An einem 13. Juni - irgendwo in Deutschland
Er tat es nicht.
Irgendwie hatte sie gehofft, dass er ihr Erleichterung verschaffen würde, aber er tat es einfach nicht.
Wohl spülte er den Staub des Tages aus ihren Haaren und wusch den dünnen Schweißfilm von ihrer Haut, den der nachmittägliche Spaziergang durch die sommerlichen Felder dort hinterlassen hatte. Heiß und hart prasselte der Wasserstrahl auf ihren Körper nieder, brannte auf der Schulter, rann über ihre Brüste, ihren Bauch, ihre Beine und zwischen den Zehen mit den dunkelrot lackierten Nägeln hindurch. Aber eines tat er nicht: Er schwemmte nicht die Enttäuschung hinfort, die sich in ihrem Inneren aufgestaut hatte, nahm sie nicht mit sich in die Tiefen des Rohrsystems unter ihr, als er gurgelnd und mit Schaumbläschen behaftet im Abfluss der Dusche verschwand.
Langsam regulierte sie die Temperatur herunter, schloss die Augen und bog den Kopf in den Nacken, aber auch der eisige Guss vermochte nicht, die Zornesfalte auf ihrer Stirn zu glätten.
Zitternd drehte sie schließlich das Wasser ab, schob die Glastür auf und hüllte sich in ein flauschiges Badetuch. Mit gerunzelten Augenbrauen betrachtete sie einen Moment lang die neuen, sündhaft teuren, mit zarter, cremefarbener Spitze besetzten Dessous auf dem Badewannenrand, bevor sie sie mit einem wütenden Schnauben beiseitefegte. Zum Teufel damit.
Sie hatte sich so auf diesen Sonntag gefreut.
Champagner hatte sie gekauft. „Champagner?“, hatte er gefragt. „Extra für Sonntag?“ – und sie hatte überrascht gelächelt. Er hatte also daran gedacht. Gut, dann sollte es ihm auch gegönnt sein, für seinen Bedarf ein paar Bierchen einzukaufen. Sie wusste ja, dass er die ohnehin lieber mochte als diese „Prickelbrause“, wie er sich abschätzig auszudrücken pflegte, aber zum Anstoßen …
Der zehnte Hochzeitstag.
Alles war perfekt organisiert. Die Kids waren ausquartiert zu den Großeltern, die Fuß- und Fingernägel frisch pedi- beziehungsweise manikürt, der Champagner lag auf Eis und auch das Bier hatte sie in den Kühlschrank gepackt. Die neuen Dessous warteten darauf, an- und später mit zärtlichen Fingern begierig wieder ausgezogen zu werden. Zwischendurch würden sie ihre Trägerin sicherlich zum Essen begleiten. Denn zum Essen würde Sven sie ja wohl ausführen?! Nachdem er den ganzen Tag über kein Wort zum Thema „Hochzeitstag“ verloren, ja ihr nicht einmal Rosen zum Frühstück geschenkt hatte, musste er sich eine ganz besondere Überraschung für sie ausgedacht haben. Sie hatte es ihm angesehen, schon bei ihrem gemeinsamen Spaziergang am Nachmittag, dass er voller Vorfreude auf irgendetwas steckte. Unruhig hatte er immer wieder auf die Uhr geblickt.
Und dann, sie hatte sich gerade mit einem verheißungsvollen Kuss von ihm verabschiedet, um sich ins Bad zurückzuziehen, hatte es geklingelt. Mit leuchtenden Augen war Sven zur Haustür geeilt und mit einem Boxhieb auf die Brust oder einem festen Schlag auf die Schulter hatte er sie begrüßt: Klaus, Frank und Steffen – fähnchenschwingend und bewaffnet mit je einem Sixpack Bier, einer Tüte Chips und diesen unsäglich albernen Gürteln, an denen lauter Kräuterschnapsfläschchen baumelten. Und jeder von ihnen hatte eine Lockenperücke à la Jimi Hendrix auf dem Kopf gehabt. Klaus eine schwarze, Frank eine rote und Steffen eine gelbe … Ungläubig hatte sie zugesehen, wie Sven den kleinen Fernsehapparat aus dem Büro in den Garten schleppte und die vier Freunde es sich dort gemütlich machten. Beleidigt hatte sie sich unter die Dusche gestellt.
Ein Gesumme wie von einem riesigen Hornissenschwarm drang durch das geöffnete Fenster zu ihr hinauf und „Schiiieeeß-doch“-Rufe, gefolgt von einem enttäuschten „Ohhhh“. Seufzend trocknete sie sich das Haar. Verdammt, wie hatte sie das vergessen können? Dabei hatte doch auch sie sich auf die Fußball-WM gefreut: Jede Menge Zeit, die sie nach ihrem Gutdünken gestalten konnte, während Sven vor der Glotze klebte und vor jedem Spiel genau wusste, welche Mannschaft gewinnen würde, nur um nach dem Spiel exakt analysieren zu können, warum sie in diesem Fall gar nicht anders gekonnt hatte, als zu verlieren. Sie schaute in den Spiegel und sah, dass die Falte auf ihrer Stirn verschwunden war und sich bereits wieder ein spitzbübisches Grinsen in ihre Mundwinkel geschlichen hatte. Was sollte es? Sie schlüpfte in eine ausgeleierte, dafür aber bequeme Jogginghose und ein altes T-Shirt. Würde sie die Zeit eben nutzen für ein ausgiebiges Telefonat mit ihrer Freundin und dann diesen spannenden Krimi zu Ende lesen. Und nebenbei den Champagner schlürfen. Ganz alleine. Oder – besser noch – sie würde sich an ihren Laptop setzen und eine Geschichte über diesen … Hochzeitstag schreiben. Den Titel hatte sie bereits im Kopf. „An einem 13. Juni - irgendwo in Deutschland“, würde er lauten. Sie lächelte ihr Spiegelbild an. Ja, genau das würde sie tun.
Nur eines schwor sie sich im Stillen:
Sie würde nie wieder an einem 13. Juni heiraten …