Das hier ist wirklich eine Kurzgeschichte. Wenn ich Rückmeldungen bekomme, dass ich weiterschreiben soll, mach ich das natürlich gerne =) Es geht und Johanna. Johanna ist dabei, alles zu verlieren, wirklich alles. Auch ihr Leben. Wird sie es schaffen?
Ich blickte mit starrem Blick aus dem Fenster, konnte mich nicht regen, keinen klaren Gedanken fassen. Er hatte uns verraten.
Ich dachte an das, was ich verlieren würde. Ich dachte an meinen Freund, meine Eltern, meine Schwester, mein ohnehin schon zu schwaches Kind.
Beim letzten Gedanken wäre ich wohl auf dem Boden zusammengesackt, wenn nicht grade ein Soldat an meinem Arm gezerrt und mich angebrüllt hätte: „Mitkommen!“
Er riss mich aus der Tür der kleinen Wohnung, in der ich mit meiner Familie lebte und stieß mich, draußen angekommen, in den einen kleinen Wagen ohne Fenster. Die Tür verschloss sich hinter mir und der Wagen setzte sich in Bewegung.
Ich hörte meine jüngste Schwester, Alice, furchtbar weinen, ansonsten nahm ich niemanden war. Ich fragte sie leise, mit weinerlicher Stimme: „Alice?“
Ich verspürte eine Bewegung rechts neben mir und dann berührte mich ihre kleine Hand.
„Ich habe Angst, Johanna. Was passiert hier?“, während sie fragte, stockte sie ein paar Mal. Ich konnte ich Gesicht nicht sehen, doch es musste herzzerreißend aussehen.
„Ich auch.“, sagte ich nur. Was passierte, wusste ich so genau und es war so gewiss und unausweichlich: Wir würden sterben. Doch ich konnte keiner achtjährigen erzählen, dass man uns umbringen würde, also antwortete ich ihrer Frage nicht.
„Wo sind Mama und Papa und Claire?“, wieder hörte ich die weinerliche, zerbrechliche kleine Stimme.
„Wir werden sie bald wiedersehen, keine Angst“, beschwichtigte ich sie. Und es war nicht mal eine Lüge, im Himmel würden wir uns gewiss wiedersehen. Ich wusste nicht, wie es meiner Tochter ging, sie hatten sie einfach aus ihrer Wiege genommen und mit meinen Eltern weggebracht. Ich konnte nur hoffen, dass sie kein kleines Baby töteten. Auch wenn diese Hoffnung so klein war und auch wenn Gnade von diesen Menschen nicht zu erwarten war, sie war da.
Die Tränen kullerten heftiger über meine Augen und ich dachte darüber nach, wie Raphael mich nur hatte verraten können. Er war mein Freund gewesen, ab heute wäre mein Mann gewesen. Doch er hatte mich, eine Widerstandskämpferin, bei den Behörden verraten, da war ich mir sicher. Wer sonst hatte von meinem Vorhaben gewusst? Nicht einmal meine Eltern. Ich hatte vorgehabt, mit meiner besonderen Gabe alle zu befreien. Doch dieses Wochenende standen mir diese Kräfte nicht zu. Dieses Wochenende würde mein Untergang sein.
Nach einer gefühlten Ewigkeit - die verstrichene Zeit hätte drei Minuten, aber auch drei Tage betragen können, ich hätte es nicht gewusst - stoppte der Wagen und ich hörte die Stimmen der Männer, der Monster, die uns das antaten.
Ich verstand nicht, was sie sagten und das war gut so. Hätte ich es verstanden, hätte auch Alice es gehört.
Dann öffnete sich die Tür und draußen war es stockfinster. Der Lichtkegel einer Taschenlampe blendete mich.
„Raus da!“, wieder grob und mit festem Blick packte mich ein Arm. Ich blickte mich nach Alice um, ein anderer Soldat hob sie hoch und so sehr sie sich auch zur Wehr setzte, sie hatte keine Chance.
Es sah furchtbar aus und doch folgte ich dem Soldaten bereitwillig, da ich nicht noch mehr Schaden anrichten wollte. Kampflos hatte ich aufgegeben. Alice kreischte. Es begann, zu regnen. Die Tropfen prasselten eiskalt auf mein schneeweißes Brautkleid, dass ich noch trug. Heute hätte der schönste Tag meines Lebens werden sollen, meine Hochzeit. Eine Hochzeit, die nie stattfinden würde.
Wir wurden in einen Kerker gesperrt, der nicht aus unserem, dem 22. Jahrhundert stammen konnte.
Es war einfach nur ein kleiner Raum, mit Fenstern, vor denen nur Gitterstäbe waren. Nichts außer matschigem Boden befand sich darin. Der Mann schubste mich in eine große Schlammpfütze, die unter dem Fenster ohne Scheibe war. Der andere Mann schmiss Alice einfach hinterher.
„Wieso greifen sie uns an? Wir haben uns an ihre Regeln gehalten.“, fragte sie.
Ja, sie hatten sich immer an die Regeln gehalten, hatten sich unterdrücken lassen. Alice war in diese Welt geboren worden, sie hatte die freie Welt nicht mehr gekannt. Doch ich hatte sie gekannt und wollte sie nicht aufgeben.
Es war eine Welt gewesen, voller Wiesen und Wälder, eine Welt ohne Dämonen. Doch die Dämonen hatten sich immer weiter nach oben gekämpft, bis wir alle ihre Marionetten waren.
Ich hatte ihnen nie geglaubt.
„Ich weiß es nicht“, antwortete ich. Natürlich hing es damit zusammen, dass ich sie hätte ausschalten können. Und sie dachten, meine Familie könnte es auch.
Die eiserne Tür schlug quietschend auf. In dem Grellen Lichtstrahl einer Lampe sah ich einen Soldaten. Er trat herein, packte Alice und zog sie weg. Ich versuchte, aufzuspringen, das lange, wallende Kleid ließ mich stürzen.
„Nein!“, schrie ich und kämpfte mich hoch. Die Tür schlug vor meiner Nase zu und ich hörte Alice schreien. Dann hörte ich jemanden eine Pistole landen. Ich hörte keinen Knall. Drohte man ihr nur?
Schritte entfernten sich.
In dieser Nacht kehrte Alice nicht zurück. Ich hatte die Hoffnung aufgegeben, lehnte an einer der steinernen Wände und wartete auf meinen Tod.
Die Sonne ging langsam auf und schien durch das Gitter auf die Tür.
Im Sonnenlicht erkannte ich, dass mein Kleid matschbraun war. Ich störte mich an nichts, nicht an der Kälte, nicht an dem Hunger, nicht an der Tatsache, dass mir mein Tod bevor stand. Alles, was ich empfand, mein ganzes Dasein bestand in diesem Moment aus Trauer.
Auf einmal hörte ich ein Geräusch an dem Gitter. Als ich mich umdrehte, sah ich Raphael. Ich wandte den Blick wieder ab, denn ich wollte ihn nicht sehen. Er sprach mit den Männern, wollte, dass ich wieder freigelassen werde. Er betonte mehrmals, dass alles nur ein Missverständnis gewesen war. Er fragte, wer ihnen diesen Unfug erzählt habe.
„Joel“, bekam er als Antwort und schlagartig wurde mir klar, dass er auch etwas gewusst hatte. Er hatte mich geliebt, doch ich hatte mich für Raphael entschieden und dafür hasste er mich.
Obwohl ich am liebsten aufgesprungen wäre, tat ich nichts. Ich lauschte nur dem Verlauf des Gespräches.
Die Männer entfernten sich und dann ging die Tür auf.
„Du bist frei“, Raphael trat in den Raum. Ich fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Wie schnell konnte aus Liebe so schnell Hass und aus Hass so schnell Liebe werden?
Wir stiegen in das moderne Elektroauto und fuhren davon.
Ich hatte viele Fragen, doch eine einzige musste ich sofort stellen: „Was ist mit den anderen?“
„Sie haben deine Eltern getötet, doch Claire haben sie verschont, weil sie ein Baby ist. Sie hatten gehofft, sie hätte einen Teil deiner Kraft übernommen und sie könnten sie später für die endgültige Vernichtung menschlichen Lebens auf der Erde einsetzen. Ich habe sie zu Josephine gebracht, es geht ihr gut.“
Josephine war Raphaels Mutter, auch sie wusste Bescheid.
So große Trauer und so große Freude befanden sich gleichzeitig in meinem Körper, ich wusste nicht, wie ich in diesem Moment aussehen musste. Dann fing ich an zu weinen. Vor Freude, aber auch vor Trauer. Ich hatte so viel verloren.
Und doch wusste ich, dass Raphael, Claire, Josephine und ich das Böse eines Tages besiegen würden.