Mein erster und bislang Einzigster Versuch mich das Lager der Fantasy & Horror zu wagen ist die Story "Samara vom See". Unschlüssig bin ich auch von der textart. Es sollte eine Kurzgeschichte werden. Jedoch ist es eher eine "kurze Geschichte" geworden. Nun ja, Frau übt so vor sich hin....
Prolog
Wie Samara vom See zu der wurde was sie heute ist, ist eine andere Geschichte. Was aber geschah, als sie durch die Hochebene Nossos gereist ist, davon möchte ich heute berichten.
Es begann damit, dass die Tachen nach Samara schickten. Die Tachen sind ein Reitervolk, das oberhalb der Hochebene Nossos Jahr für Jahr ihr Winterlager aufschlagen. Und als das Wetter in diesem Jahr früh umschlug, die Bäume hatten kaum Zeit ihr Blätterkleid in den Farben des Herbstes zu präsentieren, setzte der Ostwind ein. Der Ostwind brachte Regen, Graupelschauer und die späten Herbstwinde mit. Des Nachts war es so kalt, dass man das Gefühl hatte, die Tropfen des Himmels stachen wie kleine Nadeln in die Stellen am Körper, der ungeschützt der Natur trotzen musste.
Da aber ihre Tochter Eiland bei den Tachen lebte, freute sich Samara auf diese Reise, trotz der Mühsal und der Gefahren die sie gleichzeitig bedeutete.
Das Zusammentreffen
Viele Tage war sie schon unterwegs gewesen und spürte jeden Knochen und jeden Muskel in ihrem Leibe, auch an Stellen, an denen sie keine Muskelfaser vermutete hätte. Ächzend zog sie sich auf ihr Pferd, und vor Schmerz stöhnend lies sie sich des Abends wieder hinunter gleiten. An manchen Abenden schaffte sie es nicht einmal mehr Feuerholz zu sammeln, dann aß sie das mitgebrachte Trockenfleisch und etwas Fladenbrot. Trank Wasser und Wein aus den mitgebrachten Schläuchen und sank in einen erschöpften Schlaf, zusammengekauert und mit ihrem Umhang bedeckt, der sie vor Wind und Wetter schütze. Diesen trug sie auch tagsüber, so dass von ihrer Gestalt nichts weiter zu sehen war, als ein Gesicht, aus dem zwei wachsame, rehbraune Augen schauten.
Eines abends traf sie auf eine Ziegenherde mit einem Jungen der gerade im Begriff war ein Mann zu werden. Samara selbst wunderte sich über ihre Stimme als sie ihn ansprach, die fremd und ungewohnt in den eigenen Ohren erklang.
„Magna Mater zu Gruße, man nennt mich Samara vom See, vom Volk der Demeter, auf dem Weg zu den Tachen.“ Sagte sie lächelnd von ihrem Pferd herab, einem Heduaner, der leicht unter ihr hin und her tänzelte. Die Heduaner waren eine starke und kräftige Pferderasse, trotz ihrer Kraft wendig und schnell genug um größere Strecken ohne Mühe durchqueren zu können.
„Seid gegrüßt Samara vom See, man nennt mich Menotio. Ich bin unterwegs zu den Winterweiden südlich von hier, zu Fuße des Gebirges Notsch.“
Samara vom See und Menotio kamen rasch miteinander ins Gespräch. Samara, froh darüber der Einsamkeit von Nosos für kurze Zeit entrinnen zu können. So sammelten sie gemeinsam Holz, versorgten die Ziegen und die Pferde und schlugen ein bequemes Nachtlager auf. Als sie auf dünnen Ästen, die mit Moos und Flechten ausgepolstert wurden, um das Feuer saßen, ergab ein Wort das andere. Und schon bald erklang hin und wieder ihr helles Lachen durch den errötenden Abendhimmel, begleitet von seinem Lachen, das hin und wieder eher wie ein blechernes Sieb klang. Einmal hell wie die eines Mädchens war, dann schon wieder dunkel und tief, die kräftige Stimme eines stolzen Mannes erahnen lies. Sie tauschten Neuigkeiten aus, Tratsch und Klatsch der Gegend. Die Sorgen die ein früher Winter bedeuten würde, ob die Götter ihnen zürnten.
Träume in der Nacht
Samara träumte schlecht in dieser Nacht. Menotio rief sie mehrmals um Hilfe, wimmerte und schluchzte erbärmlich. Davon schreckte sie immer wieder hoch. Jedoch schien alles ruhig. Menotio lag unweit von ihr entfernt, sie konnte seinen tiefen Atem hören durch die Dunkelheit. Kein Tier war unruhig, selbst die Hunde, die keinen Meter von ihnen entfernt lagen, hoben nur gelangweilt den Kopf um Samara anzusehen. Dann fiel sie wieder in einen angespannten Schlaf. Als sie am Morgen erwachte fiel ihr zuerst die Stille auf. Es schien so, als ob nicht ein einziges Blatt es wagte sich zu bewegen. Menotio war weg, und mit ihm die Hunde, seine zwei Lastpferde und die Ziegenherde. Wie hatte sie die Glöckchen der Ziegen überhören können? Erstaunt kroch sie aus ihrem Nachtlager, rieb sich die Augen und wickelte sich ihren Umhang um die Glieder.
Der Morgen nach dem Traum
Da sah sie die erste Ziege. Der Tierkörper lag steif da, aufgedunsen und prall, alle Viere von sich gestreckt. Vorsichtig ging sie um ihn herum und erschauderte. Der Kopf war geöffnet, die Schädeldecke gespalten und das Hirn sauber entfernt. Sie spähte nach allen Himmelsrichtungen, hielt Ausschau nach Anzeichen fremder Menschen nach Gefahr, lauschte, konnte jedoch nichts entdecken. Als sie immer noch nicht ein einziges Geräusch ausmachen konnte, kniete sie sich nieder, um den Kadaver näher zu untersuchen. Kein Blut tränkte das Erdreich unter der Ziege. Sie zog verwundet die Brauen hoch. Selbst an den Wundrändern war nichts zu sehen, das Fell war völlig sauber.Der Schädel, sauber und rein, fast so als sei das Schädelinnere zuerst ausgeschabt, dann ausgespült worden. Jedoch nicht ein einziger Kratzer war zu sehen. Das sah sie etwas, was sie erneut erschaudern lies.
Die Augen fehlten ebenfalls. Auch sie waren sauber aus den Höhlen entfernt worden. Anklagend, weiß und blank blickten sie die leeren Höhlen an, in denen am Abend zuvor noch friedfertige, dunkle Äuglein geblitzt hatten. Mit ihren Fingerspitzen berührte sie den Kadaver. Er war so kalt wie Eis. Erschrocken stand sie auf. Auf dem kurzen Weg zur Feuerstelle entdeckte sie noch mehrere Tierkadaver in der hässlichen Stille. Jetzt viel ihr auf was alles fehlte: Kein Vogel begrüßte den jungen Morgen, die Muttersonne, die rot und schwer am Horizont auftauchte, noch in Nebelschwaden gehüllt, bereit die Nacht zu besiegen. Kein Wispern der Zweige war zu hören. Selbst ihr Pferd, der Heduaner, gab keinen Laut von sich, kein Schnauben, kein Scharren mit den Hufen. Sie blickte sich suchend um, sah ihn, und erkannte dass er ebenfalls wie sie angestrengt hörte.
Die Ohren aufgestellt, nach allen Seiten drehend, und den Schweif in achtsamer und furchtsamer Stellung hoch aufgerichtet.
Das Lager der Tachen
Sie ritt so schnell wie der Heduaner sie tragen konnte zum Lager der Tachen. Mit Freudentränen lagen sie sich Eiland und Samara in den Armen. Viele Monde hatten sie sich nicht mehr gesehen. Eiland schob Samara in Richtung des Klanführers, noch bevor sie ein persönliches Wort an ihre Tochter richten konnte. Nachdem der Anführer der Tachen mit sonorer Stimme ihr den Grund ihres Kommens näher erklärt hatte, einige Bewohner des Klans schienen an einem fremden Feber erkrankt, aßen sie zusammen und sie freute sich wieder unter Menschen zu sein. Ihr Erlebnis im Ödland von Nossos behielt sie jedoch noch für sich.
Die nächste Nacht erschien ihr Menotio mehrmals in ihren Träumen, er schrie gellend um Hilfe. Sie fuhr jedes Mal hoch, schweißgebadet, und fürchtete sich immer mehr vor dem sie übermannenden Schlaf.
Aus diesem Grunde stand sie vor dem ersten Morgengrauen auf und begab sich in das Zelt der Kranken. Viel gab es hier zu tun, Wickel mussten getauscht werden, Wunden gesäubert und ein Beinbruch gerichtet. Diejenigen die am Fieber erkrankt waren, es waren fünf an der Zahl, untersuchte sie genauer, konnte sich jedoch keinen Reim darauf machen. Sie gab Anweisung einen Sud aus verschiedenen Kräutern herzustellen und warf selbst mitgebrachte Wurzeln hinein. Bald darauf wurde jedem der Kranken ein dampfender Becher Tee gereicht. Diejenigen die den Becher nicht mehr selber halten konnten, bekamen den Sud vorsichtig eingeflößt.
Des Nachts wurde sie von immer demselben Alp heimgesucht, des Tags versorgte sie ohne sichtbaren Erfolg die Kranken.
Vielleicht eine Woche später, sie zählte die Tage nicht, erwachte sie wieder schweißgebadet, das gellende Schreien Menotios noch im Ohr, mit dem Wissen, dass sich etwas verändert hatte. Nicht im Traum, nein, hier in der Realität. Es war noch früher am Tag als sonst, als sie unter ihrer Decke hervorkroch und ängstlich vor das Zelt trat. Seltsam unruhig war die Totenstille in dieser Morgendämmerung. Zögerlich reckte sie ihre steifen Glieder vom Nachtlager und sah eine huschende Gestalt. Dann versteinerte sich ihre Gestalt, ihr Magen krampfte sich mit ihrer Erkenntnis zusammen: Stille. Hier war dieselbe Leere zu hören die sie an dem Morgen, als sie im Ödland von Nossos erwachte, und Menotio verschwunden war.
So vergingen die Tage, ohne dass sich an den Nächten und an den Tagen etwas änderte. Ihre Tochter Eiland bekam sie kaum zu Gesicht, alle im Lager waren damit beschäftigt sich auf den nahenden Winter vorzubereiten.
In Gedanken an den grausamen Fund der verstümmelten Kadaver erschauderte sie. Schnell trat sie in den schützenden Bereich des Zeltes zurück. Schwer atmend überlegte sie was sie jetzt tun konnte. Wen konnte sie hier ins Vertrauen ziehen, wem konnte sie trauen? Sie beschloss ihre Tochter aufzusuchen. Geduckt lief sie durch das Lager, so geräuschlos wie sie konnte, in dieser dröhnenden und atemlosen Stille. Als sie in das Zelt von Eiland und ihrer Familie trat war es leer. Sie tastete im verlassenen Nachtlager nach Körperwärme, fühlte jedoch nur die einsame Kälte der Nacht.
In diesem Lager hatte schon seit Stunden kein menschlicher Körper mehr gelegen. Durcheinander, der Verzweiflung nahe hob sie den Kopf, voller Sorge trat sie den Rückzug an, zurück in ihr eigenes schützendes Zelt. Dort hielt sie sich mit bangem Herzen auf, bis die Strahlen der Morgensonne den Tag ankündigten.
Eiland, die geliebte Tochter
Als sie wieder vor ihr Zelt trat, erschauderte sie erneut. Ihre Nackenhaare stellten sich auf, als ob ihr Unbewusstes den Angriff eines Feindes spürte. Mit jedem Herzschlag wurde ihr klar, dass hier etwas nicht stimmte, dass hier etwas Fürchterliches im Gange war. Dann ein Geräusch, sie fuhr herum. Doch da kam ihre Tochter Eiland auf sie zu, Menotio an der Hand. Noch während sie näher kam erzählte sie, dass Menotio letzte Nacht zurückgekehrt wäre.
Er hätte die Ziegen ins sichere Winterlager geleitet und wäre nun wiedergekehrt. Ein einziger Gedanke schoss Samara durch den Kopf, warum hatte sich Menotio ihr nicht zu erkennen gegeben hatte, als sie sich trafen im Ödland von Nosos? Da er auch jetzt nicht eine einzige Wimper zuckte, und zu erkennen gab, dass sie sich kannten, tat auch sie, als ob sie sich Hier und Jetzt das erste Mal begegnen würden.
Eiland plauderte von Alltagsdingen und wirkte sonderbar überdreht, fasste jedoch die ganze Zeit Menotio an der Hand. Samara trat nervös von einem Fuß auf den anderen und ihr Fuß verfing sich in ihrem Rocksaum, der schwer von Nässe auf dem Boden hing. Aus diesem Grund trat sie einen Schritt zurück, um sich zu fangen. Eiland und Menotio reagierten ebenfalls und griffen nach Samara um deren Sturz zu verhindern.
Dann durchschnitt Samaras Schrei den Morgen, wie blankes Metall das Schwert eines Elben. Das letzte was sie sah, waren Hände die nach ihr griffen. Hände, Finger, blank geschält, kein Fleisch, keine Sehne war mehr an ihnen. Hände, die nur noch aus Knochen bestanden, Hände von Skeletten. Noch bevor die Dunkelheit sie umfing, wusste sie, dass dies das Ende war. Das Ende Samaras vom See.