Das Schwarze Auge ist ein Rollenspiel, welches in einer mittelalterlichen, fantastischen Welt voll von Helden, Magiern und Dämonen spielt. Akon ist ein Kind der Wüste, bei dem die unheimliche Macht der Magie entdeckt wird. In der gläubigen Region der Khom sind Magiebegabte nicht gerne gesehen. Alles richtet sich in seinem Leben darauf aus, dass er einst dem Erzdämonen Amazeroth begegnet und mit ihm ein Gespräch um seine Seele beginnt.
Wer bist du?
Abstoßende Gerüche treiben um das Unheiligtum, greifen nach mir und wollen mich hinabziehen und mir die Sinne rauben. Ich kenne sie, sie stammen aus meinem Leben, stammen aus meiner Vergangenheit, sind von mir. Eine Erinnerung nach der anderen wird durch die Geruchswolke geweckt. Ein Erinnerungsblitz nach dem anderen schießt durch meinen Leib und treibt mich von der höchsten Euphorie hinab in die tiefste Traurigkeit.
Meine Unterlagen wirbeln von dem Elend erfasst durch die Luft. Die Donaria sind nicht angenommen worden. Spiegelsplitter reißen an meiner Haut oder graben sich tief in mein Fleisch.
Der Kreis ist verwischt. Mein Geist wird erfasst.
Wo kommst du her?
Dunkle Stimmen tasten nach mir - welch eine überragende Existenz.
Ich darf schauen dies Wesen.
Amazeroth, Widersacher Hesindes, Iribaar der Prächtige, der erzdämonische Blender, Herr des verbotenen Wissens.
Wie schwer es doch ist, sein Wissen zurückzuweisen.
Leise nur, immer tiefer, dringt die Stimme, schmeichelt mir, bietet mir Wissen, uralte Geheimnisse, Namen, Wahre Namen und Orte jenseits meiner Vorstellung. Er führt mich in Sekunden durch verschlungene Gänge, tief hinein über versteckte Pfade, durch Tunnel die seit Jahrhunderten kein lebendes Auge mehr geschaut hat. Bis hinein in die Gräber der Magiermogule. Er zeigt sie mir, die Schätze der Ahnen. Dann, wir wirbeln gemeinsam durch den Raum, durch die Zeit, hin zu der alten, verschollenen Bibliothek Bosparans, hin zu den Schatzkammern des Diamantenen Sultanats. Sie alle, sie sind zum greifen nahe, ich spüre den Staub wie er sich auf meine Lieder legt, spüre die Magie, die durch die Räume schleicht, sehe die Schatten, die es beschützen – voll ist mein Verstand mit den Eindrücken der Sekunden, voll mit all dem nach dem mein Geist dürstet. Alles solle mir gehören, wenn ich mich Ihm unterwerfe. Welch ein Unglück. Er spricht mit mir und dann führt er mich zurück, zeigt mir mein Leben.
Du bist Akon ben Rashid ibn Amchur Sharif, Dämonologe der Pentagramm-Akademie zu Rashdul. Erzähle von dir!
Er führt mich zurück, zurück in jene Tage, als mich noch die Stimme meines Vaters umfing und mitnahm hin zu den Orten, die durch die Fantasie erschaffen werden. Mein innerstes Sein ist bestimmt durch diese Zeit. Er wird mich finden, ergründen und dann bezwingen, ganz so wie er es mit allen anderen getan hat. Oh Rastullah, steh’ mir bei.
„Akon, Akon, komm endlich.“
„Ja, Vater.“
Ich war ein für meine acht Jahre sehr kleiner und schmächtiger Junge und doch blickten mir die anderen Kinder enttäuscht hinterher. Sie kannten mich kaum und doch hörten sie mir gerne zu, ganz so, wie sie es bei meinem Vater, dem Haimamud, taten. Seine Geschichte indes, hing noch wie schwere Luft über der kleinen Oase, so als wolle ein jeder sie nicht gehen lassen und sie mitnehmen hin zur Schlafstätte und sie sich für die Nacht zurechtlegen, mitnehmen in einen schönen Traum, denn die Geschichten meines Vaters waren immer gut und erfreuten das Herz von jedem seiner zahlreichen Zuhörer.
Die tiefen Augen meines Vaters besahen sich die Umgebung, den Himmel und er atmete dabei schwer.
„Es wird einen Sandsturm geben.“, flüsterte er leise zu mir.
Wie nur wenige, konnte mein Vater die Wüste lesen, verstand was sie mit ihrer oft leisen Stimme zu uns wisperte und so hatte ich nicht den geringsten Zweifel, dass es ebenso geschehen würde.
Ich wusste was zu tun war. Wir stellten unser Zelt nahe dem Dattelhain des Ältesten auf, auch wenn es damit seine Gefahren hatte, war es doch am besten so.
Wir hatten, wie ich schon verstand vom Ältesten nur wenig an Datteln erhalten und so waren die spärlichen Gaben für die Geschichte, die mein Vater gen Abend vortrug, alles was wir unseren Mägen anzubieten hatten. Mit den wenigen Münzen ließ sich am Abend nichts mehr kaufen, denn dies wäre nicht im Sinne Rastullahs. Das Wasser war jedoch gut und frisch und schmeckte mehr nach Palmen als nach Sand.
Ich zählte die Münzen mit hungrigem Magen. Mein Vater hatte drei Shekel, sieben Muwlat und sogar zwei Zechinen erhalten.
Nicht viel um sich Lebensmittel für eine Reise durch die Khom zu kaufen.
Der Sturm war nicht wirklich heiß, doch stark genug um uns am Morgen einen großen Vorrat an Datteln auf unserem Zeltdach zu bescheren. Die Augen der anderen blickten uns voller Neid und Missgunst an. Es kümmerte uns nicht, denn so wie es Brauch war, gehörten diese Datteln nun uns. Rastullah hatte sie uns gegeben und kein Sterblicher könnte sie uns nun wieder nehmen. Wir beeilten uns jedoch und packten schnell unsere Sachen, füllten unsere Wasserschläuche und wanderten weiter Richtung Osten.
„Dem Rechtgläubigen wird Rastullah stets beistehen und ihm in Zeiten der Not helfen.“
Mein Vater schmunzelte. Er erfreute sich an der Wüste, sah sich die Dünen an, schaute in die Ferne und genoss die Freiheit, die nur ein wahrhaft armer Mann haben kann.
Meine dünnen Sandalen gruben sich tief in den Sand, während ich bemüht war, den Schritten meines Vaters zu folgen.
Wir waren in der Khom, die weithin ihr Reich besaß, sie war es die herrschte, sie war es die bestimmte. Über ihr war nur Rastullah, der alles betrachtete und alles besah, ob es sich auch so verhielt, wie er es bestimmte.
Doch sie, da war sich mein Vater sicher, war ebenso von ihm bestimmt und doch hatte sie ihren eigenen Weg, den er oft genug zu korrigieren hatte. Doch manchmal, da konnte es geschehen, dass sie sich etwas nahm, dass ihr nicht zustand. Dafür, sagte mein Vater, müsse sie Wiedergutmachung leisten.
Mein Vater war selten traurig, doch wenn ihn die Worte in diese Richtung trieben, konnte man seine seltenen Tränen sehen, die dick und glänzend an seinen Augen hingen. Er nannte dies immer seine Opfergabe für Noraia.
Die Erste hatte sie ihm genommen, seine süße Blume, die feine dunkle Gestalt, die sich aus seinen Träumen manifestiert und die ihm Rastullah zum Geschenk dargebracht hatte, meine Mutter.
Mein Vater hasste die Khom jedoch deswegen nicht. Er hätte es auch nicht gekonnt. Für ihn war sie die Erste, die Verschmähte Rastullahs, die das Glück der Menschen nicht ertragen kann und sie deshalb mit dem Durst und oft genug mit dem Tode bestrafte. Er sieht jedoch auch die Schönheit und oft genug fragt er den Höchsten, wieso er sie verschmäht hat, die alles überstrahlend Alte, die ewig Wartende. Manches Mal, wenn die Stille der Khom nicht mehr stärker erscheinen kann, erzählte mein Vater, dass sie leise sang. Tief in ihr würde sie summen und ein Lied für ihn, den Einzigen, erklingen lassen und sich vielleicht an den Anfang zurückbesinnen können. Mein Vater blickte dann weit in sie hinein, schaute vielleicht auch nur in die Ferne, ob er nicht doch noch einmal seine Noraia würde erblicken können. Denn, so sagte mein Vater, Rastullah möge sie verschmähen, doch so wie ich, wartet sie, wartet und hofft.
Die Sonnenstunden waren schwer, doch lehrte mich mein Vater von seiner Kunst, dass die
Worte mit dem Gefühl fließen und das man sich in die Geschichte begeben muss um sie wahrhaftig und glaubhaft vermitteln zu können.
„Haz, Haz!“
Seine Hand brannte wie eine Fackel. Sein lang anhaltender Schrei überquerte den ganzen Marktplatz und alle Kaufleute, Pilger und Bettler blickten voller Entsetzen zu uns herüber. Ich wollte fliehen, wollte den Ort verlassen, doch ich starrte nur von ihm zu meinem Arm, den dieser noch vor kurzem so schmerzhaft umklammert hatte.
Was hast du getan?
Wütende Flüche und armselige Rastullah-Ausrufer kamen dem armen Mann zu Hilfe. Weißer Stoff wurde um seinen Arm geschlungen, von einem anderen wurde gar Wasser herbeigeschafft. Sand wurde über den Stoff geworfen.
„Hassim, was ist geschehen?“
„Der Junge, ergreift den Jungen. – Er ist ein böser Dschinn.“
Alle blickten zu mir, starrten mich einen Moment ungläubig an. Eine kräftige Hand ergriff mich, warf mich zu Boden.
Ich blickte in dunkle Augen. Sie gehörten zu einem kräftigen Mann, der offenbar Mitglied der Wache war.
Keft, die Oase in der sich der All-Eine uns offenbart hat.
Rastullah, der Erhabene, hat sich in den Sand der Wüste begeben und zu uns gesprochen, uns seine Gesetze gegeben, auf das wir fortan nach seinem Willen leben und handeln können. Jeder Rechtgläubige findet in diesen Gesetzen seinen Weg, er muss ihn nur auch finden wollen.
Was glaubst du?
Ruhollah Marwan al-Hendj war einer der neun Mawdliyat, einer der obersten Glaubensbehüter. Mein Vater war mit mir nach Keft gereist auch um diesen Mann aufzusuchen und sich ihm zu seinen Füssen zu legen und seine Weisheit zu hören.
Meinem Vater war durchaus bewusst, dass dieser weise Mann nicht mit ihm reden würde. Doch es hinderte ihn nicht die weite Reise nach Keft anzutreten.
Rashid ibn Amchur Sharif, mein Vater, war für mich ein sehr weiser Mann, seine Geschichten zeugten davon und viele hörten lieber ihm zu als den Mawdliyat.
Als er mit erhobenem Hauptes auf den Mann zutrat und ihm den rechten und linken Fuß küsste, war es ihm genug und ohne ein Wort an ihn zu richten wollte er wieder gehen.
Darauf sprach Ruhollah meinen Vater an und ich werde diese Worte nie vergessen. Während er sie sprach war ich außerhalb seines Blickes, am Rande des weißen Zeltes: „Ich sehe einen guten Mann, Rastullah hat wohl an euch getan. Trauert nicht um eure Entscheidungen, denn der All-Eine hat es so bestimmt.“
Mein Vater schwieg darauf mehrere Tage. Er aß nichts und trank nur wenig. Außerhalb der Stadt waren wir dem Wind ausgesetzt, welcher uns jedoch nur wenig bedrängte. Ich schlief dicht an seiner Seite und sorgte mich sehr, doch nach dem neunten Tage erhob sich mein Vater und wir gingen nach der rituellen Reinigung zu dem Feld der Offenbarung.
Ich trage den Sand, die Handvoll, die mir mein Vater gereicht hatte, noch immer in einem kleinen Lederbeutel um meinen Hals.
Am Abend dieses Tages speisten wir reichlich und ich erlebte meinen Vater nie zuvor und auch nie wieder danach in einer solch ausgelassenen Stimmung. Mein Vater hatte die Worte des Weisen verstanden und es machte ihn glücklich.
Nach dem Vorfall auf dem Markplatz wurde ich in ein Zimmer gesperrt. Ich blickte auf meine Hände, sie sahen so aus wie immer. Keine Spur von dem Feuer war zu sehen, mit welchem ich die Hand des Mannes in Brand gesteckt hatte. Ich verspürte Angst, war mir doch bewusst, das eine harte Strafe, vielleicht der Verlust einer Hand, folgen würde.
Nach gut einer halben Stunde wurde ein seltsamer Mann in den Raum geführt. Er war hager, ähnlich meinem Vater, doch war sein Wesen gänzlich ein anderes. Er blickte umher, so als wolle er nur schnell wieder raus aus diesem Raum.
„Los, tue deine Pflicht oder sollen wir dich wieder peitschen!“
Einer der Wachen gab ihm einen Stoss und er wäre mir beinahe zu den Füssen gestürzt.
„Wagt euch nicht noch einmal mich so zu berühren.“
Einer der Wachen wollte ihm einen Schlag mit seinem Stock verpassen, wurde jedoch von einem anderen zurückgehalten, der die Entschlossenheit in den Augen des Alten gesehen hatte.
Der hagere Mann beruhigte sich, kniete sich zu mir und starrte mir in die Augen.
Er schien sich zu konzentrieren.
„Was macht er da?" hörte ich die Stimme meines Vaters rufen, der gerade in das Zimmer getreten war.
„Haltet ihn zurück.“, rief der Alte.
Irgendetwas geschah. Ich spürte etwas.
Dann, nach endlosen Sekunden, erhob sich der Mann.
Er ging an den Männern vorbei und verlies den Raum.
Ich war allein. Ich hörte ihre Stimmen, verstand jedoch kein Wort. Sie mussten sich leise unterhalten.
Mein Vater kam nach ewigen Minuten und holte mich aus diesem gefühlten Gefängnis. Sein Blick war sorgenvoll und leer.
Ruhollah Marwan al-Hendj und noch einige andere Männer saßen in einem großen Halbkreis und blickten mich voller Abscheu an. Zu ihren Füssen standen, in edelstem Geschirr, Tee und Gebäck, Datteln und andere süße Früchte.
„Bring ihn fort von hier, Rashid. Bring ihn in die Wüste und lass Rastullah entscheiden.“
Als ich mich zu meinem Vater begab, spürte ich wie mir heiße Tränen die Wangen hinunter liefen und der Lederbeutel über meine Kleidung glitt.
Mehrere Männer riefen Rastullahs Namen, erhoben sich, einer entleerte seine Wasserschale in meine Richtung. Das Nass machte meine Tränen unsichtbar.
Alle riefen durcheinander und beschimpften sich gegenseitig. Ich verstand nichts.
Ich wurde zusammen mit meinem Vater von den Wachen nach draußen in die warme Nacht geführt. Die Wachen gingen zurück in das kleine Lehmhaus und versuchten die sich immer lauter streitenden Männer von einer Schlägerei abzuhalten.
Die Weisheit dieser Männer ist einem aufgeschlitzten Ziegenleder sehr ähnlich. Die Kostbarkeit des Inneren fließt beständig in den Wüstensand und ist auf immer verloren. Rastullah berührt einen jeden Menschen, ob sie es spüren oder erkennen ist dabei nicht wichtig, doch sehr hilfreich.
Der seltsame Mann, der mich so lange angesehen hatte, kam auf meinen Vater zu, sprach mit ihm.
„Ich bin Assim. Bitte hört auf mich und führt ihn nach Rashdul. Wartet nicht hier. Sie werden ihn nun nicht mehr ziehen lassen.
Hört auf mich, nur dort kann man eurem Kinde helfen. Geht und Rastullah möge euch schützen.“ Der Mann verschwand in der Nacht. Wir blickten ihm sprachlos nach.
Dort in dieser Stunde hat sich mein Leben entschieden, dort in dieser Entscheidung, hat sich alles geändert, hat sich alles bestimmt. Ich hoffe, dass mein Vater nach Rastullahs Willen gehandelt hat und mich damit gerettet hat.
Warum lebst du?
Wir verließen Keft noch in dieser Nacht und ich habe seitdem die heilige Oase nicht wieder betreten.
Unser Weg führte uns nahe an dem Cinchanebi-Salzsee vorbei, zu nahe.
Aus der dunklen Pforte heraus erschien er, gewandt und einnehmend. Sofort umtosten ihn die hauchenden Schatten der Toten. Er grüßte alle Anwesenden mit einer ehrerbietigen Verbeugung, seinen edlen Hut, ausstaffiert mit der Schwanzfeder eines Gabelweihers, schwang er dabei mit unnachahmlicher Eleganz.
„Mein Name ist Aranil Honoro Treville. Zu euren Diensten verehrte Geister. Leider verfüge ich nicht über meine eigene Zeit, und so muss ich mich verabschieden.“
Schnell und ohne ein Zögern, ganz so, wie es ihm anempfohlen war, durchschritt er die überaus prächtige, aber leider recht stark verschmutzte Halle. Die Schritte mit seinen äußerst teuren Vinsalter Schuhen durchhalten die alte Stille.
Ein leises Stöhnen war zu vernehmen, als der formidable Schwertgeselle des Essalio Fedorinos an den Hängen des Regengebirges angelangt war. Er blickte in die tiefen Schluchten, der weit hin stark mit allerlei natürlichem Bewuchs versehenen Täler, eröffneten sie ihm doch seine zukünftigen Stunden, eines beschwerlichen Abstiegs.
„Wohl an denn, mögest du, Akon, für diese Unannehmlichkeit mit Vinsalter Wein bezahlen.“
Nahe dem See hing das Salz in der Luft. Mein Vater kannte offenbar die Gegend und so erreichten wir noch vor den Abendstunden den Ort Al’Hachan. Es als Karawanserei zu bezeichnen wäre übertrieben, es als Oase zu bezeichnen eine Schande.
Es war ein Arbeitslager um das Kostbarste der Wüste zu entreißen, das Salz.
„Höre mein Sohn, an diesem Ort gibt es nichts Gutes, nichts das Mitleid kennt, denn auch die armen Menschen die hier leben erfahren keine Gnade. Sie arbeiten hart und werden oft Opfer des Cinchanebis. Der See ist sowohl ein Geber als auch ein Nehmer. Er gibt reichlich und nimmt es in gleicher Menge.
Achan beni Novad ist Anführer der Männer hier. Er sorgt dafür, dass das Salz abgebaut wird, nichts anderes ist wichtig, doch er hat eine Schwäche. Er liebt es Geschichten zu lauschen. Wir werden dort ein gutes Lager finden mit ausreichend Essen, doch wenn es ihm beliebt werden wir im Cinchanebi verschwinden.“
Ich nickte und verstand. Es ist wichtig zu wissen was man sagen muss, doch es ist noch viel wichtiger zu wissen, wann man zu schweigen hat.
Als wir das Tor ereichten war mir als würden wir eine weiße Festung betreten. Überall hing das Salz, es war an den Wehranlagen, an der Kleidung der Wachen, die uns finster musterten, auf den Dächern der wenigen Häuser, es hing an den Wagen und hing als Staub an den Tieren, die ihre schwere Last, das Salz, an dem frühen Abend in die Festung gebracht hatten.
Als der dicke Mann auf uns zukam, wollte ich erst einen freundlichen Mann erkennen, doch sah ich nach wenigen Sekunden, dass es ein wilder Mann war, der dem Alkohol verfallen war.
„Ramchid, endlich verschlägt es dich wieder hierher. Ich wollte schon annehmen, du willst nichts mehr von deinem guten Freund wissen.“
Offenbar war er nicht ein so guter Freund wie er uns alle weiß machen wollte, kannte er noch nicht einmal den Namen meines Vaters.
„Ich grüße dich Achan beni Novad.“
„Na, was müssen meine salzigen Augen erblicken. Rastullah hat sich dir erbarmt und deine Lenden doch noch mit dem Feuer bedacht. Es ist doch dein Spross nicht wahr. Er ist zwar etwas dunkel, doch das kann ihm in der elenden Khom nur gut zu pass kommen.“
„Ja, er ist mein Sohn.“
Er fuhr mir mit seiner salzigen Hand über den Kopf und hauchte mir dabei den untrüglichen Geruch von vergorenen Trauben ins Gesicht. Während wir einige Sekunden verharrten, drehte sich Achan plötzlich um und rief aus voller Brust: „Hassan, komm du elender Sohn eines Leviathans. Wir haben Gäste. Schau doch unser Ramchid ist wieder da.“
Ein kräftiger, einäugiger Mann trat aus einem der Gebäude. Er zog sich seine Hose hoch und hatte es nicht geschafft ein Hemd überzuziehen.
Auch er schien schon mehr als ein Schluck des Weines zu sich genommen zu haben. Leicht schwankend trat er auf uns zu.
Wir bekamen einen Raum zugewiesen. Die Betten waren stabil und salzig. Die Decken lehnte mein Vater ab. Das Wasser war jedoch, gegen jede Erwartung, nicht salzig und schmeckte sehr gut. Als wir an dem Tisch des Achan zu Abend aßen blickten wir eine Stufe tiefer auf die gut zweidutzend Arbeiter die alle mehr wie Gespenster aussahen und noch von einem feinen Nebel des Salzes eingehüllt waren. Die Speisen, die von zwei verhüllten Frauen und einem verkrüppelten Mann herein getragen wurden waren köstlich. Ich hatte einen solch ausgehungerten Magen, dass mir selbst Hirsebrei als Speise eines Kalifen würdig vorgekommen wäre.
Erst wurden Datteln mit Ziegenmilch gereicht. Es folgte ein gut gewürzter Marga, ein kräftiger Eintopf, der mit allerlei Zutaten köstlich schmeckte, dazu wurde Mella gereicht, ein in Asche und Sand gebackenes Brot. Danach nahm ich zwei Brick, Teigtaschen gefüllt mit einem Kräuter und Gemüsebrei, und etwas aus einer der vielen großen Schalen mit Gemüse-Kouskous. Als ich nicht mehr essen konnte wurde ein kräftiger Tee gereicht von dem ich gerne mehrere Schlucke nahm.
Als ich dann Richtung Bett ging, von meinem Vater geschickt, war ich so guter Stimmung, dass ich die Lichter außerhalb des Lagers mit Freude betrachtete. Ich grübelte nur wenig darüber nach und legte mich erschöpft zu Bett. Mein Vater würde noch eine Geschichte erzählen – welche, überlegte ich nur kurz.
Der Schlaf hatte mich so schnell ereilt, dass ich am nächsten Morgen recht erschrocken hochfuhr und die lauten Stimmen erst wahrnahm, als ich den müden Blick meines Vaters sah, der am Fenster stand.
Auf dem Hof war eine große Menge zu sehen, die sich in zwei Gruppen aufteilen ließ, welche unterschiedlicher kaum sein konnten. Die immer noch mit dem Salz bedeckten Männer standen mit Achan und Hassan einer Gruppe von Nomaden gegenüber, welche sich alle mit lauten Worten und großen Gesten zu beeindrucken suchten.
„Das ist ein Händler mit seinen Leuten, sie feilschen um den Salzpreis. Es wird jedoch noch Tage dauern bis sie sich einig werden. Das ist ein ewiges Spiel. Niemand will sich schon jetzt die Blöße geben.“
„Der Preis müsste doch leicht zu ermitteln sein.“
„Sicherlich!“ Mein Vater lachte. „Es ist so wie ich sagte. Es ist ein Spiel.“
Der weise Geschichtenerzähler sah meinen fragenden Blick: “Wir reden so gerne, schmücken aus unser Tun und wollen uns duellieren. Nicht jeder möchte es mit dem blanken Stahl auf Leben und Tod – doch etwas Ähnliches hat man schon vor Generationen gefunden – die Rede.
Lass es uns ansehen.“
Wir kleideten uns schnell an und gingen hin zu den beiden Menschentrauben, die sich beschimpfend gegenüberstanden.
„Achan, deine Ware ist schlecht. Die vergangene Lieferung hat mir Verlust eingebracht. Rastullah möge dir dein Augenlicht nehmen, du elender Geizkragen. Gebe mir einen Preis mit dem ich meine Kinder ernähren kann, oder du wirst in Zukunft auf meine Marawedis verzichten müssen.“
Der Sprecher war ein dicker Mann, der in edlen Gewändern noch auf seinem weißen Kamel saß. Ich staunte, denn dieses Ata Rastullah war weiß, nicht wie ich erst dachte, durch das Salz, sondern von Geburt an. Welch eine Kostbarkeit durchfuhr es mich. Der Mann hielt eine kleine Kugel in seiner Hand und fuhr sich damit während seiner Rede mehrere Male an die Nase, offenbar war sie mit Düften versehen, die den Händler beruhigten.
„Amir Dscherid Beni Avad, du Sohn eines Leviathans und eines Rashduler Dreihorns, wärest du nur halb so arm, wie du mir vormachst, würde dein Leib nicht auf diesem Tiere ruhen. Erhebe dich und schreite auf mich zu und zeige mir mit deinem Umfang, wie sehr du schmachten musstest.“
Der Händler schäumte vor Wut. Mein Vater zog mich zurück, führte mich in den Speiseraum vom gestrigen Abend, bog dann jedoch ab und führte mich weiter in die Küchenstube. Eine der Frauen vom gestrigen Abend hockte am Boden und knetete Teig.
„Rastullah zum Grüße, Rashid.“
„Auch dich möge er segnen für deine Kochkunst, Isha.“
„Das hat er, das hat er.“
Sie hatte den Schleicher etwas gelüftet und so konnte ich das freundliche, von den Salzen der vergangenen Jahre stark durchfurchte Gesicht einer älteren Frau sehen. Ihrem Mund waren nur noch wenige Zähne geblieben und doch strahlte sie mit ihren Augen eine listige Freundlichkeit aus.
„Sie gebärden sich, als würden sie sich gleich erschlagen, wenn man sie so reden hört.“
„Ja das ist immer so. Aber sie verstehen sich am besten von allen.“
Ich schluckte.
„Amir hat sogar eine Schwester Achans zur Frau.“
„Seine siebente, nicht wahr?“
„Ja.“ Sie schlug auf den Teig ein als würde sie Achan den Schädel einschlagen wollen.
„Ich möchte mich für die herrlichen Speisen bedanken.“ Mein Vater verbeugte sich leicht. Er ehrte die Frauen immer weit mehr als alle andern, die ich in meiner Kindheit kennen gelernt hatte. Es sollte mich prägen.
„Selbst am Hofe des Kalifen soll man nicht so gut Speisen können.“
„Du übertreibst sehr, doch ich danke dir trotzdem.“
Ich sah mir die vielen Zutaten an die in dem Raum herumstanden. Viel war jedoch nicht zu sehen, da die meisten Sachen vor dem überall herumfliegenden Salz geschützt waren.
„Wie lange werdet ihr bleiben?“
„Nur kurz.“
„Wenn du es einrichten kannst. Du weißt, Achan kann sehr überzeugend sein.“
„Ja Isha, doch wir müssen weiter.“
„Geschäfte, ich verstehe.“, sie schmunzelte.
„Achan bereitet einen Ausmarsch vor.“
Sie sprach langsam und ruhig, doch ich spürte sofort, als mein Vater sich ruckartig in ihre Richtung bewegte, dass dies nichts Gutes zu bedeuten hatte.
„Warum? Wann?“
„Habe mir schon gedacht, dass dich das interessieren würde. Hat also der Ata Achan nicht davon gesprochen.“
Ata Achan war ein Wortspiel. Ata Rastullah hieß wörtlich übersetzt Rastullahs Gabe und war die allgemeine Bezeichnung für das Kamel. Isha wollte mit Ata Achan nicht nur seine Allmacht hier in diesem Lager verdeutlichen sondern auch seine vielen Parallelen zu diesem Tier, vor allem natürlich die geistige Fähigkeit und wahrscheinlich auch seine Sturheit.
Meinen Vater konnte selbst dieser Ausspruch nicht erheitern.
„Wann will er gehen?“
„Ich bereite schon das Mella zu.“
Mein Vater blickte sie eindringlich an und dann nach einem geistigen Kampf, so schien es, breitete sich ein Lächeln auf Ishas Gesicht aus und sie begann: „Ein Sohn der Wüste, wie es ihn noch keinen anderen gegeben hat. Gha’hag She’bla ist sein Name. Sein Antlitz ist nicht für ein menschliches Auge bestimmt. Rastullah möge mich schützen sollte er meine Worte hören. Er ist ein Händler. Seine Waren sind jedoch vor meinen Augen verborgen und ich danke dafür. Alles an ihm ist unheimlich und wirkt verzaubert. Manchmal spricht er in einer fremden Sprache, so als würde er mit jemanden reden den jedoch eines Menschen Auge nicht sehen kann. Oh, Rastullah, er ist ein Sheitan, seine Wege sind nicht die meinen und hüte dich davor dem seinen zu folgen. Doch das wirst du, denn Gha’hag hat Achan verzaubert, seine Worte hat er wohl gewählt, hat sie mit gutem Wein einfließen lassen in den Verstand dieses Dummkopfes. Oh Rashid, sei vorsichtig.“
„Doch was wollen sie?“
„Was kann Isha dir da sagen, was würden sie mir sagen? Hassan sprach von einem großen Schatz. Doch Hassan ist ein noch größerer Dummkopf als Achan, was also ist wahr? Finde es heraus bevor ihr euch zu weit auf den Cinchanebi wagt. Der See ist ein launisches Wesen. Es nimmt an dem einen Tag und verschont an dem anderen.“
Wer ist dir der Nächste?
Mein Vater wandte sich um und wollte gehen, doch da stand Hassan vor uns.
„Gut dass ich dich sehe, Achan möchte, dass du neben ihm reitest, wenn es gleich los geht.“
„Wohin?“
„Du hast das große Privileg, die geheimen Wege der Cinchanebis zu sehen. Fühle dich geehrt.“ Mit einem fiesen Lächeln verließ er den Raum.
Mein Vater wirkte, als hätte man ihm einen Sack mit Datteln auf den Rücken gelegt. Seine Augen suchten nach einer Lösung, fanden jedoch keine.
Ich folgte meinem Vater Richtung Hof. Als wir nahe dem Ausgang waren, hörten wir die Rufe von Achan, mit denen er seine Männer zurechtwies. Er schwor sie mit blumigen Ausdrücken darauf ein, unter keinen Umständen Amir ins Lager zu lassen.
Als wir selbst auf den Hof traten, sahen wir, das Amir indes mit seiner ganzen Karawane wieder aus dem Lager geritten war.
Achan lächelte meinen Vater an. Es war nicht echt.
„Ah, mein Freund. Du wirst davon gehört haben. Wir werden heute noch ausreiten.“ Freundschaftlich legte er meinem Vater den Arm auf die Schulter und führte ihn Richtung Stall.
Ich sah es schon von weitem, ein elendes Geschöpf, ein Pferd. Es war edel wie kaum eines, dass ich zuvor gesehen hatte und herunter gekommen, wie keines das ich seit dem sah. Es hatte eine lange Narbe an seinem rechten Hinterbein. Erschrocken wollte ich es mir näher ansehen, schrak aber zurück, als ich den offensichtlichen Besitzer sah, der in weite blaue Leinen gehüllt um das Tier trat und Achan und uns entgegen ging.
„Gha’hag She’bla. Rastullah möge dich segnen.“
„Und auch dich, Achan.“ Die Stimme war rau und bedacht, doch das auffällige war ein seltsamer Dialekt, den ich bis zum heutigen Tage, obwohl ich ihn immer noch in meinem Ohre habe, nicht zuordnen kann. Der Mann war sehr hager und alt, doch viel konnte man nicht erkennen, da er sein Gesicht immer noch hinter einem Schleier verbarg.
Mein Vater schickte mich in unser Zimmer. Was mein Vater auch erreichen wollte in einem Gespräch mit Achan, es sollte ihm nicht gelingen. Achan bestand darauf, dass sowohl mein Vater als auch ich, ihn und seine Männer begleiten sollten.
Wir ritten auf Kamelen, nur Gha’hag nahm sein Shadif. Ich und mein Vater teilten uns eines. Wir waren insgesamt sieben Männer. Achan, Hassan, Gha’hag, mein Vater, zwei Arbeiter und ich selbst. Wir ritten gut eine Stunde, folgten einem für mich unsichtbaren Pfad, dicht an dem See entlang. Es war ein erschreckender Anblick. Salzkrusten, gelbe und weiße Dämpfe, Sandwirbel und Lichtspiegelungen waren zu sehen.
Achan sprach mit meinem Vater.
„Gha’hag versprach mir einen Handel, den ich nie vergessen würde, der mich noch in tausend Jahren mit Blicken überschütten lassen würde. Ich weiß was du sagen willst, blumig sind seine Reden, wenig möglich, dass sie auch Gehalt versprechen. Doch er schwor es mir, dass es eben so sein würde.“
Mein Vater erwiderte: „Und womit kann ich dir dann behilflich sein?“
„Du bist ein weiser Mann. Ich achte deinen Rat, weit mehr als von allen anderen die ich kenne. Womöglich wird es nötig sein, dass du mir einen gewährst?“
„Ich danke dir für deine Worte. So wird es eben sein. Ich werde dir raten. Rastullah möge dir die Weisheit geben ihn anzunehmen, so er denn in seinem Sinne ist.“
Achan nickte.
Als Gha’hag, der einige Meter vorausgeritten war anhielt, dachte ich nur bei mir: ‚Was macht diesen Ort zu einem anderen Platz als alle anderen zuvor?’
Wir stiegen von den Kamelen.
„Marwan und Khabla, ihr wartet hier und bewacht die Kamele.“, sie wirkten erleichtert.
Wir übrigen Fünf gingen auf den See. Gha’hag schritt voraus. Mein Vater hielt mich dicht bei sich, er schärfte mir ein, mich nicht von ihm zu entfernen. Ein Schritt auf den falschen Grund und ich wäre verloren. Es knackte und zischte unter uns, doch der Untergrund hielt unseren Schritten stand.
Wir marschierten gut zwei Stunden, schlugen dabei jedoch oft große Bögen um einen flüssigen Bereich des Sees oder mieden einen Ort, dessen Grund ich nicht erkannte. Manchmal mussten wir auch wieder zurückgehen, wenn ein Weg Gha’hags ins Leere geführt hatte. Keiner Sprach ein Wort, so als sollte man hier auf dem See keine unnötigen Worte verlieren, so als wäre hier nicht Rastullahs Reich, so als wären wir nicht hier mit allem Mut zu dem nur ein Novadi fähig wäre.
Gha’hag hielt irgendwann unvermittelt inne, beschaute sich den Himmel, schwach waren schon einige Sterne zu sehen, während die Sonne langsam unter ging. Ich machte mir Sorgen, dass der Rückweg bei Nacht ein noch viel gefährlicherer werden würde. Ich glaubte auch mein Vater dachte in diese Richtung, doch ich weiß es nicht bestimmt.
Langsam atmete ich die schwere salzige Luft ein, die im Rachen brannte und alle paar Minuten einen Schluck abverlangte. Mein Vater hatte mir ein Tuch um den Mund gebunden, wofür ich nach nur wenigen Schritten sehr dankbar war.
Wir hatten viel Wasser mitgenommen, wodurch ich erst dachte, dass unser Weg ein sehr langer sein würde, doch die Sonne brannte mit dem Salz noch viel unerbittlicher.
Gha’hag kniete sich hin, das Salz knirschte laut unter seinem feinen Leinen. Für einen Moment schien es als würde er beten, doch dann merkte ich, dass er mit einem Gegenstand hantierte. Er grub mit seinem Waqqif im Boden. Nach endlosen Sekunden in denen die Blicke von Hassan und Achan sich mehrmals verschwörerisch trafen, erhob sich Gha’hag und drehte sich mit einem seltsamen Blick zu uns um.
„Ich habe euch hierher geführt um euch einen seltenen Gegenstand anzubieten. Ich würde sicherlich an anderen Orten einen fürstlichen Lohn erhalten, doch dort sind wir nicht und ich habe kein Verlangen dorthin zu reisen. Ein solcher Gegenstand ist auch nicht für jeden etwas, nur bestimmte Menschen dürfen ihn berühren. Nur jene die sich würdig erweisen.“
Gha’hag wirkte ergriffen, geschwächt gar von der Wanderung. Und dann sahen wir es. Es war eine kleine Kugel, nicht größer als eine Kinderfaust und doch war es als wären wir alle in eine andere Welt gerückt. Strahlend und unvorstellbar kostbar erschien es jedem von uns, doch dies war nicht alles.
„Dieser Kugel steckt ein Zauber inne. Hütet euch vor ihrer Kraft, sie wird euch verjüngen. Dir kleiner Junge“, und dabei blickte er mich mit seinen seltsamen Augen an, „würde es zurückführen in die Kindheit bis zu dem Zeitpunkt als du noch nicht geboren wurdest. Doch einem alten Mann, wie ich es bin, wird es Jugend schenken.“ Mit diesen letzten Worten nahm er den Schleier vor seinem Munde ab und entblößte ein unvorstellbares Antlitz. Gha’hag war nicht länger ein alter Mann, so wie er uns mit seiner Stimme und seinem Auftreten erschienen war, doch auch nicht mehr wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Sein Gesicht war von perfekter Symmetrie, seine Haut war von einem unvorstellbarem Glanz umgeben. Seine Augen begannen in einem Farbenmeer von einem tiefen Grün mit einem märchenhaften Blau zu verschwimmen. Man wollte sich hinknien und ihn anbeten.
Achan fasste sich und griff nach der Kugel, wollte sie ergreifen, wollte sie mehr als alles andere in seinem Leben. Hassan konnte nicht an sich halten und wollte den Vorzug seinem Herrn nicht zugestehen. Mein Vater hielt mich zurück. Wir entfernten uns einige kurze Schritte. Mein Vater kniete sich hin und nahm mich mit. Laut betete er und zitierte das 31 Gebot: „Der Gottgefällige übt sich in Demut vor der Größe des All-Einen und ist sich seiner Begrenztheit in Seinem Angesicht bewusst.“
Mein Vater senkte seinen Blick, ich jedoch starrte auf die drei Männer. Hassan bedrängte Achan, dieser stieß ihn wild von sich, woraufhin Hassan mit seinem linken Bein tief in die Wasser des Sees trat.
Gha’hag blieb ruhig stehen und reichte den Stein von sich. Hassan griff nach Achans Bein. Dieser trat darauf nach seinem Freund und brachte diesen nun vollends in die salzige Brühe. Achan ergriff den Stein und betrachtete es mit einem verrückten und zufriedenen Blick.
Diese feinen Gesichtszüge, dieses einnehmende Antlitz, erschien mir plötzlich zu einer grausamen Fratze verzerrt. Gha’hag blickte nicht zu dem hilflosen Hassen, blickte, Rastullah sei Dank, nicht zu mir und meinem Vater. Sein einziges Sehnen war es Achan zu betrachten wie dieser völlig besessen von diesem magischen Stein fasziniert war.
Und dann geschah es. Hassan wurde in die Tiefe gerissen, ein Geschöpf wider Rastullah erhob sich aus den Fluten und ergriff diesen Verdammten, schlug seine zahllosen Zähne in seinen Leib und zog es mit in die salzige Tiefe. Achan und auch Gha’hag nahmen von diesem Schauspiel kaum Notiz. Achan betrachtete völlig paralysiert diesen Stein, sah hinein in sein magisches Licht, welches er nur ihm zu schenken schien. Langsam nur sah man die Veränderung, langsam nur sah man die Gräuel, sahen wir den Plan, sahen wir die furchtbaren Gedanken. Gha’hag hob an mit seiner Rede, einer Rede voll von Hass und Verachtung, voll von Verzweiflung und Leid.
„Mein Name ist Gha’hag She’bla, der der nicht wieder zurückfindet, der der verdammt ist, der der Rache schwor. Lange wanderte ich durch die Khom, wanderte um zu sterben – doch anders als viele andere, fand ich nicht den erlösenden Tod. Meine Wunde ist nun wieder zur Gänze geöffnet auf das sie dann nun heilen kann, wenn man sie zu heilen vermag.
Du Achan Ben Novad, oder Ali ben Jalif vom Stamme Terkui, wie du dich damals hießest. Ich habe nach dir gesucht. Denn du warst es der mir mein Kind nahm, du warst es, der mir mein Weib nahm, du warst es der mir meinen Stamm nahm. Ja, Ali, ich bin es, der einzige, der noch am Leben ist. Gha’hag She’bla, denn sie sind die Worte, die ich seit dem immer mit mir führen werde: Der einzige seines Stammes.
Achan blickte auf zu ihm, schien um Jahre gealtert und eben so war es auch.
„Mit diesem Stein habe ich dir meine Jahre gegeben, doch anders als du denkst. Ich habe dir auch die Kraft für hundert mal hundert Jahre gegeben. Du wirst leben, so lange es Rastullah gefällt, doch nicht in Schönheit und Gesundheit. Von nun an wird sich dein Körper verändern, hin zu einem grotesken Gebilde, hin zu einem Siechenden, doch der Tod wird dir nicht geschenkt, nicht gewährt. Du wirst leben und die Jahrhunderte zählen. Du kannst sehen, was du angerichtet hast, von jetzt an in deinen Träumen. Wie gerne würde ich schauen auf dein Leben, wie gerne würde ich dabei sein, doch mein Leben ist nun vollendet.“
Und mit den letzten Worten erhob sich hinter ihm eine Gestalt aus Schleim und Unheil. Eben jenes Geschöpf, welches sich zuvor Hassan genommen hatte.
„DER PAKT WURDE ERFÜLLT, GANZ SO WIE DU ES WOLLTEST.“
Seine Stimme war nicht die eines Menschen, seine Stimme war so voller Hass und Verachtung, dass mir die Worte fehlen sie auch nur im Ansatz zu beschreiben. Dröhnend waren die Laute, die knackend und zischend herüberwehten. Gha’hag She’bla, der Einzige, der Letzte seines Stammes wandte sich nicht zu dem Geschöpf um. Er machte einen Schritt rückwärts hin zu dem Dämon und verschwand in den unergründlichen Tiefen des Cinchanebis-Salzsees.
Es war nicht mein Wille, doch ich schaute dem Geschöpf in die Augen und ich spürte, dass es mich sah. Ich spürte, dass es mich betrachtete und was es sah gefiel ihm. Diese große, unheimliche Monstrosität tauchte hinab.
Achan lag gekrümmt auf dem Salz, starrte die Kugel an, blickte hinein in sein Licht und wirkte gebrochen, alt und krank. Seine Glieder waren dürr geworden, weiße Haut wölbte sich darüber, so als wäre sie fremd. Nichts war mehr von dem stolzen Achan zu sehen.
Wer ist dein Gegenüber?
Mein Vater und ich stützten dies Geschöpf zu dem Achan geworden war und er führte uns von diesem unheiligen See. Die Nacht war hell und klar, doch mit einem solchen Schmerz geschwängert, dass man keinen Moment dies merkwürdige Staunen gutheißen konnte, welches man normalerweise haben musste, bei solch einer erhabenen Nacht.
Die beiden Arbeiter nahmen nur widerwillig ihren einstigen Herrn in ihre Obhut. Furcht hatte sie beladen und weite Augen starrten aus ihren bösartigen Höhlen.
Wir kehrten nicht in das Lager der Cinchanebis zurück. Wir nahmen Gha’hags Pferd. Er hätte es sicherlich so gewollt. Achan wollte das Tier nicht, nichts wäre ihm verhasster.
Wir wanderten mit dem stolzen Tier, welches mit seiner einstigen schweren Verletzung zu keinem Galopp mehr in der Lage war, weiter Richtung Tarfui. Es sollte ein Überlebenskampf werden, doch mein Vater hatte so entschieden und es war auch gut so. Inwieweit sich das Leben Achans erfüllt hat und er die Leiden erfahren hat, die Gha’hag She’bla von ihm einforderte, weiß ich nicht zu sagen. Ich bin mir jedoch sicher, dass er die seinen unter Rastullahs Blick zu ertragen hatte. Vielleicht ist ihm dann doch, nach einigen Jahren, Gnade widerfahren, darauf wetten würde ich nicht.
Wo ist deine Begrenzung?
Wir hatten nur wenig Proviant und so litten wir mehr als sonst an Hunger, aber auch, und dies war weitaus schlimmer, an ungeheurem Durst. Wann immer wir eine der wenigen Wasserstellen fanden, war es uns als hätten wir einen Schatz gefunden. Wir mussten jedoch immer sofort weiter, hatten wir doch für die gesamte Reise nur unzureichend Essen. Mein Vater war jedoch auch so bewandert, dass wir aus der Wüste Nahrung entnehmen konnten, dies half über das Schlimmste hinweg, vermied jedoch nicht, dass wir die Oase Tarfui völlig entkräftet erreichten.
Ich hatte mit meinem Vater nicht darüber gesprochen was ich getan hatte und er vermied es auch mit mir über das zu reden was die Männer in Keft mir anlasteten.
Was Rashdul war und was es für mich bedeuten sollte, ahnte ich nicht im Mindesten. Doch sollte ich die Unschätzbar Alte noch kennen lernen. Rashdul, die Stadt meiner Träume, die Stadt meiner Jugend.
Die Oase Tarfui ist alles andere als schön, doch als ich den glänzenden See vor mir sah, mit diesen unvorstellbaren Mengen an frischem, sauberem Wasser und im Hintergrund das lang gezogene Bergmassiv der Unauer Bergekette erschien sie mir als das schönste was es geben konnte.
Geröll und Steine hinderten uns bei jedem Schritt ihr näher zu kommen, doch wir schafften es mit den letzten Kräften die wir noch im Leibe hatten. Wir schleppten uns an den Zelten vorbei hin zu dem Lebensspenden Wasser.
Von den wenigen Münzen, die mein Vater noch besaß, erwarben wir uns eine kleine Speise, die ich begierig verschlang.
Als ich am Abend seiner Geschichte lauschte zusammen mit vielen der Oase, war sie nicht von dem herzerweichenden Ton erfüllt, der sonst immer in seinen Geschichten war. In ihr ging es um einen tapferen Mann, der einem mächtigen Bösewicht entgegen ritt und sich ihm stellte, doch mit einer großen Feuerkugel bezwang der große Zauberer diesen tapferen Helden.
Alle waren erbost über eine solch unsägliche Geschichte. Mein Vater wurde aus dem Zelt geworfen. Die Kinder wurden nur mit Mühe beruhigt. Viele weinten und klagten, doch ich stand nur still bei meinem Vater, der ebenso wie sie den Tränen keinen Widerstand entgegenbringen konnte.
In dieser Steinwüste konnte man sich leicht gegen die Kälte der Nacht wappnen. Wir ordneten uns hüfthohe Mauern dicht um den eigenen Leib. Die Steine heizen sich tagsüber in der Wüste so auf, dass sie die Nacht über eine angenehme Wärme ausstrahlen.
Gegen Morgen wurden wir von einer Gruppe von Männern ergriffen. Sie schlugen auf meinen Vater ein und schubsten mich hinaus ins das Geröllfeld. Hart landete ich auf den Steinen. Sie schimpften, riefen mein Vater sei ein Verderber der Jungend und man solle ihm das Kind nicht lassen, auf das er es wider Rastullah verderben würde.
Als mein Vater mit einer blutenden Wunde unter dem Auge zu Boden ging, spürte ich eine starke Wut in mir aufsteigen und ließ sie durch meinen Körper an die Oberfläche steigen. Ich wollte sie ebenso wie den harschen Redner aus Keft brennen lassen. Ich berührte sie, hielt sie an den Armen, riss an ihnen, doch einer von ihnen stieß mich nur von sich. Im Fallen sah ich es, es war wie ein Lebewesen aus Licht, welches sich aus meinem Körper schälte, so als würde ich fallen und es könnte bestehen bleiben, bereit sich weiter den Männern entgegenzustellen.
Die Männer blickten zu mir, blickten zu diesem Lichtgeist.
Rastullahs Auge schälte sich langsam über die Dünen, breitete seinen Glanz über uns und zeigte das Licht in seiner ganzen Pracht. Noch ehe ich schreien konnte, waren die Männer auf und davon. Das Licht blieb über uns, blieb bei uns für weitere endlos erscheinende Minuten und dann verschwand es.
Mein Vater keuchte, spuckte Blut und sah mich mit einem resignierenden Blick an.
„Wir reisen weiter, reisen bis nach Rashdul.“
Das waren die einzigen Worte die er an diesem Tag sprach.
Wochen später erreichten wir erst die Oase Hayábeth. Lange waren wir ohne Schutz gewesen, doch Rastullah wollte es, dass wir uns einer großen Karawane anschließen konnte, die uns bis in die sichere Oase führte.
Mahandun, der Führer unserer Karawane, war ein freundlicher Mann gewesen, er ehrte den Beruf des Haimamuds mit mehr als nur Dank und so konnten wir mit tiefer Dankbarkeit auf den Lippen, seinen Namen preisend, die gefahrvolle Reise gut überstehen.
Das stolze Tier, das uns nur widerwillig auf sich trug, war ein Freund geworden, welches wir gerne bei uns hatten.
Mit der endlos erscheinenden Unauer-Bergkette zu unserer Rechten wanderten wir an dem Rand der Verschmähten, und waren mit Mahandun, einem sicheren Karawanenführer, nie in Gefahr zu verdursten. Er fand die Wasserstellen mit sicherem Auge, wenngleich oft genug ein harter Handel bevorstand, wenn sich die Besitzer der Wasserlöcher, arme Stämme, dies flüssige Gold teuer entlohnen ließen.
Am Abend hörte man nur noch die Stimme meines Vaters, wie er an jedem Abend eine Geschichte erzählte und damit die Männer der Karawane erfreute.
Es war ein hartes Dasein, doch die Männer waren an das Leben in ihr gewöhnt, sie preisten Rastullah und kannten sie, die Khom, oft genug besser als mein Vater, obwohl er ihnen mit seinen Geschichten vielleicht ob seines Wissens über die Verschmähte, mehr mit seinen Geschichten zu gefallen wusste als jeder andere.
Sie handelten von Reisenden durch die Wüste, die ihre Schönheit erst nicht sahen und dann von ihr völlig fasziniert waren und sie lieben lernten. Sie handelten von Familien, die sich verloren und dann nach etlichen Jahren durch den Fingerzeig des All-Einen wieder fanden.
Der Glaube an Rastullah war ihm dabei immer als entscheidender Abschluss einer Lebensgeschichte wichtig. Wenn alles in der Khom seinem Willen unterworfen ist, wenn alles auf Dere seinem Willen entsprungen ist, kann man nicht anders als gegen Ende sehen was einem selbst Frieden beschert – der Glaube an den All-Einen.
„Halt, wer da?“
„Mögt ihr es nicht mit ein wenig mehr Stil erfragen, wen es in der Nacht an die Tore dieser gar seltsamen Stadt verschlagen hat?
„Was?“
„Ich sehe schon, es hat wenig Sinn mit euch zu disputieren über den Verfall des Sprachgebrauchs. Nun denn, mein Name ist Aranil Honoro Tréville. Und jetzt öffnet endlich. Der Weg war weit und unangenehm.“
„Was wollt ihr hier?“
„Zunächst ein Bad, und dann würde ich gerne den Borontempel mit seinem Hochgeweihten aufsuchen. Ich habe eine wichtige Nachricht zu überbringen.“
„Ach ihr seid ein Bote.“
„Öffnet endlich, ihr langweilt mich. Übrigens habe ich schon Duelle für geringere Beleidigungen geführt.“
Langsam nur wurde das schwere Tor geöffnet. Der unangenehme Geruch der Feuchte hing auch in diesem Holz und so wartete Aranil, auf dass er nicht in die unangenehme Lage versetzt würde, seine Kleidung auch noch mit der Berührung dieses schmierigen Holzes weiter zu ruinieren.
„Verzeiht Herr, aber einen solch hohen Herren erwartet man nicht mehr um diese Stunde.“
„Ihr habt damit sicherlich Recht. Nur mögt ihr nun noch mehr annehmen können, wie dringlich mein Begehr ist, da ich zu dieser unsäglichen Stunde hier erscheinen muss.
Erweist mir noch die Ehre mich zum besten Hotel der Stadt zu leiten.“ Mit seiner Linken übergab er dem Torwächter einen Dukaten.
„Sehr wohl mein Herr. Das ist einfach, das ist die Villa Meridiana.“
Leider hatte dieses Gebäude wenig gemein mit einer Villa und noch weniger mit einem Hotel, bedauerlicherweise war es aber das einzige in dieser Dschungelstadt.
Der heiße Dampf verteilte sich zur nächtlichen Stunde in dem kleinen Zimmer und ließ den guten Aranil erschöpft in dem großen Holztrog entspannen.
Es klopfte leise an der Tür.
„Ja bitte.“, hauchte er nur.
„Euer Wein.“
„Ja.“
Unschlüssig stand der Diener im Raum. Stellte das Tablett dann aber auf den Beistelltisch, während der edle Gast mit geschlossenen Augen entspannte.
„Darf ich ihnen einschenken.“
„Ja.“
„Darf ich fragen, was sie nach Mirham führt?“
Und wieder mit diesem leichten, ruhigen Ton hauchte Aranil „Nein.“
Überrascht und ein wenig gekränkt entfernte sich der Kellner.
Der Wein schmeckte interessant, nicht wirklich gut, aber erstaunlich kraftvoll. Die Trauben hatten viel Potenzial. Wären sie von einem Fachmann verarbeitet worden, könnte man aus ihnen einen guten, vielleicht sogar sehr guten Wein gewinnen können. Aranil döste, und verschwand in seinen Gedanken über die Möglichkeit hier sein Glück im Weinanbau zu machen.
Der Morgen begann mit einer leichten Brise, die mit dem Chamir von der Schicksalsbucht kommend bis in die Stadt getragen wurde. Leider nur, hielt diese nicht lange die dampfende Wärme ab und so saß Aranil bei seinem späten Frühstück unter einem großen Deckenfächer, der ihm die frühe Brise noch in Erinnerung behalten sollte. Er aß nur langsam, fühlte er sich doch von der drückenden Wärme des gestrigen Tages noch völlig entkräftet.
In dem merkwürdigen Hotel wusste man zu kochen. Auch wenn die Speisen selbstverständlich einen überaus exotischen Beigeschmack hatten, der dem guten Aranil nur leidlich behagte.
Nach dem Essen maßregelte Aranil sich selbst. Ihm war ein wichtiger Auftrag zuteil geworden und demnach hatte er nicht, ganz so wie es sonst seine Art war, die Handhabe über seine Zeit frei verfügen zu können.
Er hatte jedoch sein wertvolles Gewand zur Reinigung gegeben und so musste er sich über den Vormittag die Zeit zu vertreiben suchen.
Der Speiseraum erschien ihm als günstiger Warteraum, versorgte man ihn doch aufs herzlichste mit dem was auch immer er sich zu Wünschen hatte.
Aranil verbrachte dort sicherlich eine Stunde und mehr bevor ihm die Gegenwart von drei ungemein interessanten Menschen zuteil wurde.
Zunächst beobachtete der edle Schwertgeselle eine überaus skurrile Situation: Ein Mann, offenbar von eher unscheinbarem Äußeren, betrat die Räumlichkeit und durchschritt sie mit einem überaus prachtvollen Gehabe und für diese Lande wohl sicherlich fürstlichem Gewand. Er wurde verfolgt von einem seiner Bediensteten, welcher ihm einen Brief zu reichen versuchte, welcher jedoch schon geöffnet war und damit ein überaus großes Siegel sichtbar machte.
„Wie kann er es nur wagen mich so zu beleidigen. Ungeheuerlich! Was schreibt er noch“, und mit diesen Worten riss der edle Mann seinem Diener den Brief aus der Hand, „siebenunddreißig Scheffel Silber. Als wenn er zu Feilschen gedenkt. Man sollte ihm die Haut vom Leibe ziehen für diese Unverfrorenheit.“
Und mit den folgenden Worten betrat eine überaus liebreizendes Wesen den Raum, dass Aranil sofort mit seinen Blicken zu erkunden wusste: „Vater, nun wartet doch. Es lag sicherlich nicht in seiner Absicht so zu erscheinen. Versteht nur auch, dass es für ihn so üblich ist.“
„Und sollte er der Sohn eines Sultans sein, so etwas ist eine Frechheit.“
„Ihr habt natürlich Recht mein Herr.“ Aranil stand auf und ging auf die so laut diskutierenden zu.
„Ich bitte um Verzeihung, ich wurde unfreiwillig Zeuge ihres Dilemmas. Wenn ich mich ihnen vorstellen darf. Mein Name ist Aranil Honoro Tréville.“
„Ja. Sehr schön. Ich heiße Lurano Velero, meine Tochter Franya.“
„Ich grüße auch euch werte Dame.“ Aranil verbeugte sich und deutete einen Handkuss an.
Die ehrenwerte Franya Velero errötete sichtlich und zog sich dann hinter ihren Vater zurück. Sie mochte gar noch nicht die zwanzig Götterläufe erreicht haben und doch wirkte ihr Gesicht schon wie das einer alten Frau.
„Solltet ihr euch, so wie es für mich ganz offenbar den Anschein gezeigt hat, euch einer Beleidigung ausgesetzt sehen, so steht es euch sicherlich frei für diese Tat, Genugtuung zu verlangen.“
Der alte Mann wirkte sprachlos und blickte unseren Aranil nur mit großen Augen an.
„So ihr es wünscht, kann ich in eurem Namen dieser Genugtuung zu ihrem Recht verhelfen.“
„Und wie stellt ihr euch dies vor?“
„Nun ja, es wären da sicherlich noch einige Fragen zu klären, doch im Allgemeinen würde es sich so zutragen, dass ich mich bei diesem Herren vorstelle, ihn um ein Gespräch bitte und ihm die formelle Aufforderung zur Satisfaktion ausspreche. Der Herausgeforderte hat dann vierundzwanzig Stunden Zeit dieser Aufforderung nachzukommen und einen Ort und eine Uhrzeit anzugeben, woraufhin ein ordnungsgemäßes Duell zur Wiederherstellung der Ehre beider Seiten stattfinden wird.“
„Kann er dabei umkommen?“
„Aber sicherlich werte Dame, auch so etwas ist schon vorgekommen.“
„Wie oft?“
„Sehr oft.“
„Bei Boron, so etwas kannst du unmöglich machen Vater.“
„Wieso nicht? Es war eine tiefe Beleidigung die Mitgift aushandeln zu wollen. Ich muss darüber nachdenken. Wo kann ich euch finden?“
„Ich habe heute noch hier zu tun und werde am Abend wieder hier im Hotel sein um dann jedoch am kommenden Morgen die Stadt zu verlassen. Ihr könnt mir sicherlich eine Nachricht an der Rezeption hinterlassen, solltet ihr euch dazu entschließen.“
„Gut, so wollen wir verbleiben.“
„Ich verabschiede mich.“, und Aranil verbeugte sich, wenngleich die stattliche Franya nicht mehr ganz so erfreut war über das einnehmende Lächeln des Schwertgesellen Tréville.
Aranil flanierte durch die ihm unbekannten Straßen Mirhams und war sofort über die Ebenmäßigkeit dieser überrascht. Schmutz und Elend waren jedoch allerorten zu sehen. Überdies auch noch ungeheuer viele Al’Anfaner Stadtgardisten, die herrschaftssicher durch die Straßen wanderten und gewiss sein konnten von jedem Bürger den Weg freigemacht zu bekommen. Aranil indes verteilte gerne aus seinem Almosenbeutel die Heller, die er zu diesem Zwecke angesammelt hatte. Wenngleich ihm diese Vorgehensweise mehr als einmal gedungene Mörder auf den Hals gehetzt hatte, wich er von dieser Tradition nicht ab. Mirham ist jedoch eine Stadt mit vielen Gesichtern und so überraschte es den Weitgereisten doch übergebühr, als er den Palast erblickte. Viertürmig und mit seinem weiß und rosafarbigen Eternenmarmor in übergroßer Relation zum Rest der Stadt, einen überraschend prachtvollen Anblick bot. Einzig ein anderer großer Bau, neben der von Akon beschriebenen Magierakademie konnte dem Palast angemessen sein, die überaus imposante Erscheinung des Borontempels.
Schwarz und wenig einladend, ganz so wie erwartet und doch anders in seiner Architektur.
„Der Hochgeweihte wird sicherlich heute keine Zeit mehr für sie haben, er ist zum Königshof berufen.“
„Oh, ich hoffe, es ist nichts ernstes, ein Todesfall gar?“
„Ich befürchte doch, die Lieblingsstute des Königs ist erlegen.“
„Ein sicherlich prachtvolles Tier, wenngleich ich mich mit dem Pferde sehr gut verstehe, empfinde ich die Handhabung dafür einen Hochgeweihten des Boron zu rufen, doch schon reichlich eigenartig.“
„Es steht mir nicht zu darüber zu urteilen.“
„Nein? Wie überaus unangenehm für euch.“ Mit seinem Lächeln nahm er den jungen Novizen für sich ein. Vielleicht auch weil ihm die ein oder andere Magie entglitt.
„Verzeiht mir mein forsches Auftreten, doch könnt ihr mir sicherlich den Weg weisen, hin zu seiner Majestät Damian von Shoy'Rina.“
„Gewiss, doch wird man euch nicht vorlassen.“
„Hm… was kann man da denn tun?“
Auch der Novize überlegte angestrengt.
„Vielleicht, wenn ich euch ein Empfehlungsschreiben mitgebe, in der ich die Dringlichkeit eurer Aufgabe betone?“
„Ja, bei Hesinde, ihr seid mir ein rechter Bursche.“ Aranil schlug seinem gegenüber anerkennend auf die Schulter, wobei der junge Mann arge Mühe hatte das Gleichgewicht zu wahren.
Eines Nachts, sie hatte wie eine von vielen mit einer Geschichte meines Vaters begonnen, waren die Kamele unruhiger als sonst. Die Karawanenführer erzählten sich von Stimmen, die sooft sie auch schon diese Route abgegangen waren, immer nur hier von den Bergen her zu ihnen riefen. Ein leises Flüstern vernahmen wir und mein Vater hoffte erst, es wäre die Stimme, das leise Summen der Verschmähten, doch dann merkten wir, dass es nicht die Stimme von einer Frau sein konnte, oder gar nur von einem Mann. Es waren viele, die klagend wirkten und bar jeder Hoffnung von den Bergen in die Wüste riefen.
Als ich in der Nacht erwachte und tief in mir die Stimme der Berge hörte war mir nicht angst und bang, sondern neugierig zu Mute und so zögerte ich seltsamer Weise keinen Augenblick und schlich mich aus dem Lager, während mein Vater noch mit Mahandun und den anderen an dem Feuer saß und sich über mögliche Deutungen dieser Stimmen unterhielten.
Ich wollte zuerst nur auf den nächsten Dünenkamm klettern um dort die Stimmen deutlicher vernehmen zu können. Doch ich verstand noch immer nichts und so ging ich bis zur nächsten, und dann weiter und weiter, bis ich alsbald an den harten Fels gelangte und dem Gebirge meinen Fuß aufsetzte. Mit einem Mal verstummten die Stimmen und ich hörte nur die alles übertönende Stille der Wüste.
Nichts ist mir ihr vergleichbar, alles herum ist in einer solchen Stille gefangen das der eigene Geist sich mit einem Laut behilft, welches er nicht deuten kann. Diese Stille wird oft von weisen und tiefgläubigen Menschen gesucht. Denn, so wie alle Rechtgläubigen wissen, hört man nur dann Rastullah selbst, erfährt dort von seinem Weg, seiner ganz eigenen Bestimmung. Ich hätte nun umkehren können, doch ich tat es nicht, sondern ging weiter. Ich sah es nicht und doch wusste ich es, wusste dass es da war, wusste es vielleicht schon mein ganzes Leben.
Es war nur ein kleine enge Felsspalte, und kein Erwachsener hätte versucht sich durch ihr hindurchzuquetschen, doch mir gelang es. Vielleicht wusste ich es nicht besser, wusste nicht um die Gefahren, die dort auf mich lauerten, wusste nicht, dass alte Dinge meist mehr Gefahren bergen als alle anderen.
Ich kroch weiter und gelangte in eine große Höhle.
Die Dunkelheit war einnehmend und noch bevor ich es sagen konnte spürte ich, dass ich nicht alleine war. Seine eisige Stimme umfing mich, war er doch alleine hier, alleine, wie all die anderen auch, gefangen in einem Berg. Alleine jedoch in jener Höhle, die nur ihm gehörte.
„Wer seid ihr und was wollt ihr?“
Seine Stimme klang bemitleidenswert und Angst einflössend zugleich.
Noch bevor ich mir bewusst machen konnte, dass es nicht ratsam wäre einer fremden Stimme, einem Dschinn, Geist oder vielleicht gar schlimmerem meinen Namen zu nennen plapperte ich ihn schon heraus: „Akon, Akon ben Rashid ibn Amchur Sharif ist mein Name. Ich wollte nicht stören, ich wollte nur wissen ob ihr vielleicht Hilfe braucht?“
Ein leichtes Licht war zu sehen, es ruhte einige Meter entfernt, hoch über mir auf einem Felsplateau, welches von kunstvoller Hand aus dem Berg geschlagen worden war.
„Wie solltest du mir helfen können?“
„Ich weiß nicht.“
Langsam bewegte sich das Licht auf mich zu und wuchs in seiner Größe, bildete Konturen, so dass man nach wenigen Sekunden einen Mann ausmachen konnte, der eine lange Treppe hinab stieg. Groß und stattlich, wie aus ferner Zeit ging dieses Geschöpf auf mich zu. Es trug einen langen Bart und erschien in seinem Licht mit einer edlen Rüstung gekleidet.
Ich war viel zu fasziniert um vor Angst davonlaufen zu können. „Du hast sie tatsächlich, die Macht mir zu helfen, doch dafür muss ich dir etwas nehmen?“
„Ja?“
„Bist du bereit dazu?“
„So es mir keinen ernsten Schaden bereitet, möchte ich dir gerne geben was dir helfen kann.“
„Ha, du bist wahrlich ein großzügiger Junge. Deine Mutter wäre sicherlich stolz auf dich.“
Noch bevor ich fragen konnte, was er damit gemeint hatte, griff er nach mir. Ich wich instinktiv zurück und er traf mich nur noch leicht am linken Auge. Mit einer starken Kraft zog etwas an mir, zog mir beinahe das Auge aus seiner Höhle und mit einem lauten Schrei, der offenbar von mir selbst stammte, stürzte ich zu Boden und verlor das Bewusstsein.
Bist du gut?
Als ich erwachte, strahlte die Höhle als wäre sie in Gold getaucht, sie war von vielen Lichtern erfüllt, die ganz offensichtlich von der kräftigen Mittagssonne stammte. Ich sah einen Thron, von dem aus in der Nacht das Licht auf mich zu gekommen war, die steinernen Treppen hinab und mich berührte.
Ich sah mich in der Höhle um. Sie war schmucklos und doch anmutig und schön. Auf einer der Stufen lag ein Stein und mein erster Gedanke war, dass er für mich dort hingelegt wurde. Ich steckte ihn ein.
Noch bevor ich den Ausgang der Höhle, den kleinen Spalt, erreicht hatte, hörte ich die Stimme meines Vaters und die vieler anderer, wie sie meinen Namen riefen.
Mein Vater schloss mich in seine Arme, während mich die anderen mit weiten Augen anblickten.
Ich blutete nicht und doch hatte ich eine schwere Wunde erhalten. Sie war jedoch vernarbt und dies alles war in nur einer Nacht geschehen.
Mein Auge war nicht mehr wie es vorher war. Eine lange Narbe zog sich unter meinem Auge dahin, doch das Auge an sich, ich konnte mit ihm ebenso gut sehen wie mit meinem rechten, war nicht mehr blau, sondern gold.
So war es und so blieb es bis zum heutigen Tag.
Die Männer der Karawane mieden mich, hielten sie mich doch von einem Geist besessen oder gar von einem Dschinn verflucht. Es war mir jedoch nicht wichtig. Mein Vater schärfte mir zwar ein, in Zukunft nicht so unvorsichtig zu sein, doch hoffte er ebenso wie ich, dass diese Gestalt nun ihren Frieden gefunden hatte.
Wenige Tage später erreichten wir die Oase Hayábeth und verließen die Karawane, die ihr Ziel erreicht hatte.
Mein Vater verabschiedete sich herzlich von Mahandun, der mich mit einem mitleidvollen Blick bedachte, welchen ich am liebsten von mir geworfen hätte, denn ich fühlte mich nicht bemitleidenswert. Im Gegenteil, ich fühlte mich von dem Lichtgeist mit diesem goldenen Auge bedankt.
Erst als wir wieder alleine durch die Oase Hayábeth gingen spürte ich den Stein in meiner Tasche und zeigte ihn meinem Vater.
Er blickte in meine Augen und sagte, dass mir ein großes Geschenk gemacht wurde. Ich solle gut darauf aufpassen.
Erst sehr viel später erfuhr ich, dass es sich um einen Edelstein handelte, von welchem wir gut mehrere Wochen hätten leben können. Mein Vater ließ ihn mir jedoch und so hütete ich ihn viele Jahre, bis ich ihn schließlich schleifen ließ und seit diesem Tage um meinen Hals trage.
Von Hayábeth war es eine gefährliche Reise nach Madrash. Wir ließen die Wüste hinter uns und wanderten fortan nicht mehr auf weichem Sand, sondern erstiegen Fels und Stein, durchwanderten Tal um Tal. Nie zuvor sah ich so viele und unterschiedliche Pflanzen. Es war herrlich und doch gefahrvoll. Wilde Stämme, wie es hieß, würden oft Wanderer und gar Karawanen überfallen, versklaven oder auch töten, gerade wie ihnen der Sinn stand.
Der kleine Händlerzug, dem wir uns angeschlossen hatten, war gut bewaffnet und so war es für mich eine große Überraschung, als wir eines Morgens von schrecklichen Rufen eingehüllt hoch in die Felsen blickten, die zu beiden Seiten aufragten und dort mit Fellen gekleidete Gestalten ausmachten. Sie brüllten uns in einer mir fremden Sprache seltsame Laute entgegen.
Ich hielt sie erst für Tiere, doch waren sie, als sie näher an uns herangetreten waren, Menschen, wild und grob zwar, doch an sich genau wie wir. Ihre Felle waren an vielen stellen von Blut verkrustet, seltsame Narben schmückten ihre Gesichter und viele davon waren vielleicht sogar selbst zugefügt. Ich wurde neugierig.
Sie blickten mich seltsam ängstlich an, doch einer der Händler, ein alter stiller Mann, ging auf sie zu. Sprach sie sogar mit ihren Lauten an. Offenbar beruhigte sie das. Und nachdem er ihnen einen Stoffballen, indem sicherlich Metallwaren eingewickelt waren, zugeworfen hatte, gingen sie wieder ihrer Wege. Sicherlich waren sie die Herren dieser unwirklichen Felsen und forderten, wie jeder Besitzer seines Landes, nur einen Wegezoll. Da sie jedoch uns offenbar nicht trauten, beobachteten sie uns noch mehrere Tage und begleiteten uns bis kurz vor Madrash.
Rashduler Dreihörner weideten auf den saftigen Wiesen. Der Mhalik wurde ruhiger und sein Wasser wurde schiffbar. Erst sah ich kleine Boote, dann Segler und in dem Hafen von Madrash gar Handelsschiffe. Ich war begeistert. Wir blieben nur wenige Tage in Madrash, gerade lange genug bis mein Vater durch seine Arbeit genug verdient hatte um weiter Richtung Rashdul reisen zu können.
Ata’Hawa, denn so nannten wir das stolze Tier Gha’hags, hatte sich gut erholt. Es wurde uns eine gute Summe angeboten, wenn wir es mit einer Stute zusammen brächten. Mein Vater lehnte nicht ab, doch Ata’Hawa mied die Stute und so erhielten nichts.
So schön die Lande um uns herum auch waren, so waren wir doch Fremde, die sich vor dem fremden Land fürchteten.
Dass dies unnötig war, ahnten wir nicht. Wir reisten alleine weiter. Man sagte uns, dass es nur wenige Tage wären, wenn wir einen Platz auf einem der Schiffe bekämen, doch wir wollten dass wenige das wir hatten nicht für Bequemlichkeit ausgeben.
In Beysal, einem kleinen Ort blieben wir nur eine Nacht. Viel zu sehr waren die Blicke einiger
Raufbolde auf mein Auge gefallen.
Wir überquerten den Mhalik an einer Furt. Viele der Schiffe mussten dort mit Seilen hinübergezogen werden. Es war mir vergönnt dort mit ansehen zu können, wie viele Männer mit einem langen Seil ein Schiff über die Furt zogen.
Gemeinschaftliches Handeln kann vieles erreichen.
Aranil pfiff vergnügt ein Liedchen während er, mit sich zufrieden, auf das prachtvolle Anwesen, den Königspalast von Mirham, zuschritt.
Er hatte die Verfolger schon seit einiger Zeit bemerkt und doch war er sich aufgrund ihrer stümperhaften Vorgehensweise durchaus nicht sicher, inwieweit diese Kerle einem bewaffneten Edelmann begegnen wollten.
Als direkt vor ihm ein arger Stutzer aus einer Gasse auftauchte war ihm die Situation sofort bewusst. Nur noch Sekunden würde es dauern und ihm würde etwas auf seinen Schädel geschlagen. Schließlich würde er dann vielleicht, so er denn an halbwegs menschenähnliche Geschöpfte geraten wäre, mit schmerzendem Schädel in der Gosse wieder aufwachen – selbstverständlich halbnackt und mit nichts mehr am Leib von Wert.
Doch natürlich wollte sich Aranil nicht so leicht überrumpeln lassen, und so langte er nach einem langen Schritt nach seinem Gegenüber, und schleuderte ihn seinen beiden, wie Aranil fest glaubte, Kumpanen, die völlig überrascht mit Knüppel und Säbel in der Hand ihren Mann nur bedingt auffangen konnten, entgegen. Aranil indes hatte Rapier und Hakendolch gezogen und sich ganz seiner Art in Position gebracht.
„Ich bin sicher das euch die Regeln eines Duells nicht geläufig sind und ihr auch nicht satisfaktionsfähig seid, dennoch möchte ich euch darauf aufmerksam machen, dass dies eure letzten Augenblicke auf Dere sein werden.“
„Was labert der da?“
„Ist nicht wichtig. Greif ihn dir!“
„Der ist aber bewaffnet.“
Die drei, so überrascht sie durch Aranils Manöver auch waren, so sicher fühlte Aranil, dass diese drei gewiss nicht von ihrem Vorhaben ablassen würden. Aranil besah sich die Drei genauer. Der gute Mann mit dem Knüppel war sicherlich an die dreißig und hatte in seinem Leben kaum mehr an eine Seife gedacht wie ein Rindvieh. Nichtsdestotrotz war es dabei auch so, dass eben jener mit einem ebensolchen Geisteszustand und Körperkraft gesegnet war. Der Zweite hatte mit seinem verrosteten Säbel ungemein beeindruckendes, war doch seine Waffe sicherlich dazu geeignet mehrere Krankheiten auf einmal an den bedauernswerten Gegner zu verteilen. Der Dritte, und eben jener Herr, der ihm entgegenkam und ganz offenbar der Anführer war, zog ein ansehnliches Kurzschwert, welches sicherlich ein Erbstück eines reichen Verwandten sein musste.
„Wenngleich ich sicherlich großes Vergnügen bei einer Trainingsrunde der besonderen Art hege, so zweifle ich doch nicht im Mindesten, dass es nicht zu eurem Wohlgefallen enden wird. Wenn ihr nun jedoch die Güte besäßet diesem grotesken Treiben ein Ende zu bereiten, so wäre ich euch sehr dankbar, da ich in zeitlicher Not stecke, würde ich auch dies Scharmützel so kurz als möglich gestalten.“
„Na gut, Hierba, du nimmst die Rechte, Santal, du die Linke.“
Es muss erwähnt werden, dass dies die letzten Worte des stolzen Anführers dieser Dreiergruppe war, denn mit einem schnellen Schritt nach vorne, machte er einen gar unsinnigen Fehler.
Aranil band das Kurzschwert, wirbelte es herum und ließ es wenig mehr als fünf Schritt weiter in eine ungemein widerwärtige Fäkalienansammlung verschwinden. Ein sofort folgender Stich, traf den Mann in den Bauch und einen Wimpernschlag später schrie auch Hierba, der einen Stich in den Oberschenkel erhielt. Santal wirkte unschlüssig und vollführte mit seinem Säbel eine ungeschickte Finte, die jedoch Aranil nicht weiter in Gefahr brachte und er den Angriff bravourös parierte.
„Und nun die Risposte, Santal.“
Der Stich traf ihn unterhalb der Rippen und zwang ihn zu Boden. Hierba hob gerade seinen Knüppel als ihn abermals ein Stich traf, dieses Mal in den anderen Oberschenkel. Der große Mann stürzte und landete mit dem Gesicht voran im Dreck.
Mit einem schweren Dolch bewaffnet, der sicherlich aus derselben Erbschaft herrührte wollte der Anführer den Schwertgesellen bedrängen, wurde jedoch von einem längeren Rapier abgefangen und mit einer offenbar tödlichen Wunde bedacht.
Das ganze hatte nicht mehr als fünf Sekunden gedauert und doch war Aranil mit sich nicht zufrieden, da ihm allzu sehr die bedrohliche Verärgerung des städtischen Bürgertums und auch des Adels und nicht minder der Kirchen eine nicht enden wollende Plage war.
Vielmehr hätte er sich doch Dank erwarten dürfen für die Aufbringung der kriminellen Elemente, doch sei’s drum.
Aranil empfahl sich und ging weiter seinen Weg Richtung Palast.
Am Abend erreichten wir Mherwed und ich spüre noch heute die Ehrfurcht die mich dort umfing. Das erste was ich jedoch sah, war der zweihundert Schritt breite Fluss. Welch gewaltige Wassermassen dort fließen. Selbst der kleine Fluss, dem ich nun so zugetan war, nachdem ich oft stundenlang in ihm gebadet hatte, konnte nicht neben diesem Strom bestehen. Ein Kind der Wüste sieht solche Wasser mit anderen Augen. Noch vor wenigen Götternamen wäre ich beinahe in der Wüste vor Durst gestorben und jetzt diese Wassermassen. Selbst mein Vater hielt inne und wir priesen gemeinsam Rastullah.
Dann jedoch schritten wir näher und sahen, frei von jeder Mauer, den Palast des Kalifen Abu Dhelrumun ibn Chamallah. Umgeben war er von acht weiteren Palästen, die allesamt prunkvoll und wunderbar aussahen. Wie riesige Zelte lagen sie vor uns. Weiß und strahlend waren sie und so voller wundersamer Pflanzen, dass mir die Tränen kamen. Solch ein Anblick, dachte ich bei mir, sollte mir erst nach meinem Tode in Rastullahs Reich vergönnt sein. Welche Herrlichkeit kann nun noch dort auf mich warten? Ich war verwirrt und fühlte mich zutiefst berührt. Auf der anderen Straßenseite war eine Pferdezucht. Junge, strahlend schöne Shadifs kamen uns entgegen geritten und wir grüssten diese erwählten Reiter überschwänglich und voller Freude.
Nach weiteren Schritten sahen wir ein neues Wunder. Eine Brücke, - so gewaltig wie keine zuvor. Sie überspannte die ganze Weite des Flusses Mhanadi und schien in ihrem völligen Schwarz ein uraltes Gewürm zu sein, welches niemand zu erschlagen vermochte.
Langsam nur gingen wir weiter, scheuten uns vor dem was uns noch vor die Augen kommen könnte und uns vollends einnahm. Wir überschritten den schwarzen Stein, welcher zeitlos und so fremd wirkte, dass mir die Glieder zitterten. Entgegen der Erwartung heizte sich der schwarze Stein in der mittäglichen Sonne nicht auf, sondern war kühler als man es von ihr hätte erwarten müssen. Fremde Symbole starrten uns von den Steinen an und deuteten hin auf eine Vergangenheit, die wir heute nicht mehr fassen konnten.
Auf der anderen Seite warteten schon die Stadtwachen und nahmen einen ordentlichen Brückenzoll. Es mag wohl so sein, dass die Länge einer Brücke auch den Brückenzoll bestimmen mag, demnach war diese hier mit ihren über zweihundert Schritt die Kalifin unter den Brücken.
Nachdem wir die wenigen Dinge offen gelegt hatten, wurden wir in die Stadt gelassen. Nach wenigen Schritten wurde mir eine Welt eröffnet, die ich nicht für möglich gehalten hatte. Die engen und weiten Straßen waren mit unglaublichen Menschenmassen überfüllt, die in ihrer Verschiedenheit nicht unterschiedlicher sein konnten. Die große Oase von Keft mit ihren vielen Gläubigen, war eine Ansammlung von erstaunlichen Menschen, die sich aber nicht nur äußerlich sondern auch vom Wesen her so sehr ähnelten, dass man mit neun verschiedenen Menschen alle Facetten der Kefter hätte erfassen können. Dem entgegen war Mherwed mit seinen vielen Händlern aus allen Herren Ländern, aus allen Richtungen, aus den verschiedensten Kulturen, eine Anhäufung von Möglichkeiten.
Mein Vater fragte sich durch und wir erreichten nur wenige Minuten nach Eintritt in die Stadt das große Badehaus.
In einem solchen Haus ist uns das Paradies am nächsten. Wir wandeln zusammen mit dem Sultan, sind nicht mehr und nicht weniger als der Kalif.
In einem Badehaus gilt weder Stand noch Würde, ein jeder ist hier um sich die Last der Arbeit und Mühe von den Schultern nehmen zu lassen. Wir genossen eine Massage, gingen ein in die Dampfkammer. Ich genoss die Zeit einfach nur, mein Vater hingegen suchte diesen Ort auf um sich auszutauschen um die Menschen der Stadt kennen zu lernen, um die Dinge zu erfahren, die für einen Novadi am wichtigsten sind. Wie ist die politische Lage, wo kann man gut schlafen und für meinen Vater besonders wichtig war die Frage, wo kann man die besten Geschichten hören?
Wo ist dein Stamm?
Der Tag verging wie im Fluge und so konnten wir vom Bade aus nur die Schlafstätte aufsuchen. Wir beteten für das sichere Erreichen Mherweds und beteten für die sichere Weiterreise. Wir waren sicher.
Wir hatten in einem kleinen Haus unterkommen können. Hamduls Schwiegermutter hatte ein kleines Haus nahe dem Armenviertel. Hamdul hatten wir in dem Badehaus kennen gelernt, er arbeitete dort als Heizer.
Seine Schwiegermutter war schon weit jenseits der siebzig und von einer Freundlichkeit, die an eine Khoramsbestie erinnern ließ. Wir stellten aber keine Ansprüche und so umkreiste sie ihr Opfer nur.
Wir hatten es bei Weitem nicht so schwer, wie wir erwartet hätten. Die Geschichten meines Vaters, waren mit dem Sand der Khom geschrieben und eben jene Geschichten waren es, die Mherwed gefehlt hatten. Die Zuhörer waren oft begeistert und freigebig. Ebenso hielt es auch mein Vater und so entlohnte er die gute Dunja, Hamduls Schwiegermutter, auch reichlich. Vielleicht war es diese Freigebigkeit, die zu unserer letzten Nacht in Mherwed geführt hat.
Der Tag war wie der Vorhergehende, und ebenso wie dieser davor. Mein Vater hatte einige Zechinen erhalten und so könnten wir uns ein gutes Mahl angedeihen lassen.
Die Stallung für Ata’Hawa war kostspielig, doch mein Vater wollte einen guten Käufer finden, doch wie es schien, wollte niemand ein altes, verkrüppeltes Rennpferd haben. Selbst mit der Hoffnung auf gute Nachkommen wollte keiner das Risiko eingehen.
Doch wie es Rastullah gefügt hat, war es richtig so.
„Der weiche Sand, wie ihn nur die He’ka Himhawa besitzt, flog mit dem Wüstensturm durch die kleinsten Öffnungen. Rashal al’Kabir, der Wüstenkrieger, war tief in seinem Ziegenleder verborgen, er hatte sich den heißen Scha-Tee aufgebrüht und genoss diesen in sehr kleinen Schlucken. Die Ruhe der Nacht war ihm angenehm. Es war seine Wachstunde und vor ihm lag die Karawane des Rashtul al’Sheik.“
Die Stimmen hoben an, als mein Vater den Namen genannt hatte, denn sie kannten ihn gut.
„Rashal vernahm einen Laut. Es war nur ein Schnauben seines Jama Se, seines Ata Rastullah, seines Kamels, doch ihm war es, als sollte es eine Warnung sein.
Er löste in Windeseile die Knoten und schlich sich an der Rückseite aus dem Zelt. Er dankte Rastullah, dass er bei dem Bau des Zeltes am Tage die Weitsicht hatte, das Zelt nahe der Felsen zu bauen, denn so blieb er unerkannt.
Die Wüstenräuber waren ihm gefolgt, er hatte es befürchtet, hatte eine geheime Route benutzt, hatte sich zu diesem versteckten Wasserloch durchgeschlagen. Die anderen waren nun in großer Gefahr. Er zog seinen Doppelkhunchomer, schlich sich geduckt um das Zelt.
Erst sah er niemanden. Er hatte Geduld und wartete. Dann nach endlosem Ausharren, erblickte er einen Schatten, der vom Lagerfeuer angestrahlt sich nur zwanzig Schritt von ihm entfernt zu den Kamelen aufmachte.
Sollten sie ihm nur die Kamele nehmen wollen, würden sie ihn und seine Begleiter dem Wüstentot überantworten. Rashal wusste, dass es nun schnell gehen musste. Er konnte nicht mehr vorsichtig sein, er konnte nur hoffen, dass ein unvorsichtiger Späher sich zu einem heldenhaften Alleingang entschieden hatte.
Rashal nahm tief Luft und rannte los. Ganz entgegen seiner üblichen Art, Rastullah laut zu preisen und damit die Furcht in die Glieder seiner Gegner zu zwingen, behielt er Ruhe und rannte mit erhobenem Doppelkhuchomer auf den vermeintlichen Dieb zu. Als er nahe genug war, sah er einen Räuber, einen niederträchtigen Dieb, der sich an seinen Tieren zuschaffen machen wollte.
Noch bevor diesem jedoch bewusst wurde, dass er entdeckt war, fiel der Wüstensohn, tödlich getroffen zu Boden.
Als das Auge Rastullahs sich erhob, waren keine Spuren der Karawane mehr zu sehen. Rashal war vorsichtig, er hatte alle Zeichen des Lagers aus dem Sande getilgt.
Die Wüstensöhne betrauerten den Verlust ihres Spähers, schworen Blutrache für ihren Verwandten, doch dies alles war Rashal nicht wichtig. Er hatte die Karawane beschützt, ganz so wie es seine Aufgabe war, ganz so wie er es gelobt hatte.
Rastullah blickt auf uns und unsere Taten. Rastullah ist ewig und weise, möge er uns erleuchten!“
Mein Vater erzählte gerne über Rashal. Inwieweit es ihn je gegeben hat, oder ob es vielleicht viele wie ihn gegeben hat, die alle mehr oder weniger seine Geschichten erlebt hatten, weiß ich nicht zu sagen, ich weiß jedoch, dass die Taten in der Wüste immer hart erscheinen, es jedoch letztlich um das Überleben geht. Niemand ist in der Wüste sicher, jeder ergibt sich dem Schicksal, denn jeder Tag, jede Stunde kann die Letzte sein und das Geheimnis um ein Wasserloch ist mehr wert als Gold und Edelsteine.
Als wir an dem Abend in das kleine Haus gingen und dem kleinen Vorrat an Zechinen einige hinzufügen wollten, musste mein Vater sehen, dass wir bestohlen worden sind.
Mein Vater nahm es jedoch als Zeichen Rastullahs und ging noch in der gleichen Nacht. Er blieb bis zum Morgengrauen fort, setzte sich und meditierte.
Erst weniger Tage später erkannte ich seine Absicht. Er hatte sich nichts anmerken lassen und weiter Geschichten erzählt, hatte seine Zechinen dort versteckt wo er sie auch zuvor hingelegt hatte.
Eines Morgens kam unsere Hauswirtin auf uns zu. Ihre Rechte war angeschwollen und in ihren Augen brannte das Fieber. Sie bat meinen Vater ihr zu sagen womit sie vergiftet sei.
Mein Vater antwortete erst überrascht, woher er dies wissen solle. Erst da wurde mir bewusst, dass unsere Hauswirtin die Zechinen genommen hatte und es gar ein zweites Mal getan hatte. Mein Vater hatte jedoch eine Falle aufgestellt.
„Wenn Rastullah dir dein Leben schenkt, so will ich es dir nicht nehmen, doch meine Zechinen sind mir dennoch wichtig. Und so fordere ich sie zurück. Siebenunddreißig Zechinen hast du mir genommen und so sollst du sie mir zurückgeben bevor ich dir dein Schicksal abändere.“ Mein Vater öffnete seine Hand. Kein Zittern, nur wahre Entschlossenheit war in seinem Handeln und in seinem Blick.
Die Frau schimpfte, laut beklagte sie ihr Unglück, dass man ihren Mann geholt hatte und dass sie mit dem Wenigen nicht überleben könnte.
Ruhig nur stand mein Vater, bewegte sich nicht, blickte sie nur an.
Als sie ihren Beutel öffnete wurde ihre ganze Rede zur Lüge. Marawedis waren es, so viele wie ich in meinem Leben noch nicht gesehen hatte. Hell rollten sie über den Boden, denn mit ihrer angeschwollenen Hand war sie zu ungeschickt um den Beutelinhalt vor uns zu verbergen.
Wir gingen noch an diesem Tage, entlohnten den Stallburschen fürstlich und ritten auf dem edlen Ross langsam aus der Stadt.
Am Tore wurde er noch bereitwillig vorüber gelassen. Als er jedoch dem Eingang der Stallungen zuging, trat ihm eine vierköpfige Truppe von al’anfanischen Soldaten entgegen, die wenig mit seinem Brief anzufangen wussten.
„Womöglich läge es in eurer Macht dem Hochgeweihten Komran meine Anwesenheit anzumelden?“
„Ich weiß nicht wer euch schickt, es ist mir auch einerlei, er wird jedoch warten müssen, schließlich ist er von dem König in Anspruch genommen.“
„Wie viel Zeit wird denn dieses Zeremoniell für ein Pferd noch in Beschlag nehmen.“
„Keine Ahnung.“, sagte der Eine, ein anderer fügte mit einem süffisanten Lächeln hinzu: „Die haben drei Stunden allein für die Bare gebraucht.“
„Es wird sicherlich eine beschwerliche Prozedur gewesen sein?“
„Das kann man wohl sagen, ist doch der Weg mit einem beständigen Anstieg kein leichter Gang.“
„Offenbar ein erlauchter Ort, wo man ein so edles Ross zur letzten Ruhe hingeleiten muss.“
„Ach, dass ist nur eines der Plateaus am Chamir.“
„Ich bedanke und verabschiede mich.“
Die reich besoldeten Al’Anfaner wirkten wenig amüsiert und stritten sich lautstark, so als wenn jemand von ihnen etwas Dummes getan hätte.
Der Landschaft wenig mehr abgewinnend, als für die leichte Kühle dem Fluss zu danken, wanderte Aranil auf einem schmalen Pfad, der erst kürzlich von einer breiten Prozession benutzt und unfreiwillig erweitert wurde, Richtung der Plateaus. Ein Handwerker war so frei ihm den Weg zu weisen und so wanderte er fröhlicher Dinge durch die fremden Lande.
Nach gut einer halben Stunde gelangte er zu einem eben solch beschriebenem Plateau. Ganz offenbar war es so, dass in früherer Zeit hier Zivilisation den Urwäldern den Platz abgetrotzt hatte. Demnach war der Raum noch weit und offen und bildete nur vereinzelte Bäume, die auch deutlich mit ihrer Größe noch jüngeren Datums waren.
Auf der größten Freifläche waren an die hundert Menschen versammelt, die in einem großen Kreis um ein Holzgerüst standen und andächtig ein feierliches und friedliches Lied sangen, welches Boron zu ehren über dem Rauschen des Flusses hinweg klang.
Aranil fasste sich, ließ seine Rechte hinter seinem Rücken von seiner Linken tragen, und ging, dem Anlass angemessen, einen trauernden Blick auferlegt, auf die seltsam Trauernden zu.
Wenige Augen fanden ihn und bemerkten sein Kommen.
Diese Darbietung, dachte Aranil, würde einer Gräfin ehre machen. Das es sich hierbei nur um den letzten Gang eines Pferdes handelte amüsierte ihn und machte ihn neugierig auf den Vizekönig.
Eine ganz in weiß gekleidete Gestalt stand alleine dicht an dem großen Holzgerüst, auf dem, gut zu erkennen, der Kadaver des Pferdes gewuchtet wurde. Ein Lächeln huschte über Aranils Gesicht bei der Vorstellung wie die armen Träger dies Tier auf dieses mindestens mannshohe Gestell gehoben haben mochten.
„Unglaublich, nicht wahr mein Herr?“
Ein kleiner greiser Mann war an seine Rechte getreten, hatte sich seinem Blick entzogen und ihn geradezu überrascht. Aranil war irritiert und doch gleich wieder beruhigt bei dem friedlichen Anblick des Mannes. Er wies ein überaus gebildetes Äußeres auf. Auf seiner Nase trug er sicherlich sehr teure Gläser, die mit einem Kneifer an seiner Nase befestigt waren. Seine Bekleidung war zwar nach Aranils Meinung wenig modisch, doch sicherlich, vor einigen Jahren, überaus kostspielig gewesen. Ihm entging nicht, dass der Mann sich die Kleidung hatte abändern lassen und sie dabei seinem kleiner gewordenen Leib angepasst hatte.
Wie es sich häufig in Mirham traf, war dieser sicher über sechzig Götterläufe zählende Mann nicht allzu freiwillig in diese Dschungelstadt geraten. Viele, die es sich mit allzu mächtigen Herrschaften aus der Perle des Südens verscherzten landeten in diesem Raum für Ausgestoßene.
„Es fasziniert.“ Aranil wusste was nun folgen würde. Der gute Mann würde ihn auszufragen versuchen. Erst nur aufs gerate Wohl, dann jedoch bestimmter und vielleicht würde er ihn sogar freundlich aufnehmen und ihm eine Unterkunft anbieten, natürlich mit dem eindeutigen Hinweis, dass die hiesigen Möglichkeit keinem Mann von Stand angemessen erscheinen können. Dann, und dies war sicherlich nicht mit Bestimmtheit zu sagen, würde der unvorsichtige Aranil verschwinden. Vielleicht nur auf einer weiten Reise auf einem der vielen Schiffe, die immer wieder Nachschub von Verlorenen gebrauchen konnten, deren Kraft, sich in die Riemen übergroßer Ruder zu legen, noch vorhanden war. Wenn er jedoch des Unglücks ganzes Streben anheim gefallen wäre, würde sich dieser sympathische Mann als Kollege seines geschätzten Freundes Akon ben Rashid ibn Amchur Sharif erweisen und sich Aranils Lebens bedienen um irgendeine schändliche Tat zu vollbringen.
Andererseits, dachte Aranil, gebe es sicherlich in diesem Ort weit einfacherer Möglichkeiten an frisches Fleisch zu gelangen.
„Was treibt einen so edlen Mann in diese verlorene Stadt?“
„Ein Auftrag mein Herr.“
Aranil ließ den alten Mann stehen und bewegte sich vorsichtig und geschmeidig durch die Reihen der Besucher, suchte immer weiter nach vorne zu gelangen. Er hatte das Ziel seiner Suche, den Hochgeweihten des Boron erblickt, wie dieser gelangweilt und ganz offenbar völlig unwohl in seiner Haut, in vorderster Reihe ausharrte.
„Exzellenz!“, flüsterte der Schwertgeselle zu dem Geweihten.
Ein überaus müder Blick erreichte den tapferen Helden.
„Ja, bitte?“
„Ich habe eine Nachricht für sie. Es ist sehr dringend.“
Für einen Moment blitzten die Augen des Geweihten, so als würde es eine Aussicht geben dem Schicksal des Folgenden entgehen zu können. Dann jedoch, nach wenigen Sekunden, die innere Resignation.
„Leider habe ich jetzt keine Zeit.“ Der arme Mann schritt einem Verurteilten gleich, der sich zu seiner Richtstätte begibt, auf den König zu, der sich gut zwanzig Schritt von der Menge entfernt, nahe seinem prächtigen Pferde aufhielt.
Komran winkte einen Diener zu sich, der auch gleich mit einer brennenden Fackel auf ihn zugeeilt kam.
Die folgende Rede des Hochgeweihten beobachtete der weit gereiste Schwertgeselle mit ungläubiger Faszination.
Er konnte sich durchaus rühmen ein Fachmann in dem Umgang mit den Pferden zu sein und er hatte mit dem nötigen Geschick und Glück eines Edelmannes die lukrativsten Rennen für sich entscheiden können, doch auf einer solch theatralischen Darbietung aufgrund des Verlustes eines Pferdes war selbst ein Almadaner nicht vorbereitet.
Klageweiber standen um den König, der nun von dem Feuer angestrahlt wie ein Wahnsinniger wirkte.
Aranil löste sich aus der Gruppe, schritt sinnierend über die Wiese, die gerade frisch abgemäht seinem guten Schuhwerk keinen weiteren Schaden zufügte, und wartete die Zeremonie ab.
Mit weichem, nachdenklichem Gang begab er sich zu dem Fluss und blickte abwesend in die sich aufschäumenden Wirbel.
Welch eine groteske Situation. Noch vor wenigen Tagen hatte er in der Akademie zu Rashdul mit seinem alten Freund Akon ben Rashid ibn Amchur Sharif über die Köstlichkeit des Vinsalter und vor allem Almadaner Weins philosophiert und nun stand er hier, nahe Mirhams an den Fluten des Chamir, während hinter ihm eine Gedenkfeier für ein altes Ross stattfand. Langsam drehte er seinen Hut mit seinen Händen, genoss für wenige Augenblicke die an sich unerträgliche Wärme, die jedoch durch die aufsteigende Abkühlung des Flusses recht angenehm erschien. Er hatte nicht wirklich viel Hoffnung, dass sein Freund oder auch er selbst lebend dies Abenteuer überstehen könnten. Normalerweise machte es ihm nichts aus. Er hatte schon so oft sein Leben riskiert, dass ihn solcherlei Gedanken nicht weiter bedrängten, doch dieses Mal ging es um seine Seele.
„Ich grüße euch, möge Boron eure Gedanken beschützen.“
Aranil lächelte den Hochgeweihten an. Dieser hatte es getroffen, weit mehr als dieser ahnen konnte.
Er entnahm seiner größten Innentasche den Brief, den er von Akon erhalten hatte.
„Ah, er ist von meinem Freund. Nun, dann sollt auch ihr mein Freund sein.
Kommt, wir wollen hier fort.“
Der Alte führte ihn auf einem schmalen Pfad zurück in die Stadt, hinein in den Tempel und in den privaten Raum des Hochgeweihten.
Der Raum war leer.
An sich hatte er alles an Mobiliar was ein Mensch benötigt, doch Aranil empfand ihn als leer. Nichts deutete auf etwas Angenehmes hin. Kein Gemälde oder Teppich, kein Fenster oder eine Blume zierten den Raum, keine Farben, noch nicht einmal schmückende Gegenstände, oder gar die wenigen vorhandenen mit Ornamenten oder schönen bildhaften Motiven verziert.
Was jedoch Aranil feststellen musste, war, dass der Raum angenehm kühl war.
Komran setzte sich an den Schreibtisch und besetzte damit den einzigen Stuhl des Raumes. Aranil blieb unschlüssig an der Tür stehen und musterte den Raum mit seiner kalten Atmosphäre.
Komran brach das Siegel und las den Brief. Nach einigen Minuten blickte Aranil irritiert zu dem Geweihten, denn offenbar las dieser den Brief gerade ein drittes Mal.
Dann, nach diesem sehr akribischen Studium, blickte der Hochgeweihte den jungen Mann mit düsteren Augen an.
„Wist ihr um den Inhalt des Briefes?“
„Nicht im Detail, doch weiß ich was nun folgen sollte, wenn eure Eminenz einverstanden sind.“
Der eben noch freundliche Mann blickte mit noch sorgenvollerem Gesicht zurück auf die Zeilen.
„Es wird sehr schwierig werden. Wenn nicht gar unmöglich.“
„Das ist uns bewusst, eure Exzellenz. Wann können wir aufbrechen?“
Die Schritte des alten Mannes waren sicher und fest. Der steile Anstieg hatte allen sehr viel Kraft gekostet, doch keiner sprach ein Wort. Die Novizen und Geweihte waren besorgt, da sie nicht über den Grund des plötzlichen Aufbruches unterrichtet worden waren, doch gehorchten sie ihrem Tempelvorsteher blind. Die Packpferde hatten mit ihrer schweren Last weit weniger Probleme, wie Aranil erst angenommen hatte und so konnte die Gruppe, schon gegen Mittag die große Lichtung erreichen, welches als Tagesziel angestrebt war.
Alle ruhten in sich, beteten und suchten sich mit geistiger Konzentration von den Strapazen zu erholen, alle bis auf Aranil. Er las in einem kleinen Buch das Akon ihm mitgegeben hatte. Es war zwar der Akademie zu Rashdul entnommen und war in Tulamidya verfasst, doch waren die philosophischen Erörterungen überaus präzise formuliert und so schlüssig, dass sie im Hinblick auf die besprochene Verhaltensweise im Kampf Aranils vollste Zustimmung fand. Es war ein harmonischer Text, der in seinem Sprachfluss beruhigte und mit dem deutlich lehrreichen Inhalt die Sinne reinigte.
Er blickte hinauf zu dem für ihn recht deutlich zu sehenden Eingang zur Zitadelle der Geister. Er wusste, dass dieser Gang nun nicht mehr ganz so einfach werden würde, wie noch vor wenigen Tagen, doch war er sich sicher, in Begleitung gut eines halben Dutzend Borongeweihten, unbeschadet durch die Pforte treten zu können.
„Wohin wollt ihr und was habt ihr zu schaffen in der unschätzbar Alten?“
Mein Vater zögerte, wagte erst nicht das wahre Anliegen zu nennen, dann fasste er sich jedoch.
„Ich möchte meinen Sohn zu der Akademie bringen. Ein Magiebegabter, Assim sein Name, sagte mir, dort würde man ihm helfen können.“
Der Mann blickte mich an. Seine Augen weiteten sich als er mein goldenes sah.
„Kann schon sein, dass sie ihm helfen können.“
Er winkte uns weiter.
Als ich ihrer ansichtig wurde und erkannte, dass es die Akademie war, der Ort, an dem ich meinen Frieden finden würde, dankte ich Rastullah, und auch meinem Vater wurde gewahr, dass der All-Eine mich mit dieser Gabe nicht bestraft sondern gesegnet hatte.
Dies Bauwerk ist nicht von Menschenhand erbaut, dies Bauwerk ist so gewaltig, so groß und prachtvoll, so vielfältig, so beeindruckend, dass mir mehrere Minuten die Sprache und mit ihr die Gedanken verloren gingen. Ich schaute und schaute und konnte nicht genug sehen. Wie konnte ich ahnen, dass ich nichts sah, wie konnte ich mir erträumen, dass die Geheimnisse mannigfaltiger als die Sandkörner der Wüste mir noch erscheinen werden. Die Mauern waren verbunden, keine Fuge oder gar Loch war zu sehen. Nichts war dort, was Verfall oder den Zahn der Zeit anzeigen würden. Nichts war dort was einem Menschen etwas anderes vermuten lassen würde als das große Reich Rastullahs.
Als wir dann den Eingang suchten, wurden wir tief getroffen, denn nichts war dort, weder Tür noch Tor, nichts was Eingang gewährte.
Als wir einen schwebenden Magier sahen, der aus dem inneren Bereich herüber geflogen kam, staunten wir beide und waren innerlich getroffen. Niemand der anderen Menschen, ob Händler, Handwerker oder gar Bettelleute nahmen große Notiz von dem unvorstellbaren Zauber.
Wolltest du Magier werden?
Wir beeilten uns und liefen durch die engen Gassen, hin zu diesem Meister der Magie. Nachdem wir beinahe von einem Händlerwagen überfahren worden waren, holten wir diesen Mann ein.
„Ehrenwerter Magus.“, sprach mein Vater den Fremden an.
„Weder bin ich ehrenswert noch ein Magus, aber ich höre euch, wenn es das ist was ihr erreichen wolltet.“
„Entschuldigt. Wie sonst soll ich euch ansprechen.“
„Wohlgelehrter Herr, oder vielleicht Adeptus Maior – aber am liebsten wäre mir Hamil.“
„Gut. Hamil. Assim, ein magiebegabter Mann, schickte uns hierher. Er sagte meinem Sohn könne man hier helfen.“
„Was fehlt ihm denn?“ Er sah zu mir hinunter und ich blickte in freundliche Augen. Sein Gesicht war von dem vielem lesen ganz bleich und eingefallen. Seine edle Gewandung war mir natürlich sofort aufgefallen, doch seine Narben an seinen Händen erst jetzt.
Haz!
Seine Augen blieben auf mir liegen, besahen sich intensiv mein Auge und er sprach zu mir, doch ich konnte die Worte nicht deuten.
„Ushûnam magachim, arifim al’mudra,
al’jih-magir, al’jih-mantra.“
Ich schaute zu meinem Vater und auch er schien sie nicht verstanden zu haben.
„Ja wirklich, euer Sohn wird ein Magier werden.“ Er beugte sich zu mir herunter. „Man, da bin ich aber überrascht, ich dachte erst, du hättest irgendeine abnorme Erscheinung erlebt. Na ja, wir werden abwarten müssen, was die Alten sagen, doch ich bin optimistisch.“
„Und was wird nun geschehen?“
„Ach ja, gehen sie erstmal wieder nach Hause, oder wo auch immer sie hinwollen. In ein paar Tagen“, er überlegte kurz, „sagen wir vier, kommen sie wieder hier hin, dann nehme ich ihren Sohn mit.“
„Wohin?“
„In die Akademie, wohin sonst. Wenn sie gut klettern können, dann könnten sie natürlich auch vorher versuchen, ach nein, lassen sie das lieber, die Dschinni mögen das nicht. Ich muss jetzt gehen, noch einen schönen Tag.“
Mein Vater blickte ihm ebenso fassungslos nach wie ich selbst. Er war interessant, wirkte aber gehetzt.
Die Stadt Rashdul erlebte ich in diesen vier Tagen intensiver und nachhaltiger als in den langen Jahren danach. Mein Vater konnte für viele Goldstücke das edle Shadif verkaufen. Es war, und dies war wichtiger alles Gold Deres, in die Obhut eines guten Menschen übergegangen, der dies edle Tier mit vielen Nachkommen segnen wollte.
Als der Abend anbrach marschierten Komran und er zusammen mit vier Geweihten, die Komran diese Aufgabe zutraute auf die Zitadelle zu.
„Wie seid ihr aus dieser Höhle herausgekommen?“, wandte sich einer der jüngeren Geweihten an den Almadaner und blickte dabei immer wieder zu den leicht spitzen Ohren hin.
„Seht ihr dort den kleinen Verlauf. Er stammt von einer Sturzflut, die wohl ganz offenbar immer mal wieder hier entlangkommt. Diese verläuft bis hinein in die Höhle. Ich hatte ganz in dem Bewusstsein hier diese Bahn zu finden ein großes Stück Leder mitgenommen. Es liegt dort den Abhang hinunter.“
Der Geweihte blickte ihn fragend an.
„Ich habe eine Rutschfahrt aus der Höhle unternommen. Wahrscheinlich in einem solchen Tempo, dass mir die werten Geister nicht zu folgen bereit waren.“
„Ihr seid allein in die Zitadelle getreten?“
„So ist es. Wenngleich ich mir auch über den Zustand des Gebäudes nicht allzu sehr im Klaren war und mir demnach nicht um die erhöhte Anzahl der sonderbaren Bewohner Gedanken machen konnte.“
„Ihr wusstet nicht um die Geister?“
„Oh doch, aber dem kann man ja begegnen, ich sprach von dem überaus verschmutzten Interieur. Ich war fassungslos.“
Der Geweihte blickte Aranil verständnislos an und ging zu seinem Hochgeweihten.
Aranil blieb mit einem Mal stehen. Deutete mit einem Handzeichen an zu schweigen. Leise Trommelschläge waren aus der Ferne zu vernehmen.
„Das sind Wudu.“
Aranil blickte den Hochgeweihten fragend an.
„Waldmenschen, die hier ihre ketzerischen Rituale durchführen.“ Komran stieg der Zorn in die Augen. Seine Lippen pressten sich aufeinander. Resignierend blickte er den Pfad hinauf und schritt voraus.
Einer der Geweihten trat an Aranils Seite und blickte mit ihm dem Hochgeweihten nach.
„Was bedrängt ihn so?“
„Sie praktizieren Menschenopfer.“
Aranil blieb alleine stehen, während die Geweihten in einem ruhigen Summen ihren Gott priesen.
Aranil hatte darauf bestanden sich die Wudu anzusehen. Es ist ihm nicht sonderlich schwer gefallen den ständigen rhythmischen Trommelschlägeln zu ihrem Ursprung zu folgen.
Ganz anders wie es sonst seine Art war, lag der stolze Schwertgeselle im Dreck des Dschungel und beäugte heimlich eine Gruppe von potenziellen Feinden.
Ganz, wie es nach den Worten des Hochgeweihten den Anschein hatte, waren mehrere eines Stammesverbundes dabei eine größere Anzahl von Gefangenen, vornehmlich Waldmenschen, diese für ihre blutigen Rituale zu verwenden.
Auf einer in einem engen Talkessel versteckten schwarzen Pyramide, die sicherlich an die fünfzig Schritt hoch war, waren neben mehrer Feuer und hölzernen Käfigen, einer Bratstelle mit einem nicht mehr zu identifizierenden Tier, oben auf der Pyramide eine Kultstätte, die von mehreren Wudupriestern umlagert wurde. Am Fuße der Pyramide waren gut ein Dutzend Wudu-Krieger, die mit ihrer Verpflegung vollauf beschäftigt waren.
Aranil betete. Er konzentrierte sich, sprach kurz zu seinen Ahnen, seiner Familie und noch ehe die Geweihten ihn hätten zurückhalten können, trat er seinen Weg an.
„Was tut ihr. Bleibt stehen. Ihr könnt nichts tun.“
Die Rufe hörte er nicht mehr. Vielleicht würde er damit seinem Freund den Kampf um seine Seele einen vernichtenden Schlag versetzten, doch alles in ihm wusste, dass er das Richtige tat.
Wer ein Schwertmeister sein will muss sich auch so verhalten.
Der Abstieg war schwierig. An vielen Stellen sprang er mehrere Meter hinab, fing sich jedoch immer wieder.
Er dachte nicht an seine Kleidung, die zweifelsohne sehr litt.
Als er die Lichtung betrat, war die Praiosscheibe, welche zwar noch am Himmel stand, verschwunden. Der tiefe Kessel verbreitete eine tiefe Dunkelheit.
Aranil konzentrierte sich. Seine Augen sahen alles.
Mit bedacht beschlich er seine Feinde. Als er an die Käfige herangetreten war, beschien ihn der Schein von mehreren Lagerfeuern. Das große, unter dem das Tier gebraten war, verlor seine Kraft, da das Tier schon halb verzerrt und nur noch mit seinen wenigen Überresten über der Asche hing.
In feinem Garethi wurde zu ihm geflüstert.
„Phex sei dank. Oh ihr Götter. Los befreit mich und ich werde euch reich entlohnen.“
„Seid still.“
Aranil besah sich die Gestalt, eine Frau war es ganz ohne Frage, doch war sie so in ihrer Kleidung gehüllt, dass man nichts erahnen konnte.
„Madame, ich werde euch sicherlich befreien, doch zuvor muss ich mich den Herren dort widmen.“
„Wartet. Sie haben Giftpfeile.“
„Seid bedankt für diesen Hinweis, doch schweigt nun, sonst ist alles verdorben.“
Aranil schlich weiter.
Zuerst steuerte er zwei abseits sitzende Gestalten an. Die außerhalb des Scheins des Lagerfeuers ihr Essen zu sich nahmen.
In nur einem Wimpernschlag war der erste Streich getan. Mit seiner Linken umschloss er den Mund des einen, mit der anderen durchstieß er den Rücken des anderen mit seinem Rapier. Sicherlich eher unehrenhaft zu nennen, doch in einer Schlacht wie dieser vonnöten.
Dem Zweiten, der mit einem harten Schlag in die Rippen des Schwertgesellen seine Freiheit und vor allem seine Sprache zurückverlangte, stieß Aranil nur wenig später seine Waffe in den Hals. Der Verdammte starb nicht sogleich, doch war dem Munde kein Laut mehr zu entronnen.
Mit einem kurzen Ruck beendete der Almadaner das Leben des Todgeweihten.
Niemand hatte etwas bemerkt. Sekunden nur benutzte Aranil seinen Geist, bedachte den Augenblick gut, denn wie auf ein inneres Wissen her erschallten wilde Rufe von der Pyramide. Drohende Schreie erreichten den Helden. Die Krieger waren alsbald bereit. Vier der Männer griffen zu ihren Blasrohren und suchten ihre Pfeile. Die anderen vier ergriffen ihre Waffen und kamen auf den tapferen Schwertgesellen zu gerannt.
Sie waren geübte Krieger und auf einander eingespielt. Sie ließen für die Schützen eine breite Schneise und suchten den Halbelfen einzukreisen.
Noch ehe diese es jedoch geschafft hatten den ersten Streich zu führen rannte der Schwertgeselle mit einem fantastischen Tempo durch die Schneise. Nur wenige Schritt voneinander standen die vier Männer mit ihren Blasrohren. Keiner hatte es geschafft in diesen zwei Sekunden seine Waffe bereit zu machen.
Mehrere Stiche verteilte er, durchlief dabei die Gruppe. Schmerzenschreie durchhalten das Tal, während die Priester laut in ihrer Sprache Verwünschungen oder ähnliches dem Eindringling entgegenschleuderten.
Aranil stockte nicht, besah sich nicht die Gruppe, sondern durchlief sie erneut. Wieder stach er wild in alle Richtungen und lief mit einem unmenschlichen Tempo durch die Gruppe hin zu den anderen Vier.
Der Panik nahe hieben sie nach ihm. Aranil wehrte sie ab, entwaffnete den einen, stach ihm dann tief in die Schulter und rannte zu einem anderen, der hinauf auf die Pyramide wollte.
Wieder traf er einen Feind in den Rücken und wieder stürzte dieser tödlich getroffen zu Boden.
Als er sich zu der Kriegerschar umblickte, trafen ihn mindestens zwei Pfeile. Keiner, selbst der, der seinen Hals traf, durchdrang seinen magischen Panzer.
Die Wudu blickten in dämonisch aufleuchtende Augen, die offenbar alles sahen.
Langsam in einem genüsslichen Schritttempo nahm er die wenigen Stufen.
Zwei Krieger stürzten sich ihm entgegen. Nur durch ein Missgeschick wurde einer von ihnen durch einen weiteren Pfeil getroffen.
Aranil wehrte beide Angriffe ab, hieb dem mit dem Pfeil im Rücken die Waffe aus der Hand und attackierte den Zweiten. Sein Hakendolch ritzte diesem den Arm auf. Wie von Sinnen hieb dieser zu. Es beschloss sein Schicksal.
Aranil vollendete sein Werk.
Der Schwertgeselle ruhte in sich, besah sich die Leichen. Wilde Rufe von den Gefangenen störten ihn in seiner Konzentration.
Mit andächtigen Schritten begab er sich zum Fuße der Pyramide, setzte den ersten Schritt auf den Stein, der nun kühl unter seinen zu vibrieren schien. Die Wudupriester verfielen in einen unheimlichen Gesang, der gleichmäßig in stoßenden Befehlslauten durch die Weite erklangen. Aranil wollte sich nicht aufhalten lassen, doch noch ehe er zehn Schritte getan hatte, spürte er hinter sich die drohende Macht.
Zehn Krieger standen unten, bewaffnet mit Speeren und Blasrohren, mit Macheten und Kampfstab. Ihre schweren Wunden bluteten nicht mehr, noch hatten sie sich geschlossen. Ruhig und behäbig begannen sie auf den Schwertgesellen zu zuschreiten. Langsam, gleichmäßig in einer unheimlichen Reihe erstiegen sie die Stufen. Aranil war von Furcht ergriffen. Sollte dies alles nun hier enden und er ein Opfer dieser teuflischen Wudus werden? Er betete und noch eher er die Augen wieder öffnete, wusste er es. Alte, längst vergessene Laute durchhalten seinen Körper.
Die Geweihten des Boron beschritten die Lichtung. Alle sangen und priesen sie den Gott des Todes, verfluchten diese Unheiligen, die nicht wandeln dürften auf Deres Antlitz.
Gestärkt mit einer mächtigen Zuversicht bestieg er die Pyramide. Er eilte nicht, noch hatte er Zweifel, dass ihm nun noch ein Unheil widerfahren könnte. Nichts würde ihn aufhalten können.
Ihre Ritualdolche waren schnell abgewehrt. Während Aranil nur kurze Blicke auf die Blutverkrusteten Ritualsteine verwandte, stach er auf die Priester ein, die mit ihren unmenschlichen und götterlästerlichen Ritualen so viele Leben auf grausame Weise beendet hatten.
Als Arandil von der elenden Pyramide herabkam, blickte er auf das Lager, indem eine kleine Schar Borongeweihte die Gefangenen aus ihren Käfigen befreiten. Viele schlugen sich sofort mit ängstlichen Blicken in den nahen Urwald, manche jedoch, und unter ihnen die seltsame Frau, blieben an den Lagerfeuern zurück.
Komran beaufsichtigte die Begräbnisse der Wudu. Seine Worte waren kühl und deuteten auf wenig Mitleid bezüglich des erbärmlichen Endes der Priester und ihrer Krieger, doch mied es Aranil dennoch mit dem Hochgeweihten das Gespräch zu suchen. Er hatte sich mit seinem spärlichen Abendessen etwas abseits gesetzt und beobachtete die Gruppe.
Als die fremde Frau mit ihrem immer noch hinter einem Schleier verborgenen Gesicht auf Aranil zutrat, begrüßte er sie dennoch mit dem nötigen Respekt einer Dame gegenüber.
„Verzeiht, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Anaril Honoro Tréville.“
„Ich grüße euch, werter Herr.“
Sie nahm den Schleier von ihrem Gesicht und für einen Moment stockte ihm der Atem, ihr Gesicht war nicht nur schön, sondern das einer Halbelfen.
„Mein Name ist Serará Rabenhaupt. Für eure Hilfe möchte ich mich bedanken. Wenn ihr dies hier nehmen wollt.“ Sie reichte ihm einen edlen Ring, der mit einem großen grünen Stein versehen war.
„Ich kann doch nicht ein so wertvolles Geschenk annehmen für eine Tat, die selbstverständlich ist.“
„Selbstverständlich sagt ihr, wo doch der sichere Tod auf euch gewartet hat. Welch Schwertmeister wagt es schon, es mit einer ganzen Horde von Wilden aufzunehmen? Nein, mein Freund, ihr sollt nicht umsonst gefochten haben.“
Die stolze Frau hatte sich wieder mit ihren Waffen bewehrt, und so sah der Almadaner, das sie ebenso wie er selbst es mit den Fechtwaffen hielt. Sie führte jedoch offenbar eine schlankere Klinge als er selbst, wenn auch nur wenig. Aranil erkannte jedoch sofort, auch wenn er eine solche Waffe nur selten gesehen hatte, das Wolfsmesser. Eine für wahr edle elfische Klinge, die mit prunkvollen Edelsteinen verziert war. Allein für die Steine müsste man schon ein Vermögen bezahlt haben, wenn jedoch auch noch die Klinge von solch vorzüglicher Arbeit war, und Aranil zweifelte nicht daran, konnte diese Klinge den Wert eines Drachenhortes nicht aufwiegen.
Aranil verneigte sich tief, als er den Ring aus der Hand der Halbelfin entgegennahm.
„Wohin wollt ihr euch nun wenden?“
Aranil wusste nicht, was er hätte sagen sollen.
„Ich begleite die Geweihten und wie ich mir denke, werden sie diese Kultstätte nicht sobald verlassen.“
„Oh, wie es mir scheint, muss ich mich ihrer Gruppe dann anschließen, weiß ich doch nicht im Geringsten, wie ich von diesem Platze wieder in die Zivilisation gelange.“
„Kann keiner der anderen Gefangenen euch führen?“
„Da jeder der hier Gefangenen sicherlich auch in H’Rabaal oder gar Al’Anfa um seine Freiheit fürchten muss, lege ich wenig Hoffnung darauf, dass einer meiner Mitgefangenen dies tun wird.“
Aranil war in einer Zwickmühle. Er wollte diese Dame sicherlich in Sicherheit wissen, doch war sein Ziel sehr weit von einem solchen Ort entfernt. Es stand jedoch außer Frage, diese Dame hier der Wildnis zu überlassen und so fügte er sich in sein Schicksal.
Komran und auch die anderen Geweihten wollten an der Pyramide ein Lager aufschlagen und die ehemaligen Gefangenen boten ihre Hilfe an, wollten sich hier von dem erlebten erholen. Aranil, der sich nie an die Umgebung Dschungel würde gewöhnen können, besprach mit Komran die weiteren Planungen, dass er sich der jungen Dame Serará annehmen müsse und sie nach Al’Anfa führen würde.
Komran war es recht. Er wollte die Pyramide untersuchen und wahrscheinliche Opferungen verhindern. Wie er dies zu tun gedenke, fragte sich Aranil zwar, doch wollte er den Hochgeweihten nicht unnötig ausfragen.
Als Aranil mit der sehr erschöpften Halbelfe die kleine Stadt H’Rabaal erreichte, besah sich der Schwertgeselle die unglaublichen Gebäude. Er bestaunte den Hesindetempel, der gebaut in den Panzer einer alten Schildkröte, trotz der gewaltigen Ausmaße des Panzers dennoch nur wenige Schritt Platz bot.
Für den Borongeweihten befragte er den Geweihten nach den Wudu-Priestern. Es war nichts was ihn dabei noch zu überraschen vermochte.
Nur wenige Stunden weilten die beiden Halbelfen in der Stadt. Zu sehr war das Gefühl da, dass man sie beobachtete und für fremde, gar gefährliche Eindringlinge hielte.
Dann, als die große Stadt in der Ferne erschien und die dunkle Erde überall sichtbar wurde, gewaltige Gebäude aufragten, allen voran der Koloss, war Aranil, als würde er eine schwarze Globule betreten, als würde er das Reich des Boron selbst betreten.
„Al’Anfa, meine Stadt.“, sagte Serará andächtig, „Ich sehe in euren Augen Furcht. Es ist gut so. Hütet euch vor jedem, glaubt niemandem und sprecht wenig. Alle Fenster haben Ohren, alle Türen bergen Waffen, alle Gassen führen zu Boron. Doch sie ist die Perle des Südens. Mehr was man sich zu wünschen vermag.“
„Erstaunlich, meine Liebe, dass ein solcher Ort Einlass in euer Herz bekam.“
„Ihr werdet es sehen. Sie ist schrecklich schön.“
Und genau so empfand er es. Alles was gut auf Dere ist gibt es hier im Übermaß, alles was es an Grausamkeit und Schlimmem auf Dere gibt zeigt sich in Al’Anfa mit starkem Angesicht. Nichts was es gibt, gibt es hier nicht, so sagt man und Aranil war gewillt es zu glauben.
Die Eindrücke waren schier unvorstellbar. Sie aufzählen zu wollen würde alles Erdenkliche an Rahmen sprengen.
Aranil trat einen Schritt beiseite, schloss die Augen. Er fühlte sich wohler und doch waren die Eindrücke vielfältig. Er hörte die Schreie von unzähligen Stimmen, hörte das Meer, welches weit in der Ferne sein Lied erklingen ließ, er hörte die Geräusche der Tiere, ob Pferd oder Rind, ob Schwein oder Huhn. Er hörte die Bettler, hörte die Gefallenen, hörte die Hohen, hörte die alles einnehmende Gewalt Al’Anfas.
Er roch die verschiedensten Gewürze, Speisen und Getränke, er atmete die Tiere, den Schweiß der Sklaven, die Angst der Gepeinigten, er witterte die Furcht der Diebe und der Gejagten, es duftete nach edelsten Parfums und nach verbotenen Alchimika und all dies vernahm er blind. So er denn die Augen aufschlug war dort ein unüberschaubares Meer an Eindrücken, Aussichten und Absonderlichkeiten.
Serará führte ihn durch diesen Wald an Strassen, durch dieses Gewirr an Gassen, immer weiter durch die einzelnen Stadtteile, die ganze Städte hätten sein können. Hang auf Hang lag eine andere Welt neben der anderen. Gewaltige Unterschiede ergaben sich von Kreuzung zu Kreuzung, nichts blieb lange so wie es erschien. Tempel waren zu sehen, gewaltige Bauwerke, grotesk nur miteinander verwandt und doch dicht an dicht. Aranil schwand der Geist. War er doch in Gareth selbst gewesen und hatte dort die Fülle erblickt. Nichts jedoch war mit dem hier vergleichbar. Alles erschien unheimlich und dieser, seiner Welt entrückt. Jeder Mensch wirkte wie fremd und doch war der Nächste weitaus schlimmer anzusehen. Alle Brut, so war es ihm, welche die Noioniten nicht zu ergreifen vermochten, trieb es hier in diese Stadt. Gewalt und Elend, Prunk und Maßlosigkeit lagen so dicht beieinander, dass Aranil fassungslos wurde.
Serará führte ihren Retter in ein edles Haus. Und erst hier, war es Aranil gegeben sich seiner Sinne wieder Herr zu fühlen. Erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl fallen und ruhte in sich.
Die Diener verbeugten sich, nahmen die Wünsche von Serará entgegen und entfernten sich. Die Halbelfe stockte jedoch in ihrem Schritt nicht, sondern begann sich leichthin zu entkleiden und warf rechts und links achtlos ihr Waffengehänge, Dolchscheide, Gürtel und Kleider von sich. Türen wurden ihr geöffnet und so war sie schnell Aranils Blick entschwunden. Der erschöpfte Almadaner erhob sich sofort und verfolgte dies Schauspiel mit schnellen Schritten. Die Halbelfe durchmaß das große Gebäude, betrat die nach hinten gelegene Terrasse und beging wenige Sekunden später einen gewaltigen künstlichen Teich. Aranil verspürte schon von weitem den angenehmen Geruch. Wertvolle Öle und auch Kräuter hingen in der Luft und stiegen von der weißen Flüssigkeit auf.
Serará wandte sich um, ließ sich weiter in die Wasser gleiten und blickte den Schwertgesellen herausfordernd an.
Welch ein Mann würde sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen? Die duftenden Öle umschmeichelten seinen Körper, erfrischten ihn und erhellten seinen Geist. Erst jetzt fühlte er sich dem Dschungel entronnen. Leise Musik wurde auf einer erhöhten Terrasse aufgespielt. Alles erschien ihm wie in einem fernen, alten Traum.
Er besah sich den gepflegten Garten, blickte hin auf eine weite Wiese und dachte nur noch für einen Moment an das elende Gewirr von engen, verschmutzten Strassen nur wenige Dutzend Schritt entfernt.
Almadaner Wein wurde herangetragen und feines Gebäck stand daneben.
Der Rahja huldigte er oft gerne, doch an diesem Abend war es mehr – vielleicht ein wenig zu viel. Ein Windstoss von Travia durchzog seine Gedanken, als er sie, während sie sich Boron beugte, betrachtete.
Jäh wurde diese schöne Träumerei unterbrochen.
Am vierten Tage begaben wir uns wieder zu dem Ort. Es war kein sehr bemerkenswerter. Es war nur ein ganz normaler Abschnitt um eine gewaltige Anlage, die durch eine riesige Mauer vom Rest der Stadt abgetrennt war.
Die kleine Plattform schien extra aufgestellt worden zu sein, damit kein herabschwebender Magier von Passanten belästigt oder gar über den Haufen gefahren werden konnte.
Wir blickten nach oben und warteten auf den etwas ungesund dreinblickenden Hamil. Wir erschraken beide, als er plötzlich neben uns stand und mit uns nach oben schaute.
„Ja, das ist sicherlich eine große Mauer.“
„Wie bitte? Wo kommen sie denn her?“
„Nun ja, dass ist, “ und dabei beugte er sich verschwörerisch zu mir herab, “geheim.“, und er blinzelte mir zu.
„So, jetzt aber weiter: wollen sie, ach, wie heißen sie eigentlich?“
„Rashid ibn Amchur Sharif. Mein Sohn heißt Akon ben Rashid ibn Amchur Sharif.“
„Ähm, ja gut. Wunderbar. Wollen sie nun also, ihren Sohn, Akon, mir in die Obhut geben, auf das ich für ihn vor der Akademieleitung sprechen soll.“
„Wieso sollten sie das tun?“
Für einige Sekunden blickte er meinen Vater sprachlos an.
„Ja, richtig, wieso sollte ich das tun? Es ist so üblich. Derjenige, der die Astrale Kraft eines Jungen erstmalig entdeckt, ist für seine Unterweisung verantwortlich.“
„Dies wäre dann doch aber der magiebegabte Assim, oder?“
„Tja, den sehe ich hier aber nicht. Wenn sie ihn jedoch holen möchten, dann wäre mir das auch Recht.“
Mit einem gekünstelten Sich-Abwenden-wollen, begab sich Hamil auf die Plattform.
„Warten sie bitte.“
„Ja, ich höre.“ Sein Blick streifte uns. Mit einem beleidigten und leicht von oben herab versehenen Gesichtsausdruck begutachtete er seine rechte Hand.
„Würden sie für ihn sprechen?“
„Das könnte ich, ja, das könnte ich wirklich. Schließlich kenne ich hier die Lehrkörper und auch den Akademieleiter. Vielleicht sollte ich es auch? Aber meine Zeit ist kostbar.“
Er wandte sich zu mir.
„Na, dann komm schon.“
Ich begab mich auf die Plattform, stellte mich dicht neben ihn.
„Wann werde ich meinen Sohn wieder sehen?“
„Wenn sie ihn befragt haben. Das kann etwas dauern. Vielleicht sollten sie hier nicht unbedingt warten. Gehen sie einfach. Sie haben sicherlich noch was zu tun – tun sie das einfach und morgen kommen sie wieder hier hin. Um dieselbe Stunde.“, und noch während er sprach öffnete er eine kleine Flasche, griff danach kurz nach mir, und wir begannen leicht nach oben zu steigen. „Keine Angst, ihr Sohn ist bei mir in guten Händen. Ahh.“ Er ließ den kleinen Glasstöpsel der Flasche fallen. Ich griff danach und reichte ihn ihm.
„Oh, wie nett.“
Als wir über die Mauer schwebten stockte mir der Atem. Wunder über Wunder, dicht an dicht, Unwahrscheinliches neben schier Unglaublichem, Wunderschönes neben Kurioses, Imposantes neben Gemütliches.
Vor uns lag ein kleiner Palmenhain mit nur drei Meter hohen Palmen, die dichte Dattelkronen hatten und schon über der Reife standen. Schattige Plätze waren zu sehen, die in praller Sonne hätten liegen müssen, sich bewegende Gebäudeteile, von Erkern, Türme und Fenstern.
Nichts wirkte gewöhnlich, nichts wirkte, trotz seiner herausragenden Optik, mit dem anderen nicht harmonisch. Alles war perfekt.
Langsam schwebten wir nach unten und noch bevor wir den Boden erreichten kam schon ein junger Mann auf uns zu und verbeugte sich vor Hamil.
„Meister.“
„Ja, ach so, ja. Es ist alles so wie es sein sollte, mehr oder weniger.“
„Habt ihr die Ingredienzien erhalten? Ihr wisst mein Meister wartet ungern. Er hat mich gebeten auf eure Rückkehr zu warten.“
Hamil stockte, schluckte vielleicht die eine oder andere Bemerkung hinunter.
„Tja, ich kann mir schon denken, dass euer werter Meister wartet. Manches sollte man aber nicht übereilen.“
„Ich werde es meinem Meister ausrichten.“
„Warte, kleiner Novize, allzu voreilig. Hier.“ Und noch ehe ich hätte sehen können woher er die Phiolen hernahm, hatte der Novize sie auch schon ergriffen.
„El Mazar wird sich euch sicherlich dankbar erweisen.“
„Das will ich hoffen.“
Der Novize rannte aus dem kleinen Hain und verbarg schützend unter seinem Umhang die Phiolen.
„Das will ich wirklich hoffen.“ Hamil blickte dem Jungen nachdenklich hinterher.
„Komm mit.“
Mit schnellen Schritten versuchte ich dem Adeptus Maior zu folgen. Wir durchschritten einen kurzen Korridor und bogen überraschend für mich in ein Zimmer ein, in welchem das schiere Chaos herrschte. Bücher über Pergamente, umgeworfene Steintafeln lagen neben heruntergebrannten Kerzen, die zu einem hohen Berg angewachsen, wie achtlos fortgeworfen wirkten. Absonderliche Apparaturen lagen halb hingeworfen in der einen Ecke und Tonkrüge mit seltsamen Inschriften in einer anderen. Die beiden Fenster waren mit seltsamen Ornamenten versehen, die in vielerlei Farben ineinander überzugehen schienen. In Regalen lagen Knochenfragmente und versteinerte Pflanzenreste. Ein großer Spiegel mit gewaltigem goldenem Rahmen stand in einer Ecke. Die Scherben des Spiegels lagen noch verstreut unter ihm. An einer Wand war ein Kamin, der jedoch wenig zu nutzen schien, in einer Umgebung, die kaum niedrige Temperaturen zu kennen scheint. Dennoch war unter der Decke des Kamins ein riesiger Russfleck, der von einer ungewöhnlichen Verpuffung zeugte.
Hamil ging an ein Schränkchen und entnahm ihm eine Karaffe mit Wein. Er goss sich ein Gläschen voll, schüttete es hinunter und füllte es gleich wieder nach.
„Das habe ich gebraucht. Man ich kann dir sagen, dass mit diesen düsseligen Händlern ist aber auch eine verflixte Sache. Früher konnte man noch richtig Geschäfte machen und auch schon das ein oder andere Schnäppchen herausschlagen, doch jetzt. Aber was rede ich da. Was wolltest du?“
Ich blickte ihn verständnislos an.
„Ach ja, du willst also Magier werden. Wollen doch mal sehen.“
Er blickte sich in seinem Zimmer um. Es war nicht klein, wirkte jedoch ob der vielen Dinge, die kreuz und quer herumlagen, geradezu winzig. Schmale Gänge hatten sich um die magischen Unterlagen und merkwürdigen Artefakte gebildet, die man nur alleine durchschreiten konnte. Hamil begann in seiner Unordnung zu suchen. Minutenlang blieb er in einer Ecke, bevor er laut fluchend in einer anderen Ecke von neuem begann.
„Ich glaube, ich habe es verliehen. Ja wahrhaftig, ich habe es verliehen. Tja, dann konnte ich es ja auch gar nicht finden.“
Er wirkte geradezu erleichtert.
Mit einem Grinsen verließ er den Raum.
„Ach so, fass nichts an. Ich weiß bei vielen Dingen nicht, ob sie gefährlich sind oder nicht – und du somit sicherlich auch nicht.“
Ich wartete und blickte mich fasziniert um. Nach endlosen Minuten, es muss schon sicherlich eine Stunde vergangen sein, erschien Hamil und sah mich erstaunt an.
„Kennen wir uns?“
„Ich bin Akon.“
„Ach ja, was willst du?“
„Sie erinnern sich nicht?“
„Doch, doch – ich habe gerade mit meinem werten Kollegen über dich gesprochen. Ich kann dir sagen, Wenn Dschelef mal ins Plaudern gerät, doch dass wirst du sicherlich selbst herausfinden. Geh jetzt bitte zu ihm, er wartet auf dich.“
Ich ging hinaus auf den Gang.
Als ich mich umdrehte um zu fragen wo ich ihn finden könnte diesen Dschelef, schloss Hamil die Tür hinter sich. Sein letzter Gesichtausdruck verriet, dass er verwirrt war.
Ich beschloss jemand anderen nach diesem Dschelef zu fragen. Sicherlich war er bekannt und man konnte ihn leicht finden.
Ich durchschritt die Gänge, die Terrassen, die Kräutergärten und Ruheräume, ging hinauf auf den Türmen und besah mir die ganze Herrlichkeit der Anlage.
„Was hast du hier verloren, Junge?“
Ein älterer Mann blickte mich finster an. Sein schwarzes Haar hatte er zu einem langen Zopf gebunden, der ihm über die Schulter hin, während er eine schwere Apparatur, die Treppen hoch wuchtete. Erst auf den zweiten Blick sah ich, dass dieses absonderliche Gerät Beine hatte und selbst ging und sich dabei sehr sträubte dem Wunsch des Mannes zu folgen und die Treppen hochzugehen.
„Ich bin Akon und ich suche einen Mann namens Dschelef.“
„Ach, ist das so. Und was möchtest du von ihm?“
„Ich hoffe, dass er mir helfen wird. Hamil, ein Adeptus Maior, hatte mir mitgeteilt, dass er mich bei Dschelef angemeldet hat.“
„Hamil also. Was fehlt dir denn? Ah, ich sehe schon. Du hast eine Berührung erlebt.“ Er kam näher und begutachtete mein Auge.
„Interessant. Wo ist dir das passiert? Nein warte, es war in einem Grab, du hast mit einem Geist gesprochen. Nicht wahr. Sag die Wahrheit Junge, es nutzt nichts wenn du mir etwas vormachst. Ich werde dich auch nicht verurteilen. Du hast sicherlich Angst. Kommst aus der Wüste nicht wahr?“
„Das kann schon sein, dass es ein Geist war. Es war eigentlich nur aus Licht.“
„Sehr interessant.“ Er beugte sich zu mir und betrachtete mein Auge.
„Vielleicht echsischen Ursprungs. Schmerzt es? Kannst du damit anders sehen?“
„Es ist alles so, wie es vorher war.“
„Mmmh. Das ist schlecht.“
„Wie bitte?“
„Ach nichts. Ich meine Schade, es wäre sicherlich interessant zu untersuchen gewesen. Aber so.“ Er erhob sich mit einem Schulterzucken und begann wieder an seinem widerstrebenden Gerät zu ziehen.
„Na, nun komm schon, wehr dich nicht. Du weißt doch das es sein muss.“
Ich ging an ihm vorbei und beachtete ihn ebensowenig wie er mich.
Ich beschloss mich in einen Hain zu setzen und die Erlebnisse und die vielen unglaublichen Dinge erst einmal zu verarbeiten. Die steinernen Wächter des Gartens bewegten sich. Nur sehr langsam schlenderten sie durch den Park und schienen von den Menschen wenig Notiz zu nehmen. Erst nach etlichen Minuten des Ruhens ist es mir selbst erst aufgefallen, dass diese Geschöpfe ein ebensolches Leben ins sich zu tragen scheinen wie ich selbst – nur eben in einer anderen Zeitvorstellung.
Ein junger Mann setzte sich zu mir, bot mir wortlos ein Viertel Melone an und biss selbst in seines.
Wir sprachen nicht und ruhten nur beide gemeinsam auf einer der vielen Banken des Parks. Wir beobachteten gemeinsam die vielen Magier, ob sie nun noch im Kindesalter oder Greisenalter waren mit neugierigen Blicken.
Als sich jedoch die Stunden zur Nacht hinschlichen sprach ich den Mann an.
„Mein Name ist Akon ben Rashid ibn Amchur Sharif und wie heißt ihr mein Herr?“
„Mein Name ist Dschelef ibn Jassafer und ich glaube du hast nach mir gesucht.“
„Ja, das habe ich.“
Ich war erleichtert, wirkten doch seine blauen Augen freundlich und interessiert und was mir nicht mehr unwichtig erschien, mit einem wachen Verstand gesegnet.
Er entnahm seinem Gewand eine Arange, schälte sie langsam, reichte mir ein Stück und steckte sich selbst eines in den Mund.
„Und was passiert jetzt?“
„Nichts. Wir genießen den Abend. Oder möchtest du mir etwas erzählen?“
„Ich wüsste nicht was.“
„Vielleicht etwas über dich?“
„Was meinen sie?“ Ich ahnte, dass er von jenen Dingen sprach, die mich hierher geführt haben.
„Ich habe einem Mann die Hand in brand gesteckt.“
Er schwieg lange.
„Hatte er es verdient.“
Ich zögerte.
„Ja.“
„Gut.“ Er sprang beinahe auf, warf die Schalen achtlos in einen Busch, verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und ging.
Ich folgte ihm.
Wen verehrst du?
Er führte mich in einen seltsamen Raum. Er war kreisrund und mit ungewöhnlichen Wandmalereien versehen. Der Raum war, bis auf ein Steinpodest in der Mitte, leer.
Zielstrebig ging Dschelef in die Mitte und wartete dort auf mich. Seine Augen blickten mich friedlich an.
„Komm bitte hierher, Akon.“
Auf dem Steinpodest waren zwei Erhebungen. Die eine wirkte wie eine Welle, die andere wie Flammen.
„Umgreife bitte die Griffe. Sie zeigen dir Ordnung und Chaos, halte diese fest, was auch immer danach passiert. Habe keine Angst, es wird gut sein.“
Angst beschlich mich, doch aus einem mir unerfindlichen Grund vertraute ich diesem mir völlig fremden Mann.
Für einen kurzen Moment wartete ich, zögerte die Entscheidung hinaus, überlegte ob ich ihn fragen sollte, was das nun zu bedeuten hatte. Ich entschloss mich diesem ruhigen Dschelef zu vertrauen.
Als meine Hände die Welle und die Flammen umschlossen war alles verändert. Der Raum wabberte, alles schien Sinn zu ergeben und so seine Richtigkeit zu haben. Die Flammen an der einen Seite, die Wasser von der anderen, alles war im Gleichgewicht. Die Wasser flossen in regelmäßigen Wellen, fein und gleichmäßig. Die Flammen züngelten unkontrolliert und chaotisch. Die Decke war ein Lichtermeer, wo Welle und Flamme einen ewigen Kampf gegeneinander ausfochten. Alles erschien in eine andere Welt verrückt. So sehr ich auch Furcht empfand, so sehr war ich mir doch bewusst, dass ich die Hände halten musste, dass sich alles zum Guten wenden würde. Aus mir entströmte eine Welle, feurig und heiß, gewaltig und erleichternd. Es war gut so.
„Du wirst hier deine astrale Kraft, die du noch nicht kontrollieren kannst verlieren. Doch sie wird wiederkehren und dich zu einem Magier werden lassen. Vielleicht wirst du sogar einmal ein großer Elementarist, doch dafür ist es noch zu früh.“
Das feine Lächeln war einnehmend und beruhigte mich. Nach wenigen Minuten war alles vorbei. Die Decke und alles andere war wieder so, wie es zuvor war. Nichts war mehr mit einem magischen Leben erfüllt. Allein aus Dschelef erschien ein pulsierendes Licht zu entströmen, welches leicht und leise um ihn herumschlich.
„Was ist das für ein Licht bei ihnen?“
Er wirkte überrascht.
„Sehr beachtlich.“
Er strich mir über die Haare.
„Du wirst nun die Nacht hier verbringen. Der Raum hat nichts besonders an sich. Er wird dir nur deine Magie eröffnen, vielleicht wirst du Angst haben, doch das musst du nicht, denn nichts ist in diesem Raum, dass nicht von dir kommt.“
Ich blickte mich um. Der glatte Steinboden wirkte wenig einladend.
„Wie kann ich hier schlafen?“
„Diese Nacht ist nicht dazu gedacht um den Schlaf zu finden.“
Er ließ mich allein, schloss die schwere Metalltür. Der Raum hatte keine Lichtquelle und doch konnte ich sehen. Verschiedenste Farben, die an der Decke ein Gemälde bildeten, von einer fremden Landschaft vielleicht, schienen aus sich selbst heraus zu leuchten. Die gesamte Kuppeldecke leuchtete leicht und ließ den Raum in einem angenehmen dämmrigen Licht erstrahlten.
Ich hatte mich in eine Ecke gesetzt und wartete. Nichts passierte. Stunde um Stunde saß ich dort, dann jedoch, es muss in den frühen Morgenstunden gewesen sein, als der Schlaf mich schon beinahe umfangen hatte, dass leichte Lichter von den Gemälden auf mich zukamen. Ebenso löste sich etwas von mir. Feine Muster bildeten sich, feine Fäden verbanden sich, fanden einander und wie in einem Werben von unzähligen Insekten bildete sich etwas, dass zusammengehörte. Der Raum verband sich mit mir, nahm mich an.
„Wie solltest du mir helfen können?“, flüsterte eine Stimme und ich erkannte sie sofort. Der Geist der Felsenhöhle erschien, breitete sich aus und nahm wieder diese stattliche Gestalt ein, die er mir auch in der Höhle gezeigt hatte. Einen prächtigen Spiegelpanzer mit vielen Ornamenten erschienen in ungezählten Farben, denn anders als in der Nacht in den Unauer-Bergen erschien er mir hier in seiner ganzen Farbenpracht, so als würde er noch leben und atmen.
„Wie kann ich dir helfen?“
Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, um was ich ihn bitte konnte.
„Ich will ein Magier werden?“
„Warum?“
„Weil ich von Rastullah beschenkt wurde. Wer bin ich, dass ich seiner Bestimmung nicht folge.“
„Gut. Ja, das wirst du. Du wirst ein Magier werden.“
„Ich weiß nicht was von mir erwartet wird.“
„Wie solltest du.“
„Und was soll ich tun?“
„Lernen!“
Langsam war die Erscheinung verschwunden, löste sich in einem wirbelnden Nebel auf, der aus vielen feinen Fäden bestand und sich knisternd zu dem Gemälde der Decke hinbegab.
Als sich die große Tür öffnete, blickte ich in viele Augen. Sie nahmen mich in ihre Mitte und führten mich in einen riesigen Raum.
In diesem Raum stand Dschelef und Hamil. Sie warteten auf mich. Meine Begleiter, die alle kein Wort sagten und mich mit andächtigen Schritten zu den beiden Wartenden führten, waren in weite helle Kleider gehüllt, so als wären sie selbst keine Magier. Und das waren sie auch nicht.
Die Begleiter waren Kinder wie ich selbst, älter, viel älter aber doch noch Kinder.
„Ihr habt gesehen wie sich Akon geschlagen hat, ihr habt seine Worte gehört.“
Ich war bestürzt, hatten sie doch offenbar alle meine Nacht in dem Raum verfolgt.
„Wer von euch will sich diesem Jungen annehmen, ihn lehren und führen auf dem Weg hin zu einem Adeptus Minor?“
Die neun Jungen bewegten sich nicht, keiner schien auch nur ein Augenlied zu bewegen.
„Ich.“
„Trete vor und nenne deinen Namen.“
Es war der jüngste von ihnen, er war nur wenige Jahre älter als ich selbst, wahrscheinlich um die zwölf Jahre alt.
„Mein Name ist Mherech ben Tuleyman ben Haschabnah.“
„Mherech. Gut. Du wirst Akon anleiten und ihm zeigen wie er sich hier zurechtfinden kann. Ihr anderen könnt nun ruhen gehen.“
Die acht verbeugten sich leicht und verließen leise den Raum.
Mherech führte mich durch gewaltige Anlagen, bog an vielen Stellen ab, ging mit mir Treppen hinab, durchschritt mit mir Haine, führte mich an Türmen vorbei, überall erblickte ich Zwiebeltürmchen, wir passierten Arkaden und kleine Teiche und dann endlich führte mich Mherech in mein Zimmer. Es war wunderschön. In ihm ruhten noch drei andere Kinder, die langsam erwachten und mich und Mherech fragend anblickten. Mherech wartete bis er die Gesichter aller drei gut sehen konnte und sicherstellen konnte, dass alle ihm zuhörten.
„Das hier ist Akon ben Rashid ibn Amchur Sharif. Er ist euer neuer Mitschüler. Ich bin Mherech ben Tuleyman ben Haschabnah sein Pate.“
Sie blickten ihn nur verschlafen an, sagten kein Wort.
Mherech wandte sich mir zu.
„Dort ist dein Bett. Deine Kleidung wird sich dort in der Kiste befinden, alle Unterlagen die du benötigst und auch sonstige Gebrauchsgegenstände. Solltest du noch irgendetwas benötigen, ich bin eine Etage höher in Zimmer neun.
Mherech ging.
„Puh, da hast du aber Pech gehabt.“
„Wieso, vielleicht hat er auch das große Los gezogen.“
„Das glaubst du doch selber nicht.“
„Was meint ihr?“
„Mherech?“
„Ja?“
„Er ist der Enkel des Kalifen.“
Ehrfürchtig blickte ich zur Tür.
„Habt ihr gemerkt, wie er die ‚neun’ ausgesprochen hat? Unglaublich!“
„Sein Glaube geht ihm nun mal über alles.“
„Tja, so ist er eben.“
„Ich bin übrigens Ismet ibn Sahil.“ Der Junge war gut einen Kopf größer als ich, kräftig und stark.
„Mein Name ist Aytan ibn Kazan Dscherid ibn Amir Dscherid beni Avad.“
Der Dritte erhob sich. Sein Blick wanderte über die weißen Wände, so als würde er etwas suchen und noch bevor er vor mir stand, erschien es mir, als hätte er etwas gesehen, etwas an einer weißen Wand, dass offenbar nur er sehen konnte.
„Ich bin Zori von Uuz’Dornak, Bruderschwester.“
„Wie bitte?“
„Nein, nicht.“ Aytan hielt Zori auf. „Erkläre es ihm bitte nicht. Jedenfalls nicht jetzt, es ist so ein schöner Morgen. Wir sollten ihn nicht mit solch einer Rede zerstören.“
Dies schien den Jungen zurückzuhalten. Wenn auch mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck.
Ismet flüsterte mir zu: „Er kommt von Maraskan, sehr seltsames Volk. Sie scheinen die Schönheit der Welt zu vermehren und das ist sicherlich eine gute Sache.“
Er grinste mich an.
„Sag mal, wie alt bist du eigentlich du wirkst sehr jung.“
Ich war zwar nur wenig kleiner als Zori, doch Aytan und vor allem Ismet überragten mich deutlich.
„Ich bin aber schon neun. Meine Mutter kam von weit her, einem Land in dem die Menschen nicht sonderlich groß werden und dies habe ich von ihr geerbt.“
Ismet hob die Augenbraue und verzog die Mundwinkel, so als würde er mich bemitleiden.
„Du hast übrigens zwei schöne Augen. Das eine ist blau wie das Meer und das andere goldenen wie ein Schatz. Prächtig. Rur hat gut an dir getan.“
„Wer?“
„Du kennst Rur auch nicht? Ich muss schon sagen, ich dachte ich würde hier etwas lernen und nicht anderen etwas beibringen müssen.“
Ismet und Aytan verließen den Raum. Zori erzählte viel, doch weiß ich das meiste nicht mehr. Rastullah hat viele Menschen erschaffen, viele davon scheinen aber nicht ganz richtig im Kopf zu sein oder haben die Wahrheit über den All-Einen nicht vernommen. Ich bedauerte ihn.
Wen nennst du Freund?
Noch vor dem Frühstück wurde ich vor die Akademie gebracht. Rastullahs Antlitz war noch nicht über den Rand seiner Welt gekommen und war herrschte in den Straßen der Erhabenen noch eine angenehme Stille, die mich beruhigte und angenehm berauschte. Ich sah ihn, während ich noch mehrere Meter über ihm schwebte. Alt wirkte er mit seinem weiten Gewand, so als hätte er die Nacht hier verbracht. Neben ihm stand Dschelef ibn Jassafer. Beide blickten mir mit freudigen Augen entgegen, die Augen meines Vaters erschienen jedoch gezeichnet, von der Nacht oder anderem, konnte ich nicht ergründen.
„Sorge dich nicht, mein Sohn. Rashdul ist prächtig und weise. Ein Haimamud weiß in ihr zu überleben.“ Sein mildes Lächeln tat mir gut. Wir tranken den Tee und genossen die feinen Speisen, ganz so, als wären wir hohe Herren. Jassafer hatte uns in ein kleines Teehaus geführt, ganz nahe der Akademie. Offenbar war es nur für die Magier da, denn kein anderer traute sich es zu betreten.
Um uns war der Lärm, der sich nun doch von der Straße her zu uns hin trieb, doch in uns und mit uns war die Stille, die Stille des Abschieds.
Man hatte mir gesagt, dass die Ausbildung sehr lange dauern würde und das ich das erste Jahr die Akademie nicht verlassen dürfe. Mit diesem Gedanken, sprangen mir die Tränen in die Augen.
„Von nun an sind wir getrennt, mein Sohn. Bedenke jedoch, dass uns nichts entzweien kann. Ich behüte dein Haupt, denn Noraia ist mit mir und hilft mir. Und bedenke, mein Sohn, dass sie es ist, die bei dir ist und dich behütet. Sie war kraftvoll und weise, hatte es ebenso wie du, diese Kraft.“
„Sprichst du von der Magie?“
„Ja, mein Sohn. Auch sie hatte sie in sich. Es brannte heiß in ihr und ich hoffe, dass man dir hilft es zu bändigen. Höre auf die Lehren, doch glaube auch an Rastullah und seiner Macht.“
Ich senkte mein Haupt und dachte an die beiden Gebote.
„Er hat es so bestimmt. Seine Weisheit ist erhaben und er weiß um deinen Weg. Möge er steinig oder sandig sein. Hüte dich davor seinen Weg zu verlassen.“
„Ja Vater, ich werde gehorchen, ich werde dich ehren und seinen Namen preisen.“
Er nickte, genoss den aromatischen Tee und strahlte dabei eine Ruhe und Zufriedenheit aus die mich anrührte. Er wusste, dass er seine Aufgabe erfüllt hatte und meine Zukunft gesichert war. Ich würde eine sehr teure Ausbildung erhalten und keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden müssen. Doch er wusste auch um die Gefahren, die auf mich warten würden. Er wusste um die Versuchungen und die Wege die mir aufgezeigt würden. Er wusste um die Magier, die in vielen Geschichten Rastullah den Rücken gekehrt hatten. So war auch in seinem Gesicht die Sorge zu lesen, die Sorge um seinen einzigen Sohn.
Als Zori mich in den Speiseraum führte, spürte ich eine angenehme Verbundenheit. Auch wenn er verrückt sein mochte, so war er doch ein lieber Mensch, der einem gut tat.
Ich nahm was Zori nahm. Eine Schale mit Haferflocken, Joghurt, einigen Früchten, Nüssen und reichlich Honig. Wir mischten es zu einem Brei und aßen es zusammen mit einem frischen Glas Wasser. Nie in meinem Leben trank ich so reines Wasser.
„Siehst du die Geister?“, flüsterte er mir über seiner Schale hinweg zu.
Ich blickte überrascht zu Zori, der die Bewegungen von unsichtbaren Wesen zu folgen schien.
„Nein.“
Ismet und Aytan lachten, ebenso wie einige andere, die ich jedoch nicht kannte.
Gestärkt und angenehm umgeben von so vielen Kindern, die alle, ebenso wie ich selbst, diese astrale Kraft in sich spürten, schlenderte ich über den Hof. Ich folgte den anderen, die sich zusammen mit einer anderen Gruppe in einen Erker setzen. Wie aus dem weißen Stein herausgelöst, waren feingliedrige Bänke angebracht, die sich mit ihrer Kühle angenehm um den Körper schmiegten.
„Wir werden morgen in die Geheimnisse der Magie eingeweiht.“
„Red’ keinen quatsch. Wir werden in den ersten Jahren überhaupt nichts über Magie lernen.“
„Außer vielleicht, dass wir sie halten können.“
„Ja sicher.“ Ismet wirkte wie der geborene Anführer und Aytan wie sein General. Ich mochte sie.
Leider war es so, wie Ismet sagte, wir lernten, doch die Magie war so gut wie nie ein Thema. Rechnen, Lesen und Hausarbeiten, von Putzarbeiten bis hin zu verkrusteten Kolben reinigen. Alles war uns auferlegt. Auf das wir die Demut über dem Handwerk nicht verlören.
Jedoch nichts was wirklich Zufriedenheit erzeugte. So erging es uns allen. Niemand wurde bevorzugt oder mit allzu großer Langeweile bedacht. Kaum ein Lehrmeister der Magie beschäftigte sich mit uns. Botengänge durch die vielen Flure, hin zu ihren stillen Studierstuben war alles, was uns in ihre Nähe brachte und sich oft genug anfühlte, als wäre man ein Störfaktor, der nur aufgrund einer allgemeinen Abmachung hier geduldet wurde, die aber jedem großen Magus mal mehr mal weniger unangenehm war.
Hätte er es sich nicht denken müssen? War dieses Traumschloss nicht zu schön gewesen?
„Wer ist dieser Gockel hier? Serará wie kannst du nur deine Liebhaber mit hierher schleifen. Scheuche ihn hinaus in die Nacht, auf das er in den Schlund zurückkriechen kann.“
Serará erwachte, ihre Sinne jedoch waren noch in Borons Armen und so plapperte der
Eindringling weiter.
„Nur noch wenige Augenblicke gebe ich ihm, bevor ich meine Waffe ziehe und ihn niedermache.“
„Wenn er mir einen Augenblick gewährt, so werde ich sofort zur Stelle sein.“
„Was spricht er mich an, wagt er es oder ist er von euren Drogen umnachtet? Weist eure Liebesdiener besser an, bevor sie ihr Unglück finden.“
„Für diese Beleidigung…“
„Schweig, Aranil!“
Serará blickte erschrocken und einer Panik nahe Richtung Eindringling.
„Ich danke für die Nacht, doch habt ihr mir nicht den Mund zu verbieten.“, und an den mit edelsten Gewändern ausstaffierten, vierzigjährigen Mann gewandt: „Wenn ihr Ehre im Leibe tragt, so wählt einen Ort und eine Uhrzeit, auf dass ich euch für diese Beleidigungen entsprechend züchtigen kann, mein Herr. Meine Sekundanten werden im Laufe des Tages hier eintreffen und von den Euren Stunde und Platz erfragen.“
Nackt wie er war verabschiedete er sich und las beim hinausgehen seiner Kleider und Waffen auf. Bevor er sich ganz zum gehen gewandt hatte, drehte er sich zu dem Granden um: „ Für den Fall, dass Madame meinen Namen vergessen haben sollte. Mein Name ist Aranil Honoro Trevillé. Und nun nennt mir der Höflichkeit halber noch euren Namen, werter Herr, auf dass ich, meinen Gepflogenheiten entsprechend, Boron eure Seele anempfehlen kann.“
Mir eisigem Blick starrte der Eindringling seine Halbelfe an: „Mein Name ist Amato Ugolinez-Paligan.“
Aranil nickte dem Mann zu und verließ das Haus.
Er ahnte, dass ihm ein heißer Tanz bevorstand. Er hatte die Waffen am Wehrgehänge des Mannes gesehen. Beeindruckende Schmuckstücke, noch weitaus prachtvoller als die von Serará. Es blieb jedoch abzuwarten ob dieser Mann auch mit ihnen umzugehen verstand.
Aranil suchte in den Straßen nach einem Juwelier und nach gut zwei Stunde hatte er auch einen gefunden.
Das Geschäft war von mindestens drei Wächtern umgeben, die mit schweren Waffen die Auslagen zu bewachen wussten. Es waren alle drei erfahrene Söldlinge und so betrachteten sie Aranil mit misstrauischen Blicken.
„Ich grüße euch, werter Juwelier.“
„Boron zum Gruße. Was kann ich für einen so weit gereisten Recken tun?“
„Ich habe kürzlich ein Geschenk erhalten für das ich keine Verwendung weiß. Vielleicht könnt ihr mir ein Angebot machen?“
Aranil reichte dem Mann den Ring, den er erst vor so wenigen und doch so ereignisreichen Stunden erhalten hatte.
Der Juwelier betrachtete sich den Stein, zog die rechte Augenbraue hoch, so als würde er den Stein wieder erkennen.
„Wie sagtet ihr, habt ich ihn in euren Besitz gebracht?“
„Ich sagte, dass er mir zum Geschenk gemacht wurde. Wisst ihr um den Stein? Wurde er gar bei euch erworben?“
„Ihr ratet recht. Er ist von meiner Hand geschliffen.“
„Hervorragend.“
„Ach findet ihr?“
„Aber selbstverständlich, wer wenn nicht ihr, könntet seinen waren Wert erkennen.“
„Das ist wohl wahr, doch weiß ich auch um den Käufer und kann mir nicht erklären, wie er in euren Besitz gelangt ist.“
„Das hat euch auch nicht zu kümmern, ist es doch sicherlich so, dass er auf diesem Weg durch mehrere Hände ging.“
„Das sicherlich, doch frage ich mich, ob nicht mindestens eine Hand davon ein Verbrechen beging.“
„Wenn ich den Käufer zu erraten vermag und euch versicherte, dass ich die Dame, von dem ich ihn erhielt noch immer im Hause dieses Käufers aufhält, könntet ihr mir dann einen Preis nennen?“
Der Alte grübelte nach den Worten seines Gegenübers noch eine Weile nach.
„Ja, gut, so wollen wir es halten.“
„Amato Ugolinez-Paligan ist wohl sein Name.“
Mit schnellen Augen blickte sich der Verkäufer in seinem Geschäft um Niemand sonst war zu sehen, abgesehen von einer Wache, die ganz offen in dem Geschäft stand und sich mit seinem kräftigen Leib etwas zu rühren begann.
„Ja, so ist wahrlich sein Name, doch wenn euer Leben euch lieb ist, so nennt ihr ihn nicht allzu laut. Seine Ohren hören weit.“
Um sich vielleicht selbst abzulenken betrachtete der Alte den Ring erneut. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn, ob er überlegte was er bieten sollte, oder ob er dies Geschäft vielleicht ganz bleiben lassen sollte, wusste Aranil nur unzureichend zu deuten.
„Ich weiß, dass dieser Ring sicherlich an die zweihundert Dublonen gekostet haben dürfte. Für den halben Preis bin ich bereit ihn an euch zu verkaufen.“
„Ein wahrlich großzügiges Angebot, doch weiß ich doch, dass kaum jemand einen solchen Ring kaufen wollte, außer Amato würde ihn selbst wieder kaufen wollen. So wäre es sicherlich ratsam für mich zu erfragen, wie ihr in den Besitz des Ringes gekommen seid.“
„Den Umstand kann ich euch natürlich nicht im Detail schildern, doch war es als Belohnung für ein Leben gedacht, dass ich zu retten die Ehre hatte.“
Der Alte erschien erleichtert. Offenbar hatte er wirklich den Schluss gefasst dieses Geschäft würde sich wirklich lohnen.
„Hundert Dublonen also.“, und der Juwelier ging in eines seiner Hinterzimmer und kam mit einem prächtig gefüllten Beutel wieder hervor. Aranil hatte richtig mit seiner Vermutung gehandelt. Der Ring war sicherlich dreihundert oder gar mehr Dublonen wert, doch wusste er auch um den Zustand des Ringes, dass niemand anderes ihn würde kaufen wollen, da der Besitzer allgemein bekannt war. Ihn noch weiter mit sich zu tragen konnte er sich nicht leisten. Er benötigte Geld, war es ihm doch mit diesem möglich die benötigten Sekundanten anzumieten. Zumindest hoffte er dieses. Das er selbst niemanden in dieser gar merkwürdigen Stadt kannte, so musste er sich auf diese Art, die leider nicht zu umgehen war, behelfen.
Aranil hielt es jedoch für seine Pflicht dem Händler noch einen Hinweis nicht vorzuenthalten.
„Ihr solltet euch mit euren Bemühungen, den Ring an den werten Amato zu veräußern nicht allzu viel Zeit lassen. Sein Leben könnte in Kürze enden.“
Aranil ließ seinen Hut kreisen und bedachte den verdutzten Mann mit einem einnehmenden Lächeln.
Unser Schwertgeselle trieb es durch die Stadt, betrachtete die Gassen und Gebäude, suchte zielstrebig nach Gasthäusern oder Kriegerschulen oder gar Privatgelehrten in der Kunst der Fechtwaffe. Mit letzterem hatte er wenig Erfolg, war ihm doch auch dieses ganze Gewirr der unmöglichsten Straßen ein überaus verdrießlicher Gräuel.
So wusste er sich nicht anders zu helfen, als in dem Hafenviertel die Seekriegssöldlinge anzusprechen. Mit wenig Enthusiasmus und wenig Hoffnung auf angemessene Kandidaten, sprach er gelangweilt mal einen thorwalschen Saufbold an, mal einen verstummten Golgariten, und mal einen vernarbten Seemann.
Als die Abendstunden über die schwarze Erde Al’Anfas krochen, war ihm alles recht und mit diesem Gedanken durchstreifte er die Stadt. Als er jedoch den Tempel der Rondra erblickte, schien es ihm, doch wie ein Zeichen der Göttin selbst. Andächtig durchstreifte er den von jungen Gecken gesäumten Park, die Ausschau nach ihren Herzensdamen hielten und betrat den Tempel mit klopfendem Herzen. Gesäumt von gewaltigen Löwenhäuptern durchschritt er die große Pforte. Vielleicht war es eben jene Entscheidung, die ihm sein Leben retten sollte, vielleicht war es aber auch nur ein kurzer Aufschub.
Zwei junge Novizen, einer von ihnen stand kurz vor seiner Weihe, sahen sich nach einer nicht unerheblichen Spende von zwanzig Dublonen in der Lage bei dem Ehrenkampf als Sekundanten mitzuwirken. Ganz besonders wurde ihr Interesse geweckt, als sie den Namen des Gegners erfuhren.
Aranil sprach sich aus, ihr Vorgehen mit großer Eile anzugehen, da die Stunde der Nacht nicht mehr weit entfernt sei und ein Ehrenduell, meist in den frühen Morgenstunden stattfindend, einer nicht geringen Vorbereitung bedarf. Es war ihm etwas unbehaglich den werten Amato Ugolinez-Paligan so spät noch mit seinen Sekundanten zu belästigen, doch die Zeit eilte und er hatte strenge Verpflichtungen einzuhalten.
Die beiden Männer, Gisco von Kannemünde und Coragon Landrón, waren sicherlich von Ehre und so kniete sich Aranil erleichtert zum Gebet und war froh wie es sich gefügt hat, während diese beiden das Haus seiner Beleidigung aufsuchten.
Wenig später, als die beiden Göttinnendiener, wieder in ihrem Tempel zurückgekehrt waren, teilten sie ihm mit, dass der Kampf wirklich in den frühen Morgenstunden stattfinden würde, nur der Ort überraschte ihn. In der Bal-Honak Arena sollte er sein Rapier mit dem edlen Herrn kreuzen.
„Es scheint mir ein merkwürdiger Ort zu sein?“
„Das könnt ihr sicherlich sagen. Doch womöglich wird es euch gut anstehen, denn die ärztliche Versorgung ist dort hervorragend.“
Aranil nickte.
„Das könnte dem guten Amato sicherlich gut tun.“
„Wisst ihr nicht, dass der werte Ugolinez-Paligan ein Meister der Fechtwaffe ist und als Praefectus Ludi, als Vorsteher der Spiele, und Mitglied im Rat der Zwölf, einer der mächtigsten Männer Al’Anfas ist?“
„Für wahr, dass ist eine Neuigkeit, die mich froh stimmt. Ist es doch nun so, dass wir einen Kampf Gleicher erleben werden. Es hätte mich betrübt, wenn ich diesem werten Herrn eine gar unziemliche Lektion hätte erteilen müssen.
Könntet ihr mir nun ein Ruhezimmer anempfehlen? Ich benötige nicht viel, nur sauber sollte es sein und ohne große Störungen in der Nacht.“
Die beiden blickten sich überrascht an, erwiesen jedoch ihrem Duellanten die Ehre ein Bett in dem Tempel zu nehmen. Sie hatten nicht ohne Grund zu fürchten, dass es ihm mit dem gut gefüllten Dublonenbeutel schlecht in den Straßen Al’Anfas ergangen wäre.
Aranil akzeptierte herzlich gerne, er wolle jedoch noch ausgehen.
Coragon bot an, sich doch den Kampfplatz anzusehen. Gisco war offenbar davon wenig angetan, da die Spiele eine ganz und gar Rondra ungefällige Art des Kampfes anboten.
Coragon winkte ab, war es doch nur dazu da um den morgigen Kampf besser vorbereiten zu können. Gisco akzeptierte diese fadenscheinige Begründung, doch wolle er dennoch die beiden nicht begleiten.
Die beiden Helden, Aranil und Coragon, machten sich nach wenigen Minuten auf den Weg. In den Straßen schien es nur ein wenig leerer zu sein, als am Tag, doch hatte sich das Bild sehr verändert. Waren, in einem ständigen Strom, wurden in die Stadt transportiert. Alles ging dabei mit einer gar undurchschaubaren Ordnung vonstatten, die Aranil faszinierte und er dieses ganze Gebilde, die Stadt Al’Anfa, zu durchschauen begann.
Auf dem Weg zur Arena bemerkte Aranil eine weitere Veränderung, die Armen der Stadt schienen von ihr angezogen zu werden, denn auch sie wanderten, ganz so wie er, zu diesem gewaltigen Bauwerk, das gut erleuchtet in den Straßen Al’Anfas von beinahe jedem freien Ort aus gut gesehen werden konnte.
Aranil begleitete Coragon, wodurch ihm die Zeit blieb sich alles genau zu betrachten und jede architektonische Besonderheit erfassen konnte. Vor allem waren es steinerne Raben, die an vielen Orten wie lebendige Tiere wirkten und den Besucher zu betrachten schienen. Anders aber als in anderen Städten waren hier die Bauwerke nicht mit einem Blendwerk versehen, dass sie prächtiger erscheinen lassen sollte, als sie eigentlich waren. Wenn sie eine bauliche Besonderheit hatten, und dass war bei den meisten Gebäuden so, so waren diese von kunstvollem Sachverstand erbaut worden, der einen jeden einlud es näher zu betrachten. Das dabei meist eine eindeutige Wirkung erzielt werden sollte, die oft auf Sinn und Zweck des Gebäudes ausgerichtet war, verstand Aranil sofort und war von diesem Konzept begeistert.
Allein der Rondratempel war sinnbildlich der Löwengöttin geweiht. Gewaltige Löwenstatuen aus Bronze bewachten den Eingang und flankierten den der Gläubigen, die durch das geöffnete Maul in den Tempel einzutreten hatten.
Obwohl Aranil eine feinere Architektur gewohnt war, so waren die oft groben bildhaften Elemente eine amüsante Idee, die ihm gefiel. Wenn auch er es niemals in Vinsalt oder Punin würde sehen wollen.
Die Schreie hallten ihm schon von weitem mit einer kraftvollen Energie entgegen, die ihm den Puls nach oben trieb.
Aranil war überaus erstaunt, dass in diesen Abendstunden noch so viele Menschen an einem Ort versammelt waren. Einige Tausend mussten es wohl sein, die sich in dieser gewaltigen Anlage aufhielten und beinahe einem ganz normalen Leben nachgingen. Sie aßen und schliefen auf den oberen Rängen ganz so, wie sie es wohl auch in ihren stinkenden Stuben im Schlunde zu tun pflegten.
Coragon wies auf die strenge Ordnung hin, die sich ganz automatisch aufgrund der Eintrittspreise ergab.
Aranil bestaunte mit bizzarer Faszination die blutigen Kämpfe, die sich in den Nachtstunden zutrugen. Obwohl sie bei weitem nicht die Klassen eines Tageskampfes hatten, wie Coragon nicht zu erwähnen vergaß, war es für den weitgereisten Halbelfen doch ein Schauspiel der besonderen Art. Er hätte niemals zugegeben, dass es ihm gefiel, doch hatte es einen Reiz der gewiss nicht ohne Grund so viele Menschen in seinen Bann zu schlagen vermochte.
Das erste Schauspiel, welches Aranil erblickte, war ein Kampf zwischen einem Moha und einem schwarzen Panther, den der Waldmensch mit seinen merkwürdigen Schreien, mit Kamaluq bezeichnete. Die Dunkelheit machte es zu einem seltsamen Schattenspiel, welcher nur ab und an, durch künstliche Blitze kurz erhellt wurde. Nachdem der Krieger das Tier erlegt hatte, wurden unzählige Fackeln angezündet, die den gesamten Innenraum der Arena in einem merkwürdigen düsteren Licht erhellte. Palmen und andere Pflanzen wurden mit Hilfe von Aufzügen von der Bühne, denn als solche sah Aranil sie nun, geschafft und eine andere Kulisse wurde mit anderen Aufzügen in Position bestellt.
„Oh, unser Hochgeweihter.“
„Wie bitte.“ Aranil blickte fassungslos auf den Kampfplatz. Und in der Tat schritt eine Gestalt, die ganz offenbar ein hoher Geweihter der Rondra war, auf den blutdurchtränkten Sandplatz der Bal-Honak-Arena.
„Was im Namen der Zwölfe macht der dort?“
„Es wird sicherlich nur eine Hinrichtung sein.“
Wie vom Donner gerührt blickte Aranil erschrocken und angeekelt auf den Platz.
Eine mitleiderregende Gestalt wurde, eingefasst in eine prächtige und dem armen Mann viel zu groß geratene Rüstung, auf den Platz hin zu einem Richtplatz geführt.
„Das kann doch nicht…“, begann Aranil zu stottern, wurde in seinen Worten jedoch jäh von einem offenbar sehr müden Sprecher unterbrochen.
Mit traniger Stimme ratterte der Mann seinen Text herunter.
„Heute, am 23 Travia, wird Zelmo Hornan hingerichtet. Wegen vielerlei Verbrechen, von denen er die meisten zu gestehen bereit war. Die Vollstreckung wird sofort vollzogen.“
Kaum jemand nahm Notiz von dem elendigen Mann, der sich noch nicht ganz in sein Schicksal zu fügen bereit war. Er wand sich und versuchte sich aus den kräftigen Armen der beiden Gardisten zu befreien. Seine Rufe wurden nicht weit genug getragen, sodass Aranil sie leider nicht verstehen konnte.
Der Mann wurde auf den Tisch gelegt, der Geweihte nahm sein Richtschwert und enthauptete ihn. Die ganze Prozedur hatte nur wenige Augenblicke in Anspruch genommen, doch hatten sie Aranil zutiefst getroffen.
„Wieso?“
„Wie bitte?“
„Wie kann ein Hochgeweihter der Rondra sich für so etwas hergeben?“
„Nun, früher mussten die Henker oft genug mehrere Male zuschlagen. Wenn die Klinge jedoch von einer geübten Hand geführt wird, reicht einer.“
Aranil dachte nach. Er schwieg.
Al’Anfa hatte ihm sein Gesicht gezeigt. Vielleicht sollte er sie doch, die Pestbeule des Südens, so schnell wie möglich verlassen. Gleich morgen, nach diesem kleinen Intermezzo, dachte er sich, würde er diesem Reich den Rücken kehren.
Die Nacht verbrachte er in einer kleinen Kammer des Tempels, die tief und kühl nach hartem Stein roch. In den frühen Morgenstunden, denn Schlaf hatte er nicht finden können, suchte er in dem Tempel nach dem was ihn beschäftigt, nach dem was die Götter wollen, nach dem was er von den Göttern erwartet. Alles ist möglich in dieser Welt, alles kann geschehen, doch hatte er sich bisher eingebildet, dass die Götter einen festen Weg haben und auf diesem wollen sie ihre Gläubigen hinsteuern. Was er jedoch in dieser Arena gesehen hat, weißt in eine ganz andere Richtung. Er fühlte sich entkräftet und schwach. Kein wirklich guter Zustand vor einem Duell.
Ganz so hatte er sich bei seinen ersten Duellen gefühlt, wenngleich er doch einen unausloschbaren Optimismus in sich hatte, der ihm die größte Gefahr als überwindbar erscheinen ließ. Nicht so jetzt. Er hatte sich mit diesem Kampf nicht sonderlich lange aufhalten wollen. Doch jetzt war es ihm, als würde er sich hier rechtfertigen müssen; nicht nur vor diesem Amato, sondern auch vor der Göttin selbst, die ihm einen ganz anderen Blick gewährt hatte. Er stellte sich fragen, ob sein handeln richtig war, Gedanken, die ihm bisher nur sehr selten gekommen waren. Würde er es schaffen Akon zu helfen? War der Weg den dieser gewählt hatte der Richtige? Sollte er ihm helfen?
War dies jedoch wirklich sein Weg?
Er stürzte sich, entgegen dem Gebet vor Vortage, nun von seinen Gedanken beschwert in ein tiefes Gebet.
Was ist für dich die Magie?
Ich ruhte in der Spitze eines der vielen Zwiebeltürme, betete und versuchte meinen Geist zu reinigen. Die kühle der Nacht hing noch in der Luft und alles um mich herum war Stille.
Ich erspürte die Magie in mir, wandte die mir beigebrachten Übungen an und versuchte sie kontrolliert fließen zu lassen.
Langsam nur, entwich die astrale Kraft meinem Körper und verteilte sich in dem Raum, der klein und ungenutzt war.
Die steile Wendeltreppe war ich in dem Ende der Nacht erstiegen, nachdem ich aufgewacht und nicht wieder einschlafen konnte. Ich war in der Akademie herumgelaufen und hatte mir etwas zu trinken geholt. Schließlich war ich in einen der Türme gegangen um zu Meditieren.
Unter dem Meister Dscherid hatten wir es in den Tagen zuvor geübt und ich war kläglich gescheitert.
Dort jedoch, in der Ruhe des hohen Turmes mit dem wohltuenden Rund um mich, wurde es mir leichter ums Herz und ich konnte die Konzentration finden, die zur Kontrolle der astralen Kraft notwendig war.
Ich sah, wie die leichten Fäden von meinem Körper aufstiegen, sich verdichteten und vom unendlichen leichten Windhauch durch den Raum geleitet wurden. Ganz langsam nur strebten sie auf einem unsichtbaren Pfad hin zu dem kleinen Dachfenster, welches von außen ebenfalls golden und nicht sichtbar war.
Durch einen kleinen Spalt verließ die Kraft, meine Kraft, den Raum und floss zurück in die Weite Deres.
Ich fühlte mich erleichtert und entspannt.
Er frühstückte mit den Geweihten, schwieg jedoch beharrlich.
Man führte ihn wieder zur Arena, diesmal jedoch war auch Gisco bei ihm.
Als Aranil die Arena betrat war er überrascht, denn gut einige hundert Schaulustige waren auf den Weiten der Arenatribünen verteilt. Gut ein Dutzend Wächter standen um die Kampfbahn. Amato stand in edlen Duellgewändern, mit feiner Seidenbluse und Lederschienen an seinen Unterarmen und einem beeindruckenden Duellhandschuh, der ganz offensichtlich aus Iyrianleder gefertigt worden war, bei seinen Sekundanten.
Aranil ging hinter seinen beiden Sekundanten auf den Kampfplatz in die Mitte der Arena.
Für einen Moment, als ihm die Morgensonne in sein Gesicht schien, dachte er, dass dies ein wahrlich unrühmlicher Ort war sein Leben zu beenden. Er hatte es aber auch nicht vor, doch sollte man sich immer vergegenwärtigen, dass es alsbald vorbei sein kann. Nur eine Unachtsamkeit und er würde auf Golgaris Schwingen in Borons Reich eingehen.
Amato erwies Aranil mit einer großen Freude die Ehre die Anwesenden vorzustellen. So wies er auch auf die drei Ärzte hin, welche sich nach dem Kampf kostenlos seiner Wunden annehmen würden.
Aranil bedankte sich, doch sei er sich sicher, dass sie im Zweifelsfall ihrem Herrn den Vorrang einräumen sollten. Die Ärzte verbeugten sich kurz in Aranils Richtung, wenngleich er auch nicht allzu versessen auf diese Bekanntschaft sein würde, erleichterte es ihn schon, dass für alles erdenkliche gesorgt zu sein schien.
„Wenn nun die Herren, Aranil Honoro Trevillé und Amato Ugolinez-Paligan, welche sich nach den gültigen Duellregeln zu streiten beabsichtigen, in Position begeben.“ Der alte Mann war, so wie ihn Amato vorgestellt hatte, sein Fechtmeister und fungierte als unabhängige Partei. Aranil war mit dieser Wahl einverstanden, hatte er doch schon von ihm gehört.
Das es sich bei diesem Mann ganz offenbar um einen Horasier handelte stimmte ihn etwas wohler.
Amato zog sein Florett. Aranil stockte der Atem, die dunkle Färbung wies ganz deutlich auf das Material hin. Für einen Moment betrachtete er seinen Rapier, welcher sicherlich aus einer edlen Schmiede stammte und unter Kennern einen guten Preis erzielten würde, doch war die Waffe Amatos von einer ganz anderen Art Qualität.
„Solltet ihr eure Waffe auch nur halb so gut zu führen wissen, wie seine Qualität verspricht, so bin ich gewiss verloren.“ Aranil verneigte sich ein wenig.
„Ich danke euch für die Worte, bin ich doch wahrlich stolz auf diesen Besitz.“
„Es wird mir ein Vergnügen sein, sie in Zukunft führen zu dürfen.“
„Ihr sprecht wirr, mein Herr.“
„Verzeiht, bei diesem Anblick, kann man ins Träumen geraten.“
Amato stellte sich in Positur. Aranil zögerte seine Linkhand zu ziehen.
„So die Sekundanten zu keinem Übereintreffen gekommen sind, kann das Duell beginnen. Alle vier Sekundanten erwiesen dem Fechtmeister die Ehre und bezeugten zu keiner Übereinkunft gekommen zu sein.
„Meine Herren, sollte einer der Anwesenden jetzt noch von seinem Entschluss zurücktreten wollen, so soll er jetzt sprechen.“
Aranil musste schmunzeln, er erinnerte sich an einen horasischen Jüngling, dessen tränenbenetzte Wangen ihm nach dieser Floskel aufbrandeten und er mit wildem Ruf die Flucht antrat.
„Es kann beginnen.“
Aranil zögerte, arbeitete mit den Beinen, während Amato mit schnellen Schritten nach vorne stürmte. Aranil wich aus, parierte den schnellen Stoss. Er spürte, dass die Waffe von einer überragenden Flexibilität war.
Der Halbelf wurde sich sofort bewusst, dass die Waffe damit zu ungewöhnlichen großen Ausschlägen, selbst für Floretts unüblichen, flexiblen Stichen fähig war. Sie war damit unberechenbar und im höchsten Maße gefährlich. Aranil studierte Amato, parierte eine Attacke nach der anderen, die dieser Fintenreich platzierte und auch oft nahe vor einem Treffer war. Als Aranil eine ungeschickte Attacke Amatos ausnutzte und einen Gegenangriff ausführte, blieb Amato jedoch mit einer schnellen Bewegung außerhalb des Rapiers.
Nach gut einer Minute löste sich Amato von Aranil, ging zu seinen Sekundanten, ließ sich einen Kelch mit Wein reichen und ging danach wieder in Positur. Offenbar fühlte er sich sicher. Aranil stieg die Zornesröte in die Wangen. Auf einer solchen durchsichtigen und lächerlich selbstsicheren Art war er noch nicht beleidigt worden – zumindest noch nicht während eines Duells. Aranil zog seine Linkhand und ging zum Angriff über. Nach wenigen Sekunden ließ Amato den Kelch achtlos zu Boden fallen. Aranil amüsierte es, wenngleich er sich nicht ganz ehrenvoll bei dieser Art fühlte, konnte er nicht umhin die Anstrengung im Gesicht seinen Kontrahenten zu genießen. Erst als Amato sich gefangen hatte und einen Gegenangriff anstrebte, war es soweit. Aranil konterte.
„Und nun die Risposte, mein Herr.“
Amato wich mit einem schmerzhaft verzerrten Gesicht zurück. Aranil hatte dem Edelmann den linken Arm durchstoßen.
„Für den unangebrachten Weingenuss, mein Herr.“
Amato blickte Aranil erschrocken und voller Unglauben an.
„Gut mein Herr.“, sprach der Fechtmeister. Amato blickte fassungslos zu seinem Meister.
„Ihr habt euch einen guten Gegner ausgesucht. Wahrlich, ich bin erfreut über diese Lehrstunde.“
„Die Stunde wird bald vorbei sein.“, mit diesen Worten setzte der Verletzte eine Angriffserie, die Aranil mehr als nur in Bedrängnis brachte. Wie von Sinnen, und doch mit erstaunlichem Geschick setzte ihm dieser Fechter zu. Finten und Gezielte Stiche folgten dicht an dicht. Aranil wich gute zwanzig Schritte zurück, parierte dabei mit rasender Geschwindigkeit und nutzte dabei sowohl Rapier als auch Linkhand, welche abwechselnd durch dieses Klingengewirr, die richtigen Stiche zu parieren wussten.
Dann jedoch geschah es. Mit einer ungewöhnlichen Kombination brachte sich der Fechter in eine eher unglückliche Position, hieb dann jedoch mit seiner Linken, die trotz der schweren Verletzung zu benutzen war, mit einem kleinen Messer in die Rechte des Schwertgesellen.
„Meine Antwort.“, peitschte Amato heraus und wandte sich ab.
Aranil durchfuhr ein Schauer. Es wurde ihm heiß und kalt und seine Sinne veränderten sich.
Wurde er soeben vergiftet?
Er musste sich beeilen.
„Habt ihr mich soeben verpestet, Amato?“, schrie Aranil über den ganzen Platz, sodass der Edle, erschrocken herumwirbelte.
„Wenn dem so ist, werde ich euch töten müssen.“
„Ha, ihr Narren seid so zahlreich. Wenn ich euch vergiftet hätte, wäret ihr bereits tot.“
Aranil berührte seinen Arm, konzentrierte sich und er spürte wie sich die Wirkung in seinem Körper entfaltete.
„Wollt ihr den Kampf beenden, mein Herr?“, fragte ihn der Duellleiter.
Aranil verneinte.
„Es ist nicht meine Art, einer Beleidigung eine Antwort schuldig zu bleiben.“
Der Fechtmeister nickte ihm zu und er gab den Kampf wieder frei.
Amato blickte seinen Gegner mit einem triumphierenden Lächeln an, war dieser doch gezwungen, sein Rapier in die Linke zu nehmen und seine Linkhand zurück an seinen Gürtel zu stecken.
„Ich muss euch um Verzeihung bitten.“
Amatos Lachen war verschwunden.
„Wieso?“
„Ich fechte mit beiden Händen gleich gut.“
Und eine Serie wurde von dem Rapier eingeleitet, welche sich Amato nur mit größter Mühe zu erwehren wusste. Leichte Stiche zerrissen das edle Seidenhemd und ließen es mit dem Blut des Granden benetzen.
Jubelschreie durchhallten die Arena und Aranil wurde sich wieder dieser grotesken Lage gewahr. Inmitten von blutdurchtränktem und ehrlosem Boden focht er ein Ehrenduell aus. Wie konnte er annehmen, dass dieser Grande auch nur eine Spur einer Solchen in seinem Leibe trug.
Amato zückte einen Fächer. Ganz so wie es horasische Damen zu tun pflegen, wenn die heiße Luft der Khom sich ihrer nähert. Nur war diese ganz so, wie es nicht unüblich war, aus Metall.
Amato wusste mit ihm umzugehen und so gewann er die Oberhand. Lenkte seinen Gegner über den Platz, stieß ihm mehrmals die schwarze Spitze in sein Fleisch, während er mit dem Fächer das Rapier ablenkte.
Es hatte sehr lange gedauert, doch nach endlosen Minuten, in denen Aranil durch die Arena getrieben wurde, hatte sich die schwere Wunde wieder geschlossen, sehr viel langsamer als die von Amato.
Er warf sein Rapier in die andere Hand und zog seine Linkhand. Was nun geschah hätte jeden Fechter mit der Zunge schnalzen lassen. Unglaubliche Attacken mit gekonnten Paraden, Meiserparaden, Bindenmanöver und gar gut ein halbes Dutzend Entwaffnungen, die die Kontrahenten mit ruhigen Mienen immer dazu benutzten sich Luft zu verschaffen, denn beide erwiesen ihrem Gegner die Ehre ihre Waffe aufzuheben.
Endlos, so schien es, hätte dieses Duell so weiter gehen können, doch nach weit über einer Stunde, unterbrach der Duellrichter, Fechtmeister Midoro ya Horranó den Kampf und entschied auf unentschieden.
Aranil sackte in den Schneidersitz und betete. Seine Lunge brannte und die vielen kleinen Wunden, die seinen gesamten Körper übersäten, konnte er schon lange nicht mehr heilen. Leergebrannt und unendlich erschöpft war er zu nichts mehr in der Lage. Verhaltener Jubel war zu hören. Aranil blickte in aberhundert Gesichter, die ihm als Pöbel bei seinem Kampf zugesehen hatten. Er fühlte sich erniedrigt.
Doch hatte er einen wahrhaft großen Kampf erlebt.
Ya Horranó stand bei ihm.
„Ihr habt gut gefochten, wenngleich eure Attacke der Verbesserung bedarf. Ihr hättet den Kampf sicherlich viel früher beenden können. Es hat mich jedoch gefreut Essalios Stil wieder einmal bewundern zu dürfen.“
Zu keiner Antwort fähig betrachtete er nur den Fechtmeister wie er die Arena verließ.
Gisco trat auf Aranil zu und reichte ihm eine kleine Phiole: „Trinkt, es wird euch stärken.“
Aranil tat es und ganz so wie es vorausgesagt war, fühlte sich der Halbelf nach wenigen Sekunden gestärkt und fähig sich zu erheben.
„Ihr habt einen ehrenvollen, der Göttin Rondra wohlgefälligen Kampf geliefert.“
„Woher habt ihr den Trank, er wird sicherlich sehr teuer gewesen sein?“
„Imaculo, einer der Sekundanten des Edlen Ugolinez-Paligan hat ihn mir für euch gereicht. Aranil blickte auf die Phiole.
Doch als er bemerkte, dass alle seinen kleinen und größeren Wunden sich augenblicklich zu schließen begannen, war er weit weniger ängstlich, hier doch noch in dem Sand sterben zu müssen.
Gisco legte ihm seinen Umhang über die Schultern. Sein Hemd war, wie das von Amato, nicht mehr als ein Fetzen edlen Stoffes.
Er ruhte in seiner Kammer, spürte sich, fühlte sich immer noch erschöpft. Nicht mehr so wie kurz nach dem Kampf, doch innerlich, in seinen Gedanken, war er müde.
Am Nachmittag wurde ein Brief für ihn im Tempel abgegeben.
Er stammte aus der Feder von Amato und bat in ihm um Aranils Erscheinen. Dieser bemerkte noch lakonisch, dass dieser den Weg sicherlich noch würde finden können.
Aranil wusste nicht ob er sich darauf freuen sollte Serará wieder zusehen. Fürchtete er doch, dass dies nur ein peinliches Aufeinandertreffen würde werden können.
Aranil besuchte einen Massagesalon und genoss die Stunden bis zum Abend, aß fürstlich in dem besten Etablissement, dass er glaubte sich leisten zu können und war an den frühen Abendstunden in einer neuen prachtvollen Gewandung bereit dem hohen Herrn gegenüber zu treten. Ganz so wie es die Sitte des edlen Duellkampfes erforderte wäre alle Unbill und Beleidigung vergessen. Jeder der beiden hatte sich mit dem Ehrenkampf die Seine zurück gewonnen und so konnten sich beide in Augenhöhe begegnen. Wenngleich der edle Grande sicherlich von weit höherem Stand war als er selbst und sicherlich die Aufforderung zu einem Duell auch hätte ablehnen können.
Und so nahm sich Aranil vor dem guten Fechter dies mitzuteilen.
Als er sich zum Aufbruch bereitmachte zogen seine Gedanken wieder zu Akon und seinem Auftrag. Würde es ihm gelingen? Er hatte viel Zeit verloren mit seinen Belangen. Sollte er noch weitere verlieren mit diesem Abend. Er zögerte, war es ihm doch so als wenn dass alles mit zu dem Spiel gehören würde, so als wäre alles nur von langer Hand geplant. Sollte es wirklich so sein, dass sein Auftrag durch diese Ereignisse hingehalten werden sollten? Er schalt sich, straffte sich, und tat es als unsinnig ab.
Es konnte schier nicht sein, dass dies alles geplant gewesen war.
Als er, zusammen mit seinen Sekundanten, die Hofanlage betrat, wurde ihm die ganze Pracht und der endlose Reichtum noch einmal vor Augen geführt. Diener über Diener säumten die kleine neckische Alle bis hin zur großen doppelflügeligen Tür. Weißer Marmor und schwarzer Obsidian reinster Sorte war überaus prunkvoll verarbeitet. Hohe Bögen mit breiten Durchgängen durchzogen die Räumlichkeiten. Der warmen Luft wurde scheinbar nicht der Eintritt gewährt, während merkwürdig, absurd gekleidete Musiker eine feine Melodie spielten.
Amato begrüßte seinen Ehrengast mit einem herzlichen Handschlag.
„Es freut mich, dass sie es einrichten konnten.“ Amato beachtete die beiden Sekundanten keines Blickes und führte den Almadaner in seine Privatgemächer zu denen offenbar die anderen Gäste keinen Zutritt hatten.
„Es hat mir einen erstaunlichen Hochgenuss bereitet mit euch die Klingen zu kreuzen. In den vergangenen Jahren musste ich dies ab und an tun, leider waren alle Gegner von eher bescheidenem Format. Ihr jedoch habt mein ganzes Können gefordert. Meinst du nicht auch Serará?“
Die Halbelfe lag in einem edlen Negligee auf einem breiten Diwan und genoss aus einem kleinen Likörtrichter einen grünlichen Tropfen. Ihr ganzes Äußeres wirkte überaus reizvoll.
Aranil war schockiert über die Positionierung der Halbelfe, war es doch so, als müsse sie ihm hier, wie dargeboten, den Anblick gewähren. Er hielt es ihrer für unwürdig und doch war er sprachlos über ihre Anziehung, die sie immer noch auf ihn ausübte.
Sie liebkoste Aranil mit ihren Blicken und bot eine überaus prächtige Darbietung.
„Ich möchte euch für euren Kampf belohnen.“
Aranil verstand nicht.
„Hier habt mir das Leben einen Moment versüßt. Borons Kraft spürte ich schon und doch bin ich nun hier und kann mit meiner liebreizenden Geliebten den Abend verbringen. Für dieses Erlebnis bin ich euch zu Dank verpflichtet.“
„Ich verstehe euch nicht.“
„Das müsst ihr auch nicht.“, und er ging zu einem zweiten Diwan und nahm ein Rapier zur Hand. „Wenngleich ich euch auch nie die wahre Natur eures Dienstes vergelten kann, so mag doch dies Präsent mein Bestreben verdeutlichen.“
Amato überreichte Aranil die Waffe. Seine Waffe hatte sicherlich sehr gelitten. Er hatte sie sich nicht näher angesehen, doch war er sich sicher, dass sie nicht mehr zu retten war. Er hatte schon mit dem Gedanken gespielt, sich eine neue zu kaufen, dies war mit diesem Anblick nicht mehr nötig.
Aranil zog die Waffe und Ehrfurcht durchflutete seinen Leib. War es doch ein ebensolch prächtiges Stück, wie es auch das Florett des Amato war. Die zusätzlichen Stein mussten einige hundert Dublonen mehr an Material gekostet haben, durchfuhr es den stolzen Almadaner.
„Für euch.“, bestätigte der Grande den ungläubigen Blick des Halbelfen.
„Ihr beliebt zu Scherzen.“, selbst Serará war aufgestanden und ließ ihre Maskerade von der fleischgewordenen Rahja fallen.
„Amato, was tust du?“
„Eben das was mir beliebt.
Nehmt dies Geschenk an, denn ich bin überaus dankbar. Mein Leben war von Boron bestimmt und nun spüre ich, dass sein Griff sich gelockert hat. Behaltet es nur, es bedeutet mir nichts.“, und nachdem er sich seinen Likörtrichter genommen und einen Schluck genossen hatte, blickte er die beiden verdutzten Halbelfen an. „Ich habe meinen besten Kampf erlebt, jeder weitere würde mich nur verdrießlich stimmen und so weiß ich, dass ich keinerlei Verwendung mehr für dieses hier haben werde. Ich werde diese nie so zu führen wissen, wie ihr es vermögt. Es stimmt mich froh, wenn ich es in eurer Hand weiß.“
Aranil blickte zur Klinge. Endurium. Wie hoch die Legierung war, spielte keine Rolle. Die Fertigung an sich war beispiellos. Er wog die Waffe, ermittelte den Schwerpunkt, spielte mir ihr und ließ sie beeindruckt und zutiefst gerührt in die Scheide gleiten. Dass eine solche Waffe nur von den besten Schmieden Aventuriens stammen kann, versteht sich von selbst und doch war es erstaunlich wie leicht es zu sein scheint, eine solche Waffe zu fertigen. Alles an ihr war so klar und von der Führung her so einleuchtend. Alles passte zusammen und ließ sie harmonisch in der Hand liegen.
Der Griff war mit feinsten Ziselierungen und Rabenfedern geschmückt. Schwarze Diamanten waren im Knauf eingearbeitet und eine feine Signatur war auf der Seite der Scheide geschrieben.
‚Dem ewigen Schlaf zur Wehr.’
„Golgaris Feder, habe ich sie genannt. Ihr werdet sie sicherlich gut zu führen wissen.“
Sprachlos verneigte sich der stolze Almadaner vor dem Granden.
Die Felsengräber waren mit ihrer beunruhigenden Stille eine Pforte in eine andere Welt. Ismet erzählte von ihnen, so als hätte er sie schon durchschritten, so als würde ihn nichts an ihnen schrecken. Er war an sich kein Lügner, oder jemand der seine Geschichten grundlos übertrieb. Manchmal jedoch war es, als wäre er ganz in seiner Geschichte, so als würde er sie gerade während des Erzählens erleben. Mir war immer, wenn ich seinen Erzählungen lauschte, als würde an ihm ein wundervoller Haimamud verloren gegangen sein.
„Seit ungezählten Generationen begeben sich die Rashduler in die Felsen der Toten und bestatten dort ihre Angehörigen. Seit Jahrhunderten nun ist es so, dass sich dort mehr als anderswo, die Geschicke der Toten mit denen der Lebenden kreuzen. Rastullah hat es so bestimmt und so ist dort die Grenze zu seinem Totenreich. Wir können dort hin und es uns ansehen, nur wenn ihr euch traut natürlich. Wir können sie sogar befragen und mit ihnen reden. Es ist nicht weiter gefährlich, nur wenn wir zu tief hineingeraten in die Gräber der Echsenmenschen und ihre alten verborgenen Tempel durchwandern, wird man uns binden und hinabziehen in ihre Reiche.“
„Machst du dich über uns lustig? Du kannst diesen Unfug doch nicht ernst meinen?“
„Oh doch, das meine ich todernst.“ Sein letztes Wort presste er zwischen seine Lippen mir entgegen. Zori war ganz gebannt. Seine Furcht vor den Geistern hatte sich schon manches Mal gezeigt, wenn er in den Übungen mit einem unwillkürlichen Aufschrei den Zorn des Magisters auf sich zog und er ihn des Raumes verwies.
Der zweite Jahrestag seines Erscheinens war gerade vorüber und wir hatten wenig mehr über Magie erlernt, als das sie sehr gefährlich war. Mancher von uns hatte sich schon einige Schwierigkeiten mit seinen Experimenten eingehandelt. An sich war es nicht verboten, meistens sogar eher das Gegenteil. Nur wenn man Mobiliar oder Schlimmeres zerstörte oder sich wer verletzte reagierten die Magister höchst ungehalten. Abdul el Mazar hatte Zori sogar einst mit einer Kerkerstrafe belegt. Einen ganzen Tag musste er in einer stillen Kammer aushalten. Er schwor uns nachher, dass sich dort Geister mit ihm unterhalten hatten und er einiges über ihr Wesen erlernt habe. Leider würden sie sehr ärgerlich darauf reagieren, wenn man sie von ihrem Tod unterrichtete.
Ismet brauchte nicht lange um Aytan davon zu überzeugen, dass es eine wunderbare Idee sei, in der Nacht in die Felsengräber nach Schätzen und alten Kultstätten zu suchen.
Zori wollte seltsamer Weise auch unbedingt mit. Er verriet nicht was er vorhatte, doch ahnte ich, dass er sich von den Geistern Wissen erhoffte. Er wollte wohl sich weiter mit ihnen befassen, vielleicht nur weil er Angst hatte.
Als wir in den späten Nachmittag hinein durch die Straßen Rashduls schlenderten und uns mehr als genug den Wanst mit allen nur möglichen Köstlichkeiten vollgeschlagen hatten, war es an der Zeit uns Richtung Felsengräber zu wenden. Jeder von uns hätte sicherlich eher Boron angepriesen, als alleine in diese Gräber zu steigen, doch mit den anderen Dreien, die einem bei jedem Zögern den Hasenfuss bescheinigte, war es klar, dass es kein Zurück mehr gab.
Die Fackeln waren schon nach wenigen Schritten unumgänglich. Ismet versuchte sich an einem Flim Flam scheiterte aber leider.
Mit den Feuersteinen war Zori sehr geschickt und so brannten nach wenigen Minuten zwei Fackeln.
Die ersten Eingänge endeten schon nach wenigen Gängen und so mussten wir immer wieder zurück und uns vorsichtig über die vielen Steine bewegen wohl wissend, dass man uns sicherlich von der Stadt oder ihren elenden Ausläufern gut sehen konnte.
Als wir das vierte oder fünfte Mal den Rückzug antraten, kam Aytan, der schon einige Meter, ohne Fackel, dem Sternenlicht entgegen gegangen war, aufgeregt zurück.
„Dort ist wer. Mehrere Stäbe sehe ich, die mit ihrer Flamme leuchten.“
„Magica? Von der Akademie etwa?“
Jedem von uns schwante Übles. Es war zwar strengstens verboten so spät noch außerhalb der Akademie zu sein, doch konnte das bisher sowieso niemand durchbrechen, da die einzigen Möglichkeiten die Akademie zu verlassen auf höchst magischem Wege waren, zu welchen wir uns leider noch nicht in der Lage sahen.
Es war mir jedoch vor einigen Monaten gelungen, einen uralten Gang zu durchschreiten, der bei einem alten Gemäuer, welches schon seit Generationen unbewohnt war, seinen Ausgang hatte.
Dieser Schatz, der versteckte Ausgang, war mir nur unter einem heiligen Eid abgerungen worden, und so konnte Ismet, Aytan und Zori zusammen mit mir die Straßen von Rashdul erkunden. Das wir vermisst würden, war schwer vorstellbar, hatten wir doch unsere Schlafkammer abgesperrt und einen Zettel mir der Aufschrift ‚Nacht des Gebets’ darauf hinterlassen. Zori meinte zwar, dass das unsinnig für ihn wäre, doch hatten wir ihn überstimmt.
Wir ließen die Fackeln im Gang zurück und schlichen uns zum Ausgang. Vier kleine Eleven kauerten nun im Staub der Toten Rashduls und beobachteten eine Gruppe von dunkeln Gestalten, die sich um den Eingang einer Höhle versammelten.
„Was wollen die hier?“
„Wahrscheinlich eben das was wir auch wollen.“
„Ach, und was wollen wir hier?“, fragte Aytan Zori.
„Mit Geistern reden.“
Ismet und Aytan blickten sich mit großen Augen an.
„Einer von ihnen ist Abdul el Mazar!“
„Was, wer?“
„Der dort, der die Kapuze nach hinten geworfen hat. Er spricht gerade zu den anderen.“
„Offenbar ist er der Anführer.“, flüsterte ich und hoffte, dass Zori auch leiser sprechen würde.
Die fünf oder sechs Gestalten stiegen in eines der Felsengräber.
„Vielleicht benötigen sie nur einige Paraphernalia.“
„Ein großes Wort. Hasst wohl doch was gelernt, Zori.“
„Sei still Aytan, er wird Recht haben.“
„Vielleicht aber auch nicht“, sprach ich leise und mehr zu mir selbst.
„Was meinst du?“
„Vielleicht wisst ihr es nicht, doch ich habe ein Gespräch von Meister Jassafer und Meister Mazar mit angehört.“ Zori nickte ganz aufgeregt, ich hatte ihm schließlich schon davon erzählt.
„Mazar beschäftigt sich sehr intensiv, für Dschelef wohl etwas zu inbrünstig, mit dem Namenlosen.“
Ismet blickte zu mir als hätte er noch nie von ihm gehört und Aytans Blick war nicht viel besser.
„Vielleicht sucht er etwas Bestimmtes.“
„Wenn wir wissen wollen was, sollten wir ihnen folgen.“
„Was?“, entfuhr es uns anderen, wie aus einem Munde, und wir blickten den fröhlich dreinblickenden Zori an. Der nach einigen Sekunden fragend schaute.
„Oder wolltet ihr hier liegen bleiben?“
Zori wartete nicht auf eine Antwort, sondern sprang auf und lief zum nur wenige Dutzend Schritt entfernten Eingang hin.
Wir folgten ihm mit heftig klopfenden Herzen.
Aytan hatte geistesgegenwärtig noch an die beiden Fackeln gedacht. Ihr schwaches Licht erhellte uns den Eingang.
Einige Höhlengräber waren mit schweren Toren verschlossen, so auch dieses. Das Schloss war jedoch aufgeschlossen und das schwere Tor stand offen. Tiefste Dunkelheit starrte uns an.
„Was fällt dir ein. Wir würden bis zu unserem Abschluss Strafarbeiten erledigen müssen.“
„Wollt ihr nicht wissen, was unser teurer Lehrmeister hier anstellt?“
Doch noch ehe wir antworten konnten, ergriff er eine der Fackeln und ging die Stufen hinab.
Wir begingen einen schmalen Gang, der zur Rechten und Linken immer wieder Nischen mit Leichnamen aufwies. Sie waren allesamt fort. Wenig mehr als Staub und da und dort ein kleiner Knochen war zu sehen. Wir alle wussten, dass sie sich nicht in Staub verwandelt hatten, sondern als Paraphernalia endeten.
„Kein schöner Gedanke als Donaria zu enden.“, flüsterte Ismet, der sich von dem Schreck, den Zori uns allen bereitet hatte, relativ schnell erholt hat.
Während die Fackeln immer mehr mit ihrem zitternden Tanz begannen, begann Ismet mit seinem Zauber: „Fih laila, zallim shin!“, hauchte er durch den Gang, ein leichter Lichtblitz, dann jedoch erlosch die Macht.
„Weiche Nacht, ich schaffe Licht.“
Nichts.
Der Gang endete nach gut zehn Schritt. Nische an Nische, ohne einen weiteren Gang.
„Das kann nicht sein.“, entfuhr es Zori. „Ich habe sie hier reingehen sehen. Es muss hier weiter gehen.“
„Es wir ein Geheimgang sein.“, entgegnete Aytan.
„Den werden wir nie finden.“, konstatierte Ismet.
Geräusche drangen an unsere Ohren; flüsternde Klagen.
Wir suchten uns schnell ein Versteck. Doch hier gab es nichts, nur alte, leere Graböffnungen in den Fels geschlagen, abwechselnd mit säulenähnlichen Wandfortsätzen. In letzter Sekunde warfen wir uns einfach in die Grabnischen. Aytan hatte die Fackeln im dicken Staub erstickt und warf sie einfach fort. Die feine Stimme kam vom Eingang. Offenbar ein Nachzügler. Sollte noch ein Magier zu der Gruppe stoßen? Hatte er uns beim hineingehen gesehen?
Wir duckten uns in die Nischen, legten uns still hin. Keiner von uns dachte daran, dass wir so unentdeckt bleiben konnten – doch Rastullah ist groß und sein Wirken überall. Der Mann war alt und dreckig. Er ging an uns vorüber, achtete nicht auf uns oder seine Umgebung und dann war er fort. Verschluckt von der Erde.
„Wo ist er hin?“
„Das will ich auch mal wissen.“
„Seid still. Ich höre ihn noch.“ Zori sprang aus dem Grab.
Er ging bis ans Ende der Gräber.
„Da habe ich schon nachgesehen, da ist nichts.“, rief Aytan.
„Dann hast du nicht richtig nachgesehen.“, erwiderte Zori.
Versteckt hinter einer der Säulen, als Blende gedacht, konnte man diese umrunden und gelangte so durch einen sehr schmalen Spalt, der nur durch eine leichte Verschiebung der Säulenstruktur, einer optischen Täuschung gleich, übersehen wurde, in den weiteren Gang.
Zori ging voran, wir folgten. Nach wenigen Schritten verbreiterte sich der Gang und verlief geschwungen, leicht abschüssig, immer tiefer in den Berg.
„Nach der Beschwörung werdet ihr gehen. Ich werde später folgen.“
Wir horchten auf. Die Stimme war zweifelsfrei die des Lehrmeisters Mazar.
„Was jetzt?“, hauchte Ismet.
„Wollt ihr euch eine Beschwörung entgehen lassen?“
Ismet kniff die Lippen aufeinander, schien die Folgen abzuwägen.
„Wir schleichen uns weiter vor und wenn wir eine Möglichkeit sehen uns zu verbergen sehen wir weiter.“
Ich hoffte die Beschwörung verfolgen zu können. Ich wollte wissen, wie ein Meister seines Faches, der Mazan sicherlich war, eine Beschwörung zelebriert.
Wir folgten der Stimme, bogen jedoch, nachdem wir einen großen Raum vor uns ausmachten, in dem die Magier ihre Beschwörung vorbereiteten, rechts in einen kleinen Gang ab. Wir stiegen eine stark beschädigte Treppe hoch, bewegten uns sehr langsam und versuchten dabei sehr leise zu sein und so wenig Steinchen wie möglich in Bewegung zu versetzen.
Wir erreichten eine Art Balkon, der in die große Halle ragte. Unter uns waren vier Magier, die mit Kreiden beschäftigt waren und einen großen Beschwörungskreis zogen, viele zusätzliche Namen in Zhayad in die Ausläufer des Pentagramms schrieben. Mazar, war dicht unter uns und sprach mit dem alten Mann, der uns den Weg wies.
Der Alte übergab Mazar etwas und Mazar erwiderte und übergab ihm einen schweren Beutel, der ganz offenbar mit großen Münzen gefüllt war.
„Ich danke euch Magus.“ Mit unterwürfiger rauer Stimme, schmeichelte sich der Alte ein.
„Rastulah möge euch …“
„Schweigt. Ihr seht doch selbst, dass ich mich nicht auf Rastullah verlasse. Geht jetzt und nötigt mir nicht ab euch noch einmal daran zu erinnern, dass ihr an diesem Ort nichts verloren habt.“
„Vergebt mir, doch achtet auch den Umstand, dass ich euch dieses Portal gezeigt habe.“
Mazar wies ihn mit seiner Hand an zu gehen. Er würdigte ihn keines Blickes mehr, sondern durchblätterte genüsslich ein Buch, welches ihm wohl vom Boten überbracht wurde. Mazar legte es nach einem flüchtigen Blick in den Beschwörungskreis.
Zwei der Magier begannen Fackeln aufzustellen und erst da konnten wir den weiten Raum der Höhle richtig erfassen. Die Wände waren dem Fels abgetrotzt und verwiesen mit ihren starken Kanten noch auf den archaischen Ursprung dieser Anlage. Ismet zeigte schweigend mit seiner Rechten auf etwas Sonderbares. Es war eine Art Durchgang, doch endete er nach wenigen Metern vor dem Fels. Der große Türrahmen, zumindest schien es so, war aus Knochen errichtet. Schädel und Beinknochen, dicht an dicht, formten dieses mindestens drei Schritt hohe Werk. Wir staunten und wussten nicht was wir davon halten sollten.
„Sind das menschliche Knochen?“
„Pst!“
„Ja, sei leiser.“
„Woher…“
„Wir sind hier in den Felsengräber; was glaubst du?“
Zori blickte Ismet mit großen Augen an.
„Sie haben die Gräber geschändet?“
Wir nickten irritiert.
Passte Zori denn überhaupt nicht auf.
„Und was soll das?“
„Sei still. Wir wissen es auch nicht.“
Mazar wartete bis ihn alle Magier verlassen hatten, stellte sich an den Rand des Beschwörungskreises und begann mit weiteren Vorbereitungen, er schrieb den Wahren Namen in den Kreis, legte weitere Donaria zurecht.
Glas. Zerbrochenes Glas.
In einem leichten Flüsterton redete er mit sich selbst und ging den Kreis ab, kontrollierte die Zeichen und Schriften. Er hatte uns eingeschärft, dass auch nur der kleinste Fehler das Ende für einen Dämonologen bedeuten konnte.
Lärm und Rufe hallten mit einem Male durch die große Halle. Wir schreckten auf, hatten wir doch angst entdeckt worden zu sein.
Einer der Magier lief zurück in die Halle und rief dem Lehrmeister entgegen: „Al’Kano ist mit seinen Männern gekommen, er fordert, wir sollen sofort die Felsengräber verlassen.“
„Dieser stinkende Hund wird mich kennen lernen.“ Mazar ließ seinen Beutel, in dem er Augenblicke zuvor gekramt hatte, fallen und marschierte mit hasserfüllten Augen Richtung Ausgang.
Ich weiß nicht was mich dazu trieb, doch ich sprang auf und rannte den Gang zurück. Ich achtete nicht auf die Steinchen oder die halb zerfallenen Stufen, hechtete um die Ecken und hin zu dem Beschwörungskreis. Irgendetwas in mir trieb mich dazu, mir dieses Buch anzusehen. Ich wusste, dass es ein wichtiges Buch mit großen Geheimnissen sein müsste, da es sonst als Donaria nutzlos würde. Mein Griff war fest und sicher, achtete aber sorgsam darauf die Kreide nicht zu berühren, wusste ich doch um die Konsequenz.
Ich blätterte. Alte Zeichen, Tulamidya, sehr altes Tulamidya. Ich konnte es kaum entziffern, so sehr war die alte Schrift mit ihrer Tinte verblichen.
„Was ist es?“ Zori, wer sonst. Und noch bevor ich ihm richtig antworten konnte, hörte ich sie. Ein Zischen.
„Eine Schlange. Weg hier.“
Ich riss Zori mit mir und wir liefen zurück, hinauf auf den Balkon auf dem zwei verängstigte Kinder ausharrten und nicht glauben konnten was für einen Unfug ihre Freunde veranstalteten.
„Was sollte das denn?“, setzte Ismet gleich mit einer amüsanten Zornesröte ein.
Ich steckte das Buch ein. Es war nicht sonderlich groß, einem Notizbuch nicht unähnlich.
Offenbar waren wir gerade rechtzeitig zurückgekehrt, denn Mazar und seine Magier traten wieder durch den Gang, unter uns, in die große Halle. Einer der Männer lief schnell zu der Schlange und ergriff sie blitzschnell, stopfte sie wieder zurück in einen kleinen Leinensack, schnürte ihn zu und legte ihn genau an die Stelle, an die zuvor das Buch gelegen hatte. Ich biss vor Anspannung die Zähne zusammen.
Er bemerkte nichts.
Der Aufruhr hatte sich gelegt. Meister Abdul el Mazar kehrte zurück an den Beschwörungskreis. Die anderen Magier verließen die große Halle wieder.
Leise begann er wieder, formte in seinem Geist die Thesis und öffnete seinen Geist, befreite ihn von den Fesseln, die die Magie gefangen hält. Ich wusste noch nicht genau wie es ging, beobachtete jedoch jede Bewegung, starrte, wie auch meine Freunde, gebannt auf dies Schauspiel, welches wie eine schulische Vorführung sein könnte, wären wir nicht hier in einer Grabhöhle tief unter der Erde.
Minutenlang verharrte der Magier, bildete die Zaubermatrix, verband die Fäden, spielte ein wenig mit den Möglichkeiten, vielleicht ist er sie auch schon genau in seinem Geiste durchgegangen und entlud sie nun nur noch. Seine Worte waren leise und voller Kraft. In ihnen spürte man, dass er der Herr war, dass er sich seiner Stärke bewusst war und noch bevor der Dämon erschien, wusste ich, dass er ihn zwingen würde.
Er zwang ihn sich hier, nach seiner Vorgabe, nach den alten Mustern, zu manifestieren.
Wir hatten schon von vielen Dämonen gehört, hatten ihre Namen uns zugeworfen wie Waffen, die wir wie Pfeil und Speer auf uns abfeuern konnten, - und doch wussten wir nichts. Wir waren Kinder, die mit etwas spielten, dass sie nicht verstanden. Erst hier, in der Felsenhöhle, an der dunklen Pforte, wurde mir und vielleicht auch meinen Freunden bewusst, dass sie Wesen waren, so voller Hass und Abscheu gegen uns, dass sie uns immer Feind sein würden. Wir verstanden, dass es kein Spiel war, dass es nicht nur gefährlich sondern gar tödlich war. Erst als wir ihn aus dem festen Nebel, der sich bis hoch zum Balkon ausgebreitet hatte und den stinkenden Atem des Wesens inhalierten, sahen, ahnten wir, welch ein rastullahlästerlicher Gedanke es war, was dieser hier tat.
„Erscheine nun Uridabash!“
Der Nebel lichtete sich langsam. Uns brannten die Augen und ein Reiben machte es nur schlimmer. Wir hörten eine unwirkliche Stimme.
„Ahhh, Warum störst du mich Abdul?“ Die Worte waren befremdlich gesprochen, sehr verständlich und deutlich, weit deutlicher als sonst irgendetwas, und doch so voller falscher Intonation, so ohne der Notwendigkeit der Atmung, so als müsse dies Wesen keinen Atem holen um Worte zu formen, so als würde die Luft oder was auch immer, die ausgeschickt wird die Schwingung des Worte zu tragen aus der Spähre jenseits der unseren herstammen.
„Ich benötige euren Rat.“, ertönte die ruhige Stimme des Meisters, so als würde er mit einem Kollegen philosophieren.
Nach quälenden Sekunden schälte sich aus dem Nebel eine Gestalt und dann wenig später eine Zweite. Neben dem Magister stand eine hochaufragende Gestalt mit Magierstab und Widderkappe. In seinem Stab funkelte ein glänzender Stein, der eine innere Kraft besaß und mächtig war.
„Wie kann ich euch helfen?“
„Ihr müsst mir folgen.“
„Ach muss ich das.“, erwiderte das Geschöpf, leicht und fröhlich erschien dabei seine Stimme.
„Es wird euch sicherlich gefallen.“
„Durch die dunkle Pforte wollt ihr mich führen.“
„Ihr kennt sie?“
Ein seltsam tiefes und gleichzeitig hohes Lachen durchquerte den Raum und ließ und frösteln.
„Aber sicherlich. – Ach, wäret ihr an diesem Wissen interessiert gewesen? Wie schade, ich hätte sie euch zu gerne bereitgestellt.“
„Da bin ich sicher.“ Abduls Stimme klang, so als würde er nur bedingt den Worten glauben schenken. Der Magier führte das Geschöpf zu dem Knochenwerk.
Langsam immer weiter lichtete sich der Nebel, schien zu verschwinden, wie feiner Sprühregen.
„Sie sind weg!“, erkannte Zori
„Noch ein Geheimgang.“, riet Aytan.
„Möglich.“
„Wir sollten nun gehen.“ Ismets Blick war glasig, seine Augen waren stark gerötet, ähnlich wie die unseren, doch etwas stärkeres war da noch. Angst.
Ich jedoch war nach dem Erfolg mit dem Buch und dem intensiven Gefühl von Mazar großes zu erwarten höchst neugierig wo die beiden denn nun hin waren.
Als wir die Treppen hinunter gegangen waren und Richtung Ausgang strebten, bemerkten wir, gerade noch rechtzeitig, dass in dem Gang zwei der Magier standen und sich unterhielten.
„Was glaubt ihr, was er erreichen will?“, flüsterte der Eine.
„Ich weiß es nicht und ehrlich gesagt bin ich froh das ich es nicht weiß.“
„Wovon redet ihr? Ihr könnt es doch selbst nicht erwarten. Uridabash, unglaublich, dass er ihn einfach beschworen hat und dann auch noch alleine.“
„Bildet euch nicht ein, dass ihr es ebenso könnt. Es war töricht und völlig unnötig.“
„Was wisst ihr schon. Es wird nicht lange dauern und auch ich werde es wagen. Welch eine Macht wird mir dann offenbar.“
„Ihr werdet in den Niederhöllen fahren und euch ewig grämen, dass ihr so dumm ward.“
„Schweigt. Ihr solltet mich nicht beleidigen.“
„Dann belästigt mich nicht mit eurem Geschwätz.“ Der Mann ging nach draußen, und ließ den anderen grübelnd zurück.
„Uridabash!“, flüsterte er leise vor sich hin.
Wir schlichen wieder zurück.
„Und was jetzt?“
„Wir warten.“, riet Aytan.
„Wir könnten auch nachsehen…“
„Nein, das machen wir nicht.“, konterte Ismet Zoris Idee.
„Aber…“
„Nein!“
„Du musst ja nicht mit.“, sagte Zori und kreuzte seine Arme. Er war beleidigt.
Vielleicht aus kindlichem Leichtsinn, war es an mir Zoris Idee aufzugreifen und in die Tat umzusetzen. Und wiederum war es Aytan und Ismet die fassungslos zurück blieben und nur kopfschüttelnd um ihr Leben bangten.
Ich schlich mich mit Zori in die große Halle. Ich bat Ismet und Aytan darum, sie sollten den Gang im Auge behalten und uns warnen, sollte einer der Magier doch auf die Idee kommen ihren Meister und damit zwangsweise auch uns zu stören.
Zori besah sich nur flüchtig den Beschwörungskeis. Ich jedoch, der ihn schon zuvor sehr genau betrachtet hatte, bemerkte, dass die Donaria verschwunden waren. Sie waren nicht mehr auf Dere. Ein kalter Schauer überlief mich. Wo waren sie hin? In den Niederhöllen? Ich war davon überzeugt und das setzte mir für einige Sekunden ordentlich zu. Dann jedoch verbarg ich wieder meine Furcht und setzte weiter.
Zori war schon an diese seltsame Konstruktion herangetreten und untersuchte die Knochen, berührte sie sogar.
„Sie sind ganz warm.“, flüsterte er und fummelte weiter an Schädel und Hüftknochen und irgendwelchen armen Kreaturen.
Dann, er war einem Knochensatz, einer Wirbelsäule vielleicht, durch den Bogen gefolgt, verschwand er. Verschluckt von dem dunklen Portal. Ich stand sicherlich mehrere Herzschläge still da und hörte dem Rauschen in meinem Kopf zu – und dann, ich weiß nicht wieso, folgte ich ihm.
Mir war, als wäre ich tief unter dem Wasser, ein unangenehmer Druck war auf meinen Ohren, Wind blies um mich und ich hörte Stimmen, verschiedenster Sprachen, Geräusch von Wesen, deren ich nicht eine Sprache zugestand – und dann stand ich neben ihm. Zori. Er war still, was an sich nichts Schlimmes war, jedoch sehr alarmierend. Ich blickte mich um und traute meinen Augen nicht.
Wir waren wieder in einer Halle, einer gewaltigen Halle, doch anders als die Höhle, war diese hier prächtig, oder besser, war es einmal. Gewaltige Säulen trugen eine gigantische Kuppel, die mit Ornamenten und Fresken übersättigt war. Viele Wandgemälde waren von den ewigen Hörnern der Zeit abgeschlagen oder geschleift. Alles schien wie in einem Traum.
„Wo sind wir?“, hauchte Zori andächtig.
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich ihm wahrheitsgemäß und blickte staunend um mich, „aber es sieht unglaublich aus.“
Ich ging durch die große Halle, Licht fiel aus seltsamen Schächten an den Seiten, die weniger wie Fenster sondern mehr wie Luftschächte wirkten, die lange borkige Arme mit sich herabführten.
„Es scheint mir, wir sind weit von Rashdul entfernt.“
Und noch ehe ich es Zori näher erklären konnte, der mich mit seinem fragenden Blick bedrängte, geschah es, vibrierte die Luft von all dem, welches sich hier in dieser Halle sammelte und es dröhnte aus allen Orten, sprang aus allen Ritzen und Ecken, waberte einem in Bodennähe entgegen, kroch an einem hoch und fand den Weg in unsere Ohren. Die Stimmen und flüsternden Laute, die so eindringlich wirkten, so als würden hunderte von Menschen und anderen Kreaturen hier um uns sein und uns alle im Gleichklang dieselbe Frage zuraunen. Bis ins innerste Mark erschrocken wichen wir zurück, drehten uns panisch im Kreis, sahen jedoch beinahe nichts, dass uns Gefahr anzeigte. Außer, und da waren wir beide uns einig, zeugte von eben jenen Wesen, die wir in unseren Stunden des Lernen und Übens all zu sehr erörtert hatten, und die uns wenig mehr sagten als die stumpfen, toten Zeilen die wir zu lesen bekommen haben. Zori formte mit seinen Lippen das Wort und auch mir schoss es durch den Kopf: Geister.
Sie waren hier, hunderte womöglich, wussten von ihrem Schicksal, ganz entgegen der weitläufigen Meinung und sie sprachen zu uns und forderten gar.
„GEBT ANTWORT.“
„Wie bitte?“, zitterte sich Zori zu Wort.
„WER PASSIERT?“
Zori blickte mich fragend und hilflos an. Seine Furcht vor Geistern war mir bekannt. Er hatte eine natürliche Verbindung zu ihnen und war sich nicht sicher, was er tun sollte. Also übernahm ich es.
„Zori von Boran und Akon ben Rashid ibn Amchur Sharif sind passiert.“
Und wieder drang die Stimme von allen Seiten, durchbrach die Wände, ließ die Wurzeln und Äste leicht schaukeln und erreichten wieder unsere Ohren. Die leichten Schemen von Gestalten verteilten sich im Raum, nichts mehr war zu erkennen. Nicht, ob es sich um Menschen oder andere Wesen handelte, nur fahle Schatten ihrer einstigen Hüllen trieben noch wie Nachklänge durch die Hallen, gleich einem Echo, dass einfach nicht ausklingen mochte.
Zori drehte sich zu mir um und auch aus seinem Munde sprang die Stimme und eisige Augen blickten aus seinen Höhlen. Er war gefangen in dem Raum – mit all den Geistern in seinem Geist.
„WAS TREIBT DICH HIERHER?“
„Die Neugier.“, antwortete ich spontan und überraschte mich damit selbst.
Zori wandte sich ab und schien, geführt von einem Geist, gleich einem alten Gelehrten über den weißen Marmor zu wandern. Er hatte seine Arme hinter dem Rücken verschränkt und es schien als wäre er um Jahrzehnte gealtert. Wie ein greiser Mann bewegte er sich. Ich beobachtete ihn starr, erinnerte es mich doch an einen alten Magister, der, versunken in seinen Gedanken, zu dozieren gedachte und den Faden zu weit sponn.
„Wir folgten Meister Mazar und…“
„JA?“
„… dem Dämon.“
Die trüben Augen blickten mich neugierig an.
„WAS HABT IHR ANZUBIETEN?“
„Wie bitte?“
„FÜR DIE PASSAGE.“, und Zori wies mit seinem jugendlichen Arm auf den weiten Gang der der direkt gegenüber dem Portal in die Weite verjüngte.
„Oh, was begehrt ihr.“
„VIEL MEHR ALS IHR AHNT.“, raunte mir das Wesen zu und es ließ mich erschrocken zurückfahren, bot doch dieser Anblick mehr als zuvor einen schrecklichen Abgrund.
Ich kramte in meinen Sachen und fand neben einem Kohlestift, meinem Glücksbringer, den Edelstein, den ich von einem anderen Geist erhalten hatte und einem Pergamtentbogen, Feuerstein und Zunder nur das Notizbuch, das ich vor wenigen Minuten dem Beschwörungskreis entnommen hatte.
Ich wog es in meiner Hand und reichte es dann Zori entgegen.
Die kleine Kinderhand, sie schien unter Gicht zu leiden, ergriff das kleine Buch, blätterte dann jedoch blitzschnell fieberhaft in den Zeiten und die kalten Augen verschlangen rasendschnell die Zeilen. Immer weiter öffneten sie sich und dunkle Adern brachen sich in Wut ihren Weg über das trübe Weiß des Auges. Hassverzerrt verzog sich der Mund.
„WOHER NAHMT IHR DIES WERK?“
„Gerade eben erst habe ich es mir von Mazar genommen. Er wollte es als Donaria anbieten.“
„VERLOREN WÄRE ES GEWESEN.“
Ich nickte zögernd.
Die kalte Hand reichte mir das Buch. Ich nahm es vorsichtig in empfang.
„IHR KÖNNT PASSIEREN.“, und aus meinem Freund entlud sich ein Quell. Die Geister trieben durch die Halle, stoben auseinander in allen Richtungen, so als würden sie sich nun trennen.
„Was ist geschehen?“
Rau und heiser wirkte Zoris Stimme, doch war es nun wieder seine, die mir mit ihrem ängstlichen Unterton das Herz erleichterte. Ihm ging es gut. Er war verwirrt und wusste nichts von dem Handel, doch dass war nicht schlimm.
Nach einigen schönen Minuten, in denen wir durch die alte Anlage geschlichen waren und dabei manches Mal mit offenen Mündern vor einer schönen, leider aber oft sehr zerfallenen Architektur stehen geblieben waren, gelangten wir an die frische Luft. Doch anders als in Rashdul war sie hier von solch einer Feuchte beschwert, dass wir kaum Atem fanden. Die Pflanzen, die uns von allen Seiten aus ansahen, waren von solch einer Dichte, dass man kaum benennen konnte wo die eine begann und die andere endete. Zori bemerkte es als erster, denn anders als in Rashdul war hier Rastullahs Auge noch nicht untergegangen. Oder war es schon wieder am Firmament?
Nach einigen Momenten, in denen wir unschlüssig die Anlage von Außen bekundeten, wurden wir auf einen kleinen frischen Pfad aufmerksam, auf dem die Präsenz des Dämons seine Spuren hinterlassen hatte. Unschlüssig über unser Verhalten, folgten wir ihm und gelangten nach nur wenigen Minuten in das benachbarte Tal. Und dort sah ich ihn zum ersten Mal. Er war, wie er es meist pflegte und wie es wohl auch seinem Glauben entsprach, in schwarzen Stoffen gehüllt.
Vor uns, tief in einem engen Tal stand eine ungeheuerliche Architektur. Schwarze Steine übereinander geschichtet, hin zu einer Pyramide geformt. Weiß Rastullah allein, welch gottlose Kreaturen ein solches Bauwerk erschufen, einzig um ihrem ketzerischen Götzen zu dienen.
„Das sieht aber seltsam aus. Ganz anders als alles man sonst so sieht.“
Zori hatte Recht. Auch wenn sein kindliches, maraskanisches Gemüt nicht weiter überrascht wirkte.
Am Fuße der Pyramide war ein kleiner Trupp mit dunkel gekleideten Gestalten, die sich angeregt zu unterhalten schienen oder sonst irgendetwas absonderliches veranstalteten.
„Das sind doch keine Magier?“
„Das glaube ich auch nicht.“, flüsterte ich leise, mehr zu mir, als zu Zori.
„Was wollen wir jetzt tun?“
Doch bevor ich mir darüber klar werden konnte, trat Mazar aus der grünen Pflanzenwelt, glücklicherweise nicht direkt neben uns, sondern ganz in der Nähe von den sich immer noch unterhaltenden Gestalten, gut fünfzig Schritt unter uns.
Mazar grüßte sie und schritt auf sie zu.
„Man würde ich jetzt gerne wissen, was die da zu bereden haben.“
„Ja.“, sagte ich nur.
Zori nahm das als Aufforderung und er begab sich mit seiner ihm eigenen Unvernunft auf Weg nach unten. Ehe ich ihm etwas nachrufen konnte, war er mehrere Meter weit und es hätte die Möglichkeit bestanden, dass auch andere Ohren mein Rufen hätten hören können. So folgte ich ihm mit einem überaus flauen Gefühl in der Magengegend.
Zori konnte sich relativ leicht durch die Urwälder bewegen, war leise und gewandt. Ich jedoch, ein Kind der Wüste, konnte mit solch einem Pflanzenwahn nicht viel anfangen. Immer wieder blieb ich mit meinem Umhang an Ästen hängen oder stand vor einem breiten Gestrüpp, welches mir den Durchgang verweigerte.
Zori war somit wesentlich früher am Rand der Lichtung, die die Pyramide für sich beanspruchte, so als wäre es ein Abkommen, welches auch der Wald anerkennen musste.
In der Talsohle war es schon dunkel geworden und die gut ein halbes Dutzend zählenden Fackeln erhellten die Lichtung ausreichend um alles beobachten zu können.
Nachdem ich mir einige Schrammen an diversen pflanzlichen Gegnern eingefangen hatte, stampfte ich schon halb wirr durch die unheimliche Hölle, als mich plötzlich eine Hand an der Schulter ergriff und wenige Spann vor der Lichtung zurückhielt.
„Komm her!“
Nachdem ich mich von dem Schrecken und der Anstrengung einigermaßen erholt hatte, blickte ich auf die fremde Scharr, die mit ihren Kutten schon einem Heshtot nicht unähnlich waren. Ich erkannte sie nun jedoch.
„Das sind Borongeweihte.“
„Was die wohl alle immer mit ihrem Bruder Boron haben. Ganz merkwürdig. Ich habe mich vor einigen Monden, als wir in den Tempeln waren.“ Ich erinnerte mich. Es hatte mich nicht sonderlich interessiert. Für mich gibt es Rastullah und die anderen können mir gestohlen bleiben.
„Nun ja, ich habe mich mit einem Borongeweihten unterhalten. Er sagte mir, dass es zwei Richtungen gibt, und das nur in Rashdul von jeder Seite, “Zori überlegte kurz. „Ritus, oder so. Wie auch immer, der sagte mir auf jeden Fall, dass man sie leicht unterscheiden könnte und das da“, Er wies auf die Lichtung. „das sind Anhänger des Al’Anfa-Ritus.“
„Und was heißt das jetzt?“
„Nicht viel. Ach was weiß ich. Die liegen sowieso beide falsch. Bruder Boron ist gar nicht so schlimm und düster.“
Die Geweihten hatten sich um den Magus versammelt und hörten offenbar seinen Worten zu, der mit eindringlichen Gesten seine Zuhörer zu beeindrucken suchte. Was jedoch gesprochen wurde, konnten wir nicht hören.
„Wir sollten näher heran.“
„Wie das?“
„Wir schleichen erstmal weiter herum. Von dort,“ und er wies auf einen einige dutzend Schritt entfernten Baum, „können wir bestimmt was hören.“
„Aber leise.“
„Sag das nicht mir.“
Ich nickte schuldbewusst.
„Wenn eure Untersuchung abgeschlossen ist, sollten dann nicht auch andere von euren Forschungen unterrichtet werden?“
„Gewiss, doch wie es sich nun mal fügt, sind in meinen Kreisen nur die wenigsten an den Untrieben des Namenlosen interessiert. Sehr zu meinem Missfallen.“
„Was hofft ihr denn hier zu finden?“
„Nun“, und der Magier stand bei seinen Ausführungen auf, ganz so wie er es auch im Unterrichtszimmer zu tun pflegt, „es ist nur ein kleiner Hinweis von vielen, denen ich im Lauf meiner Studien nachzugehen gedenke, doch hoffe ich, dass ich Hinweise darauf finden kann, dass untergegangene Kulturen, wie beispielsweise die der Echsen, sich mit ihm auseinander setzen mussten. So untersuche ich auch die Geschicke der zerstörten Zitadelle. Einer alten Magierakademie, wie ihr sicherlich wisst, doch wage ich da doch auch noch die Hoffnung zu hegen, dass dieses unsägliche Kapitel zumindest den Auslöser für mich bereithält.
Ich bin davon überzeugt, dass der Namenlose in viel mehr Katastrophen seine Hände im Spiel hatte, als wir heute ahnen. Und vielleicht, meine Studien weisen in diese Richtung, kann man die Schuldigen heute noch benennen.“
Triumphierend blickte er in die Runde. Seine Zuhörer waren jedoch offenbar nicht sonderlich überzeugt von seiner Ausführung, und so wollte er ansetzten und mit seiner Rede fortfahren. Einer der Geweihten erhob sich jedoch und wandte sich zum gehen.
„Wir haben genug gehört. Unsere Untersuchung ist abgeschlossen. Wir werden euch nicht weiter aufhalten. Wenn ihr jedoch noch einmal hier eure Untersuchungen durchführen wollt, möchten wir euch anweisen zuvor im Tempel vorzusprechen.“
„In Al’Anfa?“, beinahe hysterisch wirkte die Stimme des Magiers.
„Jawohl. Ich hoffe wir haben uns verstanden.“
Auch die anderen Geweihten erhoben sich nun und folgten ihrem Hochgeweihten. Ich hatte keinen Zweifel, dass der Mann in einer hohen Position war. Noch niemanden hatte ich erlebt, der so mit Mazar gesprochen hatte.
Ich hatte es schon zuvor bemerkt, doch dachte ich mir nichts dabei. Hielt ich es doch für Mazars Besitz. Ich irrte mich jedoch.
Die Gestalt schälte sich nach nur wenigen Sekunden aus dem Dunkel des Dschungels. Wir erkannten sofort, dass es der Dämon war. Wie ein großer, edler Magus schritt dieses Wesen über den Boden, immer wieder schlug sein gewaltiger Stab auf, das helle Leuchten an der Spitze des Stabes war merkwürdig kalt und unheimlich. Das weite Gewand war als beinahe normal zu bezeichnen, der Kopf jedoch – mein erster Gedanke war, er würde eine Widderkampe, nicht unüblich bei einigen Magiern, tragen. Doch was dieses ganz hornähnliche Gebilde anbelangte, so war es ein Teil von diesem Wesen. Uridabash, ein Dämon Amazeroths, des Blenders. Seine Donaria sind sowohl Glas und Schlangen aber auch Geheimnisse. Ich berührte mein Gewand, unter diesem, in der Innentasche, war immer noch das Buch, das den Geist so aufgebracht hatte. Ich würde es lesen, ganz sicher.
„Habt ihr es vollbracht?“
„JA.“
„Dann sollten wir gehen.“
Das Wesen nickte und machte eine einladende Geste in unsere Richtung. Mir lief es kalt den Rücken runter; hatte er uns entdeckt? Wir sahen uns um. Direkt neben uns führte ein Pfad den Hang hinauf. Es war zu spät. Sie gingen. Zwei Schritt von uns entfernt war der Pfad. Was konnten wir tun? Wir würden entdeckt werden. Jetzt, sie mussten uns sehen.
„Was in Borons Namen ist das.“ Laut hallte die kräftige Stimme eines jungen Mannes über die Lichtung.
Wir waren erschrocken und erleichtert zugleich, wandten sich die beiden Gestalten doch von uns ab und gingen zurück zum Fuße der schwarzen Pyramide, wo nun einer der Boroni seine vergessene Feldflasche aufnehmen wollte.
„Oh, das ist mir jetzt aber unangenehm.“, sprach Mazar in einem höchst seltsamen Ton.
„Was ist das dort für eine widernatürliche Kreatur?“
„Na, wer wird denn gleich so unfreundlich sein. Mein Freund wird euch sicherlich überzeugen können, dass ihr einen Fehler begangen habt.“
Der Dämon ging nur wenige Schritte, hob seinen Stab und ließ ihn wieder hart auf den Boden fallen. Ohne ein Wort, ohne eine weitere Geste oder Formel tat sich ein Wirbel um den Geweihten auf und sofort war ein starker Sog zu sehen und bis zu uns zu spüren.
Der Magus wandte sich um und auch der Dämon ging schnellen Schrittes hinter seinem Beschwörer her.
Zori sah mich angsterfüllt an.
„Wir müssen ihm helfen, rief er mir über den tosenden Lärm hinweg entgegen und dies obwohl er nur wenige Spann von mir entfernt hockte.
Zori sah sich panisch um. Ich fürchtete er würde wieder seinen Verstand verlieren und irgendwelche Dinge sehen.
Der Geweihte krallte sich auf den Boden, wurde jedoch immer weiter zu dem dunklen Nichts hingezogen. Ich wusste was es war und es trieb mir die blanke Angst in die Glieder. Nichts würde ihn retten können, wenn er hineingeräte.
Zori suchte in dem Pflanzenwerk, ich lief zu dem armen Mann hin, hielt mich jedoch weit genug entfernt, um nicht selbst von dem Sog erfasst zu werden. Über den unbeschreiblichen Lärm hinweg, schrie ich ihm entgegen, dass wir ihm helfen würden.
In Panik zog ich meinen Mantel aus und warf ihm das eine Ende entgegen. Erst jetzt dachte ich an das Buch, welches sich noch immer in der Innentasche befand. Der Strudel hatte mein Gewand erfasst und wirbelte es wie in einem Spiel hin und her. Der junge Mann wagte nicht einen Arm vom Boden zu lösen und nach dem wirbelnden Stoff zu greifen. Langsam wurde er Finger um Finger weiter nach hinten, hinein in das schwarze Nichts gezogen.
Zori stand plötzlich neben mir und warf eine Art elastischen Stock zu dem Mann hin, welches er sofort ergriff.
Zori wurde von dem plötzlichen Ruck aus der Balance gebracht und drohte zu stürzen. Schnell umklammerte ich ebenso wie er, das eine Ende und zusammen hielten wir stand, zogen immer weiter, bis mit einem Mal, die Kraft unvermittelt nachließ und wir nach hinten rutschten.
Der Mann war gerettet.
Nachdem er sich aufgerichtet und uns eine Weile betrachtet hatte, sprach er mit einer ruhigen und gefassten Stimme.
„Mein Name ist Komran Sentenza, ich bin Geweihter des Boron und ich danke euch für meine Rettung.“
Er neigte leicht sein Haupt, verschränkte die Arme vor der Brust und schien einige Sekunden in sich zu ruhen oder ein kleines Gebet zu sprechen.
„Ich bin Zori und das hier ist Akon. Es freut uns, dass wir euch retten konnten.“
„Was macht ihr hier und was war das eben für ein Geschöpf?“
Zori wollte losplappern, doch ich hielt ihn mit einem Stoss in seine Rippen zurück.
„Ähm, wir müssen jetzt leider los, vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“
Doch leider würde ich nicht so leicht davon kommen. Komran hielt mich am Arm fest.
„Aber Junge, glaubst du nicht, dass ich die Wahrheit verdient habe?“
Sein Blick war entwaffnend und er hatte ja auch sicherlich Recht. Selbst Zori blickte mich vorwurfsvoll an.
Also erzählten wir es ihm.
Wir liefen so schnell unsere Füße uns trugen und hielten auch nicht vor dem Portal an, welches jetzt, gewaltig und kostbar erschien. Es war nicht wie das andere Portal, welches aus Knochen bestand, sondern war vielmehr einem kolossalen Bilderrahmen nachempfunden, welcher mit goldenen Ornamenten und Figuren, die Menschengröße erreichten, sich über mindestens 15 Schritt in der Breite und gut 8 Schritt in der Höhe hinstreckte. In dem Portal selbst herrschte eine tiefe und unergründliche Schwärze, die jedes Licht verschluckte. Und im letzten Herzschlag vor der tiefen Nacht brannten in meinem Verstand die Fragen und Ahnungen. Wo führt es uns hin? Wo waren wir? Welche Macht steuert sie oder hat sie erschaffen? Waren es Götter oder Menschen?
Ismet und Aytan blickten uns blind entgegen, sie standen in dem Beschwörungskreis und wirkten im ersten Moment wie paralysiert, dann jedoch kamen sie uns wütend und mit den Armen wuchtig gestikulierend entgegen, neben Ismet leuchtete eine kleine Lichtkugel. Da sie während dem sehr leise waren, war es sogar in gewisser Weise mit einer seltsamen Komik beladen und Zori und ich lachten leise.
„Ah, du hast den Fih laila gemeistert!“
„Ja, äh, offenbar.“ Er fühlte sich sichtlich unwohl.
„Jetzt sollten wir uns aber wieder verstecken.“
„Wieso, ist Mazar noch nicht hier gewesen?“
„Nein.“
Zori und ich tauschten erstaunte Blicke.
„Wo ist er noch hin?“
Ich zuckte mit den Schultern: „Ismet hat aber Recht, wir müssen hier weg.“
Es dauerte nicht lange und nachdem wir wieder sicher unser Versteck erreicht hatten, trat auch Meister Mazar durch das Portal. Er war sehr erschöpft und es irritierte mich sehr, dass er nicht schon vorher zurückgekommen war.
„Jerim, kommt her!“ Er stützte sich schwer auf seinen Stab. Jerim, der Magier, der sich so einprägsam um den Dämonennamen bemüht hatte, sprang förmlich in die Halle und erreichte nach wenigen Sekunden seinen Meister.
Leise hauchte ihm dieser Anweisungen ins Ohr.
Und dann war es vorbei. Die Magier säuberten nur grob den Boden von den Beschwörungszeichen und verließen dann nach nicht mehr als fünf Minuten die Grabhöhle.
Für uns war es ein unangenehmer Anblick, als in der Ferne über den Bergen die ersten Strahlen den neuen Tag ankündigten.
Wir erreichten nur unter großer Mühe noch rechtzeitig die Akademie. Dieser Tag war schlimm, nicht nur, dass ich kaum einen Blick in das Buch werfen konnte, so war es auch an uns allen nur mit äußerster Konzentration möglich die Augen offen zu halten.
Mehr als einmal vielen sie einem von uns zu, wobei die Lehrkörper uns wenig Mitleid entgegenbrachten. Nur Mazar war ähnlich schläfrig.
Wie ein Traum – so war Al’Anfa, wie ein schmerzhafter, bezaubernder Traum. Die Stadt an der Mündung der Hanfla. Immer wieder, auf dem Weg nach H’Rabaal blickte er an sich hinab und überprüfte mit den Augen auf sein neues Rapier gelegt, ob es sich nicht doch um einen Traum gehandelt hatte.
Doch da war es, stolz und furchterregend, Golgaris Feder.
Er hatte sich Zeit gelassen, viel Zeit. Er hoffte, dass er es noch rechtzeitig schaffen würde. Er überlegte ob er Akon aufsuchen sollte, doch dass war nicht abgemacht. Er würde ihm zürnen, war doch all sein Denken darauf gerichtet, dass Unmögliche möglich zu machen.
Aranil grinste, war es doch an ihm, seinem einstigen Retter das Leben und mehr noch zu bewahren.
Er betastete sein Wehrgehänge und fühlte sich bestärkt sein Ziel zu erreichen.
Komran war mit den anderen Geweihten weit gekommen. Mehrere kleinere Hütten, aus den Ästen und Bäumen der Umgebung gefertigt, standen auf der Lichtung vor der Pyramide.
„Ihr seit lange fort geblieben; wir dachten schon Al’Anfa hätte euch verschlungen.“
„Ja, das wäre auch beinahe geschehen, doch das ist jetzt nicht mehr wichtig.“
Die Geweihten hatten kein Auge für Waffen und so sprachen sie ihn nicht auf sein neues Rapier an, worüber er auch froh war.
„Wir haben schon viel erreicht.“
„Das sehe ich.“
„Mit Verlaub, ihr seht gar nichts, mein Herr.“
Komran und auch die anderen Geweihten blickten den Schwertgesellen mit breiten Gesichtern an. Noch nie in seinem Leben hatte er so freundliche Gesichter von Boron-Geweihten gesehen und er war sich sicher, dass dies auch nie wieder geschehen würde.
„Wir haben einen Zugang gefunden, der in die Pyramide führt.“
„Wunderbar“, platzte es aus Aranil heraus, „wo ist er?“
„Tja, und das ist das erstaunliche.“
„Ulan führe unseren jungen Freund doch bitte hinunter.“
Ein junger Geweihter verbeugte sich leicht.
Aranil sah dem Geweihten fragend nach, als dieser, nicht wie er erwartet hatte, auf die Pyramide zuging, sondern sich von ihr entfernte. Er führte den Almadaner tief in den Dschungel, sicherlich zweihundert Schritt waren es.
„Wo wollt ihr hin.“
„Wartet nur ab.“
Der Geweihte verschwand in einem Loch. Als Aranil sich umblickte sah er einige schwarze Steine, Obelisken, die um den Mittelpunkt, dem Loch, angeordnet waren und die Stelle damit deutlich kennzeichneten.
In der Höhle, denn eine solche war es, entzündete der Geweihte eine Fackel, reichte sie dem Halbelfen und entzündete eine Zweite an der Ersten.
„Folgt mir!“
Zehn Schritte waren zu gehen, an denen die Wände aus Lehm und unauffälligen Steinen bestanden, dann jedoch änderte es sich und schwarzer Stein, über und über mit Bildern versehen, säumten den Gang und breiteten sich weit hin aus. Aranil klopfte das Herz bis zum Hals als sie Schritt für Schritt weiter auf die alte Pyramide zugingen.
Nach einer Ewigkeit, nachdem Aranil schon sicher war, sie hätten die Pyramide passiert, endete der Gang vor einer riesigen schwarzen Tür. Aranil war sich sicher, das es sich um eine handeln musste. Auf ihr waren gewaltige und, nach den abscheulichen Motiven, wenig erfreuliche und einladende Schriften der alten Echsen.
„Diese Tür haben wir bislang nicht öffnen können.“
„Das wundert mich nicht. Habt ihr die Schriften entziffern können?“
„Niemand von uns kann sie lesen.“
„Das ist bedauerlich.“ Aranil untersuchte die Tür, betastete, drückte und zog, doch nichts passierte.
„Wir haben nach einem Übersetzer geschickt. In H’Rabaal wird einer gefunden werden.“
„Wann erwartet ihr ihn?“
„Das kann man nicht vorhersagen. Es sind Achaz.“
„Ein Achaz? Haltet ihr dies für klug?“
„Es ist sicherlich ein Risiko, doch da die Zeit sehr eilt, haben wir keine Wahl.“
„Das ist wahr.“, flüsterte Aranil. „Nun gut, wollen wir es mit einem Achaz versuchen.“
Als der Echsenmensch am Rande der Lichtung erblickt wurde, war es allen so, als würde er schon seit Stunden dort stehen und das Lager mit einer eindringlichen und kaum nachvollziehbaren Geduld beobachten.
Man hatte dem Geweihten, den Komran nach H’Rabaal geschickt hatte, von einem alten Schriftgelehrten der Achaz berichtet, der von seinem Stamm, sicherlich für gutes Gold, bereit wäre die ein oder andere Schrift zu übersetzen. Das dieser sogar nach wenigen Stunden bereit wäre und im Lager eintreffen könnte, überraschte alle, machte jedoch nur Aranil misstrauisch.
Von der Erscheinung waren dann doch alle überrascht. Viele Achaz lebten in H’Rabaal und so war der Anblick eines Echsenmenschen nichts sonderlich außergewöhnliches, doch einen solchen Achaz hatten selbst die befreiten Moha noch nicht oft gesehen.
Als alle Mitglieder des kleinen Lagers den Neuankömmling wahrgenommen hatten, schritt dieser langsam auf sie zu, stützte dabei seine Schritte mit einem langen Stab, an dessen oberem Ende eine goldene Spitze leuchtete. Die letzten Strahlen des Tages fielen in das enge Tal und ließen den alten Achaz ehrwürdig und doch grazil erscheinen, während er mit bedachten Bewegungen sich näherte.
Er schien eine Verbeugung anzudeuten, die mehr ein Gruß zu sein schien und ließ seine sonderbare Stimme hören.
„Ich bin Sssser Ssa. Ihr habt für mich einen Dienst?“
Der Hochgeweihte schritt auf den Achaz zu und blieb drei Meter vor ihm stehen.
„Mein Name ist Komran. Ich habe nach dir geschickt. Wir müssen eine Tür öffnen und benötigen Hilfe.“
„Ich übersetze.“
„Ich zeige dir die Tür.“ Komran ging an ihm vorüber und wollte ihn zu dem Eingang des Ganges führen, blieb dann jedoch stehen, als er bemerkte, dass der Achaz ihm nicht folgte.
Sssser Ssa fixierte die Pyramide, steckte seinen Stab in den Boden und schritt weiter auf das steinerne Monument zu. Aranil besah sich die andächtige Gestik, die der Achaz, beinahe in einem Gebet versunken, der Pyramide entgegenbrachte. Er verkreuzte seine Arme und senkte sein Haupt. Flüsternde Zischlaute hallten durch das Lager und ließ Moha und Boroni frösteln.
Nach einer Viertelstunde löste sich der Achaz aus seiner Starre, blickte abrupt um sich und ging in Richtung Tunneleingang, so als wäre ihm dieser Zugang schon immer bekannt.
„Ihr habt Pforte freigelegt.“
Es war keine Frage, vielleicht eine Feststellung, doch zögerte er nicht, sondern sprang hinab und ging den Gang entlang.
Aranil folgte, griff sich noch schnell eine der Fackeln und bemerkte erst nach wenigen Metern, dass der Achaz mit seiner goldenen Spitze, eine seltsam leuchtende Lichtquelle bei sich trug.
Sssser Ssa untersuchte die Tür, die schwarze Wand mit den unendlichen Schriftzeichen, Bildern und Mustern. Aranil wusste, dass man sie irgendwie öffnen konnte, doch wusste er auch, dass dies ein altes Geheimnis sein würde. Er hoffte, dass die Schriftzeichen es verrieten, doch ahnte er auch, dass der Achaz nicht unbedingt wert darauf legen würde, den Menschen den Zugang zu einem ihm heiligen Ort zu gewähren.
„Kannst du sie öffnen?“
„Sehr alte Tür.“
„Ja. Was steht dort.“
„Alte Warnung. Von den Königen die vergangen steht dieser Ort. Er ist heilig, den Achaz zu ehren.
Welche Geheimnisse sollen sie zeigen?“
Die geschlitzten Augen fixierten den Schwertgesellen, musterten ihn und drangen in seinen Verstand.
„Wir wollen keine Schätze erringen, sondern nur Unheil abwenden.“
„Pforte ist geschlossen, niemand verliert sein Heil. Weshalb nun?“
Aranil wog seine Worte, blieb ruhig im Gang stehen, blickte kurz zurück. Niemand war ihnen gefolgt. Er hatte Komran gebeten zurück zu bleiben.
„Wir wollen einem Erzdämon schaden und hoffen hier etwas zu finden, dass uns hilft.“
„Was?“
„Eine Blume.“
„Wie kann Blume Erzdämon schaden?“
„Ich weiß es nicht genau. Ich bin nur hier um die Aufgabe zu erfüllen. Kannst du uns helfen?“
„Wieso? Achaz haben keinen Erzdämon zum Feind.“
„Sie sind unser aller Feind. Sie wollen unser Dasein beenden.“
„Sssssrr. Ist das so?“ Der Achaz blickte auf die Wand, die eine Tür war, betastete die Zeichen und Schriften.
„Natur schützt Pyramide. Niemand wird wieder gehen.“ Der Echsenmensch blickte zum Almadaner.
„Willst du hinein?“
„Ja, ich muss.“
„Ich werde helfen.“ Der Achaz ging zu seinem Stab, nahm ihn an sich und ging mit einer schnellen Bewegung auf die Tür zu und stieß seine Speerspitze in die Mitte der Tür. Es war nur eine kleine Vertiefung gewesen, doch sie gab nach und die Spitze glitt in die Wand. Sssser Ssa drehte seinen Stab und grober Stein bewegte sich, der Achaz zog schnell den Stab wieder heraus und die Pforte öffnete sich. Alte, modrige Luft umhüllte sie, tiefes Unbehagen durchfuhr den Halbelfen, ließ ihn zögern, doch der Achaz zögerte nicht, sondern ging, noch ehe die Tür sich zur Gänze geöffnet hatte, in die schwarze Pyramide.
Aranil beschritt eine andere Welt. Ihm war es, als wäre er in eine andere Globule eingetreten. Schwarze Steine waren überall. Nichts wirkte anders als vor Tausend Jahren. Kein Verfall, keine Spur von Staub. Die Wände waren ebenso wie die Tür, mit unzähligen Schriften und Bildern überseht. Der schmale Gang führte nach wenigen Schritten leicht abschüssig in einer Neunzig-Grand-Kurve. Aranil folgte dem Achaz, der immer wieder um die nächste Ecke verschwand und sich dennoch mit einer ungemein leichten Bewegung nur fortbewegte. Aranil begann zu rennen, holte aber seinen Führer nicht ein. Alles erschien ihm wie verdreht, so als müsse er sich nun fürchten, so als wäre dies alles nicht so wie es sein sollte, nicht so, wie er es sich gedacht hatte. Er wusste um die Gefahr, die die Iribaarlilie entfachen konnte, wusste es aber auch der Achaz? Aranil bezweifelte es, deshalb rief er nun laut nach diesem und hoffte, er würde endlich stehen bleiben und nicht in sein Verderben rennen, eben so, wie er es auch nicht selbst von sich erhoffte.
„Bleib endlich stehen, du sturer…“
Weiter kam er nicht mehr, denn eben, als er um die nächste, eine von vielen Ecken, gebogen war, stand er vor dem Achaz, der andächtig, wie zuvor vor der Pyramide, sein Haupt auf die Brust gerichtet hatte und seine Arme darunter verkreuzt waren.
„Sie ist noch hier.“
Aranil wusste sofort was der Achaz meinte. Vor ihm erhob sich eine drei Schritt große bunte Blüte. Doch anders als der Achaz wusste er um die Gefahr, in der sie beide schwebten. Es half jedoch nichts. Aranil besah sich die violetten Blütenblätter, in denen sich ein ausgewachsener Mann zur Nacht hineinrollen könnte. Er sah die feinen Farbenspiele, die sich über der Blüte langsam ausbreiteten und ihn in seinem Innersten vor Glück aufstöhnen ließen.
‚Welch ein Anblick’, dachte er bei sich und wollte die Pflanze, dieses fabulöse Treiben näher in Augenschein nehmen. Er ging an dem Achaz vorbei, doch weiter sollte er nicht kommen. Der Achaz hielt ihn an der Schulter zurück.
Ungeheure Wut stieg in ihm auf. Nicht nur, dass dieser ihm davonlaufen war, nun hatte dieser auch noch die Unverfrorenheit, ihm diesen herrlichen Anblick zu verbieten. Ihm wurde der Gedanke eingeimpft, dass dieser elende Echsenmensch sich diese wundervolle Blume für sich selbst bewahren will. Er erwog seine Klinge zu ziehen und sie diesem Geschöpf in den Hals zu rammen.
Langsam nur fuhr er mit seiner Rechten über die Parierverziehrungen. Die Kühle des Metalls half ihm. Sein Blick war immer noch auf die Blüte gerichtet. Er wollte sie nicht mehr missen. Er spürte, dass dieser Gestalt hinter ihm, ihn langsam nach hinten zog, langsam nur und immer weiter wurde er aus dem riesigen Raum geführt, der angefüllt war mit der Blüte. Nichts sonst konnte er wahrnehmen, nichts sonst war bei ihm. Er hätte nicht zu sagen vermocht, was sich sonst noch in diesem großen Raum vorfand, nichts was er hätte auch noch im Ansatz beschreiben können. Er sah nicht den großen Altar, sah nicht die goldenen Verzierungen, sah nicht die vier Schritt großen Echsenstatuen, nichts war in seinem Sinn.
Was passiert hier mit ihm?
Kann es sein, dass er nicht mehr Herr seiner Sinne ist? Was sollte er tun?
„Sieh hin. Sie ist die Wächterin des Tempels.“
Aranil besah sich die Pflanze, besah alles was dort war, sah endlich, wie sich die langen Arme der Pflanze, dicht am Boden, auf ihn zu bewegten. Sah, wie sich das gewaltige Maul öffnete, sah, wie sich die unheimlichen Weiten in dem Maul ergossen. Er wusste um den Weg, der sich einem jeden dort aufdrängen würde, der dort hineingeriete. Der Weg hin zu dem Erzdämon, hin zu dem Verlust der Seele.
„Ihr wolltet sie. Nun hat sie euch.“
Aranil wandte sich dem Echsenmenschen zu. Sein Blick war von Mut gezeichnet, sodass der Achaz von ihm abließ und ihn in sein sicheres Verderben laufen lassen wollte.
Aranil besah sich seinen merkwürdigen Begleiter, überlegte kurz und entschied sich dann so wie er es immer getan hatte. Er grinste dem neuen Freund zu und drehte sich blitzschnell um. Die Fangarme hatten ihn beinahe erreicht und hoben sich zur tödlichen Umarmung. Aranil war ihnen jedoch ausgewichen; er schlug einen Bogen und war innerhalb von wenigen Wimpernschlägen an dem Geschöpf herangekommen, hieb mit seinem Rapier auf die dicken Äste, rannte weiter Richtung Blüte und sprang mehr als dass er rannte auf die unheimliche Monstrosität. Feiner Rauch löste sich aus jeder Wunde, die der Schwertgeselle schlug. Der Achaz beobachtete alles mit einem neugierigen Blick, bewunderte sogar, wie schnell dieser Kämpfer sich zu bewegen vermochte. Anerkennend schritt er ihm entgegen, beachtete nicht, wie sich die Arme der Pflanze in seine Richtung bewegten. Sein Stab schlug hart bei jedem Schritt auf den schwarzen Stein, jeder Schritt führte ihn weiter auf den Altar zu, beging die wenigen Stufen, hinauf auf das Plateau. Leise begann er mit einem Flüstern, lauter mit jedem Wort hallte seine Stimme durch die große Halle der Pyramide. Immer eindringlicher waren die Laute, die Aranil nicht verstehen konnte. Immer erschöpfter wurde Aranil, doch alles war vorbei; die Pflanze, ließ die Arme sinken, die Blüte war nicht mehr als ein gestutztes Maul. Violette Blütenblätter trieben in kleinen Fetzen durch die Luft. Alles war vorbei – zumindest dachte Aranil so. Er sank zu Boden, erschöpft an Körper und Geist. Er hatte einige Wunden, tödliche, so war er sich sicher, waren aber nicht darunter.
Er hörte die Stimme des Echsenmenschen, wollte sie jedoch nicht wahrnehmen, er wollte Ruhe, einfach nur verschnaufen.
Fürchtest du die Meinen?
Die Kraft seiner Worte, vorgetragen mit einer außergewöhnlichen Inbrunst, war mir durch alle Glieder gefahren. Die Beunruhigung mit ihrer Eiseskälte, die sich uns allen aus den Knochen herausschälte, biss sich schnell durch die Sehnen und Muskeln hin zu unserem Verstand. Wir lauschten jedem Atem, jedem Lufthauch. Der Geruch änderte sich und abscheuliches Unbehagen glitt über den Boden zu uns hin.
Zweifel und dann Angst beschlich einige von uns.
Der Meister ruhte in sich. Er ließ seine Kraft fließen und mit ihr das Kommende entstehen. Er formte die Gewalt, formte die Gestalt, rief Laut den Namen.
Durch den feinen Nebel, die wie abertausend Insekten wirkten, ergriff sich die Gestalt die Form. Und dann sprudelte es durcheinander, Glieder ergriffen Glieder, Form floss über in einander.
„Seht wie sich das Chaos windet, wie es sich der Form zu widersetzen hofft.“ Abdul el Mazar sprach leise und langsam, er konzentrierte sich weiter, zwang mit seiner Kraft den Dämon.
„Es geschieht!“, Ismet war nervös.
„Karunga“, rief unser Meister, „erscheine und beuge dich meinem Willen!“
Eine grüne wabernde Masse zuckte wild durch den Beschwörungskreis, so als suche es zu entkommen.
Und dann geschah es, der Meister zerstörte den Kreis. Manche mögen es für eine unachtsame Handlung halten, ein Versehen, doch dem war nicht so. Ich sah sein Gesicht. Er hatte es so gewollt.
Ismet und Aytan und viele andere wandten sich zur Flucht. Möbel und Utensilien vielen zu Boden. Der Karunga raste durch den großen Beschwörungsraum. Ich wusste, dass er aus diesem nicht entkommen konnte. Jahrhunderte alter Schutzmaßnahmen ruhten auf diesen Raum. Abduls Blick traf mich, er lächelte. Zori ging neugierig einige Schritte auf dies Wesen zu, beschritt die Mitte des Raumes. Dieser Dämon sah ihn und noch ehe irgendjemand etwas tun konnte, hatte er ihn erfasst. Zori war nicht mehr Herr seiner selbst. Verloren zwischen zwei Gedanken wirbelte er herum, besah alles mit Entsetzen und Verwirrung. Der Karunga näherte sich ihm und dann entschied ich mich. Ich wollte die Kontrolle übernehmen.
Abdul merkte es. Er hätte es sicherlich geschafft mich zu hindern, mir die Kontrolle verweigern können, doch er genoss die Unterhaltung.
„Karunga, weiche von ihm, weiche von uns, gehe zurück in dein Reich das da Niederhöllen heißt.“
Der Dämon näherte sich. Nur eine Nasenlänge entfernt stoppte die grün schimmernde Gestalt, pulsierend und leuchtend im Inneren und doch so ohne Form. Für einen Moment packte mich die Neugier und ich wollte nach ihm greifen. Ich zögerte, hielt mich zurück und wiederholte den Befehl, eindringlicher als zuvor, schrie ich ihm den Befehl entgegen.
Nur du?
Erschöpft ließ ich mich auf den angenehm kühlen Boden sinken, zusammen mit Zori saß ich dort und überdachte die vergangenen Augenblicke. Die anderen Schüler waren um uns, sie hatten es wieder gewagt den Raum zu betreten. Unser Meister stand abseits.
„Gut, Akon. Du hast dich gut verhalten. Ihr anderen ebenso. Flucht ist zwar meistens sinnlos, doch in diesem Fall sicherlich angebracht. Zori jedoch, du hast dich gänzlich dumm verhalten.“
„Wieso?“, platzte es aus ihm heraus.
Er war wieder bei sich, soweit man das von Zori jemals behaupten konnte.
„Man nähert sich niemals einem Dämon, den man nicht unter seine Kontrolle gebracht hat.“
„Aber sie hätten uns doch niemals einer Gefahr ausgesetzt. Demnach wusste ich, dass ich ihn mir näher ansehen konnte.“
„Schweig jetzt.“
Abdul schüttelte den Kopf, lächelte jedoch auch ein wenig.
„Wie hast du das gemacht?“
Was hätte ich ihm sagen sollen, wusste ich es doch selber nicht.
„Ich habe eben das getan, was Meister Mazar uns gesagt hatte. Spreche mit dem Dämon wie mit einem Diener, mit ganzem Willen und ohne Zweifel.“
„Hast du nicht gezweifelt?“
Ich überlegte lange.
„Nein, eigentlich nicht. Ich wusste er würde mir gehorchen.“
Dann platzten alle drei aus sich heraus und lachten mich aus.
„Wisst ihr, wenn Mherech davon erfährt, wird er dich die Unauer Schriften auswendig lernen lassen.“
„Ja, das würde er.“, sprach eine sehr machtvolle Stimme, die zu meinem Vertrauensschüler gehörte.
Ich schloss die Augen, betete vielleicht sogar, er möge wieder verschwinden, doch das tat er nicht.
„Ich bin stolz auf dich, Akon. Die Unauer Schriften solltest du dennoch auswendig lernen. Es wird dir helfen.“
Beinahe andächtig schloss er die Tür.
Wir alle schwiegen lange, abgesehen natürlich von Zori, der unentwegt Fragen über diese Schriften stellte.
Am nächsten Morgen wurde der Halbelf von den Gebeten der Geweihten geweckt, die mit ihren klagenden Gesängen beinahe so trostlos wirkten, wie die Priester der Wudu vor einigen Tagen.
Das Lärmen des Urwaldes hüllte alle ein. Die Borongeweihten gingen, einer Prozession gleich mit Gebeten auf den Lippen über den alterslosen Marmor. Aranil bestaunte die große Halle und den kühlen Atem der ihnen entgegen kam. Wenige nur haben diese Hallen in den vergangenen Jahren betreten und weit weniger haben sie wieder verlassen. Komran schritt beherrscht und mit der verdienten Vertrautheit durch die Räumlichkeiten, bog an engen versteckten stellen ab. Allen war jedoch gemein, dass sie sich beobachtet fühlten. Es war ein großes Bauwerk, nicht von Menschenhand erschaffen und doch für eben solche erbaut – vielleicht zumindest, dachte Aranil. Vielleicht war es auch für eben jene erbaut, die es auch heute noch bewohnen.
Als sie in die große Halle traten, die Aranil vertraut war und sie alle auf die große metallene Pforte blickten, sahen sie, dass man ihnen in den Weg getreten war.
Komran schritt zielstrebig vor. Leise befahl er zurück zu bleiben.
„Geister vergangener Zeitalter, ein bescheidener Diener Borons grüßt euch.“
„WIR KENNEN DICH.“, erschallte es von allen Seiten und hallte tausendfach in dem großen Raum wieder, durchhallte die Gänge und erschallte noch lange leise nach.
„Wir bitten im Namen der Zwölfe diese Pforte zu durchschreiten.“
„ZWEI DÜRFEN PASSIEREN.“
Der Hochgeweihte kam zu der Gruppe zurück, blickte jeden einzelnen eindringlich an, wandte sich dann um und schritt auf die Pforte zu. Aranil spürte, dass es ein Abschied war, vielleicht für immer. Er folgte ihm.
Langsam nur, bewegten sie sich auf die mit unzähligen figürlichen Bildern versehene Pforte zu. Eiskalter Nebel, so schien es, würde in dem Raum auf der anderen Seite warten. Der Blick wollte einem einen weiteren Raum aufzeigen, Konturen verschwanden wieder. Gegenstände, Mobiliar und weit schlimmer, Menschen und andere Wesen, warteten dort, bewegten sich und verschwanden wieder in dem sich beständig wandelnden Nebel. Dunkle Schatten nur zeigten sich dabei und spielten mit den eigenen Augen und dem Empfinden ihr trügerisches Spiel.
Aranil sollte keine Angst haben, wusste er doch um das Ziel, wusste, dass dies die Pforte war durch die er schon einmal geschritten war. Und doch konnte er sie spüren, dies eisige Gefühl, dass von diesem Ort ausging, dass es ihm nicht zustand hier zu passieren. Er wagte es dennoch.
Der kalte Staub flog durch die weiten engen Gänge, hinein in die alten Gräber. Sie waren in den Felsengräbern Rashduls angelangt. Das Tor auf jener Seite war weit weniger beeindruckend als auf der anderen, doch war dieses tief in den Fels gebaut, ganz ohne jeglicher Möglichkeit, das metallene Ungetüm, denn an die drei Schritt maß es dennoch, durch die engen Schächte und verwinkelten Gänge zu transportieren. Demnach war es ein ebenso großes Rätsel, wie man dieses hier erbaut hatte.
Von Aranil fiel eine Last von den Schultern. Den ersten Auftrag hatte er ausgeführt, wenngleich der schwierigere Teil noch folgen sollte.
Er führte den müden Hochgeweihten hinaus, der aufgehenden Praiosscheibe entgegen, die mit ihren ersten Strahlen, dem jungen Mann die Sinne belebten und die tiefe Niedergeschlagenheit, die ganz ungewöhnlich für den Halbelfen war, von ihm abblättern ließ.
Mit einer grenzenlosen Erschöpfung und dennoch frohen Mutes wanderten die beiden Ungleichen, den weiten Fußweg hin zur Stadt Rashdul. Geschäftiges Treiben war allerorten. Fahrende Händler pilgerten in Scharen in die langsam erwachende Stadt. Einer Ameisenkolonie gleich strömte Karren an Karren über die alten Pfade, trieben Hirten ihre Herden herbei. Alles war dem Almadaner vertraut und doch alles etwas anders als in seiner Heimat. Er fühlte sich dennoch wohler als noch vor Stunden, als er in dem feuchten Klima des Dschungels nächtigte.
Die Trockenheit war nun, nach der plötzlichen Änderung, spürbarer und deutlicher als sonst. Es war ihm aber angenehmer als zuvor – ganz entgegen seinem Begleiter, der beständig nach seinem Wasserschlauch griff und einen Schluck nach dem anderen zu sich nahm.
„Versucht bitte etwas langsamer zu gehen, sonst kann ich euch nicht mehr folgen, mein junger Freund.“
Komran war nicht mehr der Jüngste und Aranil wurde erst jetzt bewusst, wie gut der alte Geweihte bisher mitgehalten hatte. Er schalt sich für diese Gedankenlosigkeit und ging mit dem Hochgeweihten langsameren Schrittes durch die Gassen Rashduls.
Aranil war durchaus bewusst, dass der Geweihte zuerst den Tempel des Boron aufsuchen musste. Nur in Rashdul gibt es Tempel beider Riten des Boron, die auch noch an einem Platz dicht beisammen ihrem Glauben nachgehen.
Komran bewunderte die Menschen in den Gassen, die armen Bettler ebenso wie die reichen Kaufleute, die Handwerker und Gardisten, die Akrobaten und die verschleierten Damen. Alles faszinierte ihn, war es doch eine völlig andere Kultur mit einer so reichhaltigen Geschichte, die in allen Facetten des Lebens, die der Hochgeweihte allein durch den Kauf einer Tonschale mit verschiedensten kandierten Früchten in sich aufnahm. Aranil beobachtete den Geweihten und obwohl dieser ein hoher Glaubensvertreter des Gott des Todes war, vermochte er die Schönheit der Welt zu sehen. Wer war also er, dass er es nicht ebenso hielt? Er hatte sich nicht selten gescholten für sein ausschweifendes Leben, hatte sich hinterfragt, ob es rechtens war so zu leben. Er spürte, dass er sich ab jetzt nicht mehr diese Frage würde stellen müssen.
„Ausgezeichnet!“
Mit einem leichten Lächeln schlenderte der Geweihte über den Markt, der sich langsam, immer mehr, mit Menschen füllte und pries dabei die Früchte an, die er so genüsslich konsumierte.
„Nun ist es aber gut. Wir müssen uns doch beeilen.“
Aranil nickte. Ihm war nicht wirklich wohl bei dem Gedanken, einen Diener des Boron zu einem Dämonologen zu führen. Akon wäre sicherlich etwas anderes gewesen, doch Alman Raschid ibn Gaftar war ein alter Magus. Aranil kannte ihn nur von einem kurzen Besuch und hatte einen Mann mit einem verschlagenen Wesen kennen gelernt. Akon hatte mit diesem alles besprochen, war sich aber über die Loyalität selbst nicht im Klaren gewesen. Wie sollte es weiter gehen, wenn sich der Dämonologe verweigern würde und ihm entgegentreten würde? Sich mit Dämonen direkt anlegen wollte er aber vermeiden.
Ein Besuch in dem großen Tempel des Boron an dem Schwarzen Platz vermied Aranil. Er hatte den Hochgeweihten dort hingeführt und sich dann für mindestens eine Stunde auf dem Marktplatz herumgetummelt und war seinen Möglichkeiten nachgegangen. Er hatte die Pläne Akons schon lange nicht mehr so in Frage gestellt, war es doch an sich eine löbliche Sache, hinterließ es dennoch einen faden Beigeschmack des Unmöglichen. Aranil war von sich und den Fähigkeiten seines Freundes so sehr überzeugt, dass er sich auf dieses Alverankommando eingelassen hatte. Wenngleich ihm dieses Mal keine reiche Beute in Aussicht gestellt wurde, konnte er sich dennoch nicht beklagen. Sanft betastete er seine neue Waffe. Er wusste, dass viele seiner Zunft seine Seele für diese Waffe gegeben hätten. Nun ja, dachte er bei sich, dass könnte ja noch folgen.
Komran wartete schon vor dem Tempel und war mit einem frischen Gewand wieder die hohe Persönlichkeit, die Aranil auf der merkwürdigen Trauerfeier erstmalig begegnet war.
Zielstrebig durchstreiften sie die engen und überfüllten Gassen Rashduls. Immer weiter lehrten sich die Strassen und verbreiterten sich.
Beinahe abseits des großen Trubels führte Aranil den Geweihten in ein prächtiges, eines Granden würdigen Anwesens. Aranil ahnte sofort, dass dieses Gebäude nicht von Menschenhand erbaut worden war. Er vermied es jedoch dem Hochgeweihten mitzuteilen, war dieses Zusammentreffen doch an sich schon eine Groteske.
Dem Tag hatte ich lange entgegengefiebert, hatte lange Studien betrieben, hatte alles aufgesogen, was die Lehrkörper uns mitgaben.
Zori und Ismet waren freudig erregt, Aytan war übel und ich ruhte in mir. Sollte es mir gelingen? Ich wollte das Besondere, ein Holz der besonderen Art. Ob ich ihn würde finden können, war eine andere Sache. Selten war er und kostbar. Gold hatten wir kaum – ich zumindest nicht. Andere hatten sich von ihren Familien das nötige Kleingeld beschafft, hatten schwere Goldbeutel an der Seite, oder, und dass waren die Reichsten von allen, hatten Schreiben von Banken, die stattliche Summen freigaben. Und ich, was hatte ich – nur den Hinweis von Mherech, dass er mir helfen würde ein Holz zu finden. Er ahnte nicht, dass es mir um die Geisterbuche ging.
Magus Jassafer ging voran, ordnete die Jugendlichen, die alle als erste durch die Pforte schreiten wollten, durch die dunkle Pforte, die die beiden Akademien von Rashdul und Punin miteinander verbanden. Die Reise von hunderten von Meilen blieb uns erspart.
Zum ersten Mal würden wir, kurz vor unserem Abschluss, endlich durch die dunkle Pforte schreiten können. Es ist ein wohl gehütetes Geheimnis, wo sich der Eingang befindet. Auch jetzt würden wir ihn nicht erkennen und wieder finden können, denn alles um uns herum erstrahlte in einem Reigen von hellen goldenen Ornamenten und künstlerisch wohlfeilen Teppichen. Es bekümmerte mich jedoch nicht, da wir auf dem Rückweg wieder hier durchkämen und dieses Mal wäre ich vorbereitet. Ich lachte deshalb, während wir durch den auffallend kleinen Durchgang traten, welcher durch die Magie, die wie ein wilder Strudel aus knisternder Astralenergie wirkte, mir die Haare zu Berge stehen ließ.
Auf der anderen Seite war ein ähnliches Bild, wenn auch mehr mit weiten Fahnen, die in unmöglichen Variationen die Symbole Punins widerspiegelten. Grüne verschlungene Zhayad Schriften wurden immer wieder von goldenen Schlüsseln unterbrochen, die in hunderten von sich überlappenden Fahnen den Ort des Portals zu verschleiern trachteten. Illusionsmagie in ihrer unangenehm ärgerlichen Form.
Wir wurden in den großen Speiseraum geführt, der wohl als einziges einen solchen Ansturm an fremden Novizen aufzufangen vermochte. Die gesamte Schülerschar der Puniner Akademie saß an ihren Tischen und stand dann auf ein Kommando des Akademieleiters hin auf um uns zu Begrüßen.
Seltsame Blicke trafen mich, war ich doch in den vergangenen Jahren weit weniger gewachsen als meine Freunde; so sah ich mit meinen sechsundsiebzig oder achtundsiebzig Fingern wie ein kleiner Junge aus. Das Gekicher überhörte ich noch, doch die, nachdem wir uns ebenfalls hingesetzt hatten, Kommentare, die mir zugeworfen wurden, was denn der kleine Junge hier will und ob er sich verlaufen habe, ließen mich erröten.
Ich fixierte die Absender, die sich jedoch davon kaum beeindrucken ließen. Es war ihnen doch etwas unangenehm, als sie mein goldenes Auge erblickten und offenbar nicht einzuordnen wussten. Ich flüsterte leise eine Sure vor mich hin und lächelte sie dann an. Ihr Lächeln gefror zu Eis. Ich wandte meinen Blick, immer noch mit einem breiten Grinsen belegt, ab.
Das Essen war sehr gut, nur etwas deftig. Der rote Wein war aber dafür umso stärker. Es schien mir, dass das Essen in seiner Kraft nur Vorbereitung auf den süßen Wein war.
Almada, dass Land des Weines. Man hatte uns gewarnt, doch waren einige, unter ihnen auch Zori, nicht maßvoll. Er und einige andere waren unfähig sich nach diesem Mahl auf die Führung zu konzentrieren.
Wir wurden nach dem ausgiebigen Rundgang, und ich muss es hinzufügen, ich war zutiefst beeindruckt von der Bibliothek, in eine feine Halle in der wir uns frisch machen konnten geführt. Erstaunlich, selbst in die verschlossenen Kammern wurden wir geführt – wenn auch nur unter starker Aufsicht und sehr kurz.
Als dies alles ein Ende fand und wir uns unserem eigentlichen Zweck zuwenden konnten, nahm mich Mherech mit in die Stadt.
Starke Mauern, dicht an dicht. Harte Bauwerke, trutzig, mitten in einer Stadt, säumten jeden Schritt mit einem bestimmten Gedanken. Wessen Herr bin ich und weshalb flankierst du meine Wacht. Dräuend blickten wir auf dich und sahen jeden Fehl.
„Wir werden die Stadt verlassen müssen.“
„Sehr gut.“, sagte ich.
„Mach dir nichts vor. Das ist gefährlich.“
„Wieso?“, erwiderte ich provozierend.
„Dies ist ein fremdes Land. Wir kennen die Sitten und Gebräuche nicht gut. Wir können in Schwierigkeiten geraten.“
„Du bist ein Adeptus Minor.“
„Das schon, das wird mir aber nicht viel helfen.“
Wir mieteten uns Pferde und trieben sie Richtung Ragath, bogen jedoch schon recht bald ab. Ein Ort namens Schlangentodt, sollte unsere erste Station sein. Wir durchquerten ihn jedoch nur. Die Augen der Bewohner waren weit unfreundlicher als ich erwartet hatte. Dumpfe Kerle mit zerflederten Säcken am Leib trugen Metallwaren oder rollten Weinfässer umher. Seltsames Treiben, doch an sich nur mehr etwas ärmlicher als in Punin selbst.
Hinter uns stürmte eine Reiterschar ins Dorf, es waren, ebenfalls wie ich, angehende Magier. Ich erkannte sie sofort. Ihre eisigen Augen hatte ich nicht vergessen.
Sie warteten und hielten Abstand. Ich sagte Mherech nichts. Was hätte es auch geändert? Womöglich nur, dass wir unverrichteter Dinge wieder abgezogen wären – ohne Holz.
Mherech nickte den Neuankömmlingen nur kurz zu und ritt dann mit mir weiter Richtung Dorfausgang.
Alsbald sagte ich meinem Adeptus, dass wir uns nun in die Wildnis würden schlagen müssen.
Mherech wirkte irritiert. Er wusste, dass ich mich zuvor eingehend informiert hatte, wo ich mein Holz zu schlagen hoffte.
„Bist du dir sicher, dass du weißt wo du suchen sollst. Es ist bei mir zwar schon einige Jahre her, doch erinnere ich mich nicht, dass man hier in diesen Wäldern ein passendes Holz finden kann.“
„Ich bin mir sicher.“, versicherte ich ihm, - war es jedoch weit weniger als ich es ihn dies spüren lassen wollte; doch prinzipiell war meine Hoffnung mehr als begründet.
Obwohl die alten Seiten in dem Buch, welches ich in den vergangenen Wochen studiert hatte, sicherlich nicht allzu sicher waren, hatte ich doch die Geschichte von dem Wald in dem Geister hausen sehr interessant empfunden und Nachforschungen angestellt. Unter Zuhilfenahme von einigen Gefälligkeiten, die ich dem einen oder anderen Magier angedeihen ließ, bestätigte mir dann ein alter Magus, dass er dereinst vor etlichen Jahren in besagtem Walde fündig geworden war. Fürwahr keine exakte, präzise Bestätigung und alles in allem dennoch dünn. Auch wenn man bedenkt, dass es sich hier um ein nicht sehr kleines Waldstück handelte war es durchaus zu befürchten, dass in den wenigen Stunden die Zeit einfach nicht ausreichen würde um einen der wenigen möglichen Bäume zu finden.
Die Geisterbuche. Einsam und trocken, still und so voller Kraft. Sie wartet, ich spüre es. Was ich jedoch damals spürte, war ein Stein, der mir gegen meinen Hinterkopf prallte.
„Treffer!“, hörte ich eine Jungenstimme ausrufen. Ich rieb mir die schmerzende Stelle.
Mherech wandte sich um und auch ich sah die vier Gestalten aus dem Dorf und von meiner puniner Tafel.
„Was fällt euch denn ein?“
„Mit dir haben wir nichts zu schaffen, wir wollen uns nur mit ihm unterhalten.“
„Seid ihr völlig wirr. Euch ist wohl euer eigener Wein in den ungläubigen Geist gestiegen.“
„Halt dein Maul.“
„Warte Leonardo, das ist kein Schüler, dass ist ein Adeptus.“
„Das ist mir egal, der Knilch hat mich verzaubert.“ Dann musste ich doch auflachen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lachte ich ihm entgegen: „Das war nur ein Spaß. Ich habe überhaupt nichts gemacht. Noch nicht.“, fügte ich noch schnell hinzu, „doch wenn du dich nicht für deine feige Attacke entschuldigst, werde ich dir wahrlich das Fürchten lehren. Du vergisst wohl von welcher Akademie wir kommen.“
Zwei der vier blickten jetzt nicht mehr so zuversichtlich.
„Ich will ein Duell.“
Mherech und ich starrten ihn nur erstaunt an.
„Sei nicht albern.“, entgegnete Mherech, doch seine Worte waren ungewöhnlich bedrückt.
Er wandte sich mir zu und schilderte in knappen Worten, was er von dieser Praxis gehört hatte.
„Wir werden alle zurücktreten und euch gewähren lassen.“, sagte Mherech und ich starrte ihn nur seltsam irritiert an.
„Und was ist, wenn ich ihn töte.“
„Dann ist das nicht zu ändern.“, stotterte einer der anderen Jungen. Die vor Wut starren Augen von Leonardo sagten mir, dass er nichts dagegen hätte, wenn es mit meinem Ableben enden würde.
„Ihr stellt euch in einem Abstand von zwanzig Schritt auf und der erste, der aufgibt, der hat dieses Duell verloren, sollte der andere dann noch weitere Attacken ausführen wird er von uns allen daran gehindert.“
„Stehen nicht jedem Duellanten zwei Sekundanten zu?“, sprach Mherech mit einem amüsierten Unterton. Offenbar hatte er keineswegs vor, dieses Duell stattfinden zu lassen und hatte nur auf den entscheidenden Moment gewartet um seine Einwände vorzubringen.
„Das ist wahr.“, sagte ganz betreten einer der Novizen.
„Was machen wir jetzt?“
Mherech wollte gerade einsetzen, da trat ein junger Bursche aus dem Gehölz.
„Wie ich sehe, befinden sich die Herren in einer misslichen Verlegenheit. Wenn ich mit meinem Dienste helfen könnte, so bin ich gerne bereit als Sekundant einzuspringen.“
Mherech wirkte sehr betreten.
„Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Aranil Honoro Tréville.“
Ganz offensichtlich war er kein Magier, trug er doch die feine Kleidung eines Bürgerlichen. An seiner Seite war eine edle Klingenwaffe in einem ansehnlichen Gehenge. Selbst trug er eine neuwertige Wildlederhose und darüber ein feines, weißes Leinenhemd.
Die kalten blauen Augen Leonards fixierten mich. Ich sprach schon seit langem die Formel, hüllte mich nicht zurück, sondern präsentierte mich ganz offen. Legte meinen Mantel offen aus. Das Pentagramm erstrahlte in der nieder gehenden Pracht der Sonne.
Als mich sein erster Zauber traf, war ich unvorbereitet, doch blendete mich die Kraft seines al’Barg sefari shinak wenig mehr als zwei Sekunden.
Ich ruhte und baute den Gardianum auf, richtete meine Kraft in ihn. Wartete, bemerkte deutlich, wie Leonard seine Feuerlanze gegen meinen Schild schleuderte. Ich setzte mich nieder, vernahm nur von weitem die Rufe der anderen.
„Was macht er da?“
„Du zwingst ihn in die Knie.“
Mit geschlossenen Augen wartete ich. Er würde nichts ausrichten können.
Unendliche Sekunden wartete ich und dann erschien er.
Mherech rief laut aus: „Rastullah bewahre ihn. Was hast du getan?“
Die Kinder verstanden nicht, was ich getan hatte. Ich zeigte auf den Knaben der Leonard noch war.
Mherech rief ihm entgegen, er solle aufgeben.
Die Jugendlichen betrachteten den kleinen Drachen. Noch ahnten sie nicht was passieren würde.
„Gib auf!“, schrie Mherech dem Jungen entgegen.
Ich öffnete meine Augen. Über meinem Mantel war der Dämon. Uttara’Vha. Langsam deutete ich auf Leonard.
„Akon, ich verbiete dir…“, doch ich richtete schon meinen Befehl an den Dämon.
„Greife diesen dort, Leonard den Novizen aus Punin an.“
Der Dämon flog wie ein Insekt, unglaublich schnell und ohne Beschleunigung auf den bedauernswerten Jüngling zu.
Leonard hieb mit seinem Stab, traf jedoch nicht. Der Dämon indes grub auf unzähligen Stellen seine Krallen oder Zähne in die Robe und auch in das Gesicht des Duellanten. Nach wenigen Sekunden war seine Robe vom Blute rot verfärbt.
Leonard hielt sich tapfer, dass musste ich ihm zugestehen.
Als er in die Knie ging, hätte ich mir durchaus gewünscht, er würde es sagen, doch verbissen feuerte er mit seiner Feuerlanze auf den Dämon und in der Tat traf er ihn auch. Was jedoch nur die Intensität des Uttara’Vha zu erhöhen wusste.
Als er kurz davor stand die Besinnung zu verlieren, überlegte ich den Angriff zu unterbrechen, doch ich hatte sonst nichts mehr und wäre einer weiteren Attacke ihm gegenüber hilflos gewesen.
Als es jedoch schien, dass Leonard das Bewusstsein verlor, entschied einer der Sekundanten für ihn.
„Leonard gibt auf!“
Augenblicklich rief ich das Wesen zurück.
Alle drei stürmten zu ihrem Freund. Er war sichtlich mitgenommen, doch weit davon entfernt dem Tode nahe zu sein.
Noch als Mherech mich mit schweren Vorwürfen bombardierte kam mir eine formidable Idee. Ich schickte den Dämon aus um mir eine Geisterbuche zu finden.
„Was ist nur in dich gefahren, solch einen Dämon zu beschwören, du hast sein Leben, ach was sag ich, unser aller Leben aufs Spiel gesetzt. Die Dämonologie ist eine schändliche Sache, doch so unvorsichtig wäre nicht mal Magus Mazar.“
„Ich weiß nichts von eurer Magie“, wandte sich der junge Bursche an Mherech, „doch hat euer Novize Akon recht gehandelt. Seine Haltung während des Duells, so seltsam sie mir auch erschien, war völlig richtig. Leonard hätte ihn vermutlich sogar weit härter verletzt, wenn es ihm nur möglich gewesen wäre. Leonard ist dafür bekannt und gefürchtet.“
„Was wisst denn ihr von den Duellen der Magier?“
Erst jetzt wurden wir bei dem seltsamen jungen Mann die leicht spitzen Ohren gewahr und Mherech blieb sein Mund offen stehen.
„Ihr seid kein Mensch.“, entfuhr es ihm und man konnte gleich erkennen, dass es ihm unangenehm war so offen herausgeplatzt zu sein.
„Nun ja, nicht ganz. Mein Vater ist ein Mensch und demnach ist auch ein Teil von mir Mensch. Aber, zurück zu eurer ursprünglichen Frage: ich beschäftige mich sehr mit Duellen, habe selbst schon einige erlebt und auch bestritten. Wo es sich ergibt, beobachte ich auch die Duelle der Novizen, bei Magiern ist es eher seltener. Vielleicht scheuen sie die Folgen. Nun ja, es scheint mir, dass euer Novize nun einen etwas unangenehmen Ruf in Punin erworben hat, nämlich den, den amtierenden Meister des Duells besiegt zu haben. Leonard wird sich sicherlich erst kurieren wollen, doch kann ich mir denken, dass es bis dahin noch einige andere versuchen wollen.“
„Was in Rastullahs Namen sagt eigentlich der Akademieleiter?“
„Genaues kann ich nicht sagen, doch will mir scheinen, nicht viel.“
Das breite Grinsen des Halbelfen war einnehmend.
„Wir werden nun zurückkehren. Die Nacht ist nicht mehr fern und wir müssen noch zurück. Es ist mir auch ein dringendes Bedürfnis der Puniner Akademie von diesem Vorkommnis zu berichten, ganz zu schweigen von unserer.“ Mherech blickte mich finster an.
„Das geht nicht. Ich kann nicht ohne mein Holz zurück.“
„Das hättest du dir vorher überlegen müssen, nun ist es zu spät.“
„Wenn es recht wäre, so kann ich euch auf das Gut meines Vaters einladen. Er hat sein Haus nicht weit von hier.“
Mherech blickte verärgert.
„Nun, wenn es Rastullah will, so überlasse ich dich gern der Obhut eines anderen. Wenn es dein Wunsch ist, so sollst du alleine auf die Suche nach deinem Holz gehen.“
Ich war erleichtert. Wusste ich doch immer noch nicht, wie ich ihm dann, sollte ich wirklich das Glück besitzen und eine Geisterbuche finden, von meiner Wahl überzeugen. Nach meinem Wissen war dies Holz wenig einladend und die Abbildungen in dem Buch, welches ich erst nach langem Suchen habe finden können, alles andere als ansprechend.
Nachdem Mherech sich von Aranil genau hatte beschreiben lassen wo das Anwesen zu finden war und sich dann von mir verabschiedete, preschte er mit seinem Pferd Richtung Punin davon. Ich atmete wohl sichtlich auf, als er sich außer Reichweite begab.
„Ihr mögt ihn wohl nicht sonderlich?“
„Ach mögen ist so eine Sache. Er ist sehr - anstrengend.“
Aranil grinste mich an.
„Ja, das habe ich auch bemerkt. Etwas steif der Gute.“
Ich lachte.
Die halbnackten Dienerinnen führten die beiden ungleichen Verbündeten in einen großen Hof, der von einem angenehmen Säulengang umgeben war und in seinem Zentrum einen eigenartigen Wasserspeier aufwies. Die abstrusen Windungen in dem Wasserspiel bot dem Betrachter eine unangenehme Mischung aus tulamidischen Elementen und dämonischer Chaotik. Auf einem sonderbaren Diwan lag die unangenehme Gestalt, die Aranil als Alman Raschid ibn Gaftar kannte.
Mit einer überaus tiefen Stimme begrüßte der Gastgeber seinen Besuch.
„Rastullah möge euren Weg segnen. Kommt und setzt euch zu mir. - Erfrischung? Mein Haus ist euer Haus. Wählt die Art der Zerstreuung.“
„Ich danke euch für eure Gastfreundschaft. Doch ihr wisst was wir benötigen.“
„Nun ja, aber ihr werdet mir doch die Ehre euch zu bewirten nicht versagen wollen.“
Seine Worte waren gewählt und doch überaus freundlich. Aranil war alarmiert. Er hatte zwar nur einen kurzen Besuch bei ihm miterlebt, doch war sein Gespräch mit Akon, währenddessen sich Aranil zugegebener Massen mit dem gar köstlichen Wein die Zeit vertrieb, ein völlig anderer. Der Mann war verschlagen und hatte erst nach zähen Verhandlungen und enormen Forderungen seinem Freund Akon zugestimmt und seine Hilfe in Aussicht gestellt.
Aranil wusste um die tulamidische Gastfreundschaft und ihre gar sonderbaren Blüten, dass auch leicht in Zorn umschlagen konnte, wenn sie sich beleidigt fühlten. Bei diesem hier, spürte Aranil verhielt es sich anders.
„Es war unklug von euch den Hochgeweihten hierher zu führen.“
Wie vom Donner gerührt, blickte Aranil seinen Gastgeber an.
„Die Unterstützung dieses Hauses war Akon gewiss, doch wird er mir verzeihen, dass ich hier nicht eingreifen kann.“
„Wovon sprecht ihr?“
Der Hochgeweihte erhob sich. Er blickte sich um. Erschrocken erhob er sich und blickte mit geweiteten Augen in ein Unheil, welches Aranil verborgen blieb.
„Was ist hier los?“
Der Magus und alte Lehrmeister der Rashduler Schule erhob sich und blickte den Schwertmeister beinahe mitleidig an.
„Ich bin leider durch die vergangenen Ereignisse dazu gezwungen gewesen, meine Möglichkeiten ein wenig zu erweitern.“
Aranil sah nun, dass die Umgebung sich zu erheben begann; merkwürdige Bewegungen breiteten sich aus und bildeten sich nur schemenhaft auf den wundervollen Innenhof ab.
„Es ist sicher besser, wenn ich die Illusionen ein wenig fallen lasse. An sich bin ich von diesem Anblick ebenso abgestoßen wie ihr, obwohl ich zugeben muss, dass ich mich ein wenig daran gewöhnt habe.“ Nach nur wenigen Sekunden, in denen sich der Magus konzentriert zeigte, ohne dabei seinen Diwan zu verlassen oder seine Position zu ändern, löste sich die schöne Umgebung auf und unter ihr erblickten die beiden Verbündeten einen elenden Anblick.
Tod und Zersetzung breitete sich überall aus. Skelettierte Söldner, die wie Statuen gleich an den ehemals für Säulen gehaltenen Positionen standen richteten sich zu den beiden Gästen aus und begannen mit langsamen Schritten auf sie zu zugehen.
Der alte Magier biss in seine Melone und schien sich nicht sonderlich für das Kommende zu interessieren.
„Ich bin untröstlich, dass es soweit kommen muss, doch ich muss an meine Verpflichtungen denken. Wenn sie sich aus dem nun folgenden heraushalten könnten, kann ich sie dennoch, ganz nach dem Abkommen, dass ich mit meinem hoch geschätzten Kollegen habe, den Gang hin zur Pforte benutzen lassen.“
„Sind sie des Wahnsinns?“
„Es besteht sicherlich kein zwingender Grund unfreundlich zu sein.“ Mit einer aufgesetzten Gebärde gab der Magier seine Verstimmung kund. Der Hochgeweihte begann mit einem Gebet.
„Dafür dürfte es ein wenig zu spät sein, Geweihter des Boron.“ Seine Worte verrieten tief empfundene Abneigung.
„Ruft sie zurück!“
„Ha, was glaubt ihr. Das dies hier mein Spiel sei? Ihr irrt euch.“
Aranil zog seine Waffe und richtete sie auf den Magier.
„Vielleicht fallen sie in sich zusammen, wenn ich euch zu Boron schicke.“
„Ihr irrt euch und dies in doppelter Hinsicht. Ich werde nicht zu Boron reisen. Ich bin sicher, dass ihr dies auch wisst. Ich möchte euren Irrtum auf die angespannte Situation schieben.“
Einige Söldner begannen das Mobiliar aus ihrem Weg zu räumen. Aranil bemerkte, dass sie dabei mit überaus großer Kraft vorgingen. Er war erschrocken.
„Ihr werdet feststellen, dass es sich hier nicht um normale Untote handelt.“
Komran kniete nieder, sprach leise und mehr zu sich, weit hin zu seinem Gott, der jedes seiner Worte hören konnte.
„SCHWEIG ALMAN!“
Erschrocken sprang der Magier auf.
„Ihr selbst.“ Entfuhr es ihm und verbeugte sich tief, wich jedoch, ebenso wie seine getäuschten beiden Gäste, vor den Untoten zurück.
„WAS LIEGT IN EURER ABSICHT?“
Aranil blickte Komran an, der sich nicht mehr in der Lage sah den Fragen zu antworten. Viel zu sehr war er in seinem Gebet vertieft. Aranil hoffte, dass dieser eine mächtige Liturgie vorbereitete.
„Wir sind im Auftrag eines Freundes unterwegs.“
„WEM WOLLT IHR SCHADEN?“
„Wir, wir…“ Aranil war verwirrt, die Stimme schallte ihm zuvor aus dem Munde eines vormals tulamidischen Säbelkämpfers entgegen, breitete sich jetzt über andere Münder, einem novadischen Reitersoldaten und einem Strauchdieb, vielleicht einem Ferkina-Stammeskrieger aus. Die Stimme flog mit den Worten von Mund zu Mund, ohne Verbindung und Unterschied.
„SPRICH!“
„Wir wollen ein Unheiligtum zerstören!“, schrie er den Stimmen entgegen.
Einer der Untoten war gefährlich nahe an Aranil herangekommen, stand bereit ihm seine verrostete Klinge in den Leib zu stoßen.
Aranil wirbelte herum und trieb seine schwarze Klinge tief in den unheiligen Körper.
Der Untote schien beinahe von innen zu explodieren und zerfiel innerhalb weniger Augenblicke. Die verrostete Klinge hallte laut auf als sie auf dem weißen Marmor fiel.
„Wagt es nicht dem Hochgeweihten ein Leid anzutun.“
„WESSEN?“
„Was?“
Komran erhob sich und sprach mit ruhiger und eindringlicher Stimme: „Iribaars.“
Abrupt wich aus den Untoten die Bewegung. Wie versteinert blieben sie in ihren Bewegungen verhaftet und warteten.
Aus einem im Schatten liegenden Bereich trat eine finstere Gestalt in den Innenhof. Seine Gewandung war edel, ungemein fein und weit. Schwarze Seide trieb um ihn und hüllte ihn in einen Schleier aus Rauch und Nebel.
„Das ist höchst interessant.“, seine Stimme war die eines Menschen, wenn auch ungemein beeindruckend, mit seinem tiefen Nachhall und dem seltsamen Dialekt, der uralt anmutete.
„Wir werden euch gewähren lassen. Und auch euch,“ und dabei blickte er mit seinen, nur für einen Moment, rot aufleuchtenden Augen, auf den Hochgeweihten, „werden wir gehen lassen.“
Der Mann wandte sich zum gehen, und noch bevor er das helle Atrium verlassen hatte, begann die Illusion wieder mit ihrer Wirkung und alle umliegenden Bereiche erstrahlten wieder mit den herrlichsten Ornamenten, dem Wasserspeier und dem fröhlichen Geräusch der Vögel, die auf den umliegenden Blumen ruhten. Auch die Säulen waren wieder zu sehen, während die Untoten sich wieder in ihre alten Positionen zurückbegaben.
„Nun ja, wenn er es so will, so habe ich sicherlich nichts dagegen.“
Der abscheuliche Magier hob sein Weinglas und prostete den beiden Männern zu.
Aranil konnte nicht an sich halten und schlug den Magier mit seiner Faust, sodass nach der Besinnungslosigkeit des Mannes, dessen Weinglas zu Boden sank und den schönen Inhalt über den mit Asche verunreinigten Marmor goss.
Der Schwertgeselle blickte Komran fassungslos an.
„Wieso habt ihr es ihm verraten? Es ist nun alles verdorben.“
„Mit Nichten, mein Freund. Auch wenn er zu meinen größten Feinden zählt, so ist ihm die Schwächung Iribaars, vielleicht nur für den Moment, lieber als dieser kleine Triumph einen Hochgeweihten des Boron zu sich zu holen.“
„Dann glaubt ihr nicht, dass Iribaar von ihm gewarnt wird?“
„Das wird wahrscheinlich nicht geschehen, doch sicher können wir nicht sein.“
Aranil blickte zu seinem Rapier.
Komran erkannte Aranils Überlegungen.
„Er hat seine Klinge zweifach weihen lassen.“ Aranil blickte zu Komran.
„Überrascht es euch?“
Aranil lächelte und steckte sie zurück in die Scheide.
„Nein.“
Der Magus kam nach wenigen Minuten wieder zu sich, blickte sich verstört um und stellte dann erleichtert fest, dass er noch unter den Lebenden weilte.
„Es scheint sicherlich im Sinne eures“, Aranil überlegte, „Dämonen zu sein, dass ihr uns unterstützt.“
„Es scheint so.“, der Paktierer rieb sich die gerötete Wange.
Der Hausherr erhob sich und begab sich zu dem Wasserspeier. Betastete einige Stellen der abstrusen Konstruktion und wich dann zurück.
Unter einem lärmenden Getöse hob sich ein Bereich und fiel ein anderer. Langsam senkte sich die Merkwürdigkeit und erst im letzten Moment bemerkte Aranil, dass es sich nun um eine Treppe, eine Wendeltreppe handelte, die sich langsam in den Boden einließ.
„Nach ihnen.“
„Auf keinen Fall.“, erwiderte Aranil, bestand vielmehr darauf, dass der verräterische Magus vorging.
Dieser hob die Augenbrauen, ließ seine Ewige Flamme entzünden und ging die immer noch feuchten Stufen hinab.
In dem kreisrunden Abstieg, ergoss sich ein kleiner Wasserfall an einer Seite und löschte jede Konversation im Keim auf, denn mit einem andauernden Plätschern umfing die drei Männer eine laut hallende Geräuschharmonik. In einer anderen Situation hätte Aranil sie sogar ganz angenehm gefunden, jetzt jedoch vergrößerten sie seine Aufmerksamkeit.
Aranil wusste nicht inwieweit er dem Magier nun trauen sollte. Er ahnte jedoch, dass dieser nicht wider seinem Herrn handeln würde und entschied sich erstmal sich von diesem unangenehmen Tulamiden führen zu lassen.
Das Anwesen von Aranils Vater war mehr als ansprechend. Liebreizend einfach lag es auf einem leichten Hügel und bot mit seinen gut fünfzehn Zimmern genügend Platz für mehrere Gäste und das Gesinde. Etwas abseits standen noch weitere Gebäude, die sowohl als Weinkammern, als auch alles andere beherbergten was ein bäuerlicher Hof gebrauchen kann.
Aranils Pferd, das er etwas abseits des Duellplatzes angebunden hatte, war ein wunderbares sandfarbenes Tier, welches mit seinem heißen Blut kaum zum ruhigen Trapp zu überreden war. Da meine Reitkünste jedoch sehr eingeschränkt waren und wohl auch immer noch sind, war ich darauf bedacht, dass mein Pferd nicht ähnliche Anwandlungen bekam wie das seine.
Aranils Vater war, wie er sagte, noch bis zum Abend mit einigen Wareneinkäufen in Punin beschäftigt und würde vermutlich erst spät am Abend erscheinen.
Wir machten es uns in dem geräumigen Wohnraum mit einem sehr leichten Wein gemütlich und er erzählte von seinen vielen bisherigen Abenteuern. Auch er befragte mich nach meinen magischen Fähigkeiten, ich mied es jedoch zu sehr ins Detail zu gehen. Er zeigte sich mir als ein außergewöhnlicher junger Mann, worauf ich nur sagen kann, dass ich ihn seit jenem Abend herzlich gern hatte.
Auf die Frage, warum er mit seinem elfischen Blut, nicht auf eine Akademie gegangen sei, antwortete er nur, dass dies nichts für ihn sei. Die Magie, so wie er sie benutze sei ihm genug und er würde es nicht aushalten können allzu lange über den Büchern brüten zu müssen. Für ihn war die Freiheit der Weite ein zu verlockender Gedanke.
„Was kannst du mir über Silberbuchen erzählen?“ Den Namen Geisterbuche behielt ich lieber für mich.
„Nichts. Was ist denn mit ihnen?“
Laut krachend biss er in einen Apfel und schaute mich mit einer fast schon naiven Art an. Ein bisschen erinnerte er mich an Zori, der auch einen so großen unbekümmerten Lebenshunger ausstrahlte.
„Nun, ich benötige sein Holz für einen Zauberstab.“
„Ah ha?“
„Oder kannst du mir sagen, wo merkwürdig verknorrte, verdrehte Bäume stehen?“
Aranil überlegte. Schmatzend ging er in dem großen Raum auf und ab. Es schien wirklich so zu sein, dass er nicht länger als einige Minuten auf einem Fleck sitzen bleiben konnte.
„Es gibt da ein Waldstück.“
„Ja?“, schreckte ich neugierig hoch.
„Ach ich weiß nicht.“
„Was weißt du nicht?“
„Dort sind die Waldgeister sehr wild. Sie hüten ihren Forst.“
„Kannst du mich dort hinbringen.“
„Jetzt?“
„Ja!“
Aranil blickte in die Nacht hinaus.
„Du wirst doch keine Angst im Dunkeln haben?“
Ich wusste, dass ich ihn damit hatte.
Leider trat in diesem Moment sein Vater ein.
Oh Rastullah deine Prüfungen sind meist feingliedrig, doch spitz in ihren Enden.
Aranil stellte mich seinem Vater vor. Der konnte seinen Argwohn nicht unterdrücken.
„Dämonenbeschwörer?“
Ich nickte und lächelte ihn an.
„Seid ihr nicht Schwarzmagier und verschreibt euch dem Bösen, wider den zwölf Göttern?“
Es war nicht wirklich als Frage formuliert und vielen anderen, vor allem diesem Leonard, hätte ich eine gepfefferte Antwort gegeben, doch diesem ehrlichen Mann, der mit seiner naturverbundenen Art eine Elfe umgarnen konnte, war mir allzu angenehm, als dass ich ihn so hätte verärgern wollen.
„Ich bin ein Schüler der Rashduler Akademie, dort wird nicht nur Rastullah gepriesen, den ich als meinen Gott im Herzen trage, sondern auch die Überzeugung, dass die Chaotischen, die Dämonen der siebente Spähre, nicht böse sind. Sie sind sicherlich gefährlich, so sie denn Bewusstsein haben, was jedoch nur wenige besitzen. Es sind Werkzeuge auf Dere, die sich unsere Meister sehr gut zu bedienen wissen um beispielsweise erstaunliche Bauwerke zu schaffen oder andere wundersame Dinge von denen selbst wir gut unterrichteten Novizen noch nichts wissen. Doch seht euch die Klinge eures Sohnes an. Ist sie nicht in der Lage gar Fürchterliches zu vollbringen? Könnte man mit ihr nicht Kinderscharen morden? Würdet auch ihr dann diese Klinge verdammen oder nicht viel eher ihren Besitzer?“
Aranil sah erschrocken zu seinem Gehenge.
„Er hat Leonard im Duell besiegt?“
Ich war bedient. Wieso konnte Aranil dies nicht für sich behalten? Das unterstützte mich nun nicht wirklich in meinen Ausführungen.
Doch anders als ich dachte, erhellte sich die Miene des Vaters.
„Wirklich?“ Freudig und erwartungsvoll sah er mich an. Aranil berichtete. Als er zu dem Drachen kam, befürchtete ich erst, der Vater würde es mir übel nehmen, doch verstand er wahrscheinlich nicht, dass es sich hierbei nicht um einen wirklichen Drachen gehandelt hatte, sondern um einen Dämon.
Es wurde dann doch noch ein angenehmer Abend. Jacomo Almado Tréville war ein Mann in den Vierzigern, mit einem ausgeprägten blonden Lockenkopf, der ihm Freundlichkeit und besonnenes Verhalten anempfahl. Seine Worte waren, je mehr er vom seinem schweren Almadaner zu sich nahm, von Protest gegenüber der Obrigkeit geprägt.
„Was die Drakonier hier wieder veranstalten möchte ich auch mal wissen. Annähernd eine Stunde haben sie mich aufgehalten und alle Wagen durchsucht. Offenbar suchen sie wieder irgendwen oder irgendetwas. Sieht ihnen ähnlich, haben ja sonst ihre Nasen immer nur zwischen den Pergamenten.“ Laut prostete er sein Glas gegen die unsrigen und wirkte mit einem Mal müde und erschöpft.
„Von dieser Geschichte hätte ich gerne noch mehr gehört.“, flüsterte ich, doch der gute Jacomo war eingeschlummert. Aranil nahm das Glas aus der Hand seines Vaters und trank es leer.
„Wollen wir?“, und er grinste mich dabei an, so als wolle er sagen, er habe sicherlich keine Angst des Nachts in einen Wald zu gehen. Sein kindischer Übermut wirkte ansteckend.
Als wir mit zwei Sturmlampen durch die Hölzer nahe Wildenfest marschierten, war die Stimmung nicht mehr ganz so ausgelassen wie zuvor, waren mir doch die unbekannten Geräusche gar zu sehr ein Gräuel. Die Sterne standen zwar prall und leuchtend am Himmel, indes das Madamal war uns mit seiner Sichel weniger hold. Der kräftige Wind, der durch die Talrinne blies, machte viel Spiel und hielt den Wald in Bewegung, ließ jeden Augenblick zusammen mit seinem Tosen einen Ast oder Stein laut aufschlagen und erschreckte mich so oft bis ins Mark. Ein jeder hätte sich so ungestört nähern können und uns in dieser lärmenden Natur erschlagen mögen. Als wir immer näher zu dem Ort gelangten, den mir mein neuer Freund zeigen wollte, stand plötzlich der Uttara’Vha vor uns. Wie in einer Starre hielt er sich in der Luft, bewegte die Flügel nur zum Spaß und war dem Winde nicht Untertan.
Aranil fuhr nicht minder erschrocken zusammen wie es mir selbst widerfuhr.
„Was macht der Dämon denn noch hier?“
„Ich hatte ihn völlig vergessen. Er sollte mir das passende Holz suchen. Offenbar hat er etwas gefunden.“
„Wie passend. Wir sind nur noch wenige Schritt entfernt.“
Aranil wies mit seiner Hand auf eine seltsame Baumgruppe direkt vor uns. Sie waren in der Tat knorrig und alt, verwildert und erzeugten in mir das Gefühl, das sie in sich ein Leben hatten.
„Du willst doch nicht einen solchen Baum fällen?“ Ich blickte ihn mit meiner kleinen Handaxt an, starrte dann auf die alten Riesen.
„Nein, nicht wirklich. Es ist mir mehr daran gelegen, den passenden Stab zu finden. An einem ganzen Stamm habe ich kein Interesse.“
Der Dämon mit dem kleinen Körper, einem Drachen sehr ähnlich, schwebte leicht durch den brausenden Wind, immer weiter nach oben und blieb dann an einem hohen Ast stehen. Sein Kopf zeigte ihn mir an. Er war perfekt, gerade in der Linie und mit Verdrehungen, die leicht und symmetrisch waren.
Dann jedoch wurde es dunkel um mich und ich stürzte in eine traumlose Finsternis.
Die Treppen führten lange hinab, doch dann, und das wusste Aranil, würde es einen noch längeren Weg geben, der gerade hin zur Akademie führen würde und eben so war es. In dem weiten, stillen Gang war eine angenehme Kühle, die mit dem immer leiser werdenden Rauschen des Wassers recht harmlos zu sein schien. Aranil wollte schon seine Sorge und Anspannung lockern, als er sich bewusst wurde, wie leicht er hier von nur wenigen Angreifern überwältigt werden könnte.
„Wem ist dieser Gang bekannt?“
„Nur wenigen, sehr wenigen.“, flüsterte Alman Rashid und lächelte dabei verschwörerisch.
„Das genügt schon.“
Aranil zog seine Waffe. Wenn er es auch eigentlich nur tat, um das arrogante Gehabe des Magiers zu beenden, war es doch auch, weil er sich in dem weiten Tunnel nicht mehr wohl fühlte.
„Dieser Gang ist beinahe so alt wie Rashdul selbst. In den alten Tagen, als die Akademie noch jung war und das Wissen reich, erwählte man eines der prächtigsten Gebäude für den Akademieleiter. Dieses erhielt einen eigenen unterirdischen Zugang zur Akademie. Wenngleich nachfolgende Generationen immer mal wieder an anderer Stelle wohnen wollten, vermied man es jedoch nicht zu ihren Häusern ebenfalls Gänge zu legen.“
Mehrere Abzweigungen führten mal rechts mal links vom Hauptgang ab. Aranil und auch Komran waren dicht hinter dem Rashduler Meister.
„Ihr seht also, dass die Akademieleiter es nicht immer, wie in den letzten Generationen, es vorzogen, in der Akademie zu leben.
Wir sind bald da. – Ah, meine alte Akademie. Wenn es doch nur wieder so sein könnte wie früher.“
Für einen Moment hatte Aranil wirklich etwas mitleid mit dem Mann, wusste er doch, dass Akon ebenso dachte und vielleicht auch mit aus diesem Grund die Gefahren auf sich nahm, wobei sein Freund jetzt nur wenige dutzend Schritt entfernt war und seine Seele riskierte.
„Vielleicht hilft es euch uns zu helfen, wenn ihr wisst, dass genau das eintreten könnte.“
Alman blickte den Schwertgesellen mit geweiteten Augen und großer Hoffnung an.
Dann senkte sich sein Blick.
„Ach, und selbst wenn, die Zeit ist vergangen in der die Jahre hätten schön sein können. Die Vielen, die gefallen sind, sind so zahlreich, dass mir die Sinne übergehen und ich schwere Tränen in den Sand vergraben möchte.“ Bitter gezeichnet erschien er den beiden Männern, die mit ihm stehen geblieben waren und ihn geringschätzig musterten.
„Ich weiß, dass ihr mich für mein Handeln verdammt, doch dies ist eben die Zeit, die nicht anders werden kann. Es ist geschehen und alles wird sich fügen, wie der All-Eine es will.“ Er blickte auf und tat mit seinen Händen, als würde er sich Wasser in sein Gesicht schütten.
„Langsam nur spielt die Welt, und wir sind ihre Figuren. Wie ein Kamel fühle ich mich, wie ein rotes Kamel.
Ich werde euch führen und euch helfen, doch viel ist es nicht, dass ich für euch tun kann.“
Aranil und Komran wurden von Alman in einen unscheinbaren Raum geführt. Wären die Spiegel nicht schon blind von all den Jahren oder mit Stoffen verhangen, sie hätten sich in unzähligen Varianten gesehen.
„Wohin nun?“
„In den Kleinsten, bitte sehr.“, und Alman wies auf einen unscheinbaren mit Holzrahmen versehenen Spiegel, der genau wie alle anderen einen überaus stumpfen und alten Eindruck vermittelte.
„Keine Sorge. Ich werde hier warten.“
„Es kann lange dauern.“
„Das ist nicht wichtig. Mein Schicksal steht geschrieben. Ich weiß um mein Ende.“
Aranil schritt mit Komran auf den Spiegel zu und betastete ihn. Ein Spiegel. Eben so, wie er es erwartet hatte, betastete er die Oberfläche eines Spiegels.
„Schreitet einfach hindurch, so als würdet ihr vor den Spiegel laufen wollen. Es wird einen kleinen Widerstand geben, doch dieser wird nachgeben und euch hindurch lassen.“
Aranil blickte zu Komran, der keinen Moment zögerte und auf den Spiegel zuschritt. Aranil nahm sich vor, sein Rapier auf Almans Kehle zu richten, wenn der Hochgeweihte, wie er erwartete, gegen den Spiegel lief. Er verschwand jedoch in ihm.
„Möge Rastullah euch beschützen.“ Aranil nickte dem Magier zu und ging auf den Spiegel zu.
Er atmete die kühle Luft ein. Sein Herz pochte immer noch stark, doch es verlangsamte sich allmählich.
Sie waren in einem Keller – in Almada. Aranil war erleichtert, wenn er auch an einem höchst elitären Ort war, aus dem er sicherlich nicht so einfach hinaus gelangen sollte.
Wie er den Magiern dies alles erklären sollte wusste er noch nicht, doch würde ihm sicherlich schon etwas einfallen.
Aranil blickte auf einen wundervollen Wandteppich, der eben dort war, wo sie herkamen. Die dunkle Pforte war hier ein erstaunlicher, riesiger Gobelin, der ganz so wie man ihn aus den tulamidischen Landen kennt mit einem Farbenmeer an sonderbaren Motiven versehen war. Aranil schmunzelte, war es doch an sich eine schöne Idee, diesen Durchgang mit eben so einem prächtigen und passenden Anblick zu verschleiern. Er ging auf den Teppich zu und wollte den feinen Stoff betasten, doch anders als er dachte, glitten seine Finger durch den Stoff, hin zu dem Ort von dem er kam.
Aranil hätte sicherlich große Probleme gehabt den hochnäsigen Magiern sein Erscheinen zu erklären, doch der Borongeweihte wusste sehr gut mit ihnen umzugehen und verwies sie auf ihre Plätze. Es sei einzig und allein eine Angelegenheit der Boronkirche und sie sollten sich hüten dem Gott des Todes, des Schlafes und des Schweigens mehr abzuverlangen, als er bereit ist preis zu geben.
Aranil lächelte, als sich die Tore der ehrenwerten Akademie schlossen, ohne das die Magier derselben auch nur eine Ahnung hatten, weshalb ein Schwertgeselle und ein Borongeweihter des Al’Anfana Ritus in ihrer Akademie aufgetaucht waren.
„Wohin nun?“
„Ich dachte, ihr wüsstet es?“
Aranil lächelte. „Ihr hättet euer Gesicht sehen sollen.“
„Ihr seid unmöglich. Wir wurden von Boron auserwählt sein Werk zu vollbringen und dieses schändliche…“
„Schon gut, leiser bitte. – Wir gehen in den Hesindetempel. Dort wird man, so es die Götter wollen, schon auf uns warten.“
Komran nickte, war aber immer noch etwas aufgebracht, wenn auch, wie Aranil deutlich merkte, mit einer leichten Erheiterung.
Die Novizen und auch die anderen Gläubigen, meist Gelehrte und Magier, blickten das ungleiche Paar mit unverhohlenen Blicken neugierig an.
Aranil wusste, dass die höher gestellten Geweihten meist in ihren Schreibstuben über ihren Büchern zubrachten und die Neuerwerbungen oder Spenden studierten.
Kein Geweihter trat ihnen in den Weg oder hielt sie mit Fragen oder Begrüßungsfloskeln auf. Offenbar waren alle unterrichtet und hatten ihre Anweisungen.
Vor der Tür zum Hochgeweihten blieb Aranil kurz stehen, blickte an sich hinab und zu dem Hochgeweihten des Boron. Ihm wurde bewusst, dass er innerhalb von wenigen Stunden von Al’Anfa, mit einem Duell in der großen Bal-Honak-Arena, über einen kleinen Ausflug in eine schwarze Pyramide der Achaz, durch die Geisterzitadelle in die Felsengräber, zurück in die unschätzbar Alte, die tulamidische Stadt Rashdul, gereist war und in dem prachtvollen Anwesen eines bekennenden Dämonologen und womöglich auch Paktierers, wieder seine Heimat Almada über die weithin bekannte Akademie zu Punin gelangt war. Und all dies wäre vergebens, wenn nun nicht auch der Stein hier wäre.
Er öffnete die Tür. In dem weiten Raum waren mehrere Gelehrte, die über Karten und Büchern saßen, sich mit gedämpftem Licht leise unwahrscheinlich altes Wissen zuflüsterten und sich über die bewaffneten Wachen, die um eine große Kiste standen, nur wenig Gedanken zu machen schienen.
Aranil war erleichtert. Er beschleunigte seine Schritte und ging auf einen Hochgeweihten zu, der sich mit einem Untergebenen unterhielt.
„Ah, mein Freund. Wie haben wir auf euch gewartet.“
„Wieso treffen wir uns hier?“
„Unser Haus wird nur renoviert. Wir haben uns deshalb für den Tempel entschieden. Habt ihr die Pflanze?“
„Ja, wir haben tatsächlich eine in der schwarzen Pyramide aufgespürt.“
„Wunderbar.“ Der Hochgeweihte gab sofort mit seiner Rechten einen Wink und ein älterer Mann mit Lederschürze trat an die Gruppe heran.
„Dies ist unser bester Alchimist. Er wird sich um die notwendigen Dinge kümmern. Übergebt ihm was ihr mitgebracht habt.“
Aranil reichte seine Umhängetasche an den Alchimisten. Er war froh diese Scheußlichkeit los zu sein. Erst jetzt spürte er überdeutlich die Erleichterung, die die Übergabe ausgelöst hatte. Für einen kurzen Moment war er wie paralysiert, so als sollte es nicht richtig gewesen sein, die Pflanze zu töten.
„Wie ich sehe, ist der Stein rechtzeitig eingetroffen.“
„Ja, unsere Draconiter haben sich sehr beeilt. Doch man muss auch sagen, dass der Weg viel leichter zu bewältigen war, als der eure.“ Aranil nickte dem Geweihten zu.
„Wenn ich euch vorstellen darf. Das ist Exzellenz Komran aus Mirham. Und dies hier ist Ehrwürden Lucan vom Heiligen Drachenorden.“
Die beiden ungleichen Geweihten begrüßten sich mit einer distanzierten Freundlichkeit, die unter den Umständen schon beinahe als herzlich zu nennen war.
„Anders, als ihr es vielleicht denkt, werden wir euch nicht diesen Stein übergeben.“
Aranil erstarrte.
„Einige meiner Draconiter werden euch begleiten.“
„Nein. Wieso? Das muss nicht sein.“
„Ich befürchte doch, mein Abtprimas besteht darauf.“
„Ich kann nicht für ihre Sicherheit garantieren.“
„Das verlangt auch keiner, mein Freund.“
Aranil besah sich die Wächter. Alles sicherlich gut ausgebildete Kämpfer – aber nein, es waren Gelehrte mit Metallwaffen. Keiner von diesen Wächtern hatte je einen großen Kampf ausgefochten oder war in ein Scharmützel geraten und jetzt sofort gegen einen Erzdämonen? Aranil war ratlos. Er wusste nicht, wie er diesen Wahnsinn aufhalten konnte. Er ahnte, dass es gänzlich unmöglich sein würde. Er benötigte Zeit, Zeit, dies zu bedenken und letztlich zu akzeptieren.
Nach einem kurzen und wilden Schlaf in einer der vielen kleinen Stuben im Tempel, sollte es nun soweit sein. Die Stunde des großen Vorhabens; Aranil musste schmunzeln. Er hatte sicherlich schon vielen Gefahren in seinem Leben getrotzt, doch diese irrsinnige Idee Akons war nun nicht mehr so, wie es ihm noch vor wenigen Wochen erschienen war, eine gute, den Göttern wohlgefällige Sache.
‚Oh, du Narr, tapst in vielen Fettnäpfchen, gar solchen die groß und breit vor dem Kamin stehen und bereit sind, sie für die Lederpflege anzuwenden.’
„Habt ihr gut geruht, Schwertmeister?“
Aranil blickte sich kurz um. Es war das erste Mal, dass man ihn so genannt hatte; zumindest nicht im Scherz, wie es schon gar so oft vorgekommen war. Nein, vor ihm stand ein Draconiter. Seine feste, glänzende Lederrüstung mit dem übergezogenen Ornat, war prachtvoll anzusehen, wenn sie auch deutlich zeigte, dass zumindest mit dieser hier nichts unternommen wurde, was man auch nur im Entferntesten als einen Kampf bezeichnen konnte.
Aranil straffte sich, sein Mut stieg ihm mit dieser Ehrenbezeugung. ‚Warum eigentlich nicht.’
„Ja, es war sauber.“
„Wir erwarten eure Befehle.“
„Schnappt euch die Kiste, leichtes Gepäck, Proviant für maximal drei Tage. Verbandzeug wird sicherlich auch nicht schaden.“
Bei dem letzten Satz zuckte der Draconiter merklich. Als er sich entfernt hatte, schloss Aranil unwillkürlich die Augen und betete leise.
‚Hesinde, mein Wissensdurst wird nicht von Büchern gestillt; Phex, ich achte dich nur vor jedem Spiel; Travia, dir proste ich nur beim Mahle zu, Ingerimm, für deinen Grimm bin ich mir oft zu fein; Rahja, dir opfere gar zu oft und trinke in deinem Namen schlechten Wein; Firun, du lässt mich frösteln; Efferd, deine Wasser suche ich selten; Praios, dein Licht ist mir selten hold; Peraine, deine Gaben pries ich viel in Kindertagen; Tsa, deinen Namen habe ich selten im Munde; Boron, deinem führe ich gar zu oft welche zu; und dir Rondra, so will es sein, habe ich mein Handwerk geweiht. Doch ihr alle seid es nun, die ich erbitte mir in den kommenden Stunden beizustehen, denn ich tue dies für euch, in eurem Namen, gegen euren Feind.’
Als ich meine Augen aufschlug, pochte ein Schmerz gegen meinen Kopf, der mir ein Aufstöhnen abrang und ich mir unwillkürlich mit meiner Rechten an den Hinterkopf fuhr.
„Ihr habt es gewagt, verderbter Unhold, dämonische Brut in meinen Hain zu bringen. Dafür..“, doch weiter wollte ich ihn nicht kommen lassen.
In den zwei Sekunden hatte ich mich umgesehen, meinen Körper als halbwegs wohlbefindlich eingestuft und den vor mir wütenden als druidischen Waldbewohner ausgemacht. Er starrte vor Dreck und dummem Aberglaube. Aranil lag noch bewusstlos neben mir. Auch wenn ich nicht mehr meine ganze Kraft zur Verfügung hatte, so war ich doch bei klarem Verstand und hatte die tiefen meines Selbst, meines Lebens auf dem ich mich verlassen und zur Not zugreifen konnte.
Mir wurde gelehrt, dass sollte man sich zu einem Angriff entschließen, dass man nicht warten sollte, nicht verzagen und ohne Pause agieren müsse. Und so tat ich es. Überraschend und voller Kraft zu der ich mich in der Lage sah.
„Al’Barg sefari shinak!“
„Ah, ich bin blind. Du elendes, verderbtes Kind.“
Ich machte nicht den Fehler und antwortete ihm, sondern erhob mich blitzschnell und wich so seinem blind geführten Schlag aus.
„Zadh haz!“ und während er brannte, und ich merkte, dass seine Kampfeslust angestachelt und nicht gehemmt wurde, zog ich meine innere Kraft zu mir, hob an dies innere Blut, trieb es in einen Cantus.
„Torpescas!“
Sein verfilzter Bart ließ noch den letzten Qualm ziehen, sonst jedoch nichts. Alles war still und starr. Ich sank erschöpft zu Boden und ruhte sicherlich zehn Minuten. Aranil hatte sich erhoben und wollte den Druiden attackieren. Ich ließ ihn gewähren. Lachen musste ich. Merkte er doch auch, dass dieser nichts mehr ausrichten konnte.
„Was ist hier geschehen?“
„Ich habe diesem Unhold von einem druidischen Einsiedler eine Lektion erteilt.“
„Was ist mit ihm? Ist er tot?“
„Das nicht. Er wird nur etwas ruhen.
Doch wir sollten uns dennoch beeilen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“
Unsere Sachen hatten wir schnell beisammen und wollten auch schon diesen ungastlichen Ort verlassen, als mir ein seltsamer Stein ins Auge sprang. Als ich ihn berührte bemerkte ich sogleich, dass dieser etwas magisches oder ahnliches in sich barg, denn mein Wissen um den Druiden konnte ich nicht bei mir halten. Erschrocken und von Aranil geweckt riss er mich von dem Stein. Die kalte Oberfläche hatte mich festgehalten und es an sich gezogen, dass Wissen in mir.
„Was ist?“
„Das kann ich nicht sagen, doch was wollte ich?“
„Du hast dir diesen Stein angesehen.“
„Ach ja. Daran kann ich mich nicht erinnern.“
Ich hielt Abstand zu dem Stein. So dunkelschwarz, trüb, so als wäre er durchscheinend und doch innerlich schwarz, verderbt vielleicht.
Kein Schwarzes Auge. Das nicht. Doch irgendetwas von hoher Macht.
Ich nahm ein Stück Fell und wickelte den Stein darin ein. Sollten doch andere diesen Stein erkunden. Dieser Einsiedler in seiner Höhle würde es mit Sicherheit nicht können.
Wir traten aus der seltsamen Behausung, die nicht mehr war als ein Loch und waren von dem hellen Licht des noch jungen Tages geblendet.
„Wann wird er aufwachen?“
Ich zuckte mit den Achseln.
„Zur Mittagsstunde kann er sich wieder seinen Kräutern ergeben.“
„Dann sollten wir uns beeilen.“
Aranil musste sich nur kurz orientieren.
„Ah, hier sind wir.“
„Findest du den Baum wieder?“
„Ja, eine leichte Übung.“
Wir waren nach nur wenigen Minuten Fußmarsch am Ort des unheimlichen Waldes und bei Tageslicht war alles verschwunden was unheimlich erschienen war.
Ich besah mir den hohen Ast und blickte zu dem Aufstieg hin, der mir unüberwindlich erschien.
„Du verzauberst einen Druiden und getraust dich nicht auf einen Baum zu klettern?“
Ja, so gesehen, klang es sehr merkwürdig.
„Es scheint wohl so.“, erwiderte ich.
Aranil nahm mir die Handaxt aus der Hand und kletterte behände die gut fünf Schritt hoch in den knorrigen Baum. Bei ihm erschien es wirklich eine Kleinigkeit zu sein, so in einem Baum herumzuklettern.
„Wo soll ich ansetzen?“
Es war ein gutes Gefühl, als ich auf dem Ritt zurück nach Punin war. In einer Decke hinter mir war der Stab und neben mir ein neuer Freund, die prachtvollen Alleen wirkten wie ein heroisches Geleit.
Vor uns erblickten wir die Silhouette von Punin, mit ihren hohen Bauwerken und schönen massiven Türmen. Leider waren vor den Toren unwahrscheinlich viele Händler, die ihre Karren in langer Folge aufgereiht hatten.
Schwarze Uniformen standen mit langen Stangenwaffen am Tor oder durchsuchten in großer Gruppe die Händler und Wanderer.
„Die Draconiter.“, kommentierte Aranil resignierend.
„Wir werden doch wohl passieren können.“
„Wohl kaum.“, lachte Aranil sarkastisch.
Als sie bei mir den Stein fanden, waren sie erleichtert, aggressiv und bestimmend.
Wir wurden in ein edles Haus geführt, mit Nachdruck hingeschoben traf es wohl eher. Nachdem wir unsere Geschichte berichten konnten wurden wir in einen anderen Raum geführt. Er war spärlich eingerichtet und roch nach alten Büchern – ohne natürlich welche zu enthalten.
Nach Stunden wurden wir beide wieder in den vorhergehenden Raum geführt.
Wir wurden auf zwei Stühle gesetzt. Vor uns stand für jeden ein Becher.
Ein junger Geweihter blickte uns freundlich an.
„Mein Name ist Lucan. Was wisst ihr über den Stein des Vergessens?“
Mein Name ist Harikono Hesindetreu und ich war in jenen denkwürdigen Stunden mit einem Auftrage als Draconiter in den ehrwürdig tiefen Hallen der Rashduler Akademie.
Es sollte an sich nur ein kurzer Weg sein, von Hinterhalten oder gar dämonischem Gezücht sollte nichts vor uns sein. Nur an unserem Ziel, so wurde uns gesagt, sollten wir sie erwarten, in stiller Demut hoffen und beten. Eben so war es von Akon bestimmt. Es war jedoch wie immer, wenn man sich auf etwas einstellte stets so, dass man Gefahr lief zu vergehen.
Alman, der Paktierer, wartete in der Tat vor der dunklen Pforte, doch anders als Aranil und Komran erwartet hatten. Sein Körper war nicht mehr als eine Ansammlung von aneinander gefügten Knochen.
Als wir uns alle, Komran, der werte Schwertmeister und wir fünf Draconiter von dem Leichnam erhoben, erschütterte ein widernatürlicher Schrei die weiten Katakomben der alten Akademie zu Rashdul.
„Was in Hesindes Namen war das?“, entfuhr es einem meiner Gefährten.
„Das, mein lieber Freund, ist der Feind, der sich erhebt.“ Der Geweihte nahm dem verdutzten Gelehrten die Fackel aus der Hand und ging in den rechten Gang. Der Almadaner kannte zwar als einziger den Weg, doch spürte offenbar der Hochgeweihte wo er hinmusste. Aranil folgte sogleich und ließ uns geschockt zurück.
Wir stolzen Anhänger der Hesinde verließen augenblicklich den seltsam fleischlosen Alman und folgten dem Geweihten und seinem Schwertgesellen.
„Ihr müsst euch nicht verwundern, dass wir hier durch endlos erscheinende Gänge flanieren. Die Akademie ist nun mal viel älter als eure von Punin. Ihre Geheimnisse reichen sicherlich auch sehr tief, doch sind sie in Rashdul, nun, sagen wir, etwas breiter angelegt. Diesmal jedoch werden wir vermutlich eines ihrer Ältesten zu offenbaren suchen. Das sich da in ihren Eingeweiden in Jahrhunderten von Dämonen und Dschinnen erbaut etwas gestört fühlt sollte nicht weiter verwundern.“
Langsam nur gingen wir durch die tiefen Gänge Rashduls. Immer wieder wurden wir Zeugen von gar Unglaublichem. Aus den dunklen Gängen kamen uns Golems oder Dämonen, Dschinni oder Geister entgegen, kein Geschöpf nahm von uns sonderlich groß Notiz. Alle waren mit ihren Aufgaben beschäftigt und gingen entweder ihrer vorbestimmten Wege oder hielten irgendwelche Mechanismen in Betrieb. Ich konnte mir manchmal nicht helfen, es hatte den Anschein, als wären sie wie Sklaven gefangen in einem sich bewahrenden Bauwerk. Wenn dem jedoch so war, waren wir dann nicht auf dem Weg hin zu dem Herzen des Bauwerks?
Wir betraten einen Raum. Er war wie die vielen anderen auch, an denen wir vorüber gegangen waren, nichts wirkte sonderlich irritierend. Wir wussten jedoch, dass dies genau sein Spiel war, Hesindes Widersacher, er versteckte sich, trieb einen in die Irre und leitete einen in den Wahn.
„Sind wir da?“, hauchte der Schwertmeister in den Raum
Wir postierten uns an den Eingang, der einzigen Tür. Aranil ging hin zu einem großen Spiegel, der mir zuvor gar nicht aufgefallen war, obwohl er groß und einnehmend war. Wie eine Stufe nahm er den Diwan, ging weiter über die Lehne und durchschritt den Spiegel als wäre es nur eine offene Tür.
„Noch eine dunkle Pforte?“
„Wer weiß mein Sohn. Lass es uns doch einfach herausfinden.“, und der Geweihte des Boron wies uns an vorauszugehen.
Ich nahm wieder die Kiste, wog ihr Gewicht. Was sie enthielt war mir nicht bis ihm Detail klar, doch war es meine Aufgabe sie zu schützen – mit meinem Leben wenn es erforderlich sein sollte.
Zwei meiner Gefährten gingen voraus, zwei hielten sich hinter mir und deckten meinen Rücken. Als ich auf dem Diwan stieg hörte ich einen merkwürdigen Ausruf, dann einen Schrei. Ich blickte nicht zurück, spürte den eisigen Hauch eines widergöttlichen Geschöpfs. Ich sprang hinein in dieses merkwürdige Tor, das ein Spiegel sein sollte. Schützend hielt ich die Kiste. Auf der anderen Seite berichtete ich sofort.
Ich erhob mich, orientierte mich schnell in diesem Palast ähnlichen Raum und wandte mich in eine Ecke, erwartete meine Kameraden.
Endlose Sekunden vergingen. Der Schwertmeister und auch meine Gefährten stellten sich um den Spiegel auf, sowohl Freund als auch Feind in Erwartung.
Niemand kam.
Nach langem Schweigen, war es der Borongeweihte, der das Wort ergriff.
„Wir sollten weiter. Nichts was jetzt noch durch diese Pforte kommt wird uns helfen können.“
Wir folgten einem langen prachtvollen Gang, der überall mit gesplitterten oder blinden Spiegeln ausgekleidet war. Immer wieder sah ich in ihnen fremde Augen, die mich anzogen und mir einen kalten Schauer bereiteten.
Als wir die große Halle erreichten, ganz so, wie wir es zu erwarten hatten, sahen wir sie. Iribaars Unheiligtum, die Lilie, viel gewaltiger wie beschrieben. Nicht weit von ihr, aber immer noch außer der Reichweite dieser dämonischen Pflanze, saß der Dämonologe, auf dessen Geheiß wir alle uns hier eingefunden hatten. Er wirkte eingesunken in einem großen Kreidekreis. Der Raum war verwüstet und Splitter und Blätter lagen verstreut um ihn herum.
Als wir uns langsam näherten, hörten wir plötzlich die Stimme eines Fremden.
„Er wird euch nicht hören.“
Aranil zog seine Klingen und ging auf den Fremden zu.
„Ich bin Zori von Boran.“
Aranil blieb stehen.
„Was machst du hier?“
„Ach hat er euch nichts von mir erzählt?“
„Sonst würde ich wohl nicht fragen.“
„Ihr kennt mich sicherlich noch, Komran.“
Dieser nickte.
„Es wäre dennoch nett, wenn ihr euer Erscheinen erklären würdet.“
„Das kann ich gerne tun, doch würde es vielleicht zu lange dauern.“
Er wies auf die Blume, die sich langsam erhob und aus dem Tor hinter ihr schritt eine widernatürliche Gestalt.
„Was geht hier vor?“
Zori schien sich ein Grinsen nicht verkneifen zu können. Mit seiner eigenartigen und fremdartigen Rüstung war er als Maraskaner deutlich zu erkennen, doch so schwer er gerüstet schien, so sehr war auch zu erkennen, dass es sich bei ihm um einen Magier handelte.
„Es wäre sicherlich furchtbar nett, wenn ihr mir nun die Kiste öffnen würdet.“
Ich hielt sie fest umklammert.
„Wie kämen wir dazu.“, schoss es aus meinem Mund.
„Weil sonst Akons Plan scheitern würde.“
„Wir sind hier um die erste Iribaarslilie zu zerstören.“
„Damit seit ihr auf dem Holzweg.“, klagte die lauter werdende Stimme des Maraskaners.
Die Gestalt trat um die Lilie. Sie hielt ein gewaltiges Schwert und war ganz offensichtlich dämonischer Natur.
„Was ist das?“, entfuhr es meinem Gefährten zur Rechten.
„Das mein lieber Draconiter“, sagte der Geweihte, „ist ein Geschöpf eures Widersachers. Ihr solltet nicht zögern und zaudern. Nehmt eure Waffen und treibt sie in dieses Geschöpf.“
Sie taten wie von ihnen erwartet. Aranil zögerte.
„Bleibt zurück.“, doch diese Worte kamen zu spät. Iribaars Schwert bewegte sich schneller als erwartet, es durchschritt den Raum, nahe menschenähnlich in seinen Proportionen, seine Waffe schien aus einem Knochen zu bestehen. Er durchschnitt ihn, meinen Freund Hamon. Er war nicht nur tot, hingeschlachtet auf dem unheiligen Boden, nein, er war in zwei Teile gespalten.
Ein starker Feuerstrahl durchmaß den Raum und traf die Blume, die mit ihren wilden Farben einzusetzen begann ihr Spiel zu erklingen. Die Augen des Boronis waren schon in die illusionäre Macht gesunken. Leicht hin war er ihren Armen erlegen.
Aranil sprang meinem letzten Glaubensgenossen zur Seite und wehrte die vielen Schläge ab, die diese gewaltige Klinge zu führen wusste.
Dieser Magier Zori war mir an die Seite gesprungen.
„Macht nun die Truhe auf.“ Er hielt ein großes tönernes Gefäß in seinen Händen.
„Schnell, wir dürfen nicht länger zögern.“
„Was verlangt ihr? Ich habe den Auftrag es mit meinem Leben zu verteidigen.“
„Seid nicht dumm. Es ist aus diesem Grund hier. Ich werde ihm nur noch etwas zusetzen, auf das es länger seine Wirkung halten wird.“
Ich zögerte. Sah, wie der letzte meiner Kameraden fiel.
Die Blume erholte sich, der Brandherd war erloschen.
Ich öffnete die Kiste. Unter dem ersten Deckel befand sich ein Gemisch. Eine Paste war überall verstrichen. Ich zögerte sie zu berühren.
„Das müsste aus der Lilie bestehen. Niemand von uns wird sie berühren können ohne im Wahn zu enden.“
Ich zog meine Finger zurück.
Starr blickte ich in das freundliche Gesicht dieses seltsamen Menschen. Versuchte zu ergründen ob ich ihm trauen kann. Was sollte ich nur denken. Meine Freunde waren gestorben und auch ich war nur Sekunden davon entfernt. Langsam und glucksend schüttete er den Inhalt in den kreisförmig inneren Behälter.
„Was ist das?“
„Mit das kostbarste was Dere zu bieten hat. Und dabei stammt es noch nicht einmal von hier.
Es ist Zazamotoxin. Über Jahre hinweg hat Akon und ich, immer wieder etwas hinzugefügt, haben unser Leben mehr als einmal riskiert um nur Flux für Flux hinzuzugewinnen, haben wir es den Dämonen abgetrotzt.“ Sein Blick verlor seine kindliche Ausstrahlung und nur für einen Moment war seine unerschrockene Willenskraft zu erkennen.
Gut zwei Maß goss er in den kleinen Behälter, bis Stein und Paste, bis zum oberen Rand mit dieser Flüssigkeit bedeckt war.
„Schließt es nun. Ich werde es dann nun hinüber tragen.“
Ich starrte auf den Inhalt. Wollt ihr mir sagen, wo ihr es hinbringt?“
Augenblicke vergingen. Aranil wehrte sich. Hieb dem Wesen immer wieder tiefe Wunden, erlitt selbst welche und hielt schon seinen getroffenen Lingen Arm schlaf an seinem Leib gedrückt. Die Parierwaffe war verloren und immer wieder wuchtig traf die schwere Klinge des Dämons. Lange würde er nicht mehr standhalten.
„Diese Pforte dort führt in die Gnaph’Caor. Dort wird das geheime Wissen von Amazeroth aufbewahrt, seine dunkelsten Geheimnisse. Es ist jedoch mehr, es ist sein Wissen.“ Zori, der mir immer als verrückt erscheinender Magier zeigte mir sein helles Lachen. Ich blickte auf seine Rüstung, dort war, in den Spalten aus Holz und Leder, eine unscheinbare Blume samt Wurzeln eingeklemmt, eine Madablüte.
Ich schloss den Deckel und zog mein Schwert. Ich betete und stürmte auf das Wesen zu.
Als ich tödlich getroffen auf den Boden glitt, sah ich mit meinen letzten Augenblicken, wie Aranil dem Wesen mit meinem Schwert den Todesstoss versetzte und dieser seltsame Zori durch die Pforte schritt.
Zwei andere Magier stürmten in den Raum und helle Flammen umringten die große Blume Iribaars.
Als sie sich dem kleinen dunklen Magier, offenbar ihrem Freund, zuwandten, sah ich, wie er sich von dem Ort, dem Schutzkreis, entfernte und mit ihnen durch die Pforte trat.
Ich schloss die Augen und dankte Hesinde.
„Ich habe euch alles gezeigt und ihr habt meinen Plan nicht durchschaut.“
„Wohin hast du mich geführt? War dieser Weg wirklich die Wahrheit?“
„Wie wahr kann ein Mensch berichten? Ist nicht alles was er sagt, weit entfernt von der Wahrheit?“
„Da magst du Recht haben.“
„Es war mir ein Vergnügen euch gewähren zu lassen.“
„Du hast es vollbracht.“
„Ja, ich habe euch getäuscht.“
„Bist du dir sicher?“
„Weshalb sollte ich zweifeln?“
„Weil du in anderen Menschen dein Vertrauen gesetzt hast.“
„Ja, das habe ich. Niemals würde ich denken, dass sie mich täuschen würden.“
„Ich glaube dir, dass macht es so interessant.“
„Ich werde nun gehen.“
„Willst du wissen wer dich verraten hat?“
„Es gibt nichts das ich euch glauben würde.“
„Erinnerst du dich, du bist durch die dunklen Pforten gegangen. Zori war bei dir und Mazar und meine rechte Hand folgten euch später nach.“
„Ja?“
„Ismet und Aytan haben euch erwartet. Doch zuvor habe ich sie getroffen.“
„Ich glaube euch nicht.“
„Das musst du auch nicht. Ich möchte dir nur zeigen, dass sich alles so gefügt hat, wie ich es bestimmt habe.“
„Sie konnten nichts tun.“
„Meinst du? Sie haben mit Zori gesprochen.“
„Er wird ihnen nichts gesagt haben.“
„Vielleicht musste er das auch nicht.“
„Ich verstehe nicht was ihr wollt. Wenn sich alles so gefügt hat, wie ihr es wolltet, was wollt ihr dann noch von mir?“
„Eine gute Frage.“
„Und?“
„Ich möchte sehen wie weit es gehen kann.“
„Euer Geheimnis wird nicht mehr lange wichtig sein.“
„Meinst du wirklich, du weißt was du hast?
„Wovon sprecht ihr?“
„Von dem Stein.“
„Ihr habt keine Ahnung wovon ihr sprecht. Ihr stochert im Nebel und hofft auf einen Treffer.“
„Er gehört mir.“
„Ihr lügt.“
„Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.“
„Also was wollt ihr?“
„Die Wahrheit.“
„Was bietet ihr?“
„So viel Mühe hast du dir gegeben, hast deinen Freund Aranil auf eine so gefahrvolle Reise geschickt…“
„Er hat sich mir angeboten.“
„Musste er dies als dein Freund nicht tun? – Und jetzt stirbt er gerade, nur wenige Schritt von dir entfernt.“
„Ihr lügt.“
„Du hast den Draconiter Lucan so lange beschwatzt bis er dir endlich den Stein gab.“
„Ihr ahnt nur, wissen tut ihr es nicht.“
„Du hast mit Zori so oft den gefürchteten Zazamotl’gnakhyaa beschworen – und dies alles um wieder in deiner Akademie aufgenommen zu werden? Oder etwa um mir zu schaden? Willst du mir die Wahrheit da nicht sagen, - jetzt in deinem Triumph?“
„Nein, nein. - Ihr habt nichts das mich lockt.“
„Womöglich habe ich jemanden, der dir viel bedeutet?“
„Vielleicht ist es mir egal.“
„Noraia.“
„Das glaube ich nicht.“
„Akon, siehe doch in dein Herz. Sie wartet auf dich.“
„Nein, du lügst.“
„Ich warte.“
„Ich kann nicht.“
„Möchtest du sie sehen?“
„Noraia!“