DIE STUNDE DES PAN
Golden glänzt das Mittagsgestirn,
schießt glühende Pfeile auf die Natur.
Blauer Himmel spannt lachend sich
über Auen, Wälder und Flur.
Flirrend steigt die Luft empor,
wo Sonne sie siedet und brät.
Träge fließet der Bach entlang,
Kühle spendend der Flur.
Vogelgezwitscher rings umher,
Urwalddickicht, Sonnenduft,
grün-goldenes Licht,
Pan, Faunen und Satyr dazu
spinnen zaubernd ihr stummes Geweb.
Lichtfunken sprühen auf Wellen klar.
Silbrig schimmert im Bach blondes Haar,
folgt langsam des Wassers Bewegung.
Frau Nixe ruht staunend ohn‘ jede Regung.
Der alte Wassermann trotzig lacht,
wenn er schüttelt der Wasserpest Pracht.
Sie umkränzt viel hundertfältig sein Haupt,
lockt Fischleins und Fröschleins Braut.
Wie Blitze huschen Libellen im Licht.
In Regenbogenfarben es sich auf ihren Flügeln bricht.
Sie spielen mit Nymphens Kindern Hasche-mich.
Plötzlich – bocksfüßig – steht er im Sonnenduft!
Mit den Augen nicht nach ihm sieh!
In sein Gefolge die Faunen ruft
eine zauberhafte Melodie.
Der Satyrn Gelächter dringt
bis an menschliches Ohr.
Pan, der Herr dieser Stunde,
macht in seinem Reich die Runde.
Menschlein, verweil‘ süßer Empfindung voll,
lass dich betören vom Zauberschall.
Dann erfühlst und erahnst du,
welche Mächte schlummern in dieser Ruh.
Teil dieser Macht ist jedes Wesen wie du,
Baum und Strauch, Vogel und Kuh;
Beuge dich ihren Gesetzen,lebe mit ihr,
dann schenkt sie dir -
nicht ganz ohne Schmerzen -
neue Hoffnung, neuen Mut.
Plötzlich – so rasch wie gekommen –
ist Pan im Sonnenlicht zerronnen.
Doch was nun neu in dir quillt
ist mehr wert als des Waldgottes Bild.
© Heidemarie Opfinger 1978