Gedichte
Zwei Gesichter

Zwei Gesichter

Zwei Gesichter – zwei Menschen,

fremd und doch so vertraut.

Zwei Menschen – zwei Stimmen,

hast du auch richtig geschaut?

Ein Du – ein Ich,

ein Ich – ein Du.

Viel gestaltig, viel gesichtig, viel schichtig -

so begegnen die beiden sich,

vom Leben  nicht  eben

ganz zimperlich behandelt.

Groß und mächtig wie ein Baum der eine,

schwach und zierlich ist dazu die Kleine.

Wünsche nach Zärtlichkeit und Streicheln,

unendliches Sich-Sehnen und Schmeicheln.

Sehnsucht nach ständiger eigener Entfaltung,

Wille zu nicht alltäglicher Lebensgestaltung:

Freude an Schönheit, Musik, Natur,

Begeisterung für dieses und mehr noch dazu,

Mut zur Selbstverwirklichung in Freiheit,

Erkenntnis der schöpferischen Gestaltung der Zweiheit.

Wie  Magneten  ziehen sich die beiden an,

empfindend, dass man sich auch abstoßen kann,

wenn notwendig für Frau oder Mann.

Zwei Gesichter – zwei Geschichten,

vom Leben erst einzeln geschrieben,

jede für sich auf ein anderes Blatt.

Zwei Menschen – eine Erzählung,

vom Leben neu zu schreiben begonnen,

abschnittweise wechselnd auf gleichem Papier.

Du und ich und ich und du,

vom Leben verwoben zum Wir -

auf wundersame Weise gehalten

von heiliger Mächte stillem Walten.

Zwei Gesichter – zwei Liebende,

 stets wie Liebende eben verbunden,

doch ohne Fessel, ohne Tau,

nur dem eigenen Gefühl unterworfen.

Gefühl ist Schicksal.

Schicksal kann dann Ende sein,

wenn Mächtigere es wollen.

Drum: Menschen, Gesichter, Stimmen,

             klagt nie!

             Führt euer Leben!

             Dankt denen,

             die über euch walten

             in Stille!

© Heidemarie Opfinger 1978