Gefühlsbeben
Da kam es doch neulich zu einem Gefühlsbeben, einem Beben, das alle Gefühle von ihren Plätzen warf und seitdem waren sie völlig durcheinandergeraten.
Niemand wusste eigentlich, was das Beben ausgelöst hatte, und deshalb gaben sie sich gegenseitig die Schuld daran. Gefühle, die sonst friedlich und einträchtig zusammenlebten, waren in Streit geraten und beschimpften sich gegenseitig, die Eintracht war verloren..
Kann sich einer vorstellen, was das für ein Durcheinander war? Ich kann nur sagen, schrecklich.
Jedes wollte vorne dran sein und drängte die anderen rigoros zur Seite. Ja, sie beschimpften sich sogar in übelster Weise. So konnte sich der Mensch überhaupt nicht mehr auf seine Gefühle verlassen, sie verdrängten sich andauernd gegenseitig, es ging hin und her, das Gefühlsbeben nahm kein Ende mehr.
„Lass mich mal vor, du alte Heulsuse", sagten sie zur Traurigkeit, „steh mir nicht andauernd im Weg, du verlogene Einschmeichlerin", zur Liebe, „mach mal, dass du fortkommst, du hysterische Euphorin", zur Freude, „weg da, du altruistische Kuh", zur Hilfsbereitschaft, und so ging es immer weiter.
Alle hatten für alle ein Schimpfwort, und wenn sie keines hatten, erfanden sie einfach ein neues.
Die Situation wurde unerträglich.
Das konnte nicht lange so gehen, denn es war einfach nicht zum Aushalten.
Den Menschen gefiel dieses Gefühlsdurcheinander auch nicht, und weil sie weder aus noch ein wussten, verschlossen sie sich einfach vor den Gefühlen, sie sperrten sie aus, wollten nichts mehr von ihnen wissen.
So war es für alle einfacher, dachten sie, aber es fehlte mit der Zeit doch etwas. Sie vermissten ihre Gefühle. Aber auch die Gefühle fühlten sich nutzlos.
Na klar, was waren denn Gefühle ohne Menschen? Nichts.
Genauso war es aber auch mit den Menschen.
Was sind denn Menschen ohne Gefühle? Auch nichts.
Auf jeden Fall keine richtigen Menschen. Es stellte sich auch die Frage, was sie ohne Gefühle mit ihren Seelen anfangen sollten, denn diese waren dringend auf die Gefühle angewiesen. Ohne das Fühlen würden sie verkümmern und wären eines Tages einfach nicht mehr da. Spurlos verschwunden.
Und so beschlossen die Menschen, sich mit den Gefühlen zu beraten. Auch die Gefühle waren bereit nach einer Lösung zu suchen. Ihr Treffpunkt war der große Seelengarten, das war ein passender Ort.
Die Menschen und die Gefühle standen sich dort gegenüber und konnten sich gegenseitig in ihrer Armseligkeit betrachten.
Gefühllose Menschen, wie tot, die nicht das kleinste Lächeln mehr zustande brachten und leere, leblose Gefühle, die töricht, nutzlos herumstanden.
Was sie da sahen, gefiel ihnen überhaupt nicht, kein Vergleich mehr mit früher.
Menschen ohne Gefühle und Gefühle ohne Menschen, eines so dürftig wie das Andere, das durfte es nicht geben.
Sie standen eine Weile da und gaben kein Wort von sich, keiner wollte anfangen zu reden, bis es der Liebe zu dumm wurde. Sie fing einfach zu sprechen an.
"Meine lieben Freunde",.sagte sie, ich darf euch doch wohl noch Freunde nennen, denn ich habe meine Zuneigung zu euch nicht verloren. In der letzten Zeit haben wir es doch alle gespürt, wir können ohne einander nicht bestehen. Jeder gehört an seinen passenden Platz. Es hat doch keinen Sinn, dass wir uns gegenseitig bekämpfen, wir sind, wie wir sind, völlig aufeinander angewiesen. Ich bitte euch liebevoll, lasst uns Freunde sein, so wie wir es immer waren und ihr meine lieben Menschen nehmt uns wieder bei euch auf und erlaubt uns eure Seelen zu beleben. Da überlegten die Menschen nicht lange, sie vermissten ihre Gefühle, so sehr, wie es ohne Gefühle eben ging. Doch dabei half ihnen ihr Gedächtnis, das sie daran erinnerte wie schön und gefühlvoll es früher war. Sie waren bereit sich ihren Gefühlen wieder zu öffnen und diese in ihre Seelenkammern einzulassen. Auch die Gefühle kamen zurück in ihre Heimat, in die Herzen der Menschen. Allen wurde mit Liebe alles verziehen. Wie waren sie miteinander froh, dass es endlich ein Ende hatte mit den Streitigkeiten und wieder friedvolle Gedanken bei ihnen ihren Einzug hielten. Es war wieder, wie es sein sollte.
Und wem hatten sie die Einigung zu verdanken? Es war die Liebe, die allumfassende Menschenbegleiterin, unser aller höchstes Gut. Der Liebe sei Dank, die für ihre Bereitschaft immer wieder zu verzeihen, von den Menschen, an die erste Stelle gehoben wurde, und das ist so, bis zum heutigen Tag.
copyright Barbara Kopf
www.gewortet.de