Kurzgeschichte
Denn er ist schuld

Denn er ist schuld

Da sitzt sie jetzt. Im Bus, auf dem Weg nach Hause. Tränen laufen über ihre zarten Wangen. Sie schließt die Augen und holt tief Luft. Schwarze Tränen fließen unaufhaltsam. Sie schaut aus dem Fenster, sieht das saftige Grün, den meerblauen Himmel und die lieblichen  Vögel. Sie verflucht diesen Tag. Er wird ihr immer in Erinnerung bleiben. Der Tag, an dem es endete, so, wie alles endet. Es ging alles so schnell und doch so schmerzvoll. Sie kann es noch nicht  fassen, doch ihre Tränen kann sie nicht aufhalten. Der Bus hält und sie steigt aus. Wie in Trance, geht sie die Straße entlang. Ihr Blick ist auf ihre Füße gerichtet. Tränen tropfen auf die Pflastersteine und trocknen nur langsam. Dunkle Flecken bleiben zurück. Er hatte sie einfach verlassen. Er liebt sie nicht. Niemand kann sie lieben. Es ist aus. Sie kann nicht mehr. All die Schmerzen. Das Loch in ihrem Herzen ist zu groß. Es droht zu reißen und sie in kleine Stücke zu sprengen. Bei dem Gedanken legt sie ihren Arm fest um die Hüfte. Drei Minuten braucht sie, um den Schlüssel im Schloss zu drehen. Sie lässt ihre Tasche fallen und rennt die Treppe hinauf. Im Schrank stehen Tabletten. Sie weiß, dass ihre Mutter sie zum Einschlafen benutzt. Sie nimmt die ganze Packung mit, setzt sich und beginnt zu schreiben. Der Brief endet mit „Ich werde dich immer lieben.“ Eine letzte Träne fällt auf das Papier. Wie ein Diamant liegt sie vor ihr und schimmert in allen Farben des Regenbogens. Dieses wunderschöne Tröpfchen salzigen Wassers ist das Schönste auf der Welt und doch drückt es tiefsten Schmerz aus. Sie schluckt Tabletten um Tabletten. Die Packung ist leer. Still liegt sie da und schließt die Augen. Sie sieht sein Gesicht zum letzten Mal. Sein Blondes Haar schimmert wie Gold. Sie sieht in seine stahlblauen Augen und ist gebannt. Er verschwimmt vor ihrem inneren Auge. Sie ist schmerzlos und befreit. Ihr Geist schwebt über ihr und betrachtet die erbärmliche Figur, die sie ist, die sie war. Nun hat es ein Ende, doch sie wird weiter leben. Man stirbt erst dann, wenn man vergessen ist. Er wird sie jedoch nie vergessen, denn er ist schuld.