicht kennen gelernt.

Er begutachtete das Problem, probierte auch mit meinen diversen Nichtwerkzeugen an dem Türschloss und kam abschließend zu dem Schluss, dass da nichts zu machen sei. Die einzige Idee die er hatte, war die, dass man die Tür von außen öffnen müsse, was hieß, dass sie von außen aufzubrechen sei. Von außen deshalb weil die Tür sich nach innen öffnete, somit von außen ein optimaler Kräfteeinsatz möglich war.

Da sich für mich die Situation immer mehr zuspitzte, hatte ich nun nicht nur eine verschlossene Tür vor mir, sondern auch noch einen wildfremden Menschen in meinem Zimmer, stimmte ich zu. Nicht, dass mir Rudolf Angst eingejagt hätte, doch ich ein von Natur aus sensibler Mensch, fühlte mich insgesamt von der Situation überfordert.

Rudolf verschwand also wieder mit akrobatischer Eleganz aus dem Fenster und hangelte sich über das Dach in seinen Wohnraum. Wenig später hörte ich seine Stimme außen vor meiner Tür: „Wir wären so weit!“

„Dann los!“, sagte ich. Ich hörte einen lauten Schlag und ein knirschendes Knacken. Ein Teil der Türeinfassung flog mir entgegen, mit ihr stürzten Rudolf und noch zwei andere junge Männer in mein Zimmer. Mit lautem Hallo begrüßten mich Bernhard und Wolfgang, begutachteten auch noch mal das Schloss und meinen abgebrochenen Schlüssel und ließen mich dann allein. Da stand ich nun mit meiner aufgebrochenen Tür.

Meine neue Freundin, die später zu Besuch kam, staunte nicht schlecht, als sie die aufgebrochene Tür erblickte. Ursprünglich hatte sie ja vorgehabt bei mir zu übernachten, doch war sie es gewohnt bei geschlossener Tür zu schlafen. Das war aber in Anbetracht der aufgebrochenen und nicht wieder zu verschließenden Tür für sie nicht möglich. Sie bedauerte, mir dies mitteilen zu müssen.

Trotzdem haben wir vier Jahre später geheiratet.

 

 

 

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Hörbuch

Über den Autor

Epilog
Rainer Güllich, Jahrgang 1954, lebt in Marburg/Hessen. Als begeisterter Leser schon ewig von dem Wunsch getrieben selbst zu schreiben, nahm er an einem Kurzkrimiwettbewerb teil, der im Rahmen des 1. Marburger Krimifestivals stattfand. Er kam auf einen der vorderen Plätze und sein Kurzkrimi ?Hass? wurde in der regionalen Presse veröffentlicht. Dadurch motiviert belegte er seinen ersten Schreibkurs in kreativem Schreiben. Weitere schlossen sich an und als Folge davon erschienen in kurzer Zeit seine beiden ersten Krimianthologien. Der Kriminalroman ?Unter Druck - Ein Marburg Krimi? folgte.

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Epilog Re: -
Zitat: (Original von Nachtschatten am 17.07.2011 - 18:07 Uhr) Ich bin einfach über einen Kommentar von dir hier gelandet, und da man nie so genau weiß wo man landet *g* kann ich sagen : " Es hat sich geloht. "
Ich mag deinen humoristischen Schreibstil, und wie du es schaffst dem Leser bis zum Schluß keine langweilige Minute zu bescheren.
Freundliche Grüße,
Nachtschatten

Uuhps, das freut mich sehr.
Liebe Grüße
Rainer
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Epilog Re: ... und wahrscheinlich ... -
Zitat: (Original von Gunda am 17.08.2010 - 09:22 Uhr) ... verbindet dich bis heute mit Rudolf, Bernhard und Wolfgan eine innige Freundschaft? :o))

Habe mich eben mal durch deine Geschichten gewühlt und muss sagen, dass du absolut ein Gewinn für MyStorys bist.

Lieben Gruß
Gunda


Liebe Gunda,
vielen Dank für den netten Kommentar. Freue mich sehr darüber.
LG
Rainer
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Gunda ... und wahrscheinlich ... - ... verbindet dich bis heute mit Rudolf, Bernhard und Wolfgan eine innige Freundschaft? :o))

Habe mich eben mal durch deine Geschichten gewühlt und muss sagen, dass du absolut ein Gewinn für MyStorys bist.

Lieben Gruß
Gunda
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Mollysusi Nette, herzerfrischende Geschichte, mitten aus dem Leben gegriffen. Beim Happy End wird für jewöhnlich abgeblend. Hoffe, du bist immer noch verheiratet :-)
gglG
Marina


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