Biografien & Erinnerungen
Stadtkind - Kindheitserinnerungen Teil 10

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"Stadtkind - Kindheitserinnerungen Teil 10"
Veröffentlicht am 27. April 2010, 12 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Wer es ganz genau wissen möchte, schaue auf meine Homepage: http://www.ilonas-cottage.de
Stadtkind - Kindheitserinnerungen Teil 10

Stadtkind - Kindheitserinnerungen Teil 10

Beschreibung

Ich blicke zurück auf eine zauberhafte Kindheit, so behütet und so unbeschwert. Die vielen kleinen Ereignisse hatten damals für mich enorme Bedeutung und formten mich schließlich zu dem Menschen, der ich heute bin. Begleiten Sie mich auf eine Zeitreise in die 1960er Jahre und verfolgen Sie in den jeweiligen Fortsetzungen die Entwicklung des Stadtkindes.

 

 Irgendwo, weit außerhalb der Stadt gibt es ein Paradies. Dort scheint immer die Sonne. Ein kleiner, glasklarer See liegt eingeschlossen in einem Ring von grünbewachsenen Bergen. Überall blühen Blumen. Der See ist nicht tief, aber das Wasser so sauber, daß man auf seinem Grund viele tausend bunte Kieselsteine sehen kann. Ab und zu kommt ein Storch angeflogen, der mit seinem langen Schnabel einen dieser Steine aus dem Wasser pickt. An der frischen Luft verwandelt sich der Stein in einen kleinen Menschen.

Als ich meine Eltern fragte, woher die Babys kommen, erzählten sie mir die Geschichte vom Klapperstorch. Den See mit den Kieselsteinen hatte ich in einem meiner Träume gesehen. Ich erzählte meinen Eltern davon, und sie waren wohl auch ganz froh darüber, weil ich ihnen mit meiner Theorie weitere Fragen ersparte. 

In unserer Gartenanlage war ich mit einem Mädchen befreundet, das aus einer kinderreichen Familie stammte. Martinas Mutter arbeitete im Sommer in der Gartenkantine. Ich ging gern bei der freundlichen Frau einkaufen. In mein blaues Plastikkörbchen paßten genau zwei Flaschen. Immer wenn ich in die Kantine 

 

 

kam, sprach ich das gleiche Verschen: 

“Guten Tag! Ich möchte bitte eine rote und eine weiße Brause.” 

Der Einkauf verlief jedesmal reibungslos. Einmal brachte mich Martinas Mutter aber in große Bedrängnis. 

“Wir haben heute auch grüne Waldmeisterbrause.”

 Oh, was nun? Das Geld reichte für zwei Flaschen. Wofür sollte ich mich entscheiden, wenn aber drei verschiedene Sorten zur Auswahl standen? Das war ein riesengroßes Problem. Ratlos und unentschlossen stand ich vor dem Ladentisch. Mit ihrem Vorschlag, doch einmal die grüne Brause zu probieren, weil die auch sehr gut schmeckt, erleichterte mir die Frau meine Entscheidung nicht. Der Spruch, “ich möchte bitte eine rote und eine weiße Brause” war mir so in Fleisch und Blut übergegangen, daß mich diese neue Möglichkeit völlig aus dem Konzept brachte. Ich weiß nicht, wie lange ich nun dastand. Jedenfalls bereute es die Frau sicher schon, mir dieses zusätzliche Angebot unterbreitet zu haben. Irgendwann verließ ich die Kantine mit einer weißen und einer grünen Brause.

 

 

Als ich wieder einmal einkaufen wollte, stand ein fremder Mann hinter dem Ladentisch. Ich fragte Martina, wo denn ihre Mutti sei.

 “Die hat ein Baby bekommen und liegt noch im Krankenhaus.”

 Warum man deshalb ins Krankenhaus muß, war mir nicht klar. Aber vielleicht ist das ja die Auslieferungsstelle des Storches.

“Hast du nicht gesehen, daß meine Mutti schon einen ganz dicken Bauch hatte?”

 Ja, natürlich war mir das aufgefallen. Kein Wunder, wenn jemand in einer Kantine arbeitete, wo er jeden Tag Bockwurst mit Kartoffelsalat und andere leckere Sachen essen konnte. Aber was hatte das mit dem Baby zu tun? Es war die ein Jahr jüngere Martina, die mich darüber aufklärte, daß das Märchen mit dem Storch totaler Unsinn ist und die Babys im Bauch der Frauen wachsen. Wie sie da rein kommen, konnte sie mir auch nicht sagen. Anfangs weigerte ich mich, ihre eher makaber anmutende Geschichte zu glauben. Ein Mensch im Bauch eines anderen? Dort ist es doch ganz dunkel und man bekommt keine Luft. Wie soll 

 

 

das funktionieren? Da Martina aber durch die Vielzahl ihrer Geschwister über eine gewisse Erfahrung verfügte, mußte ich ihr wohl Glauben schenken. Als ich ihre Mutter rank und schlank mit dem neuen Baby im Wagen wiedersah, stellte ich mir schwer enttäuscht die Frage:

 Warum haben mich meine Eltern so belogen?

Bunt, lässig weit, praktisch und bequem; so stellt sich heute im allgemeinen die Kindermode dar. Das war aber nicht immer so. Unter dem Motto “wer schön sein will, muß leiden” wurde ich für besondere Anlässe “landfein” gemacht. Niedliches Kleidchen, weiße Strümpfe, Lackschuhe. Das, was ich jedoch unter das Kleid ziehen mußte, war jedesmal ein Alptraum. Ich wurde in ein kurzes Leibchen mit langen Bändern, an denen die Strümpfe befestigt wurden, gezwängt. Überall kniff und störte mich etwas. Beim aufrechten Gang zogen die dummen Bänder meinen Oberkörper regelrecht herunter. Alles saß eng und viel zu warm. Nur die Oberschenkel lagen bloß und da zog es unangenehm, wenn der Wind unter das Röckchen blies. Mit dem größten Widerwillen ließ ich mich so herausputzen. Eigentlich konnte ich mich schon sehr 

 

 

 

früh allein an- und ausziehen, aber bei dieser “Verkleidung” kam ich ohne fremde Hilfe nicht aus.

Ich muß etwa 4 oder 5 Jahre alt gewesen sein. Ein besonderer Höhepunkt für mich war immer ein Einkaufsbummel durch die großen Kaufhäuser der Stadt. Meine Eltern nahmen mich dazu nur ungern mit, weil sich meinetwegen dieser Einkauf nur auf die Spielwarenabteilungen beschränken durfte. Doch ab und zu benötigte ich z. B. neue Schuhe. Die konnten mir meine Eltern nicht ohne Anprobieren kaufen. Darum mußten sie mich gezwungenermaßen mitnehmen. Für solche Anlässe wurde ich mal wieder “schön” gemacht. Einmal kauften meine Eltern u. a. auch ein neues Kaffeeservice. Ich erinnere mich noch gut an das braun-beige-gestreifte Keramikgeschirr. Typisch Anfang sechziger Jahre, hochmodern und schick, doch für den heutigen Geschmack in Form und Dekor stockhäßlich.

Zu Hause wurden gleich alle Teile ausgepackt und stolz über die neue Errungenschaft auf dem Küchentisch zum Abwaschen bereitgestellt. Sah es nicht einfach herrlich aus?

 

 

 

Unser Küchentisch war seinerzeit ein überaus wichtiges und vorallem praktisches Möbel. Klappte man die Hälfte der Tischplatte auf, erschienen 2 Schüsseln. Zog man das Vorderteil vor, konnte die Mutter darin das Geschirr abwaschen. Darunter befand sich noch ein Brett, das herausgeschoben werden konnte; eine ideale Abstellmöglichkeit und wegen seiner Höhe bestens als Kindereßplatz geeignet.

Wir standen also voller Bewunderung vor unserem neuen Service, bis der Mutter einfiel, daß es doch an der Zeit wäre, mich von meiner unbehaglichen Kleidung zu befreien. Die Befestigung dieser dummen Leibchenbänder an den Strümpfen war so kompliziert, daß man sich fast die Finger dabei brach. Kinder von heute, seid froh, daß Ihr davon verschont bleibt! Um bequemer zu arbeiten, zog meine Mutter das untere Brett des Küchentisches hervor und stellte mich darauf. Da stand ich jedoch nicht lange, denn plötzlich kippte der ganze Tisch nach vorn. Meine Mutter konnte mich gerade noch auffangen. Krach, bum, schepper, klirr ...

 Von dem schönen Service blieb nur ein Scherbenhaufen. Entsetzt und traurig blickten wir auf das, was von dem kurzen Glück übriggeblieben war. 

 

 

Meine arme Mutter konnte noch nicht mal schimpfen, denn ihr war ja bewußt, daß sie selbst Schuld an diesem Unglück hatte.   

Wenn ich nicht gerade mit einem interessanten Spiel beschäftigt war, half ich gern meiner Mutter im Haushalt. Manchmal ging ich ihr mit meiner Hilfsbereitschaft sicher ganz schön auf die Nerven. Für sie bedeutete das meist doppelte Arbeit und erhöhte Wachsamkeit.

Als ich mich wiedereinmal unbedingt nützlich machen wollte, gab sie mir ein Einkaufsnetz und Geld. Ich sollte ein 93er Brot kaufen.

 “Kannst du die das merken? Ein 93-Pfennig-Brot!”

 Kein Problem! Vergnügt zog ich also zum Bäcker. Auf dem Weg sprach ich ununterbrochen vor mich hin:

“Ich möchte bitte ein 93er Brot, ein 93er Brot, ein 93er Brot ...”

 Am Bäckerladen angelangt, stand dort eine lange Menschenschlange. Ich stellte mich artig in die Reihe und beobachtete, was die Leute alles kauften. 

 

 

Endlich war ich dran.

“Ich möchte bitte ein ... 86er Brot.”

86? Ja, so wars doch! Mutti hat gesagt, ich soll ein 86er Brot kaufen.

“86er? Nein, es gibt nur 78er und 93er. Überleg mal! Was hat dir die Mutti gesagt?”

“Ich soll ein 86er bringen.”

So stritt ich mich eine ganze Weile mit der Verkäuferin herum. Von dem 86er Brot war ich felsenfest überzeugt. Genau das wollte Mutti haben und nichts anderes.

“Wieviel Geld hast du denn mit?”

Ich zeigte der Verkäuferin ein glänzendes Markstück. Das half ihr auch nicht weiter. Sie zeigte mir die 78er und die 93er Brote. Ich konnte keinen Unterschied feststellen. Lediglich die Zusammensetzung war verschieden. Äußerlich glichen sich die Brote wie ein Ei dem anderen.

 “Das Beste wird sein, du gehst nochmal nach Hause und fragst die Mutti, was du bringen sollst. Sie kann  

 

 

 

es dir ja auf einen Zettel schreiben.”

 Oh, wie peinlich! Schlimm genug, daß nun so viele Leute meinetwegen lange warten mußten, weil sich das Streitgespräch mit der Verkäuferin ja doch über einige Minuten hingezogen hatte. Was würde Mutti dazu sagen, wenn ich nun auch noch mit leeren Händen nach Hause komme? Die Frau hätte mir ja auch ruhig ein 86er Brot verkaufen können! Mißmutig schlenderte ich das Netz schwingend heim.

“Mutti, die Frau wollte mir kein 86er Brot geben!”

Als hätte sie etwas Ähnliches erwartet, lachte mich meine Mutti schelmisch an und schrieb auf einen Zettel, daß man mir doch bitte ein 93er Brot verkaufen möge.

***

Fortsetzung folgt. 

 

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