Lucy geht Einkaufen
Endlich ist der große Tag da und Lucy ist am Mittwoch zusammen mit ihrer Freundin in der Hexendrogerie um dort ihr Simsipursbum zu kaufen.
Zunächst musste sie ihrer frisch gebackenen Freundin natürlich – vor Stolz fast platzend – erst mal den ganzen Laden zeigen. Es gibt da ja so viele Besonderheiten – nein, ich fange nicht schon wieder davon an, sonst handelt die ganze Geschichte nur wieder von der Drogerie.
Auf jeden Fall – um die Schilderung des Abenteuers drastisch abzukürzen – hat sich Birka schließlich für ein Frisier-set aus Wachholder-Wurzel-Holz entschieden: Eine Haarbürste, wunderschön gemasert und blankpoliert mit feinen Rüsselkäferborsten gespickt, ein fein gesägter Kamm und ein in Wurzelholz eingefasster kleiner Handspiegel aus Hexen-kristallglas, mit dem man nebenbei telefonieren kann (ähnlich wie mit einer Kristallkugel) So können sich Lucy und Birka nun immer gegenseitig anrufen und wichtige Neuigkeiten austauschen, auch wenn sie eben nicht – wie die meiste Zeit - beieinander sind. Lucy kauft sich für ihre eigene kleine Kristallkugel eine Kugel-Socke die aus giftgrünem Spinnweb-garn gehäkelt und mit einem Glitzerfaden durchwirkt ist. Daran ist ein Bändel aus imitierter Schlangenhaut geknotet, so dass man sich den Beutel um den Hals hängen kann. Denn nun, wo Lucy nicht nur ihre Omi, oder ihre Tante Oblada anrufen kann, sondern mit ihrer besten Freundin telefonieren, will sie die Kristallkugel einfach immer dabei haben.
Lucy und Birka probieren es sofort aus, denn Lucy hat ihre Kugel mitgebracht um für die Kugel-Socke auch die richtige Größe aussuchen zu können. Dazu stellt sich Lucy vor die Drogerie auf den Gehsteig und Birka bleibt drinnen im Laden. Dann haucht Lucy auf die Kugel und reibt sie mit dem Ärmel trocken, dabei denkt sie an Birka. (So klingelt man an)
Birka, die drinnen schon unentwegt in gespannter Erwartung in ihr Spiegelchen starrt, sieht nun ihr eigenes Ebenbild darin in weißem Nebel verschwinden, in dem nun das Bild von Lucy auftaucht, die sich auf einer alten verrosteten Parkbank vor dem Laden lümmelt, und Birka fröhlich zuwinkt.
Die Parkbank ist in diesem Fall keine echte Bank, sondern die Ururgroßmutter Martha, die von Oma Zerfi aus reiner feindschaftlicher Gewohnheit sofort beim Erscheinen vor der Drogerie verhext worden ist.
Birka winkt nun eifrig zurück, und sie fragt Lucy, ob sie sie nicht in der Drogerie besuchen mag, wo sie gerade ein wunderschönes Frisier-Set erworben hat. Diese Frage kann Lucy ohne Bedenken bejahen, und schon saust sie wieder nach drinnen zu ihrer Freundin um weiter einzukaufen.
Sie hat ja vor dem Kennenlernen von Birka eine ganz lange Einkaufsliste geschrieben, die sie noch abarbeiten muss.
Und am heutigen Tage – ich weiß, ihr wartet nun schon lange darauf, und ich will euch nicht enttäuschen – ersteht sie auch endlich ihr Simsipursbum. Sie hat es ja schon letztes Jahr im Katalog der Drogerie bestellt, doch erst letzte Woche hat die Drogeriehexe Vahöka Friedlich sie daheim angerufen um ihr zu sagen, dass das Ersehnte endlich angekommen sei. Ein dickes, in Bananenbaum-blätter eingewickeltes und mit Lianen verschnürtes Paket, mit dem Absender:
Herr Beutelkram
Tiefer Kongo 9
Affenstadt
Afrika
„Luftpost“ steht auch auf dem Paket, und „bitte nicht stürzen, werfen, schütteln, drauf treten oder anschreien!“ Außerdem: „Inhalt: Simsipursbum, ein Exemplar“
Lucy und Birka beugen sich staunend über das mit kleinen Luftlöchern ausgestattete Päckchen, welches die Ladeninhaberin dem Hexenmädchen nun gegen Bezahlung ausgehändigt hat.
Leises Knurren und Winseln dringt aus seinem Inneren, außerdem ein kratzendes Schaben, wie von winzigen Krallen auf dem Einpack-Blatt.
Sie sehen sich an und beschließen ohne Worte, mit dem Auspacken doch lieber zu warten bis sie zu Hause angekommen sind. Vielleicht ist das Simsipursbum ja noch ein wenig nervös und es ist ja mit seinem neuen Frauchen noch nicht vertraut. Sie wollen nicht, dass ihm etwas zustößt, oder es in Panik entflieht.
Ach, ihr wisst immer noch nicht, was ein Simsipursbum ist? Stimmt, ich versäumte es Euch ausführlich zu erzählen. Aber nun habt ihr mich so weit. Wohl oder übel muss ich nun den Rest meiner Geschichte dem Tierchen widmen. Auch wenn ich euch eigentlich vom Spiele-Tag erzählen wollte. Selber schuld. Könnt ihr denn nicht im Lexikon nachschlagen? Ach ja richtig, da steht es ja gar nicht drin.
Das liegt daran, dass ein Simsipursbum äußerst selten ist. Um genauer zu sein: Äußerst, äußerst selten. Ungefähr so selten wie sieben Millimeter große, beziehungsweise kleine Hexen.
Deswegen wurde es auch erst im Jahr 1999 vom bekannten Tier-forscher Thomas Kottchen entdeckt. Was für diesen natürlich die absolute Sensation und der Höhepunkt seiner Forscher-Laufbahn war. Man stelle sich einmal vor: Ein gerade zwei Millimeter großes Wesen, das wahrscheinlich gerade das Einzige seiner Art auf der Welt ist, im tiefsten und gefährlichsten Dschungel Mittelafrikas aufzuspüren. Das muss ihm mal einer nachmachen! Berühmt wurde er dadurch auch. Der Presseartikel über ihn ging damals um die ganze Welt:
„Tierforscher verfällt nach monatelanger Urwald-Expedition dem Wahnsinn. Thomas Kottchen, ein ansonsten seriöser Forscher wird in psychatrische Klinik eingewiesen, nach dem er steif und fest behauptet eine Affenart gefunden zu haben, die zwei Millimeter gross, telephatisch begabt und weitaus intelligenter als ein Mensch sei. Er halte sie sogar für das 'Missing Link' in der Kette der menschlichen Urahnen, welches durch sein späteres enormes Wachstum zwar an Kraft und Stärke gewonnen, aber ebenso an Intelligenz verloren habe. Es sei ihm gelungen eines einzigen Exemplares dieser Spezies habhaft zu werden, lebend sogar. Leider sei es ihm ausgebüxt, nachdem es ihn ein wenig hatte forschen lassen, nicht ohne eine Art Termiten-Frass in seiner gesamten Ausrüstung zu hinterlassen.
Zerlumpt und ohne die von der Regierung gesponserte wertvolle Ausrüstung kam der Wissenschaftler nach einem Monat wieder zum Vorschein und versuchte aller Welt seine verrückte Story anzupreisen. Offensichtlich hatte er im Dschungel einen bleibenden Hitzschlag erlitten.“
Simsipursbums (oder heisst es Simsipursbümmer, oder Simsipursbummel? Die Wissenschaft ist sich da noch nicht einig) Jedenfalls die Simsipursbumsdinger können sich in Windeseile durch jedes Material fressen, weswegen Käfighaltung bei ihnen nicht angesagt ist. Hierfür besitzen sie eine Reihe rasiermesser-scharfe und diamanten-harter Zähne und megastarke Kaumuskeln.
Während Thomas Kottchen (der von seinen Freunden nur Tom Maskottchen genannt wurde) an dem kleinen Simsi forschte (so hatte er es zärtlich genannt) nagte das possierliche Tierchen sich nachts durch sämtliche wichtigen Ausrüstungsgegenstände, um sich danach heimlich für immer aus dem Staub zu machen. Dumm war es ja nicht, und es hatte nicht vor, von sensiations-lüsternen Kleinwild-Jägern abgeschossen zu werden, die es dann ausgestopft bei sich daheim in eine Vitrine stellten.
Also sorgte es dafür, dass kein Mensch den Forschungen von Herrn Kottchen Glauben schenkte.
In den Aufzeichnungen Maskottchens finden sich einige Hinweise auf die Besonderheit dieses Tierchens:
Das Simsipursbum:
Art: Affe
Unterart: Kleinstaffen
Spezies: Simsipursbum
bevorzugte Nahrung: Alles
Vermehrung: Nicht feststellbar, da nur ein einziges Exemplar gefunden wurde.
Aussehen:
Süss bis sehr niedlich, dabei in vielerlei Farben gestreift, gepunktet oder kariert – je nach Laune und Tagesform. Das Fell des Simsis (ich kürze der Zweckmässigkeit halber ab) ist superkuschelweich, kann aber in Abwehrhaltung zu spitzen Dornen aufgestellt werden. Daher auch der Name Kakteen-Äffchen, der hier von den Eingeborenen (in ihrer Sprache im Original: Autut-wä-desbigst) für das Tier benutzt wird. Kleine Gift-Drüsen am Hinterkopf sprühen bei einem Angriff ein Gift, welches bei den Angreifern einen nicht enden wollenden Lachanfall auslöst.
Niemand kann aber während eines Lachanfalls jemand Anderen etwas tun. Und nach einem Tag Dauerlachen haben die Betroffenen in der Regel einen derart heftigen Lach-muskelkater, dass sie für Weitere Aktionen außer Kraft gesetzt sind. Das Simsipursbum ist bis dahin natürlich über alle Berge, nicht ohne Hab und Gut des Betreffenden gründlich zernagt zu haben.
Deshalb greift niemand, der auch nur halbwegs bei klarem Verstand ist ein Simsipursbum an. Oder dessen Besitzer.
Ja, liebe Leser ihr hab richtig vernommen: Da steht – grün auf weiß (der Forscher musste mit Pflanzensaft schreiben, weil auch sein Füllfederhalter einem Sieb glich): BESITZER.
Maskottchen hatte nämlich herausgefunden, dass sich jedes Simsipursbum einen Besitzer sucht, mit dem es so etwas wie eine freiwillige symbiotische Verbindung eingeht. Ein Verhältnis auf gegenseitige Unterstützung also.
Weil das Simsipursbum ein sehr intelligentes Wesen ist, lässt es sein Haustier in dem Glauben, dass dieses der 'Besitzer' sei, um es nicht zu verscheuchen. Denn ein Simsi benötigt dringend jemand, der ihn liebhat, krault, kuschelt, füttert, glaubt ihn zu beschützen (obwohl das natürlich eher umgekehrt ist) und mit ihm spielt. Gleichzeitig muss es jemand sein, der nicht viel größer als es selbst ist (wer sonst könnte ein Simsi sonst zärtlich an genau der Lieblingsstelle hinter den Ohren kraulen, ohne dabei versehentlich die Lachgift-Drüsen zu stimulieren?)
Und dieser Jemand muss unbedingt Zauberkräfte besitzen, um damit zu verhindern, dass seine sämtlichen Besitztümer einem rasenden Wurmloch-fraß anheim fallen.
In Frage kommt da – ihr werdet es sicher schon erraten haben – nur ein kleines Hexenkindchen.
Das Simsipursbum ist also das ideale Haustier für winzige Hexenmädchen. Da die aber so selten vorkommen ist auch der Simsipursbum beinahe ausgestorben.
Nun hat aber Lucy per Post (natürlich mit Einverständnis und purer Absicht des telepathisch begabten Wesens) eines bekommen. Und was das für ihr Leben bedeutet erfahrt ihr in der nächsten Geschichte.