Biografien & Erinnerungen
Die alte Schreibmaschine - Teil 1: Der Fund

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"Die alte Schreibmaschine - Teil 1: Der Fund"
Veröffentlicht am 17. April 2010, 8 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Mein Leben ist bisher von ständigem Wandel geprägt gewesen. Ich habe in der biologischen Landwirtschaft gearbeitet, in einer Schreinerei, habe die Berufsausbildungen zur Medizinisch-Technischen Laboratoriumsassistentin abgeschlossen und auch zur staatl. dipl. Erzieherin. Ich habe über dreissigmal den Wohnort gewechselt, die längste Zeit habe ich dabei in Bayern verbracht. Zweimal war ich verheiratet und habe drei erwachsene Kinder. Daneben hatte ...
Die alte Schreibmaschine - Teil 1: Der Fund

Die alte Schreibmaschine - Teil 1: Der Fund

Beschreibung

Wie die Worte Flügel bekamen...

Eine alte Schreibmaschine

In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg waren meine Eltern sehr arm. Das Haus meiner Großeltern mütterlicherseits wurde ausgebombt, als diese (glücklicherweise mit ihren Kindern, sonst gäbe es mich nicht) vorübergehend in Metz waren. Alles war verbrannt und zerstört, nur das hauchfeine chinesische Porzellan im Küchenschrank hatte es überlebt.
Die Familie meines Vaters war lange auf der Flucht - eine abenteuerliche Geschichte, bei der sie oft nur knapp dem Tod entronnen sind.
Heim gab es also keines mehr.
Mein Vater kehrte mit einer schweren Tuberkulose und einer tief verletzten Seele aus dem Krieg zurück. Er hatte noch - mit 16 Jahren - als Anführer einer Gruppe der "Volksfront" dem Moloch dienen müssen.
Meine Mutter war eine junge Lehrerin, und da mein Vater zu krank war um arbeiten gehen zu können, verdiente sie das Geld. Sie zogen in ein winziges Hexenhäuschen im Odenwald. Dort trat meine Mutter ihre erste Stelle als Lehrerin in einer kleinen Grundschule an.
Auf dem Dachboden dieses alten Schulhäuschens hat mein Vater - oh was hatte er für scharfe Augen, wie ein Adler! - bei einem Rundgang die ALTE SCHREIBMASCHINE entdeckt. Halb zerstört lag dieses antiquarische Gerät auf dem Kopf stehend in einer verstaubten Ecke des mit Gerümpel vollgestopften Bodenraumes. Er entfernte vorsichtig die Spinnweben, stellte sie richtig herum auf und - es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein.
So trug er das schwere, gußeiserne Monster im Beisein meiner Mutter zur Rektorin der Schule und fragte, ob er das morsche Gerät behalten dürfe. Ein Blick der alten Dame auf das kaputte, verdreckte Ding, welches der junge Mann da schleppte - so ein Blick wie auf einen Regenwurm, den ihr ein Schulkind begeistert unter die Nase hielt - und die gestrenge Frau winkte ihn mit einer schnellen Handbewegung hinaus.
Die Schreibmaschine wurde mit viel Mühe und Unterstützung meiner Mutter auf das Fahrrad gespannt und mein Vater nahm sie triumphierend mit nach Hause. Nun muss ich noch erzählen, dass mein Vater nach dem Krieg noch ein Ingenieursstudium begonnen hatte, in dessen Rahmen er innerhalb eines "Praktikums" (es war wohl eher ein Arbeitseinsatz) Telefone repariert hat. In einem Bergwerk, tief unter Tage musste er dafür sorgen, dass die alten Telefonanlagen stets funktionsfähig waren - eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, es gab ja noch viel häufiger Grubenunglücke.
Mein Vater stellte also seinen Fund daheim auf dem einzigen Tisch ab, reinigte das Monster erst Mal gründlich und zog dann sein Werkzeug hervor, welches er noch von dieser Arbeit her besaß. Liebevoll, kreativ und gründlich reparierte er das flügellahme Schreib-Utensil. Da er ja keine Ersatzteile hatte, musste er sich mit Anderem behelfen: Ein zerschnittener alter Fahrradschlauch diente als Keilriemen, Drähte ersetzten fehlende Verbindungen zwischen den Tasten und den Druck-Stempeln. Ein neues Farbband musste man sich dennoch leisten, und jedes Häkchen, Rädchen und Hebelchen in dem wirren Innenleben des Patienten wurde sorgsam mit Nähmaschinenöl geschmeidig gemacht.
Nach seiner Invalidität wurde mein Vater Naturwissenschaftler aus Passion im Selbst-Studium. Astronomie, Mathematik, Botanik interessierten ihn, doch seine Leidenschaft war die Mykologie. Ein paar sehr sehr seltene Pilze, die er sozusagen entdeckt hat wurden später sogar nach ihm benannt: ...waßmuthii, am Ende der lateinischen Bezeichnung.
In dem Hexenhäuschen hat er auf der alten Schreibmaschine seine Aufzeichnungen begonnen. Seinen Traum wahr gemacht.
Und weil mein Vater zwei Seiten hatte - eine beängstigende, eiskalte und eine herzliche, kindlich romantische - gab er ihr auch einen Namen und ein Wappentier. Er nannte sie liebevoll "EMMA" nach den Möven in einem Gedicht von Christian Morgenstern.
Sie ist ja auch eine Möve des Schreibens für ihn gewesen, seine Flügel in die Welt der Wissenschaften.
Darum hat er auch mit weisser Lackfarbe auf das schwarze Metall einen Namen geschrieben: EMMA. Und eine Möve gezeichnet, mit ausgebreiteten Schwingen.

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Hörbuch

Über den Autor

Iriana
Mein Leben ist bisher von ständigem Wandel geprägt gewesen. Ich habe in der biologischen Landwirtschaft gearbeitet, in einer Schreinerei, habe die Berufsausbildungen zur Medizinisch-Technischen Laboratoriumsassistentin abgeschlossen und auch zur staatl. dipl. Erzieherin. Ich habe über dreissigmal den Wohnort gewechselt, die längste Zeit habe ich dabei in Bayern verbracht. Zweimal war ich verheiratet und habe drei erwachsene Kinder. Daneben hatte ich immer auch künstlerische Ambitionen: Musik, Malen, Schreiben, Theater spielen. Ich bin ein naturverbundener Mensch und lebe gern sehr einfach mit und in der Natur.
Seit 2008 lebe ich in Leipzig, habe mich von einer langen chronischen Krankheit kuriert und bin Anfang dieses Jahres (2017) nun in Rente gegangen. Die letzten Jahre habe ich eine Schreibpause eingelegt, zumindest auf dieser Plattform hier, aber nun bin ich wieder da.
Zeit für ein neues Spiel... Mal sehen was mir so einfällt...

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Windflieger Re: Re: Das ist eine wundervolle Geschichte -
Zitat: (Original von Iriana am 19.04.2010 - 12:37 Uhr)
Zitat: (Original von Windflieger am 19.04.2010 - 10:45 Uhr) Er hat so viel Liebe für die alte Schreibmaschine gezeigt. Einfach nur schön.
LG Ivonne


Hallo Ivonne,

habe gerade gesehen, dass ich schon eine ganze handvoll liebe Kommis von Dir habe. Bin im Schreibrückstand und Antwort kommt gleich... Erst mal danke, freut mich sehr, dass Dir meine Geschichte gefällt. Besonders, da es mein erster Versuch ist, Erinnerungen schriftstellerisch umzusetzen in einer lesbaren Form, meine auch in Prosa...
So will ich denn mutig weitere folgen lassen...

ganz liebe Grüße,

Maria

Ein sehr gelungener Versuch wie ich finde.
Laß Dir Zeit, ich kann damit leben...
LG Ivonne
Vor langer Zeit - Antworten
Iriana Re: Das ist eine wundervolle Geschichte -
Zitat: (Original von Windflieger am 19.04.2010 - 10:45 Uhr) Er hat so viel Liebe für die alte Schreibmaschine gezeigt. Einfach nur schön.
LG Ivonne


Hallo Ivonne,

habe gerade gesehen, dass ich schon eine ganze handvoll liebe Kommis von Dir habe. Bin im Schreibrückstand und Antwort kommt gleich... Erst mal danke, freut mich sehr, dass Dir meine Geschichte gefällt. Besonders, da es mein erster Versuch ist, Erinnerungen schriftstellerisch umzusetzen in einer lesbaren Form, meine auch in Prosa...
So will ich denn mutig weitere folgen lassen...

ganz liebe Grüße,

Maria
Vor langer Zeit - Antworten
Windflieger Das ist eine wundervolle Geschichte - Er hat so viel Liebe für die alte Schreibmaschine gezeigt. Einfach nur schön.
LG Ivonne
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Da kann man wunderbar in die Vergangenheit eintauchen, sie war zwar sehr schwierig, aber voller Tiefe - ein toller Kontrast zur heutigen, schnelllebigen Oberflächlichkeit... ich liebe solche Texte!

Lieben Gruss
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
UteSchuster Ist ja niedlich, da tauft dein Pa, die Schreibmaschine *Emma* - O je, das war der Horror, ein Fehler und nochmal das ganze, wieviel Überstunden durften wir da machen. Naja natürlich ohne Bezahlung, wir waren ja die jenigen, die falsch getippt hatten.
Früher hatten wir auch so ein uralt Nostalgieschätzchen, ich habe es geliebt und auch oft drauf geschrieben, viel lieber als auf der Kofferschreibmaschine, die meine Eltern mir für viel Geld, mit einem Kurs spendiert hatten.

Ganz liebe Grüße deine Ute
Vor langer Zeit - Antworten
Iriana Re: Re: Re: Re: Re: Lass -
Zitat: (Original von Luzifer am 17.04.2010 - 19:09 Uhr)
Zitat: (Original von Iriana am 17.04.2010 - 19:02 Uhr)
Zitat: (Original von Luzifer am 17.04.2010 - 18:46 Uhr)
Zitat: (Original von Iriana am 17.04.2010 - 18:39 Uhr) Ihr habt auf Arbeit echt noch solche Dinger??? Kann ich kaum glauben. Arbeitest Du im Museum?

Ja, wir haben noch Schreibmaschinen, aber diese sind ein wenig moderner und haben auch nicht mehr den obligatorischen schwarzen Rahmen. Außerdem brauchen wir diese nur zum Ausfüllen von Formularen =)

Ach so, ich dachte, ihr hättet da echt ne alte 'Adler' rumstehen. Nein, so eine kleine tragbare Koffer-Maschine hatte ich auch noch bis ca. 2005. Erst ab da konnte ich mit dem Laptop arbeiten, was eine megamässige Erweiterung war. Du arbeitest im Büro? (wenn ich fragen darf)

Ja, ich arbeite in einem Büro. Ich wollte mir eine leichte Arbeit suchen und die habe ich gefunden ^^


Verstehe. Ausserdem kann man da evtl. auch in myStorys rein.
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Re: Re: Re: Re: Lass -
Zitat: (Original von Iriana am 17.04.2010 - 19:02 Uhr)
Zitat: (Original von Luzifer am 17.04.2010 - 18:46 Uhr)
Zitat: (Original von Iriana am 17.04.2010 - 18:39 Uhr) Ihr habt auf Arbeit echt noch solche Dinger??? Kann ich kaum glauben. Arbeitest Du im Museum?

Ja, wir haben noch Schreibmaschinen, aber diese sind ein wenig moderner und haben auch nicht mehr den obligatorischen schwarzen Rahmen. Außerdem brauchen wir diese nur zum Ausfüllen von Formularen =)

Ach so, ich dachte, ihr hättet da echt ne alte 'Adler' rumstehen. Nein, so eine kleine tragbare Koffer-Maschine hatte ich auch noch bis ca. 2005. Erst ab da konnte ich mit dem Laptop arbeiten, was eine megamässige Erweiterung war. Du arbeitest im Büro? (wenn ich fragen darf)

Ja, ich arbeite in einem Büro. Ich wollte mir eine leichte Arbeit suchen und die habe ich gefunden ^^
Vor langer Zeit - Antworten
Iriana Re: Re: Re: Lass -
Zitat: (Original von Luzifer am 17.04.2010 - 18:46 Uhr)
Zitat: (Original von Iriana am 17.04.2010 - 18:39 Uhr) Ihr habt auf Arbeit echt noch solche Dinger??? Kann ich kaum glauben. Arbeitest Du im Museum?

Ja, wir haben noch Schreibmaschinen, aber diese sind ein wenig moderner und haben auch nicht mehr den obligatorischen schwarzen Rahmen. Außerdem brauchen wir diese nur zum Ausfüllen von Formularen =)


Ach so, ich dachte, ihr hättet da echt ne alte 'Adler' rumstehen. Nein, so eine kleine tragbare Koffer-Maschine hatte ich auch noch bis ca. 2005. Erst ab da konnte ich mit dem Laptop arbeiten, was eine megamässige Erweiterung war. Du arbeitest im Büro? (wenn ich fragen darf)

Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Re: Re: Lass -
Zitat: (Original von Iriana am 17.04.2010 - 18:39 Uhr) Ihr habt auf Arbeit echt noch solche Dinger??? Kann ich kaum glauben. Arbeitest Du im Museum?

Ja, wir haben noch Schreibmaschinen, aber diese sind ein wenig moderner und haben auch nicht mehr den obligatorischen schwarzen Rahmen. Außerdem brauchen wir diese nur zum Ausfüllen von Formularen =)
Vor langer Zeit - Antworten
Iriana Re: Lass -
Zitat: (Original von Luzifer am 17.04.2010 - 17:30 Uhr) die Erwähnung des Handy weg. Sie passt überhaupt nicht in diese Geschichte, wie ich finde.
Ansonsten ist es eine schöne Geschichte. Ich persönlich finde diese alten Geräte immer noch sehr schön (auch wenn man bei einem Vertipper von Anfang beginnen muss; hat was von "Geh zurück auf Los und ziehe keine 4.000 ein ^^) und ich schreibe auch immer wieder gerne mit einer auf der Arbeit, wenn sich die Gelegenheit anbietet.
Hab ich was vergessen?
achja. Am Anfang fehlt ein "b" bei "ausgebomt" ;)

Werte Grüße
Luzifer


Whow, du bist und bleibst echt mein exaktester und unbarmherzigster Lektor. Vielen Tausend Dank!
Muss zugeben, dass ich heute derart viele Pannen mit vom System gefressenen Texten hatte, dass mir die nötige Korrekturzeit hinten fehlte.
Also hab ichs einfach rein gestellt. Dachte - ihr kennt mich ja inzwischen, wird dann schon noch behoben...

Und freut mich, dass Dir die Geschichte gefällt. Die Fortsetzung habe ich gerade beendet und sie meiner Schwester vorgelesen. (Die natürlich Wahrheit und schriftstellerische Wahrheit unterscheiden kann...)

Genug geschwafelt, musst Du nicht alles lesen,

ganz liebe Grüße,

Maria

P.S.: Ihr habt auf Arbeit echt noch solche Dinger??? Kann ich kaum glauben. Arbeitest Du im Museum?
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