Public Viewing
Freitag der 18. Juni 2010. Der Uhrzeiger deutet auf 13 Uhr. Deutschland gegen Serbien. Das aufregendste Ereignis seit meiner Fütterung heute Vormittag.
Ich darf mich vorstellen: Frida – die edle Hündin der Kurpfälzerin und des Pfalzgrafen. Ich fühle es; Ich weiß es: Ich bin der größte Fußballfan meiner Retriver-Generation. Ich musste dieses Spiel sehen. Dies war ich meiner Mannschaft schuldig.
Doch meine Herrschaft: Der Pfalzgraf – Ein Fußballbanause vor dem Herrn. Kein Interesse an diesen ballsportlichen Großereignissen. Sein einziges Interesse an runden Bällen liegt in den Brüsten seiner Kurpfälzerin begründet. Ich schäme mich für ihn.
Und mein Frauchen, die Kurpfälzerin: Auch sie ist nicht besser. Ihr Augenmerk liegt einzig auf den strammen Waden der spielenden Truppe. Dies ist für sie jedoch nicht Grund genug das Spiel anzuschauen. Noch ein Grund sich zu schämen.
Doch ich – die Hündin – einzig deutschnational in dieser Familie eingestellt wollte mit meiner Mannschaft mitjubeln. Ich wollte meine Freude mit Gleichgesinnten teilten. Ich wollte zum örtlichen Public-Viewing. Doch wie?
Also wand ich meine altbekannte, aber dennoch stets wirkungsvolle Geheimtaktik an: Die Vortäuschung eines dringenden Stuhlganges. Ich lief mit zusammengekniffenem After im Wohnzimmer auf und ab und jammerte leise aber aufdringlich vor mich hin. Es war 13.30 Uhr. Das Spiel hatte eben begonnen.
Mein Spiel zeigte ebenfalls Wirkung. Die Kurpfälzerin deutet auf mich und meinte: „Unser Tier muss Gassi“. Jubel ergriff mein Fußballherz. „Sollten wir sie aufs Feld führen?“ meinte der verblödete Pfalzgraf. „Dort ist aber das Public-Viewing – dies sollten wir uns nicht antun“. Der Drecksack machte mich wütend.
Die Kurpfälzerin – zum Glück wieder in Alkohollaune – jedoch: „Lass uns dorthin laufen. Frida kann unterwegs ihr Geschäft machen und wir dort ein Bierchen trinken“. Die Beiden wollten angesichts dieses Fußballereignisses lediglich ein Bierchen trinken. Ich war sauer und wiederum beschämt. Welche Barbaren waren meine Herrschaft.
Doch zum Glück konnte ich zum Public-Viewing.
Gerade wollten sie mich anleinen, als ich der Kleidung meiner Herrschaften gewahr wurde. Der Pfalzgraf wie immer in schwarz und mein Frauchen in üblicher Straßenkleidung. Keinerlei Schmuck in schwarz-rot-gold war zu erkennen. So sollten wir zum Fußballfest. Jeder Dackel oder Pinscher hätte mich ausgelacht. Wochenlang hätte ich mich beim Gassigehen im Weizenfeld verkriechen müssen.
Diese Barbaren.
So schlich ich mich zur Truhe, in welcher meine Leinen und Halsbänder aufbewahrt wurden. Ich wusste: Es gab ein Halsband, geschmückt mit einem schwarz-rot-goldenen Schal. Einem Relikt aus der letzten Europameisterschaft. Frauchen hatte mich damals im Alkoholrausch zum deutschen Schäferhund erklären wollen.
Doch dieses Accessoire schien mir dem Anlass angemessen. Ich kramte das Teil aus und ließ es unauffällig, aber dennoch demonstrativ im Hausflur fallen.
Und es wurde entdeckt: „Schau mal – dies wäre eine schöne Verkleidung für unsere Frida“ meinte Frauchen „passend zum Bierchen beim Fußballspiel“. Dies war schon einmal geschafft.
Bald waren wir beim Public-Viewing angekommen. Es stand 1:0 für die Serben. Ich war enttäuscht. Erstens wollte ich unsere Mannschaft gewinnen sehen und zweitens hasse ich Knoblauch.
Meine Humanherrschaft – am Spiel selbst eher desinteressiert – besorgte sich ein kühles Bier. Ich legte mich daneben, die Großleinwand stets im Blick.
Doch meine Hundenase war stärker als meine Augen. Eine Eigenschaft, welche in meiner Rasse genetisch bedingt ist. So sehr mich das Spiel auf ergriff, der Geruch der umherliegenden Pommes war stärker. So machte ich mich, obwohl angeleint langsam auf den Weg. Das Fußballspiel hatte bald seinen Reiz für mich verloren: Hier ein Pommes-Frites auf dem Boden, dort ein Rest Wurst. Ein Schlaraffenland tat sich vor mir auf.
Ich tat mich gütlich an jenem, was der Boden vor mir an Leckereien offenbarte. Sollten die Deppen doch spielen wie sie wollten. Sollte Serbien doch 5:0 gewinnen. Waren die Pommes so lecker.
Nun denn – Serbien gewann 1:0. War ich daran schuld? Hatte ich nicht ausreichend mitgefiebert? Musste ich mich schämen?