Ein Mädchen auf der Flucht und als letzter Ausweg das Admiralsviertel, über das man sich die wunderlichsten Dinge erzählte ....
Das Herz flatterte in ihrer Brust wie ein eingesperrter Vogel. Lauf weiter! hämmerte es. Flieh! Doch ihr Verstand riet etwas anderes, mahnte, sich nicht von der Stelle zu rühren, abzuwarten. Die Stimme der Vernunft war so eindringlich, dass Edna weiterhin reglos hinter dem Zelt des Baders verharrte. Das Wimmern eines Schmerzgepeinigten hinter dem zerschlissenen Tuch vermischte sich mit dem Geschrei der Händler, dem Säuseln des Windes und dem Kreischen der Möwen zu einem vielstimmigen Singsang
Hätte sie nur Flügel wie die Vögel über ihr, die so unbeschwert ihre Kreise zogen! Wie einfach wäre es dann, zu entkommen. Die Insel verlassen zu können – was für ein schöner Traum .....
Bald würde die fürstliche Garde in die Menschenmenge preschen, rücksichtslos in ihrer wilden Jagd. Sicher hatten sie inzwischen den Fuhrmann gefunden, auf dessen Karren ihr die Flucht geglückt war und sicher war es ein Leichtes für sie, die Spur aus einem der leeren Fässer bis auf den Markt von Maujin zu verfolgen ...
Da! Da war es wieder, gar nicht weit: das Donnern der Hufe, das gierige Schnauben – die Pferde hatte die Witterung aufgenommen. Sie wussten ihre Beute ganz in der Nähe. Der Spürsinn der Wogenden Garde war berüchtigt, sie stöberten jede auf, die es gewagt hatte, aus der Burg Aquarions zu fliehen. Und sie, Edna, war die Gejagte. Die Braut, der es gelungen war, in der Nacht vor der Vereinigung mit dem Wellenfürsten zu entkommen.
Vor sieben Tagen war es gewesen, an ihrem sechzehnten Geburtstag, da waren die Schergen des Fürsten in der Hütte ihres Vaters erschienen - gespenstische Boten eines lang gefürchteten Schicksals - um den Tribut zu fordern für die armselige Existenz, die Aquarion den Inselbewohnern in seiner höhnischen Gnade gewährte: die erstgeborene Tochter. Ihre Vermählung war der Preis für ein Weiterleben ihrer Eltern und Geschwister.
Hunderten vor Edna war es schon so ergangen, seit eine Sturmflut Aquarion aus den Tiefen der See gespuckt und er mit seiner Armee der Wellenreiter das Land überrollt und die Menschen versklavt hatte. Schrecklich war er anzusehen: ein schleimiges, aufgeblähtes Ungeheuer, um dessen quallenartigen Leib sich die Algen wie Fangarme schlangen. Und noch schrecklicher war die Grausamkeit, mit der er die Menschen niederzwang. Eine unaufhaltsame Woge der Gewalt hatte den einstmals reichen Landstrich inmitten des Meeres überrollt und Leid und Lethargie gesät. Die Wagemutigen, die sich ihm und seiner Armee entgegen gestellt hatten, waren von den Klippen geworfen oder in den stürmischen Wassern ertränkt worden.
Jedes Mädchen aber wurde, sobald es das sechzehnte Lebensjahr erreicht hatte, in Aquarions Klippenburg geführt, um ihm Nachkommen zu gebären, die ihn an Grausamkeit und Hässlichkeit noch übertrafen.
Der Anführer der Wogenden Garde war der älteste Sohn des Meeresfürsten. Ungerührt, die kalten Fischaugen beinahe leblos, hatte er den Befehl erteilt, ihre Eltern zu töten, als Edna sich weinend hinter deren Rücken verbergen wollte. Oh, wie sie ihren Widerwillen und ihren Starrsinn nun bedauerte! Schließlich hatte sie gewusst, welchen Weg sie gehen musste, damit ihre Familie weiterleben durfte. Sie hatte gewusst, dass das zwar harte und entbehrungsreiche, doch behütete Fischerleben an ihrem sechzehnten Geburtstag nur noch eine wunderschöne Erinnerung sein würde. Ihr Schicksal war bereits bei ihrer Geburt besiegelt worden ....
Doch eben dieses wankelmütige Schicksal hatte in einer Vollmondnacht Morgan, den jungen Seefahrer, an den Strand gespült, nachdem die Wellenreiter seinen Dreimaster mit der gesamten Besatzung in die Fluten gezogen hatten. Wie durch ein Wunder hatte Morgan überlebt, unbemerkt von der Wogenden Garde. Edna hatte ihn gefunden, gemeinsam mit ihren Eltern gepflegt und vor den Soldaten verborgen. Morgan mit den lachenden Augen, dem sie ihr Herz geschenkt und der ihr von dem Land jenseits des Meeres erzählt hatte, ein Land, in dem die Menschen noch frei und ihre eigenen Herren waren.
Seit seiner Ankunft war ihr der vorbestimmte Weg noch unerträglicher, noch schrecklicher erschienen. Nur wenige Tage waren ihnen vergönnt, selige Stunden voller Heimlichkeiten, scheuer Liebkosungen und sanfter Berührungen.
Und so hatte sie es versäumt, der Aufforderung des Hauptmanns unverzüglich nachzukommen, hatte nur einen Augenblick gezögert und damit das Unheil über ihre Familie gebracht: Innerhalb kürzester Zeit waren sie alle ausgelöscht – ihre Eltern, ihre Brüder ....
Und Morgan.
Sechs Tage und Nächte hatte Edna ununterbrochen geweint, zusammengepfercht mit den anderen Mädchen in der Klippenburg. Sechs lange Tage und Nächte im Salz von Aquarions Ausdünstungen und im Salz ihrer eigenen Tränen. Doch als sie den goldenen Reif um ihren Hals geschmiedet hatten, war ihr in aller Deutlichkeit bewusst geworden, dass sie niemals das jämmerliche Dasein der anderen „Bräute“ teilen würde. Mit Entsetzen hatte sie ihren Blick über die Mädchen und jungen Frauen schweifen lassen, die leeren Augen, die sich hinter den salzverklebten Strähnen versteckten, die bleichen Arme, in denen sie die Brut Aquarions schaukelten, die ihnen schon bald so viel Furcht einflößen würde wie ihr Erzeuger selbst. Nein, sie wollte fliehen, um jeden Preis! Was hatte sie schon zu verlieren, außer ihrem Leben? Der Wellenfürst hatte ihr bereits alles genommen.
Die Erinnerung an die Entschlossenheit der letzten Nacht gab Edna neue Kraft. Sie hatte es geschafft, unbemerkt in einem der leeren Fässer, in denen die Muschelmilch für die Fürstensprösslinge gebracht wurde, der unmittelbaren Nähe des Tyrannen zu entkommen. Es war so lächerlich einfach gewesen, dass sie in Gedanken daran unwillkürlich den Kopf schüttelte. Sie würde es auch jetzt schaffen, der Garde zu entwischen! Vielleicht fand sie irgendwo ein Boot oder sie konnte versuchen, aufs Meer hinaus zu schwimmen, in der Hoffnung, von einem der Seefahrer, die vor langer Zeit die Insel zu einem blühenden Handelsposten gemacht hatten, an Bord genommen zu werden ...
Ein sanfter Wind ergoss einen Schwall vielfältiger Gerüche in ihr Gesicht. Hastig blickte sie über die Schulter: Hinter ihr lagen die verwinkelten Gassen des Admiralsviertels, einer Gegend, die selbst die Reiter des Fürsten mieden. Zu viele Geschichten, zu viele Geheimnisse umwoben diesen Stadtteil, in dem sich die verwegensten Gestalten schon vor Jahrhunderten ein eigenes, uneinnehmbares Reich geschaffen hatten. Die Bewohner scherten sich nicht um die Herren der Insel, hatten es noch nie getan. Und seitdem ein Trupp Wellenreiter mit der Absicht, ihren Schrecken auch auf das zwielichtige Viertel auszuweiten, als ausgetrocknete Fetzen an den Felsen verendet war, hatte Aquarion beschieden, seinen Anspruch auf die vollständige Übernahme Maujins bis auf Weiteres zu verschieben. Man beäugte sich misstrauisch, aber ließ einander in Ruhe. Die Fischer selbst trauten sich nicht in das Viertel, sie fürchteten es ebenso sehr, wie sie Aquarion fürchteten. Es war ein Ort der Glücksritter und Gestrandeten, der Halsabschneider und Halunken, Giftmischer und Geisterbeschwörer. Hier konnte man für ein paar Goldstücke seine Seele verkaufen oder dunkle Flüche erstehen, den Verstand mit Opium betäuben oder den Kopf im Würfelspiel verlieren. Viele, die sich, noch vor der Zeit der Tyrannei, von Neugier getrieben in den Teil der Stadt gewagt hatten, waren darin verschwunden und nie wieder aufgetaucht. „Gehst du ins Admiralsviertel,“ so warnten die Alten seit jeher. „dann schenk deine Seele vorher dem Teufel, denn bei ihm ist sie besser aufgehoben!“
Und doch schien Edna die Gegend hinter den knochenähnlichen Palisaden der einzige Ausweg aus ihrer derzeitigen Lage. Die süßlichen Schwaden von jenseits der Abgrenzung kitzelten ihre Nase, lockten beinahe verführerisch.
Sie wirbelte herum, als ein gequälter Schrei die Luft zerschnitt. Die Wogende Garde hatte den Marktplatz erreicht. Mit weit geblähten Nüstern, die Mäuler schaumtriefend, walzten die Wellenpferde alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Vielleicht nur ein paar Atemzüge, dann würde der Wind den Hauch der Angst, die in wässrigen Tropfen von Ednas Stirn perlte, zu ihnen herüberwehen. Ihr blieb nur noch das Admiralsviertel .... Die letzte Möglichkeit .... Ihr klopfendes Herz und ihr Verstand waren endlich einer Meinung. Sie holte tief Luft und huschte geduckt die wenigen Schritte bis zu dem Torbogen mit den gekreuzten Rudern, die den Eingang markierten.
Sobald sie hindurch geglitten war, glaubte sie sich einem merkwürdigen Bann unterworfen, von dem sie noch nicht wusste, ob es ein Fluch oder ein Segen war. Auch hier kreischten die Möwen und sie hörte die Wellen an den scharfen Klippen brechen, doch abgesehen davon war es merkwürdig still. Sie fühlte sich beobachtet, obwohl sie niemanden sah. Der Wind wehte ein verwirrendes Flüstern in ihre Ohren, doch es formten sich keine Worte. Ein Labyrinth aus engen Gassen tat sich vor ihr auf, Häuser aus grob gehauenem Stein, Lehmhütten und sogar Zelte schmiegten sich aneinander wie ein Bollwerk gegen die Außenwelt. Noch einmal sah Edna sich um, doch der Lärm des Marktes drang nicht bis zu ihr durch. Mit einem tiefen Atemzug schlüpfte sie in den nächstbesten Durchgang. Zwischen hohen Steinwänden führte ein ungepflasterter Pfad, hier und da drang ein Kichern aus schmalen Gucklöchern, doch noch immer begegnete ihr kein lebendes Wesen. Je weiter sie eilte, desto beißender wurde der eigentümliche Geruch; das würde zumindest die Pferde verwirren, sollten die Reiter sie tatsächlich bis in das Viertel verfolgen, und ihr so ein wenig mehr Zeit verschaffen.
Über ihr verschmolzen die Häuser zu einem einzigen, riesigen Dach und nur ein fahler Abglanz des Sonnenlichts drang hindurch, trotzdem war der Staub unter ihren Füßen warm. Von irgendwoher kam ein leises Pfeifen, unmöglich zu erraten, wodurch es verursacht wurde. Aber vielleicht war es nur ihr eigener Atem, der sich immer mühsamer den Weg in ihre Lunge bahnte. Sie hastete durch das Halbdunkel, wissend, dass hinter ihr der sichere Tod lauerte und vor ihr ein vielleicht schlimmeres Schicksal mit weit geöffneten Armen wartete.
Etwas zupfte an ihren Kleidern, sie schrie auf, doch es war nur eine Windböe, die um eine der Ecken gefegt war und den warmen Staub aufwirbelte. Seltsam, dass der Wind sich in diesen engen Gassen austobte, obwohl ihm doch unterhalb der Klippen das Meer zur Verfügung stand .... Sie verlangsamte ihre Schritte und folgte der kleinen Staubwolke um die nächste Biegung. Dort blieb sie stehen und presste sich schutzsuchend in die Nische einer Hauswand. Vor ihr tummelte sich ein Haufen merkwürdiger Gestalten auf einem geräumigen Platz von der Größe des Marktes, auf dem sie sich eben noch versteckt hatte. In der Mitte tanzten drei zerlumpte Frauen um einen Fahnenmast, an dem ein Wesen hing, das Edna noch nie zuvor gesehen hatte. Es wirkte nicht mehr sehr lebendig. Daneben hockten ein paar Vermummte an einem Kessel, aus dem bläuliche Dämpfe stiegen, ein Meerweibchen räkelte sich unter einem Baldachin mit goldenen Fransen. Das Pfeifen hatte zugenommen, ganz deutlich hörte Edna es durch das Dröhnen des Muschelhorns, dem ein pelziges Kerlchen eine stampfende Melodie entlockte.
Hände griffen plötzlich nach ihr und als Edna sich aufgeschreckt an den Stein in ihrem Rücken presste, starrte sie in die verwitterten Gesichter zweier Piraten. Aus ihren Mündern kroch nur ein unverständliches Lallen. Aquarion spielte gern mit den Piraten, wenn sie in seine Fänge gerieten; er ließ ihnen ihr Leben, doch nahm er ihre Zungen und verfütterte sie an seine Bälger. Die Männer griffen in ihr Haar, zerrten an dem goldenen Reif um ihren Hals. Sie wehrte sich, spuckte ihnen ins Gesicht und trat nach ihnen, doch erst eine Krächzen aus einer der schummrigen Türöffnungen ließ sie aufhören.
„Lasst sie!“
Die Piraten gurgelten Unverständliches, doch trollten sich. Dankbar sah Edna in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war und entdeckte eine alte Frau auf der Schwelle einer Hütte, die, aus Seegras geflochten, wirkte, als könnte der kleinste Hauch sie umwerfen. Auch die Alte war zart, beinahe durchsichtig, trotz der vielen Runzeln, die ihr Gesicht durchzogen und ihr schleierhaftes Gewand schwang um ihre dürren Glieder, als würde es tanzen. Das Pfeifen war nun sehr laut geworden und es hatte den Anschein, als käme es direkt aus ihrem zahnlosen Mund.
Sie winkte Edna zu. „Komm her, mein Täubchen!“
Edna zögerte, doch schließlich hatte die Alte das Piratenpack vertrieben, und so folgte sie der Aufforderung, jedoch war sie auf der Hut, bereit, jeden Moment zu fliehen. Mit vorsichtigen Schritten überquerte sie ungehindert den Platz bis zu der Seegrashütte, wo die Alte lächelnd wartete.
„Du bist eine Braut des Wellenfürsten, nicht wahr?“ fragte sie und deutete mit einer wehenden Bewegung auf Ednas Halsreif. Ihre Augen leuchteten in einem tiefen Blau, dann wieder wirkten sie grau wie ein verhangener Wintertag, wie Edna mit unverhohlener Faszination bemerkte. Unwillkürlich wich sie zurück. „Ich gehe nie wieder dort hin zurück. Nie wieder!“
„Keine Angst, kleiner Spatz, keine Angst! Ich kann dir helfen. Komm nur herein!“
„Niemand kann mir helfen“, murmelte Edna, doch die Alte legte ihr eine knochige Hand auf die Schulter und schob sie über die Schwelle ihrer Hütte. Als sie die windschiefe Tür hinter sich schloss, schnappte Edna nach Luft. Wider Erwarten befand sie sich nicht in einem Raum, sondern in einem weitläufigen Garten, der bis an den Rand der Klippen reichte. Dahinter erstreckte sich das Meer, an dem strahlend blauen Himmel jagten die Wolken einander wie eine Herde verspielter Lämmer. Silbergras und bunte Blumen wuchsen auf dem Boden, dazwischen Bäume, schlank wie junge Mädchen. Schmetterlinge flatterten von einer Blüte zur nächsten und als Edna sich mit staunenden Augen zu der Alten umwandte, nahm diese einen zitronengelben Falter auf die Hand und betrachtete ihn versonnen. Dann spitzte sie ihre Lippen und blies ihn fort. Der Luftstoß aus ihrem Mund war so gewaltig, dass nicht nur der Schmetterling bis weit über die Klippen trudelte – die Bäume neigten ihre Wipfel, so dass ihre Äste die Erde streichelten, die Sträucher und Gräser schwankten wild, Blütenblätter wirbelten durcheinander wie bunter Schnee. Das Pfeifen, das Edna schon längere Zeit wahrgenommen hatte, schwoll zu einem mächtigen Rauschen an und plötzlich wusste sie, was es war.
„Ich liebe es, wenn alles tanzt“, meinte die Alte.
„Wer seid Ihr?“ fragte Edna atemlos, während der Wind mit ihrem Haar spielte. „Eine Zauberin?“
Die Alte lächelte rätselhaft, nahm ihre Hand und zog sie zu einem kleinen Schemel inmitten eines Wirrwarrs von zersplittertem Holz, Tuchfetzen und Bruchstücken von Geschirr. Strandgut, wie es schien.
„Wenn Ihr eine Zauberin seid,“ bohrte Edna weiter. „könnt ihr mich dann verstecken vor Aquarion?“
„Du bist die erste Braut, die sich in diesen Teil der Stadt wagt.“
„Die anderen wollen nur ihre Familien schützen, darum bleiben sie. Doch ich habe niemanden mehr. Alle sind tot. Durch ... durch meine Schuld. Ich war zu eigensinnig. Ich ...“ Sie suchte nach Worten. „Mein Herz war zu sehr erfüllt ...“
Ihr Gegenüber nickte verstehend. „Du warst verliebt.“
Ohne dass Edna es verhindern konnte, rannen erneut Tränen ihre Wangen herab. Durch einen salzigen Schleier sah sie plötzlich das Gesicht des Geliebten im faltigen Antlitz der Alten. Es schien so real, als bräuchte sie nur die Hand auszustrecken, um die Wärme seiner Wangen zu spüren. Mehr und mehr verwirbelten die Konturen ... Welchen Schabernack trieb die Zauberin mit ihr?
Entschlossen wischte Edna über ihre Augen, blinzelte und blickte wieder auf. Die Alte sah wieder aus wie eben und sah betrachtete sie mitfühlend.
„Meine Liebe hat nur Unheil angerichtet“, meinte Edna dann und erstarrte. Sie hatte ein Wiehern gehört. Die Soldaten waren tatsächlich ins Admiralsviertel eingedrungen!
„Da ... hört Ihr es? Sie kommen, um mich zu holen ...“
„Sei unbesorgt“, erwiderte die Alte und nahm einen Tiegel aus dem Korb zu ihren Füßen. Sie hob den Deckel ab. „Aquarion ist nicht so mächtig, wie er euch weismachen will.“ Sie tauchte einen Finger in das Töpfchen und schnupperte an der farblosen Paste. Dann begann sie, die Salbe auf Ednas Arm zu verstreichen. Sie war angenehm kühl und sofort fühlte Edna sich ein wenig besser, unbeschwerter.
„Was ist das?“
„Das wird dir helfen, dem selbsternannten Inselfürsten für immer zu entkommen. Längst scheint er vergessen zu haben, dass er selbst einem anderen untertan ist.“
„Ich ... verstehe nicht ...“, murmelte Edna schläfrig. Die Salbe schien wahre Wunder zu bewirken, bedeckte ihre Haut mit einem weichen, angenehmen Flaum. Leicht war sie, so leicht, als könnte sie jeden Moment ihre Schwingen ausbreiten und einfach davon schweben, allem entfliehen, fort in das Land jenseits des Meeres, wo sie frei sein würde. Frei ...
Sie war so müde. Morgans Bild formte sich in ihrem Kopf und sie hörte ihn von dem Land erzählen, aus dem er gekommen war. Wunderschön war es dort.
„Du willst also nicht die Braut des Wellenfürsten sein?“ drang eine Stimme durch die Vision von silbrigen Flussläufen in einem grünen Tal. Kaum merklich schüttelte Edna den Kopf.
„Dann sei meine Braut ...“
War das Morgan, der zu ihr sprach? Es war seine Stimme, so weich, so zärtlich. Es waren seine Augen, grau-grün wie das Meer im Morgengrauen , seine Hände, die sie liebkosten, so sanft, so zärtlich ... Edna wollte die Lippen bewegen, ihn beim Namen nennen, doch ihre Zunge war zu erschöpft. Musste sie überhaupt antworten? Worte waren oftmals so unnütz, so überflüssig. Wie viel einfacher war es, sich fallen zu lassen in die Arme, die sie hielten. Sie war schwerelos, getragen von einer Macht, die stärker und größer war als die Aquarions und seiner Soldaten. Und sie drehte sich um sich selbst, schnell, immer schneller, stieg aus dem Auge des Wirbels empor bis zu den Wolken.
Über Maujin erhob sich ein gewaltiger Sturm und fauchte seinen Zorn auf den Wellenfürsten durch dessen Reich. Er riss die Mauern der Klippenburg nieder - donnernd zerbarsten sie an den steinernen Hängen. Er entwurzelte Bäume, ließ sie regnen auf die schreienden Bewohner, spielte mit ihnen, als wären sie nicht mehr als Federn und dann stieß er Aquarion mitsamt seiner Garde, den Wellenpferden und seinen Nachkommen die Klippen hinab ins Meer, dorthin, woher sie gekommen waren.
Ganz plötzlich ebbte der Sturm ab, wie ein Kind, das nach dem Toben erschöpft zu Boden sinkt. Nur ein Säuseln war zu hören, zärtlich wie ein Liebeslied.
„Komm, ich zeige dir mein Land .....“
Eine Möwe lachte und der gezähmte Wind tanzte mit seiner Braut in ihrem weißen Federkleid, neckend und liebevoll. Er ließ sie segeln auf seinen Schwingen, hinaus auf das Meer, gewährte ihr einen Blick auf das nasse Grab des Tyrannen und der goldene Ring um ihren Hals schimmerte im Sonnenlicht.
Erlkoenigin warum nur die eine Geschichte - Liebe Jerronja, viellelcht reagierst du ja auf diesen Account: Ich finde diesen Text (wie alles, was du geschrieben hast) ganz ausgezeichnet Viele liebe Grüße Franziska |
Bexx Hi Jerronja, ich finde dein Buch sehr anschaulich geschrieben. Ich mag deine altmodische Schreibweise... Zu erst hat es mich viiiel Überwindung gekostet, in dein Buch hinein zu schauen, da ich so lange Geschichten normalerweis nicht lese, aber, als ich mich in dein Buch vertieft hatte gefiel es mir immer besser!! LG, Bexx :-)) |