Romane & Erzählungen
Susi gets the Blues (I) - Erster Teil: Das Tal von Illoqqortormiut

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"Susi gets the Blues (I) - Erster Teil: Das Tal von Illoqqortormiut"
Veröffentlicht am 25. Mai 2010, 8 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Susi gets the Blues (I) - Erster Teil: Das Tal von Illoqqortormiut

Susi gets the Blues (I) - Erster Teil: Das Tal von Illoqqortormiut

Beschreibung

Die Geschichte einer mutigen jungen Frau, die sich ihre Freiheit erkämpft und eine abenteuerliche Reise erlebt. WICHTIGER HINWEIS!: Alle Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Susis Inuktitut und das der anderen Inuit sind ebenso frei erfunden. Die Mähr, dass das Inuktitut über hundert Wörter für Schnee kennt, ist eine bereits vor langer Zeit entlarvte Legende. Hier wird sie weiter kolportiert. Alle Orte, die in dieser Erzählung genannt werden gibt es wirklich, allerdings sehen sie weder im Jahre 1919 noch heutzutage so aus. Coverbild: Fred Walton, GNU

Das Tal von Illoqqortormiut

29. November 1919, Illoqqortormiut, Grönland

 

Der Wind kratzt mit eisigen Fingern über das Land, brüllt und tobt zwischen den Hängen der Berge. Der Vorhang aus Schnee, den er mit sich bringt, ist undurchdringlich und verwischt alles zu einer einzigen weißen Masse, die nach oben mit dem düsteren Unwetterhimmel verschmilzt. Alles Leben an diesem Ort hat sich in schützende Höhlen zurückgezogen. Das Tal von Illoqqortoormiut, das gebogen ist wie die Kralle eines Eisbären und hunderte von Kilometern ins Landesinnere einschneidet, ist ein einziger wirbelnder Mahlstrom aus Schnee und Eis.
Hoch aufgerichtet steht Susi Sihannouk auf dem Grat einer riesenhaften Schneewehe, über die beständig der Wind hinwegpfeift wie ein eisiger Kamm.
Sie ist in einen dicken Fellanorak gekleidet, der in der Taille von einem schmal geflochtenen Ledergurt zusammen gehalten wird. Über ihrem Kopf thront eine ausladende Pelzkapuze. Ihre Füße stecken in festen Pelzstiefeln.
Unter ihr, dort wo sich das Tal in einem weiten Bogen zum Ozean absenkt, liegt die Heimat ihrer Familie.
Ein paar vergammelte Holzhütten, ärmliche Gemüsegärtchen, eine zentrale Schneise zum Hafen.
Dort befindet die Fischfabrik, ewiges, stinkendes Mahnmal für die entwurzelten Menschen, die einst auf der Suche nach Arbeit hierher kamen, nur um ihre Freiheit endgültig zu verkaufen.
Susi denkt an ihren Vater. Wie er mit stumpfem Beil und verschmierten Kittel da steht und toten Fischen den Kopf abhaut. Seine unendlich traurigen Augen.
Ein Bild in Susis Kopf: Vater beugt sich über Mutters Bett und küsst sie auf die Stirn.
Das Bild verschwimmt. Steinerne Hauswände, höher als Susi es sich je vorstellen könnte, wachsen vor ihr aus dem Boden. Lichter glühen in allen Farben des Regenbogens auf und erlöschen wieder zum Takt einer wild-fordernden Musik. Automobile jagen mit ohrenbetäubendem Rattern an Susi vorbei. Eiserne Brücken überspannen reißende Flüsse. Menschenmassen wandern von hier nach dort.
Ãœber allem liegt dieser unbeschreibliche Duft...
Susi Sihannouk kennt 13 Wörter für Schnee.
Uttinuttikutit- Der zarte, flüchtige Schnee der ersten Maitage. Itikkunuok - der feuchtschwangere Schnee, den der Nordwind an die Talsohle weht und der sich gut zum Iglubau eignet. Lluutiqqortiut - der Schnee, der an den Pelzstiefeln eines Jägers schmilzt. Kuutittontiqqit - der Schnee, der einen Kadaver zugedeckt hat...
Susi Sihannouk kennt kein Wort für diesen Duft.
Susi Sihannouk kennt nicht ein einziges Wort für "Fernweh".
Schnell, nur allzu schnell ist die Illusion vorüber.
Susi schüttelt den Kopf, um die letzten Fetzchen zu vertreiben, doch die Bilder lassen sie nicht los.
Sie erinnert sich an den vergilbten Werbeprospekt im Sekretariat der Fischfabrik.
Farbige Schriftzeichen. Ein paar Fotografien.
"Kennst du Chicago?" fragt sie der Vorarbeiter auf Englisch und lacht und zeigt seine riesenhaften, gelben Zähne. Susi schüttelt nur den Kopf. Es geht ihr nicht um den Prospekt.
"Da komm ich her!" schnarrt der Vorbeiter und beginnt Susi zu umrunden, die vor ihm auf einem Holzschemel sitzt. Dann bleibt er direkt vor ihr stehen.
Susi schaut zu ihm auf. In das speckige, unrasierte Gesicht.
Seine Hand streicht ihr über das Haar. Der Gestank von toten Fischen verschlägt Susi den Atem.
"Dein Vater..." der Vorarbeiter zieht ein breites Grinsen und schaut Susi direkt in die Augen "...er ist ein faules Stück Scheiße."
Susi schluckt. In ihren Augen lodert vernichtendes Feuer, doch ihr Blick bleibt eiskalt.
Der Vorarbeiter nähert sich ihrem Gesicht. "Ich denke nicht, dass er für die Firma noch von Nutzen ist..." er legt ihr eine Hand auf die Schulter "jemand müsste..." seine Hand gleitet herab "ein gutes Wort für ihn einlegen."
Susi verzieht keine Miene: "Das wäre mir ein Vergnügen mein, Herr!" hört sie sich in allerfeinstem Oxford sagen.
Der Vorarbeiter bricht in ein ungestümes Lachen aus "Paahahaa!" er hält sich den Bauch "Das hast du aber fein auswendig gelernt, meine Kleine!" In seinen Augen blitzt die nackte Gier, als er seine Macht spürt.
Er packt Susi beim Arm. "Komm mit!" Er reißt sie vom Schemel "Ich werde dir noch etwas anderes beibringen."

 

Susi fröstelt. Aber nicht wegen der Eiseskälte im Tal.
Noch einmal schüttelt sie energisch den Kopf.
Und trifft eine Entscheidung.
Langsam aber zielstrebig beginnt sie durch das wirbelnde Weiß zurück zu stapfen.
Zurück nach Illoqqortoormiut.

 

Fortsetzung folgt...

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BrianBrazzil Du suchst - dir immer wieder sehr interessante Themen und Orte für deine Geschichten und Gedichte aus, finde ich gut!

Habe auch nichts zu meckern, außer vielleicht... wie man in dem ganzen Schneechaos noch Gemüsegarten identifizieren oder erblicken kann... vielleicht solltest du lieber "Gewächsshäuser" schreiben, so richtig alte verammelte Gewächshäuser ;)
Tut mir Leid, meine Bilder sind mit mir durchgegangen :)

Gruß
Brian
Vor langer Zeit - Antworten
Wortverdreher Re: -
Zitat: (Original von Tinkerbell am 25.05.2010 - 16:09 Uhr) Total schön beschrieben mit den Metaphern (:
Freu mich auch schon auf den zweiten Teil!
Liebe Grüße
Kati


Danke für's Lob.
Metaphern sind was Feines. Macht auch Spaß sich welche auszudenken.

Wortverdreher.
Vor langer Zeit - Antworten
Wortverdreher Re: wie wird es der susi -
Zitat: (Original von Prediger1 am 25.05.2010 - 08:12 Uhr) ergehen... gespannt auf teil 2.... :)

Nun, wo die Reise hingehen soll, dürfte der geneigte Leser bereits ahnen.
Allerdings geht die Reise noch nicht gleich los!

Es freut mich, dass es dir gefällt.
Morgen gibt's Teil zwei!

Wortverdreher.
Vor langer Zeit - Antworten
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