Evelyne erzählt
In Anna schrillten die Alarmsirenen. Da war es wieder, das Sirren und Vibrieren, von allen Seiten kam es. Panisch schrie Anna den Kindern zu, ins Haus zu kommen. Sofort kamen alle gelaufen, auch Robert und der Knecht. Sie wussten, dass Annas Anweisungen immer sinnvoll waren, und leisteten sofort Folge.
Beunruhigt standen sie in der Stube zusammengedrängt, die Kinder hängten sich an ihre Mama, sie nahm Angelique auf den Arm. Jetzt hörten sie es alle, das leise, gefährliche Brummen, wie von einer zornigen Hornisse. "Mutter Gottes, steh uns bei!" Anna versuchte die Nebel vor ihrem Geist zu durchdringen, um Simon und Julienne zu finden. "Wo, wo nur soll ich sie suchen?"
Das immer lauter werdende Dröhnen ließ die Scheiben im Haus erzittern, und das Geschirr in der Vitrine klirrte leise. Die Füße fingen an zu kribbeln, und es erzeugte ein unbehagliches Gefühl in der Magengrube.
"Simon! Julienne!", rief Anna innerlich, doch das grässliche Geräusch legte sich auf ihren Geist, wie ein schwarzes Tuch.
Das Haus erzitterte in den Grundfesten, als die Maschine im Tiefflug darüber hinweg fegte. Ein scharfes, pfeifendes Tackern kam nun dazu, wie Messer bohrte es sich in Annas Kopf. Die Kinder weinten und Robert hielt seine Frau fest, die umzufallen drohte.
Das Brummen wurde plötzlich leiser, als würde der Ton durch ein Hindernis verschluckt, gleichzeitig schien es sich rasch zu entfernen.
Alle - bis auf Anna - atmeten auf.
Da! Der schwarze Vorhang zerriss, sie konnte vor ihrem inneren Auge ihre Kinder sehen, eng umarmt standen sie auf dem Hügel hinter dem Haus. Sie konnte ihre Stimmen in ihrer Brust hören: "Hilf uns Mama, Mutter Maria!"
Anna drückte Robert das Mädchen in den Arm und rannte los, wie von Furien gehetzt.
"Simon, Julienne! So lauft doch los, zum Wald, dort seid ihr sicher!"
Schon kann sie sie sehen, still wie zwei Statuen stehen sie oben auf dem Hügel und küssen sich, als könne ihre Liebe das Böse vertreiben.
Da ist der drohende, ungeduldige Lärm des bösen Insektes wieder, und diesmal will es ein Opfer, Anna spürt es in ihrem Herzen.
"Nimm mich! So nimm doch mich!", ruft sie, und wirft ihre Arme in den Himmel.
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Zwischen den Welten
"Warum sie uns wohl ihre kostbaren Ringe geschenkt haben?" flüsterte Joan. Diese Vollmondnacht, und ihre Reise durch den Frühling, war erfüllt von Zauber. Vergangenheit und Gegenwart verknüpften sich auf magische Weise. Der Äther um sie herum schien vor Energie förmlich zu knistern, und sie konnten die Anwesenheit von unsichtbaren Wesen fast körperlich spüren.
"Ich glaube, wir sollen etwas zu Ende bringen...", überlegte Sabina. "Ist es nicht ungewöhnlich, dass zwei Kinder sich so lieben, dass sie sich silberne Ringe mit eingravierten Namen machen lassen?"
Sabina schwieg, ein Windstoß fegte aus dem Nichts den Hügel hinauf und ließ das feine Laub der Birke silberhell über ihnen rascheln.
Eine Gänsehaut über-rieselte die Beiden.
"Sie müssen gestorben sein, bevor...", begann Joan. Sabina legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen, und drehte seinen Kopf sanft in Richtung des alten Gehöftes.
Dort waren alle Lichter im Haupthaus angegangen, auch der Platz im Inneren des Vierseithofes war nun durch einen Scheinwerfer am Hausgiebel von Licht überflutet. Eine Gruppe von Menschen stand dort ganz ruhig und sah zu ihnen hinüber. Still und regungslos standen sie da, wie Statuen.
"Sie warten auf uns!", flüsterte Sabina, und lachte leise, als sie sah, wie Joans Hände reflexartig sein aufgerichtetes Geschlecht bedeckten. "Sie können uns doch nicht sehen!", beruhigte sie ihn amüsiert, "Sie stehen im grellen Licht und wir im Mondschatten!"
Joan griff trotzdem hektisch nach seiner Hose, und schlüpfte hinein.
"Wir sollten zu Ihnen gehen!", meinte Sabina, "mit Sicherheit wissen sie etwas über die Kinder, die Kerze und die Blumen können ja nur von dort stammen. Ist ja sonst weit und breit kein Haus!"
Fortsetzung folgt...
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