Kurzgeschichte
Mohrle

Mohrle

Meine Freundin Biggi fragte mich eines Tages Anfang des Jahres 1974, ob ich mit ihr Ende Mai-Anfang Juni an die Ostsee fahren möchte, da ihr Mann die Einberufung zur Armee bekommen hatte und demzufolge nicht mitfahren konnte. Der Urlaub war aber schon lange vorher geplant und da ich nichts vorhatte, sagte ich zu. Ich freute mich sehr, da man ja damals nicht so oft die Möglichkeit bekam, Ostseeluft zu schnuppern.

Wir fuhren also mit dem Zug an die Ostsee, meine Freundin mit ihrer kleinen dreijährigen Tochter und ich. Damals fuhr man ca. 7-8 Stunden an die See und wir fuhren nachts, um schon den ersten Tag voll nutzen zu können.

Angekommen in dem kleinen Fischerdorf bekam ich erst mal einen Schreck.

Ein ausrangierter Eisenbahnwaggon war unsere Unterkunft, spartanisch eingerichtet 

Schließlich war ich dann doch mit meiner Katze zu Hause angekommen und sie fühlte sich auch sofort heimisch bei mir. Sie bekam die besten Leckerbissen - Schabefleisch - und das jeden Tag, da es damals auch noch nicht solches Katzenfutter, wie heute, gab. Zumindest hatte ich mich noch nie damit beschäftigt.

So wurde aus dem kleinen verspielten Kätzchen schon innerhalb kürzester Zeit eine richtige Katzendame mit glänzendem schwarzen Fell und einem buschigem Schwanz. Bald kamen alle Kinder der Nachbarschaft an meinen Balkon (ich wohnte damals in einer kleinen Wohnung in der untersten Etage), der sich ca. eineinhalb Meter über dem Erdboden befand und spielten mit Mohrle.

Mohrle war ein sehr liebes Kätzchen, das niemals seine Krallen ausfuhr, auch wenn es mal ein bisschen wilder zuging.

Da ich tagsüber arbeiten musste, hatte ich an meinen Balkon ein schmales Holzbrett als Laufsteg angebracht, damit meine Mohrle immer in die Wohnung konnte, wenn sie es wollte. Die Balkontür hatte ich dafür immer einen Spalt offen gelassen.

Wenn ich nachmittags oder abends von der Arbeit kam, brauchte ich nur auf den Balkon zu gehen und zu rufen, „Moohrle“, schon war sie da und freute sich, indem sie mir schnurrend um die Beine strich.

Legte ich mich dann auf die Couch, um etwas fern zu sehen, kam sie sofort an und legte sich hinter meinen Rücken. Dort war immer ihr Lieblingsplatz und mir tat der warme Katzenkörper gut.

Eines Tages kam ich jedoch nach Hause und als ich das Wohnzimmer betrat, sehe ich zu meinem Erstaunen eine fremde Katze auf meinem Sofa sitzen. Und mein Mohrle saß

draußen auf dem Balkon und traute sich nicht rein. Natürlich tat mir auch die fremde Katze leid, aber zwei Katzen, das traute ich mir nicht zu und so schaffte ich die fremde Katze wieder raus, damit Mohrle zu mir kommen konnte. Das tat sie denn auch sogleich und holte sich die entsprechenden Streicheleinheiten bei mir ab. Ihr seidiges Fell war auch geradezu prädestiniert dafür. Leider war unserer Freundschaft keine lange Dauer beschert.

Eines Tages, es war der   erste Dezember  1974 , kam ich abends nach Hause und rief schon vor der Tür nach Mohrle. Aber sie kam nicht, wie sonst. Zunächst dachte ich mir nichts Schlimmes dabei.

„Wenn sie Hunger hat, wird sie schon kommen“, dachte ich. Aber es wurde später und später. Das hatte sie noch nie gemacht und so wurde ich dann doch unruhig.

Also zog ich mich nochmals an und ging sie

suchen.

Weit brauchte ich nicht zu gehen…

Sie lag am Straßenrand. Ihr schwarzes Fell war nass vom Regen und sie hatte nur ein paar Blutstropfen an der Nase.

Ich sehe das Bild noch heute vor mir. Ein Autofahrer hatte sie wohl erwischt, als sie nach Hause laufen wollte.

Damals schwor ich mir zwar „keine Katze wieder“ und hatte auch 24 Jahre diesen Schwur eingehalten bis 1998, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.