Die Fahrradtour
Der Pfalzgraf auf dem Fahrrad? War er nicht immer derjenige, welcher sich dieser Art der Freizeitbewältigung aufs Äußerste widersetzte? War er nicht derjenige, welcher jenen Sonderlingen der menschlichen Rasse, welche ihre abgemagerten Körper in geschmacklose Trikots pressten und ihre Hakennasen unter einem Helm verbargen stets einen Unfall mit schmerzhaftem Ausgang wünschte?
Er war dieser Mensch.
„Pfalzgraf – wie wäre es heute Mittag mit einer Radtour?“ frohlockte seine Kurpfälzerin an einem wunderschönen sonnigen Frühlingstag. Er verschluckte sich nahezu an seinem Frühstück. „Ich und ein Fahrrad – Dies sind Dinge die nicht zusammenpassen“ erwiderte er erschrocken, „ebenso wie Foxtrott auf Rockmusik tanzen oder ein leckeres Stück Fleisch in zerlaufenen Käse tunken“.
Doch dies waren schreckliche Dinge, welche seine Kurpfälzerin gerne tat. Könnte sie eventuell auch insgeheim der zweirädrigen Leidenschaft frönen? Kannte er seine Angebetene so wenig? Er bekam Angst. Er wusste – Es bedurfte der Kurpfälzerin nur wenig Überredungskunst ihn zu animieren. Zwar hat er es stets vermieden ihren anderen zwielichtigen Gelüsten nachzugeben – aber jetzt und heute?
Sie schaute ihn einfach von oben bis unten an. Ihr Blick blieb offensichtlich an seiner Taille hängen. „Schaden könnte es Dir nicht“ intonierte sie, während sie diese Blicke durch handgreifliches Zwicken in die pfalzgräflichen Rundungen noch unterstrich.
Er wollte einmal ganz Mann sein: „Ich weigere mich“ bekannte er furchtlos.
„Kein Problem“ wir müssen nicht radeln – wir können auch anders abnehmen – wie wäre es heute Abend mit etwas Salat und Toast?“
In Anbetracht dessen, dass er sich schon seit Stunden auf den sonntäglichen Schweinebraten gefreut hatte, hatte die kurpfälzische Überredung binnen Sekunden gefruchtet. „Aber nur, wenn auf unserem Weg ein nettes Bierlokal liegt“ wandte er noch verbissen ein. Die Kurpfälzerin – dem edlen Hopfen auch nie abgeneigt – stimmte hier freudig zu.
Der frühe Nachmittag nahte. Womit sollte er seinen gräflichen Körper bekleiden. Er wollte es dringend vermeiden, wie eines seiner Hassobjekte zu erscheinen, also gewandete er sich locker und leger mit einer Dreiviertelhose und einem Leinenhemd. So sollte niemand auf seinem Weg vermuten er fühle sich als Radprofi.
Sie bestiegen ihre beiden älteren Damenräder – ein Herrenrad hat leider niemals den Weg in ihre Garage gefunden – und erklärten ihrer Hündin Frida durch intensive Gebärdensprache, dass ein sportliches Großereignis dem Rhein-Neckar-Raum bevorstand. Frida war sehr angetan. „Endlich unternehmen diese faulen Säcke mal etwas Ordentliches mit ihrem Tier“.
Sie radelten beschwingt los. Zumindest die Kurpfälzerin schien glücklich. Der Pfalzgraf hingegen zog seinen Kopf ein und hoffte, dass ihn keiner der Nachbarn erkannte. Radfahren kann sehr peinlich sein.
Den Ort verlassen, führte sie ihr Weg gemütlich über Felder und Äcker, während die Hündin wohlgelaunt in leichtem Trab nebenher lief. Doch nach wenigen Kilometern bemerkte der Pfalzgraf Regionen an seinem Körper, welche er bisher nicht einmal kannte. Was war das - Diese fremd anmutenden Flächen zwischen seinen Knien und seinen Füßen, welche sich nun bemerkbar machten? Er hielt kurz an und befragte seine Gefährtin. Der Hund konnte leider keine Auskunft geben. „Dies sind Deine Waden – Sie sind der Beanspruchung wohl nicht mehr gewachsen“ verkündigte sie einer Krankenschwester gleich. Er vertraute ihr auch ohne weißen Kittel und fuhr tapfer weiter.
Weitere Kilometer gefahren offenbarte sich ihm ein weiteres körperliches Manko: Die Lunge schrie nach Sauerstoff. Sie, welche frische Luft kaum kannte und ihre Nahrung üblicherweise nur aus Zigarillorauch bezog, zeigte sich äußerst verwundert. „Frische Luft ohne dunklen Qualm?“ sie glaubte ihrer teerverklebten Flächen schon nicht mehr trauen. „Dass mir dies in meinem Alter noch passiert?“ Die Lunge war glücklich wie der Hund und wollte mehr. Dies veranlasste unseren Pfalzgrafen zu heftigem Schnaufen.
So fühlte er sich gequält und überlegte ernsthaft ob es nicht doch ein Fehler war das Geschäft „Radfahren gegen Schweinebraten“ einzugehen. Salat wäre nicht übler gewesen als diese Tortur.
Doch er radelte tapfer weiter, insbesondere da ihm seine Kurpfälzerin freudig erläuterte, dass ein Biergarten in nicht weiter Entfernung auf sie wartete. Er sah ein frisch gezapftes Pils vor seinem geistigen Auge und radelte wie Lance Armstrong in seinen besten Zeiten. Die Aussicht auf Bier ist für unseren Helden das reine Dopingmittel.
Das Ziel ihrer Radtour war erreicht. Ein netter Biergarten inmitten wunderschöner Natur erwartete sie. Dies dachte er zumindest. Doch der Biergarten war anderer Ansicht. Er verwehrte den durstigen Sportlern den Eintritt. „Wegen Konfirmation heute geschlossene Gesellschaft“ verweigerte ihnen ein ungeheueres Schild den Zutritt.
„Was geht mich Eure Konfirmation an!“ schrie der Pfalzgraf wütend „Ich bin aus der Kirche ausgetreten und will jetzt ein Bier“. Die Kurpfälzerin schaute ebenso verblüfft. Ihr Lebensgefährte kam in Rage: „Und wenn ihr arme hebräische Jungen beschneidet – ich will trotzdem ein Bier“. Es halb nichts. Die Pforten zur Glückseligkeit blieben dem Trio verschlossen. Die Vertreibung aus dem Paradies begann, bevor sie dieses betreten hatten.
Was blieb ihnen übrig. Sie fuhren weiter. Die Menschen lechzten nach Bier, das Tier hätte zur Not auch mit Wasser vorlieb genommen. Doch es blieb unseren Sportlern verwehrt.
Doch Gott der Herr hatte ein Einsehen mit den drei Heiden. Er lenkte sie auf ihrem Heimweg, welcher sie über eine andere Route führte nach wenigen Kilometern an einem Schild vorbei: „200 Meter rechts – Biergarten geöffnet“. Sie erkannten diesen Wink des Himmels und bogen rechts ab.
Der erste Schluck war der beste. Kühles frisch gezapftes Bier rann ihre Kehlen hinab. Frida durfte sich an frischem Wasser gütlich tun. Doch dieses kleine Pils war eindeutig zu wenig. Sie gönnten sich noch 3-4 weitere dieser kleinen Dopingmittel. „Dann fährt es sich besonders gut“ argumentierte der Pfalzgraf bei jeder weiteren Bestellung. Die Kurpfälzerin lächelte geheimnisvoll in sich hinein.
Es gab gute Gründe für die Heimfahrt. Der Pfalzgraf forderte seinen versprochenen Schweinebraten ein. So machten sie sich auf den Weg. Diesmal rebellierten weder Waden noch Lungen: Doch das Gleichgewichtsgefühl meldete sich nun zu Wort und verweigerte ihnen das Vorankommen per Fahrrad. Kaum aufgesessen drehte sich diese wundervolle Welt in all ihrer Pracht. Sie waren wohl betrunken.
So führten sie ihre Räder zu Fuß nachhause. Frida dankte es ihnen. Ihr bedarf auf leichten Trab war für heute gestillt.