Beschreibung
Nicht mehr aktuell, aber jetzt in Zeiten der Wirtschaftskrise, wo sich so mancher vielleicht den Schilling zurückwünscht, ganz interessant ist folgende Geschichte...
Ein Schilling ist traurig
Ich bin vom Aussterben bedroht und dabei weiß ich gar nicht, was ich angestellt haben soll. Alle reden immer nur vom Euro. Man stelle sich das mal vor: MICH soll es am 1.1. 2002 nicht mehr geben! Das ist doch schrecklich! Was wird dann aus mir? So viele Jahre war ich der König in Österreich und jetzt soll das vorbei sein? Auf allen Preiszetteln stehe ich nur noch kleingedruckt, während mein Erzfeind der Euro ganz groß geschrieben steht. Und die Preise sind in die Höhe getrieben worden. Ich war eine viel ehrlichere Währung! Aber noch ist alles halbwegs in Ordnung. Ich stecke im Portmonee einer alten Frau. Die wird mich bestimmt nicht so schnell vergessen. Die Alten sind treuer als die Jungen. Aber Halt: Sie bleibt stehen, holt ihre Geldtasche heraus und greift nach mir. Hat sie meine Gedanken erraten? Will sie mir helfen, mit meinem baldigen Dahinscheiden fertig zu werden. Nein! Auf der Straße sitzt eine Bettlerin. Meine alte Freundin lässt mich fallen. Ich falle in den Plastikbecher, den die Bettlerin vor sich stehen hat. Grausame Menschen! Alle haben sie mich vergessen. Ist das denn fair? Die Lebenserwartung eines Menschen beträgt etwa 80-90 Jahre, manche leben sogar länger. Und mit mir soll schon nach wenigen Jahrzehnten Schluss sein? Das lasse ich mir nicht gefallen. Wenn ich doch nur etwas dagegen tun könnte. Aber ich habe keine Chance. Die Bettlerin greift mit schmutzigen Fingern nach mir – und ist enttäuscht. Ich bin ihr wohl zu wenig Geld. Ich möchte weinen, aber ich kann nicht. Die Bettlerin wirft mich auf die Straße. Da liege ich nun, von der Welt vergessen. Niemand wird mich aufheben, ich bin nur eine einsame Ein-Schilling-Münze. Die Bettlerin geht fort. Plötzlich kommt ein Junge und gibt mir einen Tritt, sodass ich vom Gehsteig auf die Straße falle. Ich schreie vor Schmerz, Enttäuschung und Verzweiflung, aber niemand hört es. Niemand versteht die Sprache einer aussterbenden Münze. Was geschieht mit mir? Wie lange werde ich liegen bleiben? Vielleicht wird ein Hund seinen Harn auf mir versprühen, und ich muss es hilflos geschehen lassen. Erbarmungslos wird der Regen auf mich niederprasseln. Plötzlich sehe ich ein Auto, das auf mich zurast. Ein kurzer scharfer Schmerz; ich bin plattgedrückt worden. Platt und flach wie eine Flunder. Ein kleiner Junge hat es gesehen und hebt mich auf. „Den behalte ich mir!“ sagt er. „Der sieht cool aus!“ Ich bin glücklich. Wenigstens einer erkennt mich an und will mich als Erinnerung behalten. Na ja, eine plattgedrückte Münze ist ja auch etwas Besonderes. Ich bin jetzt bestimmt sein Glücksbringer!