Biografien & Erinnerungen
Stadtkind - Kindheitserinnerungen Teil 8

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"Stadtkind - Kindheitserinnerungen Teil 8"
Veröffentlicht am 23. April 2010, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Stadtkind - Kindheitserinnerungen Teil 8

Stadtkind - Kindheitserinnerungen Teil 8

Beschreibung

ch blicke zurück auf eine zauberhafte Kindheit, so behütet und so unbeschwert. Die vielen kleinen Ereignisse hatten damals für mich enorme Bedeutung und formten mich schließlich zu dem Menschen, der ich heute bin. Begleiten Sie mich auf eine Zeitreise in die 1960er Jahre und verfolgen Sie in den jeweiligen Fortsetzungen die Entwicklung des Stadtkindes.

 

 Eine meiner typischen Charakterschwächen ist es, Leuten, die ich nicht leiden kann, dies auch unmißverständlich zu zeigen, ohne daran zu denken, mich oftmals selbst damit zu bestrafen. Wie oft versuchte ich, mir meine Ablehnung, für die es meist keine eindeutige Erklärung gab, nicht anmerken zu lassen. Das will mir bis heute nicht immer so recht gelingen.

 Mit 5 Jahren wurde ich schwerhörig. Eigentlich störte mich das gar nicht. Nur die starken Schmerzen machten mir arg zu schaffen. Eine Zeitlang ging meine Mutter mit mir jeden 2. Tag zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Das war ein stattlicher, nicht unansehnlicher, überaus freundlicher Mann, der sich wirklich sehr um mein Wohl bemühte. Von allen Seiten wurde er als ausgezeichneter Arzt gelobt. Er war sehr feinfühlig und seine kleine, gequälte Patientin mit den großen, dunklen Kulleraugen schien ihm besonders ans Herz gewachsen zu sein. Eigentlich ein Arzt, wie man ihn sich nur wünschen kann, aber ... ich konnte ihn nicht leiden! Warum? Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich mochte ihn einfach nicht. Vor jedem Arztbesuch redete mir meine Mutter ins Gewissen. 

 

 

Dann nahm ich mir jedesmal ganz fest vor, ihn heute bestimmt nett zu finden. Aber kaum stand ich vor ihm, überkam mich wieder die große Abneigung. Ich haßte diesen Mann mit dem runden Spiegel auf der Stirn.

In bestimmten Abständen setzte er eine Art Blasebalg an meine Ohren. Ich mußte dann “Kuckuck” sagen. Es gab ein schmerzhaftes Knacken und für kurze Zeit war mein normales Hörvermögen wieder hergestellt. Damit tat er mir aber absolut keinen Gefallen. Abgesehen von den Schmerzen erschien mir der Lärm, der mich nun umgab, äußerst unangenehm. Klang die Wirkung dieser Behandlung allmählich ab, fühlte ich mich wieder wohl, aber das verstand anscheinend niemand.

 Dafür, daß mir dieser “böse” Mann so viele Unannehmlichkeiten bereitete, mußte ich mich

irgendwie rächen. Bei einem der nächsten Arztbesuche befolgte ich seine Aufforderung, den Mund zu öffnen nicht und hielt mir krampfhaft die Ohren zu. Da half kein Zureden. Unverrichteter Dinge verließ meine Mutter mit mir die Praxis. Warum war dieser Mann nur so schrecklich freundlich? Warum schimpfte er mich nicht aus? Das tat dafür meine Mutter, was mir gar nicht gefiel.

 

 

Es wurde schließlich darüber diskutiert, mich 1965 in eine Gehörlosenschule einzuweisen. Glücklicherweise kam es nicht dazu. Nach einjähriger erfolgloser Behandlung wurde ich operiert. Seitdem funktioniert mein Gehör einwandfrei, die Schmerzen sind vergessen und eine HNO-Praxis mit einem unsympathischen Doktor mußte ich auch nie wieder aufsuchen.

 Bevor es jedoch zu dieser Operation kam, verhalf man mir noch zu einigen Horrortrips. Eigentlich waren es gar keine, aber was denkt eine inzwischen Sechsjährige, wenn sie das Wort “Labor” hört? Tausende von Flaschen und Gläsern mit unbekannten Flüssigkeiten, kalte, abstoßende Kachelwände, Gifte, Folterkammer. Das waren meine Assoziationen. Und dahin schickte man mich zur Blutentnahme. Blut! Das kann nur Schmerzen bedeuten. Also tatsächlich Folterkammer! Ja, alle sagten, ich müsse keine Angst haben, es tut nicht weh. Aber die konnten mir ja viel erzählen, um mich da hinein zu locken. Ich glaubte ihnen kein Wort. Wenn man mich wirklich nicht quälen wollte, wozu dann dieser gefährliche Raum? Zwei Schwestern und meine Mutter versuchten vergeblich, mich zum Mitgehen zu überreden. Schließlich zerrten 

 

 

sie mich mit Gewalt über den Flur. Ich schrie wie am Spieß, wehrte mich mit aller Kraft, aber die Erwachsenen blieben doch die Sieger. Dieses Labor erwies sich tatsächlich als ein ganz gruseliger Raum. All diese merkwürdigen Gefäße, diese fremden, kaltglänzenden, spitzen und scharfen Gegenstände verursachten schon beim Hinsehen Schmerzen. Ich weiß nicht mehr, wie es trotzdem gelang, dem Ohrläppchen einige Tropfen Blut zu entnehmen. Jedenfalls mußte ich einsehen, daß meine Panik völlig unbegründet war. Ein gewisser Respekt vor diesem sterilen organisierten Chaos in einem Labor ist geblieben.

 Etwas anders sah es aus, wenn man mich zur Bestrahlung schickte. Da wußte ich genau, daß mir niemand wehtun würde.

 Eines Tages mußte die Bestrahlung in einem anderen Raum als üblich stattfinden. Die Sprechstundenhilfe brachte mich in den Keller der Klinik, der u. a. die Massageräume beherbergte. Sie öffnete die Tür und ich erschrak fast zu Tode. Dort lagen drei splitterfasernackte Frauen. Mein etwas gestörtes Verhältnis zur Nacktheit habe ich ja bereits geschildert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie 

 

 

nie einen erwachsenen nackten Menschen gesehen. Meine Eltern zogen sich niemals in meiner Gegenwart aus. Ich lebte in der DDR, wo einem aus Zeitung, Fernsehen und Plakaten nicht täglich das unverhüllte Menschenfleisch anstrahlte. Und jetzt gleich 3 Frauen auf einmal!? Ich wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Dabei war ich angezogen.

“Da gehe ich nicht rein! Die haben ja gar nichts an.”

Ich weigerte mich kategorisch, diesen Ferkeln, die mich auch noch ganz dreist angrinsten, Gesellschaft zu leisten. Die Sprechstundenhilfe verstand meine Reaktion überhaupt nicht. Ich erklärte ihr ernsthaft, daß ich diese Schweinereien nicht mitmache. Meine Ohren sind krank, dafür ziehe ich mich nicht aus. Ich schimpfte wie ein Rohrspatz und hielt demonstrativ die Hände auf meine Jacke, weil ich damit rechnete, man würde mir nun auch jeden Moment die Kleider vom Leib reißen. Die anwesenden Frauen konnten sich, glaube ich, nur mühsam das Lachen verkneifen. Erst als mir die Schwester versicherte, daß ich angezogen bleiben darf, setzte ich mich mit einem sehr unangenehmen Gefühl im Bauch zwischen 2 Pritschen, auf denen jeweils eine dieser schamlosen Personen lag. Während der Bestrahlung redeten sie mit mir und 

 

 

ich wußte nicht, wo ich hinschauen sollte. Beim besten Willen konnte ich mir nicht vorstellen, wozu es gut sein sollte, daß eine Masseuse auf nackten Körpern herumklatschte und knetete. Ekelhaft, widerlich! Ich mußte den Schock, den dieser Anblick bei mir auslöste, erst langsam verarbeiten.

***

Ein anderer interessanter Anblick, dem ich jedoch weit weniger verachtend gegenüberstand, tat sich mir auch etwa um die gleiche Zeit auf.

 Früher gab es in Halle eine Straßenkehrerkolonne, bestehend aus überwiegend leicht geistig behinderten Menschen, die mit riesigen Besen die Straßen und Wege sauberhielten. Ich war mit meinem Vater unterwegs, als einer der Straßenkehrer seinen Besen an eine Mauer lehnte, um sein kleines Geschäft zu verrichten. Daß Männer stehend pinkeln, war mir nicht unbekannt, aber wie das eigentlich funktioniert, wußte ich nicht. Dieser Mann also richtete seinen Blick auf den Betonfuß einer Straßenlaterne, öffnete seinen Hosenstall und holte da etwas raus. Er hielt es gegen die Laterne und ein scharfer Strahl ergoß sich. Mein Vater forderte mich auf, nicht hinzuschauen. Ich sah 

 

trotzdem beeindruckt auf diese praktische Einrichtung der Natur. 

***

Fortsetzung folgt. 

 

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Mysteria
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Gunda Grins ... - ... die Nummer beim Arzt kenne ich von meiner Tochter. Die sollte mal Pupillen erweiternde Augentropfen bekommen (sie brennen scheußlich). EIN Auge klappte ja noch, um das zweite zu betropfen, mussten drei Artzhelferinnen mit festhalten und trotzdem hatte die Ärztin hinterher einen Kratzer am Hals ...

Wieder sehr ansprechend geschrieben, Ilona.

Lieben Gruß
Gunda
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