Julia bildet sich fort. Zumindest sitzt sie brav jeden Abend an der Schulbank und lässt sich mit Wissen berieseln. Ihre Gedanken verweilen allerdings nicht bei Algebra, Vogelflug und der Interpretation des Untertan!
Eine Ewigkeit verbrachte sie nun schon damit den Unterrichtsstoff zu wiederholen und sie machten absolut keine Fortschritte. Julia schaute ihren Lehrer an und fragte sich, wie man soviel Geduld haben konnte. Dieser Beruf musste Berufung sein, oder war er einfach von Natur aus ein geduldiger Typ? Waren Männer generell geduldiger als Frauen? Geduldig musste er sein. Sie nickte sich unmerklich selbst zu und hing weiter ihren Gedanken nach. Ihren recht privat werdenden Gedanken. Ja, sagte sie sich sinnend, das war eine Grundvoraussetzung, der perfekte Mann musste geduldig sein. Ihr perfekter Mann. Und ein hinreißendes Lächeln musste er haben, das einen schier um den Verstand brachte. Ein Blick auf die humorig verzogenen Lippen musste einen dazu bringen zu vergessen, was gerade in seinem Kopf umherging! Augen musste er haben, die einem bis zum Grund der Seele blicken konnten, Lippen, die pure Leidenschaft versprachen, sanfte Hände die einen sicher halten konnten, eine Stimme, die in die Tiefe ihrer selbst vordrang, die einen wärmen und berühren würde, wo sonst niemand Zutritt hatte! Er musste humorvoll sein, rücksichtsvoll und…
Ein verträumtes Lächeln stahl sich auf Julias Lippen und vergessen war Zeit und Raum für einen bedeutenden Augenblick. Ihr perfekter Mann, wo der sich wohl versteckte? Ob es ihn überhaupt gab? Sie schnaubte ob ihrer Abgelenktheit und fokussierte ihren Blick wieder auf ihren Lehrer. Es musste wohl so sein, es musste einfach Berufung sein! Wie seine Augen strahlten, wenn einer von ihnen etwas genauer wissen wollte, die Erwartung, die aus jeder Faser seines Körpers drang, wenn er eine Frage stellte in der Hoffnung einer von uns kenne die Antwort! Die Zufriedenheit, die ihn umgab, wenn einer von ihnen etwas richtig erfasste. Faszinierend! Unwiderstehlich. Unglaublich. Verrückt. Sie war verrückt, oder kam sich zumindest so vor. Die Stunde musste nun bald vorbei sein, aber keiner sah auf die Uhr, nicht einer rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl herum und scheinbar waren alle anderen tatsächlich voll absorbiert in der Wiederholung des Stoffes! Seltsam. Der Gong erschall, aber niemand brach in hektische Aktivität aus, die gemeinhin das Ende einer Unterrichtsstunde markierte. Einer schrecklich langen Stunde, denn anders als in den Tagesschulen die ein jeder in diesem Raum zuvor besucht hatte, war der Unterricht an dem Abendkolleg gleich doppelt so lang. Zumindest fast. Zumindest kam es einem in jedem anderen Unterrichtsfach so vor. Nicht in diesem. Niemals. Julia senkte die Stirn runzelnd den Kopf. Sie hatte einen langen Tag hinter sich, denn wie die meisten Abendschüler hatte sie ein zweites Leben. Sie war nicht nur Schülerin, sie war auch berufstätig. Neun Stunden Papierkram, bis einem die Augen brannten und dann schnell nach Hause, Tasche schnappen, Snack einpacken und ab die Schulbank drücken. Nicht mehr lange, dann würde sie ihre Abiturprüfungen schreiben, zwei Monate später würde sie arbeitslos sein, denn ihr Zeitvertrag lief aus und bisher sah es nicht so aus, als würde sie eine Verlängerung bekommen. Dann würde sie studieren. Betriebswirtschaft. Sie seufzte und wünschte sich aufstehen zu können, um aus der kleinen, liebevoll behüteten Cafeteria einen Kaffee zu erwerben. Und vielleicht ein privates Wort mit IHM haben. Sie seufzte dieses Mal lauter. Wie sollte sie es nur über sich bringen, ihn zu unterbrechen? Sie sah zu ihm herüber, plötzlich atemlos. Man konnte ihn durchaus ansehen. Sie grinste fast bei der Untertreibung. Es war seine erste Anstellung im Schuldienst und die fünf Jahre, die ihn von den Hörsälen trennten, kamen ihm durchaus zu Gute. Er hatte keineswegs das Gebaren eines Lehrers, noch kleidete er sich wie einer. Keine Hemden mit Pullunder, kein gerader Scheitel mit Gelehrtenbrille. Obwohl ihm eine Brille durchaus zu Gesicht stand, zumindest die Sonnenbrille, die er während des Schulausflugs vor einigen Monaten getragen hatte. Segeln vor der spanischen Küste, nicht gerade ihr Traum, da sie kein Wort spanisch sprach, trotzdem hatte sie es der demnächst anstehenden Reise in den Schnee vorgezogen. Wer wollte Aprés Ski, wenn man die heiße, mediterrane Sonne auf seinem bikinibedeckten Leib spüren konnte? Die Aussicht war definitiv besser! Sie zwinkerte bei dem Gedanken und verzog die Lippen zu einem verträumten Schmunzeln. Sein Haar war durch die Sonne fast goldig geworden und ihn dabei zu beobachten, wie er die Segel einholte, war es wert gewesen, in einem schaukelnden Schiff schlafen zu müssen. Sie zwinkerte, als die Tür aufging und riss ihren Blick von ihrem Lehrer los, um ihn auf die Ablösung zu richten. Es war definitiv zu spät, um sich noch einen Kaffee zu holen. missgestimmt zog sie die Brauen zusammen und presste die Lippen aufeinander. Ihr Mathelehrer, der wie stets seinen Blick zur Begrüßung über jeden einzelnen Anwesenden gleiten ließ, hob bei Julias offensichtlicher Unzufriedenheit überrascht eine Braue. Sie mochte ihren Mathelehrer und grüßte ihn gewöhnlich wesentlich freundlicher. Eigentlich mochte sie alle ihre Lehrer. Zumindest die sechs, die sie noch unterrichteten. Dass sie ihren Französischlehrer los war erfüllte sie immer noch mit profunder Freude. Oh, hatte sie den gehasst! Herr Drosselbart war ein absolut unterirdischer Lehrer, ließ seine Studenten bis zum umfallen ein und den selben Satz wiederholen und war kaum offen für Fragen. Man kam durchaus mit ihm zurecht… außerhalb des Schulzimmers! Ihre verbliebenen Lehrer waren ihr jedoch tausend Mal lieber! Vermutlich, weil sie alle den Anschein erweckten, als könne man mit ihnen Pferde stehlen. Mit ihrer Englischlehrerin war die gesamte Klasse im ersten Jahr nach London geflogen und hatten einen solchen Spaß gehabt, dass Julia sich nur deshalb anstrengte in dem Fach gut zu sein, um Mrs. Smith nicht zu enttäuschen! Die Kollegen begrüßten einander mit flapsigen Worten und ihr Lehrer verließ das Klassenzimmer mit einem Wink in die Menge. Hinter ihr konnte Julia jemanden Seufzen hören und schnaubte wissend. Wie so häufig, waren sie eine rein weibliche Runde, denn die zwei Herren, die es bis ins Finale geschafft hatten, glänzten meist durch Abwesenheit. Es blieben noch sechs Frauen zwischen fünfundzwanzig und vierzig. Nicht nötig zu erwähnen, dass ein Jede gerne etwas fürs Auge hatte und eher widerwillig in das anstehende Fach wechselten. Nicht, dass ihr Mathelehrer unansehnlich wäre, aber bei der Konkurrenz hatte er kaum eine Chance. Julia stöhnte leise. Mathematik war eines ihrer leichtesten Übungen, aber der Gedanke, weitere fünfundsechzig Minuten an Ort und Stelle zu verbringen, war alles andere als angenehm. Sie stützte das Kinn auf ihrem Handballen ab, fokussierte ihren abwesenden Blick auf ihren Mathelehrer und hing weiter ihren Gedanken nach, ohne auch nur eine Silbe von dem zu vernehmen, was besagter Herr von sich gab. Zu ihrer immensen Überraschung verflog die Zeit wie im Flug und die Stunde endete so unspektakulär, wie sie begonnen hatte. Langsam packte sie ihre Sachen ein und lauschte mit halbem Ohr den Gesprächen ihrer Mitschüler. Wie verschieden sie waren! Es war kurz vor zehn Uhr am Abend, sie war seit fast sechzehn Stunden auf den Füßen und wie sie wusste fast alle anderen ebenfalls, wie konnte man sich dann jetzt noch dafür interessieren, was die Wurzel einer negativen Zahl ergab? Oder, ob es eine Regel gab, wann minus x hoch n positiv und wann negativ war? Sie schüttelte den Kopf zwängte ihren Ordner in die Umhängetasche und verabschiedete sich mit einem leisen Adieu von den verbliebenen harten Kern. Kathrin natürlich! Julia kicherte für sich. Wenn jemand verrückt nach Zahlen war, dann Kathrin! Langsam trottete sie immer noch grinsend den Korridor entlang, ohne besondere Eile. Einige ihrer Mitschüler überholten sie, winkten ihr zu, oder wünschten ihr noch einmal ein schönes Wochenende. Sarah fragte sie, ob sie verstanden hatte, worüber Herr Dietz, ihr Mathelehrer gesprochen hatte. Mit einem Seufzer behauptete sie keine Ahnung zu haben worum es ging und verwies auf ihre Eile, um die wenig beliebte Mitschülerin los zu werden. Julia nahm den Umweg über die Balustrade, um das Treppenhaus am Lehrerzimmer zu nehmen und dann die bereits für die Nacht abgedunkelte Halle zu durchqueren. Ein Umweg, stand ihr Auto doch auf dem hinteren Parkplatz und war aus dem Schulzimmer zu sehen gewesen, währen das Lehrerzimmer am anderen Ende des Gebäudekomplexes war. Sie warf einen Blick auf die korrigierten Stundenpläne der vergangenen Woche, bevor sie sich endlich auf den Weg zum Parkplatz machte. Neben ihrem grünen Golf waren nur noch zwei weitere Wagen übrig. Abgelenkt durch den unbekannten Citroen neben ihr wühlte sie in ihrer Tasche herum, ohne ihre Schlüssel zu finden. Mit einer Verwünschung auf den Lippen, leerte sie die Tasche auf ihrer Motorhaube und durchsuchte akribisch jede versteckte Mulde, ohne ihren Schlüsselbund zu finden. Sie fluchte leise. Sie musste ihn im Klassenzimmer verloren haben! Schnell quetschte sie ihre Sachen zurück in die Tasche und lief um das Gebäude herum zum Haupteingang. Wenn eine Tür so spät Abends noch offen war, dann diese. Sie hatte kein Glück. Sie rüttelte und klopfte an das Glas, aber hinter der zweiten Tür lag das Foyer in tiefer Dunkelheit. Recht verärgert über ihre Dummheit und dem unmöglichen Ausgang ihrer sehr langen Woche, fragte sie sich mit steigender Verzweifelung, was sie nun tun sollte. Ihr Mathelehrer kam ihr in den Sinn und sie sputete sich die Daumen drückend um das Schulgebäude herum, dass während der Tageszeit ein stink normales Gymnasium war. Es standen nur noch zwei Autos dort, ihr Golf und der Citroen direkt daneben. Noch einmal wühlte sie in ihrer Tasche, determiniert ihn durch bloßer Willenskraft doch noch in der Tasche zu finden, denn wenn sie näher darüber nachdachte, war ihr Tisch leer gewesen. Ihre Augen wanderten dabei ehr zufällig über die ausgeleuchtete Fahrgastzelle und ihre Hände stockten entsetzt. Da lag er! Auf dem Beifahrersitz, gut erkennbar und unverwechselbar! Sie hatte die Autotür wie gewöhnlich mit dem Knopf verschlossen anstatt mit dem Schlüssel, um Zeit zu sparen. Zeit, die sie dieses Mal vertan hatte, weil ihr Snack aus der Tasche gepurzelt und im Fußraum gelandet war. Sie stöhnte resigniert. Wie peinlich! Gut, dass niemand mehr da war, um Zeuge ihrer unermesslichen Dummheit zu werden! Ein Mundwinkel hob sich in Selbstverunglimpfung. Selbst vermeintliche Streber waren dumm wie Brot, wenn es drauf ankam! Eine warme Hand legte sich auf ihren Rücken und sie sprang mit einem erschrockenen Aufschrei zur Seite. Nicht besonders weit, schließlich war sie zwischen den Autos eingekeilt. Er entschuldigte sich dafür, dass er sie erschreckt hatte und Julia legte sich errötend eine Hand auf das Herz, das nun nicht mehr vor Schreck wie wild klopfte. Ihr Lehrer! Gab es etwas peinlicheres als seine Dummheit zu demonstrieren? Fragte sie sich lakonisch und fand ohne darüber nachzudenken eine Antwort. Sie einzugestehen! Was musste er jetzt nur von ihr denken? Er lachte leise, sein weicher Blick auf den Corpus delicti haltend. Sie würde nie wieder zum Unterricht erscheinen! Schwor sie sich. Warum nur versank sie nicht endlich im Boden? Konnte sie die Situation noch irgendwie retten? Sie warf ihm einen vorsichtigen Blick unter den Wimpern hervor zu und seufzte dann unterdrückt. Offensichtlich nicht, er sah sehr belustigt aus! Und dieses Lächeln… das sollte definitiv verboten werden. Es war hinreißend… es war… Unglaublich! Er bot ihr tatsächlich an, sie nach Hause zu fahren! Unsicher sah sie zu ihm auf, dann zurück in ihren Wagen. War das klug? Fragte eine mahnende Stimme in ihrem Kopf, die sogleich von ihrem hüpfendem Herzen weggewischt wurde. Es war ohnehin nichts zu machen. Der Zweitschlüssel lag bei ihrem Vater und der einzig andere Weg nach Hause zu kommen, war die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, was dann hieß, eine Dreiviertelstunde auf den Bus warten, eine weitere um durch die ländliche Gegend um Unna herum zu gondeln, um in Rünthe mindestens fünfzehn Minuten nach Hause zu wandern. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, nach ihrem Auszug aus ihrem Elternhaus in der Nähe zu bleiben? Die Zentralverriegelung seines Wagens klickte und sie drehte sich zu dem Citroen um. Neidisch verglich sie ihre eigene Rostlaube, einen alten VW Golf, der gut und gerne auf ihr eigenes Alter kam, mit dem Neuwagen. Er hielt ihr die Tür auf und sie folgte der stummen Weisung. Er schlug die Tür zu mit einem Zwinkern. Julia verfolgte mit den Augen, wie er um das Heck herumging und spielte konzentriert mit den Fransen ihrer Tasche, als er einstieg. Sich an den Sicherheitsgurt erinnernd, griff sie mit der linken Hand nach ihm und ruckelte dann an ihm. Als er sich immer noch nicht löste, drehte sie sich leicht in Richtung Tür. Er fragte, ob er helfen könne und Julia warf ihm einen bösen Blick über die Schulter zu. Sie mochte dumm genug sein, ihren Schlüssel im Auto liegen zu lassen und die Tür zu verriegeln, aber man sollte ihr doch zutrauen sich von alleine anschnallen zu können! Sie widmete sich wieder der Aufgabe den Gurt aus seiner Verankerung zu lösen und zerrte an ihm, ohne ihn auch nur ansatzweise zu lockern. Er lachte auf und wiederholte amüsiert über ihre ergebnislosen Versuche sein Hilfsangebot. Sie murrte leise. Nach einem weiteren Moment der fruchtlosen Lockerungsversuche, gestand sie sich ein, dass das nicht ihr Tag war und einfach alles schief lief. Seufzend ließ sie von ihrer Aufgabe ab und bat um Unterstützung. Er lehnte sich vor, ein Arm um die Kopfstütze geschlungen und nestelte mit der freien Hand an der Halterung des Gurtes. Seine Schulter berührte ihre und sandte ein angenehmes Kribbeln durch sie hindurch. Hitze stieg ihr in die Wange und sie fragte sich atemlos, warum er solange brauchte, denn wenn er ihr noch lange so nah war, wer weiß, wozu sie sich dann hinreißen ließ? Beinahe hätte sie geschnaubt. Sie würde sich zu nichts hinreißen lassen, sagte sie sich fest und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Himmel, roch er gut! Verflixt, konnte sie damit nicht aufhören? Julia wäre gerne auf ihrem Sitz herumgerutscht, fürchtete aber, das jede Bewegung ihrerseits lediglich zu mehr Körperkontakt führen würde. Alles andere als wünschenswert! Sie schloss die Augen und dachte angestrengt an etwas anderes. Er roch wirklich gut. Sie inhalierte tief, dann stoppte sie sich mit knirschenden Zähnen. Hör auf damit! Mahnte sie sich verärgert, was wird er denken, wenn du dich so unmöglich anstellst? Julias Finger vergruben sich in den Fransen ihrer Tasche und drückten sie fast schmerzhaft auf ihren Schoß. Was sollte sie tun? Die Luft anhalten? Gar nicht auffällig! Warum dauerte das denn so lange? Langsam wurde ihr unerträglich heiß. Sollte sie die Augen aufmachen, um seinen Fortschritt abzuschätzen? Eigentlich keine schlechte Idee, aber konnte sie seinen Anblick jetzt verkraften? Konnte es noch schlimmer kommen? Schließlich fühlte sie sich ohnehin schon fürchterlich dumm… und fürchterlich angezogen. Sie blinzelte. Erschrocken stellte sie fest, dass er sie angrinste und hielt nun doch den Atem an. Nicht rot werden! Quiekte eine panische Stimme in ihrem Kopf, leider eine, die nicht sonderlich viel zu sagen hatte und daher einfach überhört wurde. Wie peinlich! Schnell versuchte Julia ihre ungehörigen Gedanken auf etwas völlig unerotischen zu konzentrieren. Mathe! Was war noch gleich die dritte Wurzel aus 81? Sie zischte den Tränen nahe, musste er jetzt auch noch mit ihr reden? Als würde sie es fertig bringen zu antworten! Ob alles in Ordnung wäre, also bitte! Sie versuchte zwanghaft sich davon abzuhalten ihm um den Hals zu fallen! Sie schluckte, versteifte sich und öffnete die Lippen. Erst der zweite Anlauf brachte eine Erwiderung zuwege: Sie war müde. Gute Ausrede, wahre Ausrede! Sie entspannte sich bei seiner Versicherung, dass er den Gurt gleich gelöst hatte und vergaß seine imminente Nähe. Seine Lippen zuckten und in seinen grauen Augen stand deutlich geschrieben, dass er es besser wusste. Er wusste es… Julia fehlte der Atem. Wie schrecklich! Wie peinlich! Warum musste er ihr auch so nahe kommen? So nahe, dass sie die Struktur seiner Iris ausmachen konnte. Das Flechtwerk, dass das helle Grau mit einem dunkleren Farbton durchzog. So nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Sie bräuchte sich nicht einmal wirklich vorlehnen, um ihn zu küssen… Ups! Dumme Idee! Wenn er doch nur endlich den Gurt lockern würde, damit sie heute noch nach Hause kam! Wenn er doch bloß nicht so lächeln würde! Wenn er sie doch nur nicht so ansehen würde. Wenn er sie doch nur küssen… Er sah sie wieder an, Lippen leicht geöffnet, Augen strahlend wie Sterne. Ihre Pupillen weiteten sich und sie stöhnte leise auf. Er würde doch jetzt nicht… ganz sicher nicht! Sie gehörte in eine Anstalt! Sie war völlig durchgedreht! Er bot ihr lediglich an sie zu Hause abzusetzen und war ihr freundlicherweise mit dem Lockern des vermaledeiten Gurtes behilflich! Reiß dich zusammen! Julia folgte ihrem Rat unter Schwierigkeiten. Der Gurt war locker und er bat sie sich anzuschnallen. Sie zwinkerte und nickte. Ihre Hände zitterten leicht, als sie der Aufforderung nachkam und während der Fahrt sah sie mit einem schuldbewussten Grinsen in die Nacht hinaus. Wer wird denn da behaupten, ihr Leben sei langweilig?