Wässrig und trüb blicken die Augen des Greises über den Dorfplatz, den dieser über eine recht schmale Seitenstraße betreten hat. Seine Schritte sind gleichmäßig und nur das Aufkommen des Gehstockes auf dem Pflaster lässt erahnen, dass diese Stadt nicht ganz so verlassen ist, wie es scheint. In einem gemächlichen Tempo überquert er den Platz und kommt schließlich bei dem Brunnen in der Mitte des Platzes an, in dessen Tiefen er hinabblickt und leise seufzt. Mühevoll zieht er einen Eimer Wasser hinauf und stellt diesen neben dem Brunnenrand ab, ehe er sich daneben niederlässt. Die Sonne steht bereits tief am Himmel und die Abenddämmerung lässt die ersten Grillen in den wildwachsenden Sträuchern zirpen. Das von Erfahrung und Alter gezeichnete Gesicht des Mannes wendet sich nach rechts, als ein leises quietschen über den Platz hallt, und bleibt an einem hölzernen Schild hängen. Die Farbe blättert bereits ab und lässt den einstigen Schriftzug nur schwer entziffern. Ein Schmunzeln legt sich auf die schmalen Lippen und die Augen scheinen Dinge zu sehen, die längst vergangenen Zeiten angehören. Langsam erhebt sich der Greis, während er langsamen Schrittes auf das Gebäude zugeht. „Die alte Schenke“, kommen die Worte kratzig und doch glücklich über seine Lippen. Schwerfällig erklimmt er die wenigen Stufen, der sich vor der Schenke befindlichen Veranda, ehe er auf die quietschende Tür zugeht. Bei eben jener bleibt er schließlich stehen und hebt die knöcherne Hand, streicht über das morsche Holz und die abblätternde Farbe die ihre eigene Geschichte zu erzählen scheinen. Ein wehmütiger Ausdruck liegt auf dem Gesicht des Mannes der sich an die besseren Zeiten erinnert, die diese Stadt erlebt hat. Die Zeit, bevor alle sich aufgemacht haben um sich an einem anderen Ort niederzulassen. Das weiße, schulterlange Haar des Greises umweht sein fahles Gesicht bei einem Windhauch. Wässrig wirken die Augen, als der Greis die Hand von der hölzernen Tür gleiten lässt und seinen gemächlichen Gang wieder aufnimmt. Die Stufen der Veranda knarren unter seinen Füßen und der knorrige Gehstock erzeugt ein tiefes Pochen auf dem Holz. Bald würden die Stufen und somit auch die Schenke nicht mehr begehbar sein. Ein Ort, der für den Greis dann nicht mehr zu erreichen ist. So wie es schon viele andere Orte geworden sind. Mühevoll bückt sich der Greis. Die dürren, knochigen Finger schließen sich langsam um den Henkel des Eimers ehe dieser mit Bedacht gehoben wird. Ein leises Schnaufen verlässt die spröden Lippen, als er erst wenige Meter gegangen ist, doch setzt der Greis den Eimer nicht ab. Zielstrebig humpelt er weiter, den Gehstock in der anderen um wenigstens eine kleine Stütze auf dem weiten Weg ins Wohnviertel zu haben.Es ist fast dunkel, bis der Greis bei einem kleinen Haus ankommt, dessen Garten ungewöhnlich gepflegt zwischen den anderen wirkt. Die Sträucher sind geschnitten und das Unkraut gejätet. Nicht wie in den umliegenden, verlassenen Gärten, um die sich keiner mehr zu kümmern vermag. Mit einem weißen Tuch tupft der Greis sich die faltige Stirn, auf der sich erneut einige Schweißperlen gebildet haben, ab. Erschöpft und dennoch zufrieden nimmt er den Eimer wieder auf, setzt sich humpelnd wieder in Bewegung und überwindet so die wenigen Meter bis zu der gerade Mannshohen Tür. Quietschend öffnet er diese und tritt ein. Seine Schritte führen ihn nach rechts in ein kleines Zimmer, welches durch mehrere Kerzen erleuchtet ist. Eine spärliche Möblierung von lediglich zwei Betten und einer hüfthohen Kommode ist zu erkennen. In einem der Betten liegt eine Frau. Ihr einst freundliches, rundes Gesicht ist gealtert, die Wangen sind eingefallen und die Augen sind geschlossen. Der Gehstock des Mannes erzeugt ein dumpfes Geräusch auf dem hölzernen Boden und lässt die Frau die Augen einen Spaltbreit öffnen, zu ihm hinüberblicken und schwach lächeln. Unverständliche Worte verlassen ihre Lippen, als dieser neben ihrem Bett stehen bleibt. Dort stellt er den Eimer ab und tastet zunächst nach ihrer Hand. Beruhigend redet er auf sie ein. Dann erst taucht er eine flache Schale in das klare Wasser, führt es langsam zu ihrem Mund und lässt sie einige Schlücke davon trinken. Der feuchte Lappen auf ihrer Stirn wird ausgedrückt und mit dem frischen, kühlem Wasser befeuchtet. Lächelnd legt er ihr diesen auf die Stirn, spricht ihr erneut beruhigend zu, dass alles gut werden würde. Doch die Augen der Frau haben sich bereits wieder geschlossen und sie scheint friedlich zu schlafen. Die knöchernen Finger des Greises fahren ihr durch das Haar, dass ihr in langen, weißen Locken über die Schultern fällt. Sie sind die letzten beiden, die in dieser Stadt noch weilen. Zu schwach um die viele Tage dauernde Reise anzutreten. Die Frau ist krank, bedarf ärztliche Hilfe, die es hier nun auch nicht mehr gibt. Die Anderen haben sie zurückgelassen um wenigstens sich selbst zu retten. So sind sie dageblieben. Die Kranke Frau und ihr Mann, der sich liebevoll um sie, das Haus und den Garten kümmert. Manchmal steht er am Stadttor und blickt in die Ferne, als hoffe er, dass sie doch wieder zurückkommen würden. Doch nun ist bereits ein Sommer vergangen und die Frau ist im Winter an einer schweren Lungenentzündung erkrankt. Hohes Fieber plagt die Greisin nun schon mehrere Tage und bei dem Mann stellen sich bereits auch erste Anzeichen einer Ansteckung ein. Dennoch weicht er ihr lediglich zum Wasserholen oder Kochen von der Seite, behütet ihr Bett und hält ihr die schwache Hand. Was geschieht, sollte sie nicht mehr sein, daran denkt er nicht. Will er daran auch nicht denken. Die Nacht bricht langsam herein und der Greis bereitet sein Bett neben seiner Frau vor, welche noch einmal schwach die Augen öffnet und zu ihm sieht. Liebevoll geht er zu ihr, haucht ihr einen Kuss auf und streicht ihr durch das Haar. Erst dann wendet er sich um und löscht das Licht. Und als er seine Augen schließt, hofft er, wie schon sooft, dass am morgigen Tag alles besser wird.