Kurzgeschichte
Anekdote zur Selbstbestimmung

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"Anekdote zur Selbstbestimmung"
Veröffentlicht am 05. September 2007, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Bin irgendwie manchmal da, manchmal nicht
Anekdote zur Selbstbestimmung

Anekdote zur Selbstbestimmung

Wie viele Stunden saß ich schon auf dieser Brücke? Den Kopf immer gegen Westen gerichtet, jedes Auto erwartend, das unter mir hindurch jagt. In meinen Gedanken spreche ich schon von „meiner“ Brücke. Ich sollte ihnen wohl noch etwas ausholen, bevor ich mein Erlebnis niederschreibe. Ich sitze oft auf dieser Brücke. Sie ist für mich der Traum von Selbstbestimmung und Macht über mein Schicksal. Die Nächte hier sind schön. Immer wieder erscheint ein Paar weißer Punkte im Westen, dann werden diese zu Kegeln, wachsen an und verschwinden. Ich stelle mir in einsamen Stunden so oft auch das anzustrebende Leben vor: Ein helles Licht, das bevor es an Stärke verliert, erlischt und nicht einmal einen Schatten hinterlässt. Sie werden jetzt denken, ich komme zu dieser Brücke aus Verzweiflung und spiel die ganze Zeit mit dem Gedanken, mein Leben zu beenden. Dies war am Anfang so, jetzt suche ich hier nur die Ruhe und die Möglichkeit nachzudenken. Die beiden Stahlträger und der oftmals feuchte Asphalt sind in absoluter Ruhe, keine Geräusche, wie unter Bäumen, kein Einsinken, wie auf Gras; einfach nur Ruhe. Die Einzigen Unterbrechungen sind die Autos, die aber recht selten erscheinen. Ich habe einen festen Platz, der etwas verborgen neben dem Ausläufer des rechten Pfeilers liegt. Neben dem Regenschutz, den dieser bietet, versteckt er mich auch vor neugierigen Blicken. An sich stört es mich ja überhaupt nicht, wenn mich die Leute hier sehen, aber seit die Polizei kam und mir die Frage gestellt hat, ob ich zum Steine werfen, oder zum Springen hier sei, verstecke ich mich lieber. Ich saß dort also nächtelang im Winkel und nichts störte die gemütliche Monotonie.
In einer regnerischen Nacht tauchte sie dann zum ersten Mal auf. Ich hörte die Schritte schon lange, bevor sie die Brücke betrat. Ich wusste, dass mein Winkel mich verbarg, aber dennoch drückte ich mich noch fester in ihn. Langsam erschien eine Gestalt auf der vom schwachen Mondlicht erhellten Straße. Sie lief langsam, schaute sich immer wieder um. Dass sie eine Frau war, wusste ich in diesem Moment nicht, ihr dicker Mantel verhüllte sie fast komplett, die Kapuze war hochgezogen und der Schleier des Nieselregens legte sich vor ihr Gesicht. Ich konnte nur die zwei unruhigen, weißen Punkte sehen, die das einzige helle an ihr waren. Sie stellte sich mitten auf der Brücke ans Geländer und hatte nun fast dasselbe Blickfeld, wie ich. Sie war nicht ruhig. Ihr ganzer Körper folge den Bewegungen der Scheinwerfer, wenn diese fünf Meter tiefer verschwanden. Trotz der warmen Kleidung, schien sie zu frieren. Ich bekam etwas Mitleid mit ihr und überlegte mir, auf sie zuzugehen. Doch sie hatte anscheinend Einsamkeit gesucht, sonst wäre sie wohl nicht hier. Ich glaube, niemand ist erfreut, wenn er die Ruhe sucht und dann angesprochen wird. Ich verbrachte die gesamte Nacht damit, sie zu beobachten. Der Regen hörte auf und manchmal kam ein Auto mit Fernlicht und erhellte sie für Sekunden. Sie hatte die Kapuze abgenommen und stand bewegungslos am Geländer. Einzig ihrer Haare wurden immer wieder vom Wind erfasst und flatterten umher. Sie war höchstens zwanzig Jahre alt und wirkte im Schein des Fernlichtes wie eine echte Schönheit. Sie verhielt sich im Laufe der Nacht wie ich wie ich: fast Apathisch beobachtete sie alles, was sich im Sichtfeld bewegte Als der Himmel am Horizont langsam etwas heller wurde, verließ sie mich und auch ich verließ die Brücke. Das setzte sich die nächsten Nächte fort. Sie kam nach mir, stand stundenlang still und ging vor mir, so dass ich sie immer von meinem Versteck aus beobachten konnte. Was in mir dabei vorging, kann sich der Leser wohl selbst sehr gut denken, außerdem geht es hier nicht um mich. Nach einer Weile aber bemerkte sie mich und ich konnte nichtmehr endlos in ihre Richtung starren. Wir schauten beide auf die Straße und ich schien sie nicht weiter zu stören. Einmal winkte sie mir zu, aber das war meiner Meinung nach eine etwas zu große Störung der Ruhe hier, weshalb ich mich wieder in meinen Winkel verkroch. Sie schien das gut zu Akzeptieren und die nächsten Wochen gab es keine Störungen mehr.
Plötzlich wurde sie aber unruhiger. Sie lief auf und ab, war ganz nervös, brachte sogar einmal eine Flasche Alkohol mit, von der sie mir auch etwas anbot. In einer Nacht weinte sie sogar. Ich fühlte mich so unbehaglich, dass ich sofort die Brücke verließ. Das nächste Mal, war sie vor mir da. Sie stand direkt neben meinem Winkel und ging auch nicht weg, als ich näher kam. So saßen wir in dieser Nacht nur wenige Meter voneinander und ihre Unruhe und Nervosität ging auch auf mich über. Irgendetwas an ihrer Kleidung klapperte mit jeder Bewegung, die sie machte, öfters hustete sie auch. Kurz: Die ganze Gemütlichkeit meiner Brücke war dahin. Ich weis nicht, ob ich diese Situation noch länger mitgemacht hätte, höchstwahrscheinlich hätte noch eine Weile die Gewohnheit gesiegt, aber irgendwann wäre ich wohl zu einer anderen Brücke gegangen. Doch es kam anders. Es war eine recht wolkenlose Nacht, als ich sie das nächste Mal sah. Es hatte vor kurzem geregnet und der Mondschein spiegelte sich in den Pfützen. In meiner Erinnerung habe ich kein deutlicheres Bild von ihr, wie von dieser Nacht. Ich war regelrecht überrascht, wie viele Details ich bisher nicht gesehen habe. Ich näherte mich ihr und meinem Winkel fast eingeschüchtert. Ich hatte ein schlechtes Gefühl, so nah stand sie mir nun. Und ich hatte mich auch nicht getäuscht, sie sprach mich an. Das hatte sie noch nie getan, selbst, als sie mir ihren Schnaps angeboten hatte, war dies nur eine kurze Geste gewesen. Diesmal sprach sie zu mir und ich hatte auch keine Möglichkeit dem zu entgehen. Doch statt mir ihre Probleme zu erzählen, gab sie mir einen Zettel in die Hand, murmelte kurz etwas in den hohen Kragen ihres Mantels und ging zu anderen Brückenseite. Ich saß da, wie paralysiert, wartete auf das nächste Auto mit Fernlicht, um zu versuchen, etwas auf dem Zettel zu lesen. Es vergingen wohl an die fünf Minuten, ohne dass etwas geschah. Kein Auto kam und so konnte ich nur warten. Als ich zu ihr hinüberschaute, fand ich sie auf dem Geländer stehen. In dem Moment, als sie sah, dass ich sie beobachtete, sprang sie hinunter. In diesem Moment hätte ich sie gerne zurückgehalten, aber sie fiel, unerreichbar für mich, die wenigen Meter nach unten, die nicht einmal im optimalen Fall einen Menschen töten können. Ich lief zum Geländer und sah sie liegen. Es sah recht friedlich aus, man konnte keine Verletzung sehen. Nur hin und wieder zuckte eine Extremität krampfhaft. Ich stand am Geländer und sah minutenlang hinunter. Plötzlich wurde es heller, neben ihrem Kopf spiegelt sich das Licht stärker, als im Umfeld. Eine kleine Pfütze hatte sich dort gebildet und tauchte ihren Kopf in einen rötlichen Schimmer. Dann kam der Kleintransporter und beendete ihr Leiden. Ich stand noch auf der Brücke, als die Polizei kam. In deren Scheinwerferlicht konnte ich den Zettel anschauen, aber die Tinte darauf war fast komplett zerlaufen, als ich ihn in einer Pfütze neben meinem Winkel liegen ließ. Nachdem ich die Untersuchungshaft und die öffentlichen Schmähungen hinter mir gelassen hatte, kehrte wieder Ruhe ein und ich komme heute wieder gern auf meine Brücke zurück.
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Myshkin
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Cheza Tolle Geschichte - Ich muss sagen ich war überrascht. Als ich die ersten Zeilen gelesen hatte war ich etwas gelangweilt, aber irgendwie wollte ich schon wissen was da noch kommen würde und als die Frau auftauchte begann es eh spannend zu werden. Sehr schön geschildert alles.
Ich würde aber schon gerne wissen was auf diesem Zettel stand!!! :)

Lg Cheza
Vor langer Zeit - Antworten
Dragonfly *deleted* Moin! - Junge Junge!
eine sehr atmosphärische Geschichte, die wirklich unter die Haut geht.
So viel Verzweifelung schwingt darin mit!
Sehr gut geschrieben, das kommt in die Favoriten, versprochen!
Gruss
Stefan
Vor langer Zeit - Antworten
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