Ich lag noch immer wach und starrte an die Decke, mittlerweile seit fast drei Stunden. Gut, noch einmal von vorne. Da war dieser Junge, Durin mit Namen, der eigentlich nicht das war was er vorgab zu sein. Dann war da noch der eine Typ der vor meinen Augen ermordet wurde aber trotzdem noch lebte. Und schließlich war da noch das Mädchen, das mich rasend vor Eifersucht machte. Ich kannte sie nicht, aber sie hatte ein engeres Verhältnis zu Durin als mir lieb war.
Prolog
Schon den gesamten Tag über kam es mir so vor als würde ich auf einem rieseigen Trampolin springen, 50 Meter über einem Monsteraquarium und dann ins kühle Nass hinunter. Immer und immer wieder. Ich wusste nicht woher dieses Gefühl kam, aber es war gleichzeitig erschreckend natürlich und undglaublich erholsam. Also ließ ich davon ab es verdrängen zu wollen und legte mich wieder hin. Ich sah auf die Uhr an meiner Zimmerdecke. Die leuchtenden roten Zahlen zeigten 4:36. Bald würde es also hell werden. Und ich würde aufstehen, mich anziehen, frühstücken und dann in die Schule gehen als ob nichts passiert wäre. So wie immer, schoss es mir durch den Kopf. Du gehst hin, redest mit deinen Freundinnen über den neuesten Klatsch und hörst - scheinbar aufmerksam - zu, wenn der neue Mathelehrer vorne an der Tafel mit den Zahlen jongliert, als wäre es das einfachste
der Welt und nur wir zu dumm dazu. Ganz einfach. Und im selben Moment schon schlug ich mir das auch wieder aus dem Kopf. Ich konnte nicht in die Schule gehen, da würde ich nur zusammenbrechen. Ich würde in Ohnmacht fallen oder sonstiges, und dann würde ich erzählen müssen. Aber erzählen wollte ich nicht. Und lügen auch nicht. Also ging ich einfach nicht in die Schule. Ich würde in den Park gehen, irgendwo etwas zu Mittag essen und dann pünktlich wie von der Schule zu Hause sein. Ich grummelte und wickelte mich in meine weiche Decke. Ich musste daran denken, da half das ganze Trampolin-herumgehüpfe in meinem Kopf auch nichts mehr. Arschloch. Einfaches verdammtes Arschloch!
Anfang
"Er macht mich wahnsinnig, er macht mich einfach wahnsinnig!" Ich saß unter der Birke, neben mir meine beste Freundin die beschlossen hatte mit mir zu schwänzen nachdem ich ihr erzählt hatte, dass ich nicht kommen würde. Ich hatte ihr von meinem gestrigen Abend erzählt: Ich ging mit Flo noch weg, saß bis 11 mit ihm an der Bar, dann wollten wir nach Hause gehen. Ich brachte ihn nach Hause, weil sein Haus näher war und wollte dann durch die Innenstadt zu mir zurück gehen, als mich ein Typ von der Seite blöd anmachte. Ich ignorierte ihn, doch er gab nicht auf. Irgendwann wurde er sauer und zerrte mich in die Bahnunterführung. Ich schrie und wehrte mich, doch er schlug mir so fest ins Gesicht, dass ich nicht mehr atmen konnte. Als ich das nächste Mal aufschaute wurde der Typ gerade weggeschleudert und mich zog ein megasüßer Junge hoch. Er fasste
mich an der Hand und rannte mit mir in die Richtung aus der ich gekommen war davon. Als er merkte dass mir die Luft ausging, blieb er stehen. Wie er hieß verriet er mir nicht, er meinte ich solle ihn Jamie nennen. Danach sagte er kein Wort mehr und brachte mich nach Hause. Woher er wusste wo ich wohne weiß ich nicht. Ist auch egal. Zum Abschied wollte ich mich noch einmal bedanken, aber als ich mich umdrehte war er weg. Erst jetzt verstand ich, was da eigentlich gerade passiert war und begann zu zittern. Ich hatte Angst. Dann brach ich noch auf unserer Einfahrt zusammen. Als ich das nächste Mal die Augen öffnete sah ich in die dunkelsten Augen die ich je gesehen hatte. Der Junge von vorhin hatte mich irgendwie von der Straße bis in mein Bett gebracht. Ich murmelte ein danke und setzt mich im Bett auf. Er drehte sich um, aber ich hielt ihn fest. Ich fragte ihn noch einmal wie er heiße, aber er schüttelte nur den Kopf.
Dann meinte er, er müsse jetzt gehen. Kurz darauf bin ich eingeschlafen.
Sie nickte.
„Ja, das ist doch nicht normal. Was wollte der von dir?!“ Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste genauso viel wie sie. Okay, ein bisschen mehr wusste ich schon. Ich hatte ihr nicht alles erzählt. Nicht alles, und das würde sie auch nicht so schnell erfahren.
„Und was soll ich jetzt tun? Was ist wenn der Typ es noch einmal versucht. Und wenn es ihm gelingt?!“ Erst einmal die Aufmerksamkeit von… Jamie… ablenken. Um den würde ich mich danach alleine kümmern. Mein Gefühl sagte mir dass er mir noch einige schlaflose Nächte bescheren würde. Kim schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass er SO doof sein sollte. Und außerdem wird er dich nicht wiedererkennen, oder?!“ Als ich an das hässliche Gesicht zurückdachte, schauderte
ich. Ich hatte tatsächlich ein Bisschen Angst vor ihm. Aber diese Angst wurde immer gedämpft: von den dunklen, unendlich tiefen Augen meines Retters. Ich nickte. Nein, er würde mich nicht wiedererkennen. Und ich hatte auch keine Angst mehr vor ihm. Er konnte mir nichts mehr anhaben, das wusste ich mit Sicherheit. Denn gestern Nacht wurde ich nicht nur fast zum Opfer einer Vergewaltigung, sonder ganz nebenbei auch noch Zeugin eines Mordes und Geheimnisträgerin eines Geheimnisses, das ich besser nicht wissen wollte. Der Junge … Jamie … schuldete mir noch einige Erklärungen. Allerdings musste ich mich zuerst einmal selbst davon überzeugen, dass ich ihn wiedersehen wollte.Denn nachdem er meinen potentiellen Vergewaltiger zur Strecke gebracht hatte, hatte ich mehr Angst als Vertrauen für den Jungen empfunden. Ich meine welcher Verrückter bringt einen Mann mittlerer Größe mit bloßen Händen zur Strecke?
Keiner den ich kenne. Oder, den ich GUT kenne. Okay, ich kannte nicht so viele Leute um auf große Schlüsse zu ziehen, aber das kam mir dann doch zu heftig vor.
„Rony?!“, Kims Stimme riss mich wieder in die Gegenwart.
„Ja?“
„Du hast eine Spinne auf dem Arm.“ Ich spürte wie meine Augen groß wurden, hörte einen spitzen Schrei und stand plötzlich auf den Beinen. Schwer atmend sah ich empört zu Kim hinab. Grinsend saß sie da und musterte mich von oben bis unten.
„Warum hast du sie nicht runter getan?!“ Sie hatte immerhin keine Spinnenphobie.
„Du warst so in Gedanken, da wollte ich dich nicht erschrecken…“ grinste sie. Ich schnaubte. Sie wusste genau, wie sehr ich Spinnen hasste.
Mit einer ernsthaft empörten Miene setzte ich mich wieder hin.
„Ich hasse dich, Kleine!“ Sie grinste und umarmte mich.
„Ich weiß…“ Keiner von uns meinte es ernst, und der jeweils andere wusste das auch.
Eine Zeit lang saßen wir so da, sie mich im Arm und ich tieftraurig schmollend, dass ich eine Spinne berührt hatte. Ich kam mir so vor als wäre ich zwölf und die Spinne mein Lieblingseis, dass ich unabsichtlich fallen gelassen hatte. Ich sah Kim von der Seite an. Ihr dunkelbraunes Haar lag weich auf ihren Schultern, die grünen Augen blitzten im Sonnenlicht. Ich hatte sie viel zu gerne um sie herzugeben. Würde ich auch nie tun. Ich konnte ihr alles sagen. Sie hatte mich noch nie verraten. Bei dem Gedanken wurde ich traurig. Ich wollte, MUSSTE ihr die ganze Geschichte erzählen.
Aber ich durfte nicht. Noch nicht. Erst einmal musste ich selbst alles herausfinden. Ich wusste nicht wann… OB ich Jamie jemals wiedersehen würde, aber irgendetwas in mir sagte, dass ich das würde. Normalerweise vertraue ich keinen Stimmen in irgendwelchen Köpfen, aber diesmal blieb mir keine andere Wahl. Ich hatte nur zwei Vertrauensquellen, und bei beiden war ich mir nicht sicher, wie sehr sie der Wahrheit entsprachen: 1. Die Stimme in meinem Kopf und 2. Den Jungen… Jamie, wenn das wirklich sein Name war.
Wiedersehen
„Nein Flo, du musst ich nicht nach Hause bringen!“, beharrte ich. Ich war wieder einmal mit Flo und seinem Kumpel Will weg. Als ich ihnen erzählt hatte, was mir passiert war, wollte mich Flo auf der Stelle nach Hause begleiten. Will war – wie immer – keine große Hilfe. Er hatte nur Glück, das er so süß war.
„Doch Rony, ich bring dich heim. Keine Wiederrede!“ Für das, das er bereits 18 war, war er immer noch stur wie ein Kleinkind. Gerade als ich etwas erwidern wollte, schritt Will ein und sagte das erste Mal in seinem Leben etwas Sinnvolles.
„Lass mal, Flo. Das wäre nur ein unnötiger Umweg für dich!“ Ich nickte. Doch – leider – ich hatte mich zu früh gefreut. Das was danach kam, ließ mir den Schluck Cola im Halse stecken bleiben. „Ich begleite sie. Ich wohne nicht so weit von ihr entfernt, da ist das
kurze Stück dann auch schon egal!“ Ja, in diesem Moment nahm ich alles zurück, was ich vorher noch gedacht hatte. Will wollte mich begleiten?! Mist. MIST, MIST, MIST! Ich wollte ihn beeindrucken, nicht vollquatschen. Ja, ich war ein bisschen verschossen in Will. Ich konnte nichts dafür, aber er war wirklich… süß. Er hatte blaugraue Augen, die ihn so geheimnisvoll erscheinen ließen, wie der Nebel der weit entfernt über dem Meer lag. Dann waren da die dunklen, schön geschwungenen Wimpern die dieses blaugrau einrahmten. Die Nase war leicht schief, aber das bewirkte nur noch mehr die Hundeart. Seine Lippen waren leicht geschwungen und weder voll noch schmal, irgendetwas dazwischen vielleicht. Seine Haare waren dunkelbraun, sehr dunkelbraun, fast schwarz, und länger. Er könnte beinahe als California Beachboy durchgehen. Er war groß, etwa 1,85, und war alles andere als unsportlich, was man ihm auch ansah. Und das Beste: er war 19. 2 Jahre
unterschied ist ja das beste Alter, sagt man. Ich schluckte, als ich seinen Blick auf mir spürte.
„Von mir aus schon. Was sagst du dazu, Rony?!“ Ich sah Flo scharf an. Er wusste genau, was ich davon hielt. Aber ich zuckte nur mit den Schultern. Dann nickte er. Jetzt war es also beschlossen. Mister California würde mich also heimbringen und Flo konnte sich beruhigt besaufen. Idiot. Schleimiger, egoistischer, nichtsnutziger…
„RUNTER!“, brüllte eine Stimme mir ins Ohr. Kurz darauf lag ich am Boden. Keine Ahnung wie ich da runter kam, auf jeden Fall nicht aus eigenem Antrieb. Als ich mich wieder aufrichten wollte, hielt mich eine Hand fest. Will. Ich sah nach oben und erkannte, warum ich hier saß. Ober uns fand gerade ein Feuerwerk aus Flaschen statt, die wild durch die Bar geschleudert wurden. Einige voll, andere leer und dritte wenigstens geöffnet.
Ein Schwall Bier spritzte mir ins Gesicht, als eine halbleere Flasche vor uns auf den Boden sauste. Will zog an meiner Hand und ich schenkte ihm wieder meine ganze Aufmerksamkeit. Er zeigte auf den Ausgang. Ich nickte. Langsam und vorsichtig kroch ich hinter ihm aus dem Flaschenhagel ins Freie. Draußen angekommen atmete ich erleichtert aus.
„Danke…“, schnaufte ich. Will nickte nur.
„Sieht aus als ob es Zeit wäre zu gehen.“ Ich nickte. Ja, jetzt wollte ich nicht mehr zurück da rein.
„Warte mal… Wo ist Flo?!“ Stimmt, der war ja auch noch da gewesen. Fragend schaute ich Will an. Doch der zeigte nur in die Bar hinein. Durch das Fenster konnte ich ihn sogar erkennen. Er saß in einem Eck und ließ sich von den Flaschen nicht stören. Anscheinend war er schon so zu, dass er gar nichts mehr
mitbekam. Morgen früh würde Will ihn hier wieder abholen.
„Kommst du?“ Seine sanfte Stimme schlich sich durch die Dunkelheit zu mir und umhüllte mich wie einen weichen Vorhang. Ich wusste zwar, dass er es nicht sehen konnte, dennoch nickte ich. Dann folgte ich ihm in die Dunkelheit. Als ich ihn erreicht hatte, spürte ich deutlich seine Körperwärme neben mir. Beinahe hätte ich nach seiner Hand gegriffen. Aber irgendwie brachte ich es zustande es zu lassen.
„Ist dir kalt?“ Ich nickte wie automatisch. Wie hieß es so schön? Einfach lächeln undnicken, dann wird schon alles gut gehen. Ich spürte, wie er mir seine Jacke über die Schultern legte. Unbemerkt kuschelte ich mich hinein. Sie roch so gut… nach… IHM. Anders war es nicht wirklich zu beschreiben. In den nächsten Minuten sagte keiner von uns etwas. Wir genossen einfach die Stille, denn das
Schweigen zwischen uns war nicht unangenehm. Zwar ein Bisschen verstörend, aber keineswegs unangenehm, nein. Als wir unter der nächsten Straßenlaterne angekommen waren, sah ich auf. Es war so dunkel, dass man ohne die künstliche Beleuchtung absolut gar nichts sehen konnte. Ich stockte. Nein, das konnte nicht sein, das… war nicht möglich. Schnell verscheuchte ich die Gedanken aus meinem Kopf und lief wieder neben Will. An der nächsten Straßenecke war eine Silhouette einer Person zu sehen. Wenn mich nicht alles täuschte, war diese gerade an uns vorbeigerannt und hatte sich dort hingestellt. Die Arme verschränkt, den Kopf gesenkt wartete sie scheinbar nur auf uns. Ich schüttelte den Kopf.
„Will...“, flüsterte ich. Ich hörte mich selber kaum, aber lauter traute ich mich nicht zu sprechen. Ich versuchte es noch einmal.
„Will…!“ Diesmal ein wenig drängender, aber immer noch zu leise für ihn. Ich krallte mich an
seiner Hand fest. Endlich blieb er stehen. Er sah erst mich an, dann in die Richtung in die ich Blickte und als er die Silhouette ebenfalls entdeckte, versteifte er sich. Er kam näher zu meinem Ohr.
„Ist das der Typ? Der, der dich Verfolgt hat?“ Ich schüttelte den Kopf. Nein, der Typ war kleiner und bei weitem nicht so muskulös gewesen. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Ich wusste nicht ob aus Angst oder aus Freude, wahrscheinlich aus Beidem, aber ich war unendlich froh Will an meiner Seite zu haben. Ich beugte mich zu ihm hinüber.
„Nein. Nein, das ist nicht der Typ. Das ist mein Retter.“
Will schaute mich perplex an.
„Und warum hast du dann Angst?“ Ich merkte, dass ich die ganze Zeit die Luft anhielt und atmete erleichtert aus. Ich schüttelte den Kopf. Und schon während ich das tat fasste ich
einen Entschluss.
„Komm“, zischte ich Will zu und zog ihn mit mir Richtung Jamie. Will zögerte zwar noch, kam dann aber mit. Ich spürte meine Gänsehaut, und trotz Wills Jacke fror ich. Mir kam etwas ganz gewaltig falsch vor. Die Silhouette hob den Kopf und blickte uns jetzt direkt an. Er wartete. Ich atmete noch einmal tief ein, dann blieb ich vor ihm stehen. Jetzt konnte ich ihn auch einigermaßen erkennen in der Dunkelheit. Er war groß und hatte eine muskulöse Statur. Genau wie ich ihn in Erinnerung hatte. Seine Augen waren schwarz in der Nacht.
„Hey“, sagte ich und lächelte. Immerhin war meine Stimme fest, denn ich fühlte mich alles andere als sicher.
„Hallo…“ Seine Stimme war sanft, aber mir entging nicht der gepresste, kalte Ruhe die er versuchte aufzubringen.
„Ähm, was… machst du hier? So spät meine ich.“ Es war sicher schon weit über Mitternacht. Ich hörte ihn schnauben.
„Das Selbe könnte ich jetzt dich fragen.“ Ich lächelte.
„Ja, aber das hast du nicht. Ich wollte mich eigentlich nur noch einmal wegen Letzens bedanken.“ Ja, das hatte ich eigentlich vorgehabt. Aber ein Bisschen Smalltalk war doch erlaubt?! Seine Züge wurden wieder hart.
„Keine Ursache. Sag mal, können wir das Gespräche auf ein Andermal verschieben? Ich muss weg.“ Ich schaute ihn an. Ich konnte zwar nicht erkennen, wohin er schaute, aber irgendetwas sagte mir, dass er weder mich noch Will ansah. Ich nickte.
„Klar. Wann?“ Er zuckte die Schultern.
„Weiß nicht. Ich melde mich, okay? Ich weiß ja, wo du wohnst.“ Ja, woher er das wusste war mir allerdings schleierhaft. Aber ich hatte das Gefühl das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war ihn danach zu fragen. Ich nickte.
„Gut, gerne. Bis dann.“ Er nickte. Dann wand ich mich ab und ging mit langen Schritten davon. Irgendwo hinter mir hörte ich, wie Will nachkam. Ich hatte einen Kloß im Hals. Jetzt konnte ich nicht mit ihm sprechen. Später vielleicht, aber nicht jetzt. Also lief ich weiter die Straße hinab, in der Hoffnung den Kloß hinter mir zu lassen.
Lichtblick
Das Gras unter mir fühlte sich warm und weich an. Der Wind wehte mir die Haare aus dem Gesicht. Die Sonne schimmerte rot durch meine geschlossenen Augenlieder. Die Sonne trocknete schnell die Tränen, die langsam über mein Gesicht rannen.
Es wäre ein schöner Tag geworden, warm, angenehm, im grünen, wenn da nicht dieser verdammte Typ gewesen wäre. Ich hatte keine Ahnung, was ich eigentlich noch glauben sollte, beziehungsweise wie sehr ich meinen Augen trauen konnte. Erst wurde ich fast vergewaltigt, dann kam irgend so ein Typ daher und brachte ihn kurzerhand um. Kurz darauf verdrehte mit Will wieder mal den Kopf und ich sah Jamie wieder. Er hatte gemeint, er würde sich melden, aber getan hatte er es nicht. Dann wurde mir klar, dass der fremde Typ, also Jamie, mir nicht so egal war wie er es vielleicht hätte sein sollen. Allerdings wusste ich genau
genau gar nichts von ihm, was eine idiotische Wut auf mich selbst hervorrief, dass ich mich ihn einen Typen verschaute von dem ich nichts wusste, außer wie er aussah. Denn Jamie war auch nicht sein richtiger Name, aber den wollte er mir ja nicht sagen. Als ich gestern mit Will eine Runde zog – wir verstanden uns mittlerweile prächtig, hoffentlich würde noch mehr draus werden?! – Sah ich dann meinen Vergewaltiger wieder. Jedenfalls glaube ich das. Ich wäre beinahe zusammengebrochen. Da wird der Typ vor meinen Augen in den Himmel geschickt und dann taucht er wieder in meiner ganz persönlichen Hölle auf. Aber andererseits gab es nur zwei Möglichkeiten, von denen mir beide nicht sehr wahrscheinlich vorkamen: 1. Ich hatte mich geirrt und es war doch jemand anderes gewesen oder 2. Jamie hatte ihn gar nicht umgebracht. Um ehrlich zu sein mochte ich beide Möglichkeiten nicht sonderlich. Immerhin wollte ich nicht, dass Jamie Menschen umbrachte und andererseits
wollte ich auch nicht dass der Typ noch lebte. Ja, es war nicht einfach mit mir. Ich setzte mich auf. Meine Tränen waren mittlerweile versiegt. Und warum hatte sich Jamie nicht gemeldet? Das alles war jetzt immerhin drei Wochen her. Wollte er mich los werden?
Okay, meine Tränen waren doch noch nicht ganz versiegt. Ich legte mich wieder hin und ließ meinen Gefühlen freien Lauf.
Ich wusste nicht wie lange ich jetzt schon hier lag, aber auf einmal wurde ich von einem Geräusch aufgeweckt. Da waren Schritte. Und die kamen auf mich zu. Die waren schon ziemlich nah. Mit einem Mal saß ich aufrecht im Gras und schaute in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.
„Sorry. Ich wollte dich nicht aufwecken.“ Ein Lächeln huschte über Jamies Gesicht. Ich schaute ihn verwirrt an.
„Was machst du denn hier?“ Ja, es war keine
keine tolle Begrüßung, aber ich war gerade mehr verwirrt als sonst etwas. Eigentlich wusste niemand dass ich öfter hier war, wenn ich nachdenken wollte. Es kannte auch fast niemand diesen Platz.
„Deine Mutter hat mich hier her geschickt.“ Ach, schon klar. Meine Mutter.
„Du hast mit meiner Mutter gesprochen?!“ Normale Jungs würden das doch nie tun, oder? Aber er nickte.
„Ja. Nette Frau.“ Ich verdrehte die Augen. Dann legte ich mich wieder ins Gras. Er setzte sich neben mich.
„Ich hatte meine Augen wieder geschlossen und sank in die Wärme der Wiese. Auf einmal ging es mir wieder gut.
„Wie heißt du.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, aber ich wollte es jetzt endlich wissen. Er seufzte.
„Das ist doch unwichtig. Ich sagte doch schon, nenn mich einfach Jamie.“ Ich schüttelte den Kopf.
„Nein.“ Ich öffnete sie Augen und sah ihn an. Seine dunkelbraunen Augen verschlungen mich fast.
„Nein, ich möchte das wissen. Bitte.“ Er sah mich lange an. In seinen Augen flackerte es, dann senkte er den Blick.
„Ich heiße Durin.“ Ich runzelte die Stirn.
„Und ist das jetzt auch dein echter Name?“ Er nickte. So, Durin also.
„Und du?“ Ich verstand nicht.
„Was? Ach so. Ich heiße Ronja. Aber nenn mich einfach Rony, okay?“ Er nickte wieder. Ich musterte ihn. Er musste ungefähr gleich alt wie Will sein. Er hatte kürzere, schwarze Haare und seine Augen warn dunkelbraun. Okay, beinahe schwarz. Aber nur beinahe.
Umrahmt wurden sie durch dichte, lange Wimpern. Seine Nase war beinahe schon wie mit dem Lineal gezogen: gerade und kräftig. Seine geschwungenen Lippen kräuselten sich leicht zu einem Lächeln.
„Was?“, fragte ich. Ich war ziemlich nervös wenn man mich so offensichtlich ansah. Er sah weg. Ich schloss wieder meine Augen und legte mich auf den Rücken. Dann herrschte eine Zeit lang schweigen.
„Hast du den Typ wirklich umgebracht?“ Ich spürte wie er sich neben mir verkrampfte. Nach einer Zeit löste er sich wieder.
„Ja…“ Ich nickte. Gut, dann hatte ich mich geirrt.
„Hast du jetzt Angst vor mir?“ Ich sah ihn an. Hatte ich Angst? Um ehrlich zu sein, nein, ich hatte keine Angst. Ich fühlte mich sogar ziemlich wohl bei ihm.
„Nein.“
„Solltest du aber.“ Ich sah auf.
„Warum?“ Er sah mich nicht an.
„Erzähl ich dir vielleicht ein Andermal.“ Ich nickte. Gut, wenn er nicht wollte. Immerhin lief das darauf hinaus dass wir uns noch einmal trafen.