Lucy am Mittwoch
„MITTWOCH!“ Lucy Lieblich reißt ihre Augen auf und strampelt vor Freude ihr mit süßen kleinen Spinnen bedrucktes Deckbett zu Boden. Lucy mag grundsätzlich alles, was mit Spinnen, Schlangen und warzigen Kröten zu tun hat. Jedenfalls so lange wie es irgendwo aufgedruckt, als Porzellan-figürchen dargestellt, oder in kuscheligem Plüsch verewigt ist. Sie hat sogar ein Spinnen-mobile, welches so tief vor ihrem Bettchen hängt, dass die herab hängenden Gummispinnen ihr ins Gesicht und die Haare kommen, wenn sie morgens aufsteht. Dabei leuchten deren jeweils acht winzige Augen grün oder rot auf, wenn sie Lucy berühren. Das findet Lucy besonders spaßig, und wenn Besuch kommt hängt sie es deswegen auch hinter die Türe. Außer der Spinne Gusta selber – die hin und wieder als Postbotin in Vertretung kommt – hat sie noch jeden Neuankömmling grandios damit erschrecken können.
Dafür erschreckte die Spinne Gusta das kleine Hexenmädchen regelmäßig, indem sie ohne Anzuklopfen die Türe auf stieß, mit ihrem acht-äugigen und mit mächtigen Kiefern bewehrten Spinnengesicht (das ungefähr Lucys Körpergröße entsprach) herein glotzte und einen haarigen und mit spitzen Klauen ausgestatteten Fangarm herein schnellen ließ – direkt vor Lucys Nase – in welchem sie Lucys Tagespost hielt.
Immer nahm sich Lucy hinterher ganz fest vor, beim nächsten Mal nicht wieder zu erschrecken. Sie sagte sich: „Gusta ist die Briefträgerin, und auch wenn sie gruselig aussieht, und etwas kleiner sein könnte, frisst sie bekanntermaßen keine winzigen Hexen!“
Dann stellte sie sich vor - jeden Morgen – dass heute Gusta als Aushilfe mit der Post käme und war tapfer auf den Monsterkopf und den Gruselfangarm gefasst. Aber genau da kam Gusta natürlich nicht, sondern die Hasendame Letizia, die Lucy schon von weitem fröhlich begrüßte und die Briefe ordentlich abgab oder in den Kasten warf, wenn Lucy keine Zeit hatte, zur Türe zu kommen.
Abgesehen davon sah Letizia trotz ihrer Größe weit weniger gruselig aus als die Spinne.
Ja, und genau an dem Tag wo sie wieder vergisst an Gusta zu denken – zisch, ein Fangarm, Lucy kreischt in höchsten Tönen, ihre Haare stellen sich auf ihrem Kopf auf, dass sie aussieht wie ein türkisfarbener Igel und sie selber springt mit einem Satz hinter den Ofen, von wo aus sie mit aufgerissenen Augen und zitterndem Ärmchen ihre Post in Empfang nimmt.
Gusta kann sich gar nicht mehr ein kriegen vor Lachen, schließlich kennt sie Lucys Trick mit dem Spinnen-Mobile, das ahnungslosen Besuchern zu spontaner Gänsehaut verhilft. Aber Gusta ist so schnell, dass die, zwischenzeitlich von der nun wütenden Lucy auf Gusta abgeworfenen Gegenstände, sie nicht mehr erreichen, sondern an der von ihr wieder blitzartig geschlossenen Türe abprallen. Lucy hört sie noch leise vor sich hin kichern, während sie sich entfernt. Die winzige Hexe seufzt tief auf.
Ihr bleibt nichts anderes übrig, als zur Entschädigung ihr Mobile für den Besuch des Rosenkäfers in die Tür zu hängen.
Das Mobile hat sie übrigens aus der Hexendrogerie, wie auch die spinnen-übersäte Bettdecke. Alle nützlichen und weniger nützlichen Haushaltsutensilien für Hexenhäuser bekommt man dort. Und überhaupt grundsätzlich alles, was man sich nicht selber erhexen kann.
Da gibt es Frühstücksbrötchen, die vertrocknet und verschimmelt aussehen (das wird mit Spinat-Farbe gemacht) aber natürlich vollkommen gesund und wohlschmeckend sind. Lebensmittel, die in irgendeiner Art und Weise ekelig oder vergammelt aussehen, dabei natürlich wunderbar munden.
Lucys Favorit ist der Allwetter-Schleim, von dem sie sich jedes Mal ein ganzes Töpfchen voll mit nimmt. Das ist ein zäher, klebriger und glibberiger, halb durchsichtiger Schleim, der in den Farben moder-grün, sumpf-braun, popel-gelb, masern-gepunktet, blut-rot, neon-gelb und tintenschwarz erhältlich ist. Zu Hause bewahrt man ihn auf, in dem man ihn um die Türklinken schmiert, auf Sitzpolster matscht, an die Fensterscheiben wirft, oder das abgespülte Geschirr damit verziert. Das verleiht jedem Hexenhäuschen sofort einen Hauch von hexenmäßiger Gemütlichkeit und wohnlichem Ambiente. Der Allwetter-Schleim ist (wie der Name schon sagt) wetterunempfindlich und kann deshalb auch bedenkenlos im Freien verwendet werden. Eine attraktive Blut-Spur aus Allwetter-Schleim hält übrigens auch ungebetene Gäste aus dem Garten fern. Zudem schmeckt der Schleim unheimlich lecker und papp-süss, und er prickelt und pritzelt im Mund beim Essen ganz herrlich. Was man allerdings nicht lesen sollte sind die Inhaltsstoffe auf der Packungsbeilage, die samt und sonders unverständliche Namen tragen wie: „Benzyl-formaldehyd-chromal-Hexa-chlorid-supervertrackt-bikarbonat-derivat“ Die Hexengroßmutter sieht es nicht gerne, dass sich Lucy das Zeug kauft, aber Lucy besteht darauf, dass in der Formel das Wort „Hexa“ drin vorkommt. Also muss es ja wohl für Hexen gesund sein!
So, ich merke gerade, wenn ich nun an dieser Stelle all die wunderbaren, ungewöhnlichen, faszinierenden und seltenen Waren aus dem Bestand der Hexendrogerie aufzähle, habe ich gar keine Zeit mehr, meine eigentliche Geschichte zu erzählen.
Also noch einmal zurück gespult und von Anfang an:
„MITTWOCH!“ Lucy Lieblich reißt ihre Augen auf und strampelt vor Freude ihr mit süßen kleinen Spinnen bedrucktes Deckbett zu Boden.
Mittwoch ist der Tag, an dem die Hexendrogerie geöffnet hat. Hexen aus der ganzen Umgegend schwärmen dann aus und fallen gemeinsam über das breit gefächerte Warenangebot her.
Besonders schlimm ist der Andrang an den Billigramsch-verschleuder-Tagen, wie zum Beispiel dem Frühlings- und Herbst-Schlußverkauf. An diesen Tagen findet man besonders häufig auf dem Gehsteig vor der Drogerie fest-gehexte Hexen, die von ihren Konkurrentinnen auf diese unsportliche Art und Weise daran gehindert werden, ihnen die begehrten Schnäppchen abzujagen.
Das Szenariao innerhalb einer Hexendrogerie während eines Schlußverkaufstages möchte ich hier nicht schildern, da dies nichts für zarte Kinder-Ohren ist.
Es sei nur so viel gesagt, dass es winzigen Hexen, wie beispielsweise Lucy Lieblich strengstens untersagt ist, an solchen Tagen die Drogerie zu besuchen. Das macht aber nichts, denn ihre Großmutter Zerfsckrqrsl, die eine sehr renitente und gefürchtete Schlußverkaufs-Hexe ist, bekommt von ihr einen kleinen Zettel ausgehändigt mit den nötigsten Besorgungen darauf. Und natürlich bringt die Omi der kleinen Lucy auch jedes Mal etwas ganz Besonderes mit, selbst wenn sie dafür scharenweise ihre Hexenkolleginnen schachmatt setzen muss.
Nur ein einziges Mal ist sie nicht schnell genug gewesen und von der Ururgroßmutter und besten Feindin Martha Reichranitzka in eine Straßenlaterne verwandelt worden, ehe sie auch nur eine Stiefelspitze in die Drogerie setzen konnte. Bis sie es schaffte, die Verwandlung rückgängig zu machen hatte der Heuschreckenschwarm der schnäppchenjagenden Hexen die Drogerie bereits komplett leer geräumt. Zur Entschädigung hat sie ihrer Enkelin Lucy dann ausnahmsweise einen riesigen Eimer Allwetter-Schleim in seltenem Schweinchen-rosa mitgebracht. (Allwetter-Schleim haben sie IMMER vorrätig)
Lucy Lieblich springt mit einem Satz aus dem Bett auf die Füsse, reckt die Ärmchen in die Höhe und gähnt ausgiebig, wobei ihr offen stehender Mund ungefähr die Größe ihres Gesichtchens einnimmt. (Bei Hexen gilt es als unanständig, sich die Hand vor den Mund zu halten, da dann ja niemand Gelegenheit bekommt die schöne lange Hexenzunge zu betrachten, die sie beim Gähnen weit raus streckt)
Lucy rennt zum Fenster, reißt es auf, hängt sich halb übers Fensterbrett nach draußen – wobei einige dort stehende magische Blumentöpfchen leise kreischend davon tippeln um nicht herunter gestoßen zu werden.
Dann brüllt sie aus Leibeskräften: „BIIIIIIIIRKAAAA!!!!!!!!!“
Denn sie hat ja jetzt eine neue Freundin, und die soll unbedingt mitkommen zum Shoppen in die Hexendrogerie. Denn auch wenn Lucy sich schon immer auf die Mittwoche gefreut hat, wo sie Einkaufen gehen konnte – gemeinsam mit einer Freundin zum Einkaufsbummel zu gehen ist natürlich noch viel hundertmal schöner!
Und dann würde sie heute auch endlich ihr SIMSIPURSBUM kaufen...