Einleitung
Matrioschkas sind die russischen Puppen in der Puppe
die puppen in der puppe
Das Märchen von der Entstehung der Matrioschka
Es war einmal ein russischer Zar, der keinen männlichen Thronfolger hatte, dafür aber eine bildschöne Tochter. Viele Freier aus edelstem Stande waren schon gekommen, aber sie hatten dieses Mädchen nur wegen ihrer Schönheit oder nur wegen ihres Reichtums heiraten wollen. Der Zar aber war ein sehr kluger und umsichtiger Herrscher und deshalb stellte er auch ganz bestimmte harte Anforderungen an seinen zukünftigen
Schwiegersohn und Nachfolger.
Keiner der bisherigen Bewerber hatte seinen Vorstellungen entsprochen und so beschloss er mit seinen Beratern, dass derjenige seine Tochter bekommen sollte, der eine bestimmte Aufgabe zu lösen im Stande war.
Er erließ ein Dekret und veröffentlichte es im ganzen Land. Das Dekret lautete: „Derjenige soll meine Tochter bekommen und nach meinem Tode Zar werden, der aus einem Stück Baumstamm von einer halben Elle Länge und einer Spanne Dicke die meisten Puppen herzustellen im Stande ist. Die Arbeiten sollen bis zum Festtag von Boris und Chleb fertig sein und im Zarenpalast
vorgestellt werden.“
Nun begann überall im Land bei den heiratsfähigen jungen Männern eine eifrige Arbeit. Bei der Lösung dieser Aufgabe wollten Handwerker aller Art ihr Glück versuchen. Schließlich war der Preis, den es zu erringen galt, sehr hoch!
Unter ihnen war auch Iwan, ein junger Drechsler, der die Zarentochter schon lange im Geheimen liebte und nicht wusste, wie er ihr seine Zuneigung zeigen sollte. Er überlegte immer wieder hin und her und war traurig, weil er keine Lösung für diese Aufgabe fand. Als er schon ganz verzweifelt war und nur noch drei Tage bis zum
Abgabetermin übrig blieben, hatte er in der Nacht folgenden Traum:
Die Zarentochter kam zu ihm, in der Hand ein Stück Holz. Sie stellte es vor ihm ab, so dass er dessen Größe genau wahrnehmen konnte, Plötzlich verwandelte sich das Stück Holz in eine Puppe, rundlich geformt, ohne Arme und Beine, aber so bemalt, dass ihr dennoch nichts fehlte. Die schöne Zarentochter öffnete die Puppe. Heraus kam eine weitere, gleich gestaltet, nur etwas kleiner. Und so ging es fort und fort, bis nur ein winziges Holzkügelchen übrig war.
In diesem Augenblick erwachte der junge Mann. Es war Morgen geworden und nun
grübelte er über die Verwirklichung seines Traumes. Aber es dauerte nicht lange und er hatte die Lösung gefunden und machte sich umgehend an die Arbeit.
Als Iwan damit fertig war, begab er sich eilends auf den Weg zum Zarenpalast, wo er schließlich als Letzter in der Schlange der Wartenden stand. Iwan musste von den anderen viele Fragen über sich ergehen lassen, aber er hütete seine Arbeit und ihr Geheimnis wie einen kostbaren Schatz. Und er war sehr einsilbig. Einer nach dem anderen kam mit enttäuschtem Gesicht oder Tränen der Trauer oder Wut oder gar Verzweiflung wieder aus dem Palast.
Doch schließlich kam auch er an die Reihe. Der Zar und seine Tochter waren höchst enttäuscht, dass er nur eine Puppe mitgebracht hatte und die war noch dazu wesentlich größer als alle anderen. Aber sie war wunderschön bemalt und ihr fehlte wirklich nichts. Dann bat der junge Mann den Zaren, die Puppe zu öffnen. Und siehe da! Eine weitere kam zum Vorschein. Und wieder bat er den Zaren, auch diese zu öffnen. Und so ging es fort und fort, bis schließlich eine ganze Reihe Puppen, eine schöner bemalt als die andere, eine immer kleiner als die andere, vor dem Zaren und seiner Tochter standen. Die letzte war nur noch ein winziges Holzkügelchen.
Unterdessen hatten die jungen Leute viele Blicke gewechselt und außerordentlichen Gefallen an einander gefunden.
Da sprach der Zar: „Mein Sohn, du hast die Aufgabe am besten gelöst, denn du hast wirklich die meisten Puppen mitgebracht und nichts von dem Holz verschwendet. Als Lohn bekommst du meine Tochter zur Frau.“ Und er legte die Hände der beiden jungen Leute in einander, segnete sie und sie wurden überaus glücklich und hatten viele Kinder. Und nach dem Tode des Zaren bestieg Iwan den Thron und herrschte voll Weisheit und Güte bis an sein Lebensende über dieses riesige Reich.
Und wir dürfen uns bis heute an Iwans Puppen in der Puppe erfreuen.
© Titelbild und Text Heidemarie Opfinger