Der Welpe
Arashi warf dem Mädchen, das friedlich auf dem Bett schlief einen bedauernden Blick zu und wandte sich dann wieder Freia zu. „Ich hätte nie gedacht, dass meine Instinkte so schnell geweckt worden wären. Das war wirklich knapp.“ Doch die Wölfin stieß nur ein zustimmendes Knurren aus und schloss danach die Augen. „Wir hatten diese Unterhaltung schon oft genug. Du wolltest es so, also musst du dich auch den Konsequenzen stellen.“ „Du hast ja Recht.“ seufzte er und schloss nun ebenfalls die Augen.
Aber nicht um – wie die beiden anderen Frauen – in einen erholsamen Schlaf zu fallen. Er zwang seinen Geist in einen Wachschlaf, der es ihm erlauben würde bei dem geringsten Anzeichen von Gefahr sofort kampfbereit zu sein. Denn er wusste genau, dass sich Sklavenhändler nicht so schnell geschlagen geben würden.
Aber es blieb ruhig. Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten bereits sein Gesicht, als er die Augen öffnete und genüsslich gähnend seine steifen Glieder streckte. „Guten Morgen...“ knurrte Freia, während sie langsam aufstand und es ihm gleich tat. Ein lächelte schwach und schaute zu Ryla, die noch immer fest schlief. So leise wie er konnte stand er auf und ging zum Fenster. Er betrachtete die Straße und beobachtete wie die Stadt ganz langsam aus der Nacht erwachte. Er verfolgte, wie die Sonne sich langsam am Horizont erhob und die Finsternis vom Himmel verdrängte. Sie hatte schon fast ihren gesamten Körper über die Kante der Welt geschoben, ehe er sich vom Fenster abwandte und zu Freia flüsterte: „Sollen wir gehen?“ „Wurde auch Zeit. Ich habe langsam genug davon in diesem Zimmer eingesperrt zu sein.“ brummte sie zustimmend.
So leise wie es mit dem verbogenen Scharnieren möglich war, öffnete Arashi die Tür und trat zusammen mit der Wölfin auf den Gang hinaus. Er warf einen letzten Blick zurück zu Ryla, realisierte mit einer eigentümlichen Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung, dass sie nicht aufgewacht war und lies die Tür dann wieder ebenso leise ins Schloss fallen.
Die beiden gingen die Treppe herunter und fanden sich dann im Schankraum wieder, der am vorherigen Abend noch so gut besucht und nun, abgesehen vom Wirt, komplett verlassen war. Der breitschultrige Mann nickte ihm grüßend zu und Arashi erwiderte Geste lächelnd. „Bitte bringen Sie das Frühstück nicht auf das Zimmer. Die Prinzessin schläft noch und ich möchte nicht, dass sie geweckt wird.“ Der Wirt nickte wieder und Arashi verabschiedete sich mit einem kurzen Winken und verließ dann das Gasthaus ohne sich noch einmal umzudrehen.
Genüsslich sog er die frische Morgenluft ein und während er mit Freia in Richtung des Stadttors trottete, murmelte er: „Dann wollen wir dem Wolf im falschen Fell mal einen Besuch abstatten... Ich bin gespannt, was er uns zu sagen hat.“ Freia stieß ein bestätigendes Knurren aus und fletschte ihre Zähne. Die Leute, die ihren eigenen Angelegenheiten nachgingen, warfen dem Wolf, der für sie wohl nicht mehr war, als ein ziemlich großer Hund, ängstliche Blicke zu, schenkten ihnen aber keine weitere Beachtung mehr, sobald sie an ihnen vorbeigegangen waren.
Nach einer kurzen Zeit erreichten sie das Stadttor und konnten unbehelligt passieren, nachdem sie von den prüfenden Blicken der Wächter nach Diebesgut abgetastet worden waren. Aber anstatt der Straße zur nächsten Stadt zu folgen, gingen sie in Richtung mehr, sobald sie aus der Sichtweite der Soldaten waren.
Sie brauchten nicht lange, um den kleinen Hafen zu finden, der nachträglich für die Geschäfte einflussreicher Privatleute errichtet wurde. Sie standen auf einem kleinen Hügel und versteckten sich im Schatten der Bäume vor den Blicken der angeheuerten Söldner.
Arashis Blick schweifte über die beiden einzigen Schiffe, die im Hafen vor Anker lagen. Das eine war recht klein, aber das edle Holz und die blau – grünen Flaggen an den Mästen waren die Zeichen dafür, dass es wohl einer der mächtigen Familien gehörte. Das andere dagegen war mehr als dreifach so groß und breit, wies dafür aber auch keine Zeichen von Reichtum, noch von der Zugehörigkeit zu einer Familie oder einem Land auf. „Neh Freia, sieht wohl so aus, als ob wir einiges an Arbeit bekommen werden, oder was meinst du?“ Sie fletschte zustimmend die Zähne und knurrte: „Ich hoffe nur, dass es sich lohnen wird.“ „Da bist du nicht die einzige.“ lachte er und trat gefolgt von Freia aus den schützenden Schatten.
Es dauerte länger, als er es erwartet hatte, bis sie von den Wache schiebenden Söldnern entdeckt wurden. Es waren vier an der Zahl, die sich mit lauten Rufen gegenseitig alarmierten. Sie riefen ihm Drohungen und Warnungen, dass er umkehren solle und hier nichts zu suchen habe zu. Doch er ignorierte sie. Erst als er nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt war, blieb er stehen und hob seine Hände, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Skeptisch betrachteten die Söldner ihn und einer von ihnen, ein brutaler Kerl, der bestimmt doppelt so breit war wie Arashi und ihn um mehr als zwei Köpfe überragte, schnauzte unbeherrscht: „Was willst du kleine Wanze hier? Das ist kein Spielplatz für kleine Blagen!“ Zur Untermalung seine Worte zog er einen schweren Säbel und fuchtelte wild damit herum. „Bring mich zum Wolf von Norlang.“ entgegnete Arashi ruhig und schaute zu dem Riesen auf. Ein ekliger Schweißgeruch strömte von dem Kerl zu ihm herüber und er musste unwillkürlich seine empfindliche Nase rümpfen. „Was glaubst du wer du bist? Was soll der Boss mit einem Zwerg wie dir zu besprechen haben?! Er hat uns nichts davon gesagt! Wenn du als noch weiterleben willst, dann verschwindest du besser! Sonst werde ich dir deine zierlichen Arme ausreißen und in deinen verfluchten Arsch rammen!“ Arashis Mundwinkel zuckten bedrohlich, sein Blick wurde intensiver und die Wut fing an zu brodeln. „Das geht dich eigentlich nichts an, aber weil ich im Gegensatz zu dir noch Manieren habe, werde ich dich aufklären.“ „Was war das?!“ brüllte der Söldner, als er verstanden hatte, dass er beleidigt wurde. Aber Arashi ignorierte sein Gebrüll und die anderen bewaffneten Männer, die ihn langsam, aber siegessicher umkreisten. „Ich möchte mich nur mit dem Wolf von Norlang treffen... Oder ist es zu viel verlangt, dass der Sohn mit seinem Vater reden darf?“
Es dauerte einige Augenblicke bis der Sinn seiner Worte bei dem Riesen angekommen war. Die anderen Söldner hatten sich währenddessen verunsicherte Blicke zugeworfen oder verhalten gelacht. Erst als ihr Anführer in wildes Gelächter ausbrach, wurde ihre Unsicherheit verjagt und sie stimmten mit boshaftem Lachen ein. „Eine Wanze, die sich für einen Wolf hält. Das ist mal ein guter Witz.“ brüllte er und deutete dann mit der Spitze seines Säbels auf Arashis Kehle. „Du? Der Sohn vom Wolf? Als ob wir so...“ Doch da riss Arashis Geduldsfaden und er stürmte auf den Riesen zu. Überrascht verstummte dieser und schlug vorschnell mit seinem Säbel nach seinem Kopf. Doch Arashi duckte sie geschickt unter der Klinge hinweg und schlug ihm in die Magengrube.
Einen kurzen Moment verharrte die beiden in dieser Position. Doch dann wandelte sich der ungläubige Gesichtsausdruck des Söldners in eine abstruse Grimasse der Belustigung. Ein animalisches Lachen entglitt seiner Kehle und die anderen Söldner stimmten ebenfalls ein.
Aber plötzlich öffnete Arashi seine Faust und legte sie seinem Gegner auf den Bauch. „Erstens bin ich kein Zwerg! Zweitens bin ich auch kein Insekt... Nur bei einer Sache muss ich dir Recht geben. Ein Wolf bin ich auch nicht. Noch bin ich ein Welpe, dessen Kräfte nicht völlig erwacht sind.“ knurrte er wütend und noch bevor der Riese antworten konnte, entlud er seine magische Energie.
Blaue Blitze schossen von seiner Hand aus in den Körper seines Gegners, dessen Lachen sich augenblicklich in verzerrte Schmerzensschreie wandelte. Sein Körper zuckte unkontrollierbar, der Gestank von verbrannten Haaren und verkohlter Haut breiteten sich explosionsartig über den Platz aus und die anderen Söldner verharrten wie gelähmt. Erst als Arashi den Energiefluss stoppte und der qualmende Körper ihres Anführers auf den Boden fiel und dort leblos liegen blieb, fingen die ersten an ihre Waffen fallen zu lassen und zu fliehen.
Doch einer blieb zurück, klammerte sich an seine Waffe, sodass seine Fingerknöchel weiß hervortraten und rannte mit einem vor Angst verzerrten Schrei und erhobener Waffe direkt auf Arashi zu. Dieser drehte sich nur um und warf ihm einen durchdringenden Blick zu, der den Söldner sofort stoppen ließ. Er wimmerte, ging einen Schritt rückwärts und stolperte. Aber er konnte seinen Blick nicht von Arashis Augen losreißen. Er schaute nicht in die Augen eines Menschen. Er blickte in die wilden, tiefen Augen eines Wolfes. „M-Monster!“ schrie er, drehte sich um und floh kriechend.
Arashi seufzte und fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht. „Schon? Taku... Sie verstehen es wirklich einem den Spaß zu rauben... Wie auch immer... Auf zur wirklichen Arbeit.“ murmelte er, während sein Blick zu dem Schiff wanderte. „Freia du bleibst hier und gibst mir ein Zeichen, sobald irgendjemand kommen sollte.“ „In Ordnung, aber sei vorsichtig! Denk daran es sind höchstwahrscheinlich einige Sklaven an Bord.“ „Ich weiß, ich weiß.“ Gemütlich setzte er sich in Bewegung und ließ dabei seine Umgebung nicht aus den Augen. Der Wind stand ungünstig, also konnte er sich nicht auf seine feine Nase verlassen. Und er wusste, dass ein Sklavenhändler, der sich solch ein Schiff leisten konnte, sehr viel mehr als vier Wachen haben müsste. Aber es blieb alles ruhig. Er gelangte ohne weitere Zwischenfälle auf das riesige Deck des Schiffs, das zu seiner Überraschung auch komplett leer war. Er schaute sich ein wenig um, fand aber nichts und entschied sich deswegen, sich ein wenig unter Deck umzusehen. Er folgte einer niedrigen Treppe, bei der selbst er sich beinahe bücken musste und fand sich in einem recht breiten, dunklen Gang wieder. Er durchsuchte die Kajüten und fand schnell heraus, dass es wohl das Deck für die Crew war. Er schenkte es sich, die restlichen zu durchsuchen und setzte seine Suche im nächsten Deck fort, wo er auch nach wenigen Schritten fündig wurde.