Beschreibung
Eigentlich hat meine Kindheit ja mit den Briefen meiner Mutter absolut nichts zu tun, denn ich bin ja erst im Jahre 1949 geboren. Da ich aber alles erzähle, fallen mir parallel zu Mutters Liebe natürlich Kindheitserinnerungen ein, die ich doch ab und an, wenn es passt, gern einflechten möchte
.Der erste Brief.
Dies ist der erste Brief, den meine Mutter meinem Vater schrieb. Er war damals schon Soldat. Mutti war gerade 24 Jahre alt und Papa 28. Das heißt, ob es der erste Brief war, das glaube ich nicht, es ist aber der Erste, den ich besitze.
Ganz bewusst, habe ich nichts an dem Text geändert. Ich wollte alles so lassen, wie meine Mutter es empfunden und geschrieben hat. Nämlich mit viel Sehnsucht und zärtlicher Liebe im Herzen.
Vieles war mir als Kind einfach nicht zugänglich, denn offen wurden Zärtlichkeiten bei uns zu Hause nie gezeigt, ich glaube das war woanders ähnlich. Ich erinnere mich noch an ein Schwarz-weiß-Foto, welches mein Bruder und ich gefunden haben. Naja als wir es fanden, war es ein normales Foto, es gab ja noch keine Farbfotos. Was aber ganz schön war, das waren die gebogten weißen Ränder, die heute noch für mich eine ganz besondere Magie haben. Auf dieser Aufnahme saß meine Mutti bei meinem Vater auf den Schultern, so wie Kinder das machen, ok das war lustig und schon sehr merkwürdig, aber am merkwürdigsten war für uns, dass hinten auf dem Bild stand:
Für mein Karlemännchen,
von seinem Irmelmäuschen, in ganz großer Liebe.
Wir haben uns kaputt gelacht und diese Namen mit Wonne gerufen, was wir natürlich nicht durften. Wenn wir dieses Bild nicht irgendwo in einer Ecke gesehen hätten, dann wäre uns nie bewusst gewesen, dass unsere Eltern auch mal jung waren und sich geküsst haben. Gott bewahre, Eltern die sich küssen, das war ja unvorstellbar eklig. Eltern sind Eltern und fertig.
Kassel, den 13.12. 1942
Mein Herzensliebling!
Heute, zum Sonntag denke ich wieder mal
an Dich, mein lieber Mann.
Ich habe heute Deinen lieben Brief vom 6.12. erhalten und sage Dir meinen besten Dank dafür. Er hat genau eine Wochen gebraucht, bis hierher in die Heimat. Damit Du, mein Herzensliebling nicht auf Post von mir zu warten brauchst, schreibe ich Dir gleich die Antwort auf Deine lieben Zeilen.
Mein Herzensliebling.
Dein Brief kam um 9 Uhr hier an und ich lag noch im Bett, aber als ich hörte, das etwas auf die Erde fiel, bin ich ganz schnell aus den Federn gesprungen und habe mir gewünscht es möge ein Brieflein von Dir sein und wirklich mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Du kannst Dir nicht vorstellen was für eine Freude es für mich war, als ich Deinen Brief in Händen hielt und lesen konnte.
Mein Herzensliebling Du schreibst, dass Dir der Abschied aus der Heimat schwer gefallen ist. Mein lieber Mann, ich weiß es und auch Du weißt ja, wie schwer es Deinem Frauchen zu Mute war. Es wäre vielleicht und ich glaube sogar, bestimmt, ein anderer Abschied gewesen, wenn wir allein gewesen wären. Aber wer weiß, ob es so nicht besser war, dass Dein Kamerad bei Dir war. Wir konnten eben nicht den Abschied so machen wie sonst. Es wäre ja nur noch viel schwerer gefallen, als so. Freuen wir uns nun auf das nächste Kommen.
Mein lieber Mann, Du schreibst auch, dass der Zug erst um ½ 9 abgefahren ist. Hätte ich das gewusst, wäre ich doch noch mal mit gegangen. Ich habe mich überhaupt schon darüber geärgert, dass ich Euch, vielmehr Dich, habe alleine zum Bahnhof gehen lassen. Wir hätten ja noch ein paar Stunden zusammen sein können.
Heute Morgen habe ich schon einen schönen Spaziergang durch die Karlsaue gemacht. Bin nun hier auf dem Möncheberg, bei Lenchen und habe gerade Entenbraten und Klöße gegessen. Ich bin auch schon für Weihnachten zum Mittagessen hier eingeladen worden.
Kann dir auch mitteilen, dass gestern im Betrieb ein Anschlag raus kam, wir haben vom Heilig Abend Mittag bis zum 4.1.1943 Ferien und brauchen auch keine Inventur zu machen. Hoffentlich wird nichts wieder geändert. Ich werde nun Weihnachten hier bleiben und vielleicht am 3. Festtag nach Rotenburg fahren. Kann es mir ja auf 10 Tage einrichten, hoffentlich habe ich keine Wache.
Mein Herzensliebling Du schreibst, ich soll Dir recht bald schreiben und oft an Dich denken. Ja Du glaubst doch, dass ich in Gedanken immer bei Dir bin. Und was das Schreiben anbetrifft, kann ich Dir nur mitteilen, dass ich bisher jeden Tag einen Brief für Dich schreibe und in den Kasten stecke. Mein lieber Mann, langsam komme ich nun doch zum Schluss. Deine Grüße habe ich ausgerichtet und alle lassen Dich wieder grüßen.
Morgen wirst Du wieder etwas von mir hören.
Sei für Heute recht herzlich gegrüßt, geküsst und ganz fest gedrückt
Von Deinem Irmelmäuschen.
Mein Herzensliebling, kannst Du denn keinen Radioapparat besorgen?
Dein Frauchen.
Was mich an diesem Brief und auch an all den anderen so herzlich und tief berührt ist, diese Zärtlichkeit und die Kosenamen. Wie sehr müssen sich meine Eltern geliebt haben und wenn ich bedenke, dass sie für mich ja einfach nur Vater und Mutter waren und auch nie in der Öffentlichkeit geküsst oder auch nur die Hand gehalten haben, dann macht es mich sehr traurig, dass damals alles was mit Liebe zu tun hatte, versteckt wurde und schlecht war….
Liebe kann nie schlecht sein, weil sie das Schönste ist, was wir besitzen…
Fortsetzung folgt…
© UteAnneMarieSch.