Ich lief schneller durch das Unterholz, wie lange würde ich dieses Tempo noch halten können ? Ich stolperte über ein hervorstehende Wurzel. Mein eleganter, schwarzer Rock zerriss. Ich hatte ihn mir erst gestern bei einer Shoppingtour mir meiner besten Freundin Maja gekauft. Es kam mir vor als währe es schon ewig her. Ich rappelte mich auf und rannte weiter durch die tiefschwaze Nacht. Ich schlug mich durch das dichte Gestrüpp und stand auf einer Lichtung. Hektisch sah ich nach links und rechts. Ich konnte nicht viel mehr als die Hand vor Augen sehen, also brachte es mir wenig. Ich stürzte mich nach rechts und kletterte durch die Pflanzen die an meinen Beinen entlang streiften. Ich war jetzt bestimmt schon eine viertel Stunde durch den Wald gerannt. Irgendwo musste ich hier doch auf die Landstraße oder die Bundesstraße kommen. Warum hatte ich nur angehalten ? Das gabs doch gar nicht.
Ich war wie jeden Dienstag die Landstraße von meinen Eltern nach Haus gefahren. Als ich um eine Kurve fuhr, sah ich eine Gestalt am Wegrand liegen. Ich war gelernte Krankenschwester und stieg aus um zu gucken ob ich der Person, die dort lag, helfen konnte. Als ich mich gerade über sie beugte, schlug sie die Augen auf. Eine bleiche Hand schoss unter der Jacke, die sie trug, hervor und legte sich um meinen Hals. Ich wehrte mich mit Leibeskräften. Endlich hatte ich die Hand abgeschüttelt und wollte zu meinem Wagen rennen, doch der Unbekannte versperrte mir den Weg. Ich schlug ihm ins Gesicht, aber es schien ihn nicht zu interessieren. Er packte mich am Handgelenk und wollte mich mitziehen, doch ich konnte mich wieder erfolgreich wehren und rannte in Richtung Wald davon. Jetzt lief ich schon eine halbe Ewigkeit hier durch das Grünzeug. Meine Arme und Beine waren schon ganz zerkratzt von den
Sträuchen die Rechts und Links wuchsen. Da ich nicht auf dem Weg lief sondern einfach querfeldein war es besonders schwer. Meine Jacke hatte ich im Wagen gelassen. Ich sah über meine Schulter und lief in dem Moment genau in jemanden rein. Ich wusste sofort das es sich nur um den jungen Mann halten konnte, der mich vorhin schon angegriffen hatte. Dies wusste ich schon bevor er seine Hände wie Schraubstöcke um meine Handgelenke schloss. Ich drehte ihm das Gesicht zu und sah in seine mitternachtsblauen Augen. Er hatte markante Züge und hohe Wangenknochen. Seine Nase war gerade. Doch es klebte etwas Blut darunter. Anscheinend hatte ich ihm doch weg getan als ich ihn geschlagen habe. Er hatte nur einmal kurz rüber gewischt. Seine Haare konnte ich nicht sehen. Die hatte er unter einer schwarzen Kaputzenjacke versteckt. Ich sah ein kleines Muttermal über seinem rechten
Auge. Ansonsten hatte er eine makellose Haut und hätte gut aussehen können, hätte er nicht diesen harten Blick gehabt mit dem er mich musterte. "Was wollen sie von mir ?", schrie ich ihn an. Ein furchteinflösendes Lächeln belebte seinen bis dahin zu einem dünnen Strich verzogenen Mund. Ich versuchte ihm in die Augen zu sehen, doch er schlug seinen Blick nieder und wich mir geschickt aus. "Mitkommen !", knurrte er mich an. Er hatte eine schöne Stimme, sie war nicht zu tief. Aber immoment war sie sehr barsch. Eigentlich wäre es egal gewesen ob ich wollte oder nicht. Er zog mich hinter sich her wie eine Puppe. "Ich kann alleine laufen, lassen sich mich los !", zeterte ich, doch sein Griff lockerte sich nicht im geringsten, er verstärkte sich vielleicht sogar noch ein bisschen. Er antwortete mir noch nicht einmal. "Was wollen sie von mir ? Mein Verlobter wir ihnen bestimmt Geld geben, wenn sie mich jetzt frei lassen !", versuchte ich es noch einmal, ihn zum sprechen zu bringen.
Er lachte einmal kurz und freudlos auf und ignorierte mich weiterhin.
Er schleppte mich vielleicht fünf Minuten durch den Wald, dann kamen wir an einem weißen, schäbigen Großraumtransporter an. Nicht weit von dort hatte ich auch mein rotes Cabriolé abgestellt. Er öffnete die Hecktür und stieß mich, immernoch wortlos, in den Transporter. Er stieg hinterher. Er ließ mich dabei kein einziges Mal los. Eine Hand hatte er losgelassen doch mein rechte Hand umklammerte er immer noch.
"Setz dich da hin !", sagte er ruhig und beherrscht. Ich gehorchte ohne irgendwelchen Wiederspruch. Er hatte meine Hand losgelassen und hob einen Rucksack vom Boden auf. Er ließ mich dabei keinen Moment aus den Augen. Anscheinend hatte er nicht vergessen, das ich ihm ins Gesicht geschlagen hatte. Er zog eine Plastiktüte aus dem
Rucksack und öffnete sie geräuschlos.
Wie schaffte er das ? Ich meine, ich habe noch nie eine Plastiktüte geräuschlos geöffnet. Oh man, ich wurde gerade entführt und dachte über so etwas banales nach ! Ich musste verrückt sein. Er zog ein paar schwarze Kabelbinder aus der Tüte. "Hände her !", befahl er mir. Mir blieb gar nichts anderes übrig als zu gehorchen. Ich streckte ihm meine Hände hin und sah zu wie er mir einen Kabelbinder umlegte und ihn festzog. "Nicht so fest !", schrie ich auf. Er sah mich ruhig an und ließ von meinen Handgelenken ab. Dann machte er das Gleiche mit meinen Beinen. Morgen würde ich sehr viele blaue Flecken haben, aber das war wohl für den Moment mein kleinstes Problem.
Als er die Hecktür hinter sich geschlossen hatte ließ ich mich auf den schmutzigen
Holzboden gleiten. Es war zwecklos zu schreien. Ich kannte diese Gegend, hier kam selten jemand entlang. Er hatte die Tür sorgsam verriegelt somit hatte ich auch keine Chance aus dem Transporter herraus zu kommen. Ich hörte wie er die Fahrertür zuschlug und den Wagen startete. Was würde er wohl mit mir machen ? Ich hatte sein Gesicht deutlich gesehen. Würde er mich töten ? Ich entschied mich erstmal dafür, positiv zu denken und zu glauben er wolle nur Lösegeld. Der Wagen fuhr langsam an und beschleunigte sehr schnell. Ich spürte jedes Schlagloch, alles was auf der Straße lag spürte ich viel schlimmer als in der Fahrerkabine. Ok, morgen würde ich nicht nur an den Handgelenken blaue Flecken haben, sondern am ganzen Körper. Ich stemmte mich hoch und lehnte mich gegen die kühle weiße Wand des Transporters. Wie lange würden wir wohl noch fahren ? Ob mich Leon, mein Verlobter, wohl schon vermisste ?
Ich hoffte es erst mal. Ich klammerte mich an jedes Stück Hoffnung.Vielleicht würden sie auch bald mein Cabrio am Straßenrand erkenne. Ob der Fahrer mich zufällig ausgewählt hatte, oder ganz gezielt ? Würde er mir antworten wenn ich ihn danach fragte ?
Der Wagen wurde langsamer und hielt schließlich. Ich hörte wie er die Tür zuschlug und kurze Zeit später, öffnete sich auch die Hecktür. Ich sah ihm direkt ins Gesicht. Der Vollmond beleuchtete sein Gesicht und zeichnete unheimliche Schatten auf sein Gesicht. Nun sah er noch furchteinflösender aus. Wo war ich da nur reingeraten ? Er packte mich am Oberarm und bugsierte mich aus dem Wagen. Ich schrie leise auf. Er hatte nichts von seiner brutlität verloren. Er schob mich langsam auf eine alte Fabrikhalle zu. Sollte ich jetzt schreien ? Es sah alles ziemlich verlassen aus. Er schloss eine Tür auf und zog mich mit sich in einen großen
fensterlosen Raum. Es war stockdunkel. Ich sah gar nichts. Aber er schien genau zu wissen wo er hin musste. Ich tappte ihm leise hinterher. Losgelassen hatte er mich immer noch nicht. Er zog mich nach links und öffnete eine hölzerne Tür, die in dieser Halle völligi fehl am Platz war. Sie war wahrscheinlich erst später eingefügt worden. Denn der Rest der Halle bestand aus Metall und Beton. Er stieß mich unsaft in den Raum. Endlich hatte er mich losgelassen. Ich hörte ein leises klicken und der Raum erfüllte sich mit hellem, gleißenden Licht. Der Raum war ein großes Rechteck, und es war eigetlich alles zusammen, was man in einem Haus hat. Hinten rechts in der Ecke war eine kleine Küche. Genau vor mir, mitten im Raum, stand eine schwarze Sofagarnitur. In der Mitte von ihr stand ein moderner Glastisch mit ein paar Zeitschriften. An der gegenüber ligenden Wand war ein Plasmafernseher der neusten Generation angebracht. Ich war sehr
erstaunt. Wie hatte er den ganzen Kram hier her bekommen ? Rechts von mir war noch eine hölzerne Tür. Der junge Mann folgte meinem Blick und sagte:" Das ist das Badezimmer." Aha, sowas hatte er hier also.
Hinten in der Ecke waren zwei massive Betten. Eins war mit hellblauer Bettwäsche bezogen, das andere mt dunkelroter.
Ich spürte eine sanfte Berührung an meiner Hand. Ich zuckte zusammen. "Komm, ich mach dir die Kabelbinder ab." Er führte mich in die offene Küche und zog aus einer Schublade eine Schere heraus. Vorsichtig schnitt er die Kabelbinder auseinander. Ich sah ihm ins Gesicht. Er hatte die Kaputze abgestreift und ich sah das er helle braune Haare hatte, die ihm frech ins Gesicht vielen. Zaghaft lächelte er mich an. "Was hast du mit mir vor ? Was soll ich hier ?", fragte ich ihn und sah ihm in die Augen. Er sah mich an. Hier drin war er ein
ganz anderer Mensch. Er wirkte wie ein kleiner Junge, der etwas Böses gemacht hatte. Draußen war er ein Monster, oder etwas Ähnliches. Ich rieb mir die Handgelenke und ging zu einem der Betten hinüber. "Setz dich doch !", forderte er mich auf. Ich drehte mich zu ihm um und sah in seine tollen Augen. Er hätte Model sein können. "Wie heißt du eigentlich ? Oder wie soll ich dich nennen ?", traute ich mich endlich zu fragen. Er schien kurz zu überlegen. "Ich heiße, ähh...jaah, nenn' mich doch einfach Chris.", antwortete er mir schließlich zögernd. Ich nickte und setzte mich steif auf das rot bezogene Bett. Das große Bücherregal neben mir hatte ich eben irgendwie übersehen. Es ging bis unter die Decke und war vollgestopft mit Bücher aller möglichen Themen. Ich stand langsam auf und schlenderte daraufzu. Ich war mir bewusst, dass Chris mir die ganze Zeit mit seinem Blick gefolgt war. Ich spürte ihn fast in meinem Rücken brennen. Ich nahm ein Buch aus dem
Regal und sah es mir an. Vorne war ein großes Herrenhaus abgebildet. Es war ein Roman, einer meiner Liebsten. Ich hatte ihn bestimmt schon sechs oder sieben Mal gelesen. Ich wusste gar nicht mal genau, warum ich dieses Buch so liebte. Ich tat es einfach.
Ich stellte ihn zurück ins Regal und besah mir die anderen Bücher. Es waren alles Bücher die ich schon einmal gelesen hatte, oder lesen wollte. Hatte er mich also nicht zufällig ausgewählt ? Ich dachte darüber nach. In meinem Bekanntenkreis war weit verbreitet, dass ich die Dienstagnachmittage immer bei meinen Eltern verbrachte. Ich drehte mich wieder zu ihm um. Sollte ich ihn nach den Büchern fragen ? Aber ich kam nicht mehr dazu, meinen Gedanken zu Ende zu führen. "Ich hab alle Bücher die du im vergangenen halben Jahr gelesen hast gekauft. Ich hoffe, dir gefällt die kleine Bibliothek." Ich nickte und ging zu der kleinen Sofagarnitur. Vorsichtig
setzte ich mich auf die rote Decke, die in der einen Ecke zusammengefaltet lag. "Was wollen Sie von mir, Chris ?", fragte ich leise. Er versuchte mir in die Augen zu sehen, doch ich wich seinem Blick aus und sah auf den schönen weißen Teppich. Ein dunkler Schatten legte sich über sein Gesicht. "Ich...ich will das..also, das du mich liebst. Ich weiß, das wirst du eines Tages !" Erschrocken fuhr ich hoch. Was hatte er eben gesagt ? Hatte ich mich verhört ? Ungläubig sah ich ihn an. "Bitte was ? Meinen Sie sie könnten Liebe erzwingen ?", fragte ich ihn, bemüht meine Stimme ruhig zu halten. "Nein, ich werde sie nicht erzwingen. Du wirst sie mir freiwillig geben. Wir werden ein Traumpaar werden. Weiß du wie lange ich schon auf die gewartet habe ? Nein, natürlich hast du keine Ahnung.", sprach er mehr mit sich selbst als mit mir. Spätestens jetzt war mir absolut klar das dieser Mann total verrückt war. Kein Wunder, das er bis jetzt keine Frau hatte !
Ich sollte lieber aufhören so gemein über ihn zu denken. Schließlich wollte er das ich die Frau an seiner Seite wurde. Irgendwie war er schon etwas gruselig. Ich sah mich um. Gab es hier wirklich nur die eine Tür nach draußen ? Als hätte er meien Gedanken gelesen sagte er: "Du brauchst es gar nicht zu versuchen. Die Tür da drüben ist der einzige Ein - und Ausgang. Ich schließe sie immer ab. Den Schlüssel trage ich an dieser Kette um den Hals." Er hielt eine silberne Kette hoch, an der ein großer Metallschlüssel baumelte. "Sie ist absolut abrisssicher, es wird dir also nicht gelingen sie mir abzunehmen. Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen." Er grinste und ging dann in die Küche, nahm ein großes Glas aus dem Hängeschrank über der Spüle und schenkte sich den Orangensaft von der Anrichte hinein. Er stellte die Flasche wieder an seinen Platz und sah mich an. Er leerte das Glas in einem Zug und stellte es in die Spüle.