Das über alles geliebte Auto
„Man gönnt sich ja sonst nichts“, sagte grinsend der neureiche Rudolf Eßl. Er hatte allen Grund, euphorisch zu sein, denn ein lang gehegter Wunsch ging für ihn in Erfüllung: Er kaufte sich eine Luxuslimousine, ein saharagelbes Cabriolet. Es machte ihn stolz wie einen Pfau, wenn ihn Freunde darauf ansprachen, ihn bewunderten und vielleicht auch ein wenig beneideten.
Mit seinen früheren Autos, die nicht so repräsentativ gewesen waren und auch nicht so viele PS unter der Haube gehabt hatten, hatte er nie einen Unfall gebaut. Er war stets diszipliniert gefahren. Der schnellere Wagen verleitete ihn jetzt jedoch zum risikoreichen Fahren. Die gut gemeinten Warnungen seiner Freunde belächelte er nu. Und so kam es, wie es kommen musste eines Tages hatte er einen schweren Unfall, an dem er auch noch Schuld war. Beim Überholen vor einer unübersichtlichen Kurve stieß er mit einem entgegenkommenden Auto zusammen.
Rudolf Eßl erwachte im Krankenhaus. Nur noch schemenhaft konnte er sich an den Unfallhergang erinnern. Ihn interessierte auch nicht, ob die Insassen des anderen Autos verletzt worden waren. Er dachte nur an sein geliebtes Auto. War es schrottreif?
Die Polizei sprach mit ihm am Krankenbett, beantwortete ihm die Frage nach dem Zustand seines Autos allerdings nicht, denn es gab für sie Wichtigeres zu klären: zum Beispiel Rudolf Eßls Alkoholspiegel zum Zeitpunkt des Unfalls.
Aber so kleine Fische konnten Herrn Eßl nicht aus der Bahn werfen. Er hatte ja, so glaubte er wenigstens, einen exzellenten Anwalt, der ihn sicher in dieser heiklen Angelegenheit wieder mal rausboxen würde.
Nachdenklich und traurig wurde er erst, als ihm Herr Schultz von der Reparaturwerkstatt mitteilte, dass die Instandsetzung seines Autos eine Menge Geld verschlingen würde. Vom Krankenbett aus gab Rudolf Eßl seine Anweisungen. Er erwartete, dass bei seiner Entlassung aus dem Krankenhaus das Auto fix und fertig repariert sein müsste. Die Preiskalkulation, die ihm Herr Schultz mitteilte, löste bei ihm nicht gerade einen Freudensprung aus, und immer ärgerlicher wurde er, als der Preis wegen unerwarteter Mängel noch erheblich höher wurde.
„Für diese Summe hätte ich ja schon fast einen neuen Wagen bekommen“, beschwerte sich Rudolf Eßl.
Herr Schultz entgegnete ihm: „Jetzt übertreiben Sie aber. Ich habe Ihnen ja vorher schon gesagt, dass Sie sich genau überlegen müssen, ob es sinnvoll ist, ein so stark beschädigtes Auto noch reparieren zu lassen.“
Verärgert zog Herr Eßl seine Bettdecke bis ans Kinn und versuchte ein wenig zu schlafen, denn die verabreichten Medikamente machten ihn müde.
Der Stationsarzt teilte ihm am nächsten Tag mit, dass er voraussichtlich, falls keine Komplikationen mehr eintreten würden, in einer Woche das Krankenhaus verlassen könnte.
Diese gute Nachricht setzte Energien in Rudolf Eßl frei. Er legte sein Handy gar nicht mehr aus der Hand, so viel hatte er zu organisieren.
„Sind Sie jetzt endlich mit dem Karren fertig?“, wollte er von Herrn Schultz wissen.
Herr Schultz beruhigte den ungeduldigen Kunden: „Wir sind schon so gut wie fertig. Wir müssen das Auto nur noch komplett spritzen. Wünschen Sie wieder saharagelb wie vorher?“
„Na klar, das ist doch eine super Farbe!“
„Die Farbe haben wir momentan nicht vorrätig und außerdem ist diese Sonderfarbe erheblich teurer.“
Als er den Preis von Herrn Schultz gesagt bekam, schüttelte Rudolf Eßl nur seinen Kopf, und als er erfuhr, dass der Preis noch nicht in der Kalkulation enthalten sei, wurde er ganz kleinlaut und meinte: „Herr Schultz, ich habe zur Zeit nicht soviel Geld, können Sie es schwarz machen?“
„Natürlich können wir das, dann wird es auch wesentlich billiger“, antwortete Herr Schultz.
„Stellen Sie dann bitte das Auto am Parkplatz vor dem Krankenhaus ab“, bat Herr Eßl noch, und Herr Schultz versprach ihm, alles zu seiner vollsten Zufriedenheit zu erledigen.
Endlich war es soweit. Rudolf Eßl durfte das Krankenhaus verlassen. Auf ein Trinkgeld für die aufmerksamen Krankenschwestern verzichtete er. Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, dass sie ihm Tag und Nacht jeden Wunsch von den Augen ablasen. Er verabschiedete sich von den zwei Patienten, die mit ihm das Krankenzimmer geteilt hatten. Die „gute Besserung“, die er den beiden wünschte, war mehr oder weniger eine Floskel, denn seine Gedanken waren bereits ganz woanders. Er dachte nur noch an seine über alles geliebte Limousine.
In der einen Hand die Reisetasche, in der anderen Hand den Autoschlüssel, so ging Rudolf Eßl den langen Gang des Krankenhauses entlang in Richtung Ausgang. Die große Glastür öffnete sich und er suchte am Parkplatz seine Limousine. Immer wieder ging er durch die Parkreihen. Sein Auto war nirgends zu sehen.
Rudolf Eßl zog sein Handy aus der Reisetasche und wählte die Nummer der Autowerkstatt. Dort versicherte man ihm, das Auto auf dem Parkplatz abgestellt zu haben.
Nochmals ging Rudolf Eßl durch die Autoreihen. Er sah nur ein Auto derselben Marke, das aber eine andere Farbe hatte. Er schaute auf das Nummernschild und erschrak so sehr, dass er seine Reisetasche fallen ließ und Herzstechen bekam.
Er stampfte voller Wut wie Rumpelstilzchen in den Boden und hatte Tränen in den Augen, als er jammerte und schimpfte: „Jetzt haben diese Idioten mein Auto schwarz gespritzt.“
Sofort fuhr er zu Herrn Schultz in die Werkstatt und machte ihm heftigste Vorwürfe.
Herr Schultz wunderte sich und meinte: „Ich habe Ihnen die Preise telefonisch durchgegeben und Sie haben sich aus Kostengründen für die Farbe Schwarz entschieden, da die Sonderfarbe Saharagelb erheblich teurer gewesen wäre.“
Verzweifelt entgegnete Herr Eßl: „Unter ,schwarz machen meinte ich natürlich, dass ich keine Rechnung brauche. Das Auto sieht jetzt aus wie ein Leichenauto. Diese glänzende Speckschwarte werde ich in diesem hässlichen Schwarz nicht fahren.“
Herr Eßl stieg mit hochrotem Kopf, einem Kreislaufkollaps nahe, in sein Auto, kurbelte das Seitenfenster herunter und schrie Herrn Schultz an: „Die Rechnung zahle ich nicht, ich erwarte ein kostenloses Umspritzen.“ Er wartete die Antwort von Herrn Schultz nicht mehr ab und gab Gas.
Da Herr Eßl ohnehin einen Termin bei seinem Rechtsanwalt wegen Trunkenheit am Steuer und dessen Folgen hatte, sprach er das Missverständnis wegen der Farbe seines Autos auch gleich an.
Der Rechtsanwalt lehnte sich in seinem Ledersessel zurück, nahm schmunzelnd seine Brille ab und sagte: „Wenn Sie jemanden zur Schwarzarbeit auffordern, so ist das bereits strafbar. Ich würde in einem freundlichen Gespräch zu klären versuchen, ob Ihnen Herr Schultz finanziell entgegenkommen kann, was er allerdings nicht muss. Mehr kann ich in dieser Sache nicht für Sie tun.“
Eine Pechsträhne jagte nun die andere. Seine beruflichen Erfolge entpuppten sich als Strohfeuer. Folgeaufträge, die er fest eingeplant hatte, blieben aus. Herr Eßl erntete einen Misserfolg nach dem anderen. Er musste sich fast von seinem gesamten Luxus trennen.
Heute fährt er wieder ein unauffälliges Auto. Auch charakterlich hat er sich geändert und ist bescheidener geworden. Seine früheren Freunde sind wieder zu ihm zurückgekehrt.
Zu seiner Entschuldigung sagte er: „Es tut mir Leid, aber ich habe den plötzlichen beruflichen Höhenflug nicht verkraftet. Das ging alles viel zu schnell, und ich war dadurch völlig überlastet. Heute bin ich mit weniger Geld viel glücklicher und zufriedener als früher. Jetzt weiß ich, dass es wesentlich wichtigere Dinge im Leben gibt als einen Haufen Geld zu besitzen, und der ganze Luxus ist überflüssig wie ein Kropf!“
© by Hermann Bauer
Diese Geschichte ist aus dem Buch
„Ein hungriger Bär tanzt nicht",
erschienen im Geest-Verlag.
ISBN 3-937844-78-3
Illustration: Franziska Kuo.