Kleiner Engel Angie.
Manche Tage vergehen schnell, andere wieder sehr langsam, aber wenn man auf etwas wartet, was man sich von ganzem Herzen wünscht, dann können Tage zu Jahren werden. Genauso haben Martina und Michael empfunden, als sie auf ihr Baby warteten.
Strahlend lachte die Sonne ins Fenster, als das kleine Mädchen, das Licht der Welt erblickte. Vom ersten Augenblick an war klar, dieses Kind ist etwas ganz Besonderes.
„Schau“, sagt Martina zu Michael, „sieht sie nicht aus wie ein Engel, so rosig und so wunderschön, so fertig und schon so perfekt. Ist sie nicht viel schöner, als alle anderen Kinder, die du je gesehen hast?“. „Doch mein Schatz“, lächelt Michael seine Frau liebevoll an, „doch mein Schatz, sie sieht aus wie ein kleiner Engel. Warum soll sie Claudia heißen, wie wir beschlossen haben, wenn sie wie ein Engel ausschaut. Liebes, lass uns diese kleine Prinzessin *Angela* nennen“.
„Angela, Angie, wie wunderschön das klingt, ja wir nennen sie Angela“. Glücklich nimmt Michael seine Martina in den Arm, zwischen Ihnen liegt das kleine Mädchen. Die drei strahlen so eine warme Glückseligkeit aus, es ist ein Bild zum Weinen schön.
Doktor Schrann schmerzt der Anblick und er weiß nicht, wie er der kleinen Familie, die traurige Nachricht überbringen soll. Es tut jedes Mal wieder weh, wenn er den Eltern sagen muss, dass das Glück, welches sie gerade erst bekommen haben, nur von kurzer Dauer ist. ´Ich lasse ihnen noch einen Tag und dann sage ich es ihnen, jetzt kann ich das noch nicht und was ist schon dabei, ob sie es einen Tag früher oder später erfahren, wie schlimm behindert dieses kleine Mädchen ist`. Leise schließt er die Tür wieder, die er nur einen Spalt weit geöffnet hatte. Seine Schritte sind müde und es ist ein Moment, in dem er alles sein möchte, nur nicht derjenige, der dieses schreckliche Gespräch mit den Eltern führen muss.
„Wie lange, Herr Doktor, muss ich denn noch hier bleiben? Wissen Sie, es geht mir richtig gut und Angela sieht so gesund und propper aus, da können wir doch sicher schon früher, als geplant nach Hause. Mein Mann macht Urlaub, wir sind somit bestens versorgt“. Martina strahlt zuerst Michael, dann den Arzt an und wartet auf eine positive Antwort. Dr. Schrann weiß, dass dies der Augenblick, der Wahrheit ist. Er muss Martina und Michael sagen, was mit ihrer kleinen Tochter los ist. Er räuspert sich noch einmal, um den Kloss aus dem Hals zu bekommen und sagt dann mit fester Stimme: „Es tut mir so leid, wie gerne würde ich uns dieses Gespräch jetzt ersparen, aber es ist unumgänglich. Ihre Kleine hat einen schweren Herzfehler, den wir nicht operieren können und sie ist so wunderschön und sieht so gesund aus, weil sie das Down-Syndrom hat. Diese Babys sehen alle ganz bezaubernd aus, weil das Gesichtchen so weise ausschaut.
„Sie wollen sagen, dass unser Engelchen behindert ist? Schwer behindert?“ Michael starrt den Doktor mit hassverzerrter Miene an. `Was sagt dieser Mann denn, ja sieht er denn nicht, wie lebhaft Angela da vor ihm liegt und fröhlich strampelt, er muss doch sehen, dass sie quietsch vergnügt ist´. Doch trotz aller Ohnmacht, die in Michael steckt, weiß er, dass Dr. Schrann die Wahrheit spricht.
„Alles was wir machen können, ist, die kleine Angela schmerzfrei zu halten. Mehr steht nicht in unserer Macht. Sie dürfen, wenn Sie sich stark genug fühlen, Ihre Tochter mit nach Hause nehmen. Genießen Sie die gemeinsame Zeit, ich wünsche Ihnen alle Kraft der Welt. Es wird nicht einfach werden, glauben Sie mir“, Doktor Schrann nimmt Martina´s und Michael´s Hände und drückt sie ganz liebevoll, dann geht er traurig aus dem Zimmer.
Stille, absolute Stille ist in dem kleinen, gelb gestrichenen, Krankenzimmer. Keiner wagt den anderen anzusehen oder das erste Wort zu sagen. Beide sind starr vor Angst. Martina ist die erste, die sich wieder etwas gefangen hat: „Schau, mein Schatz, du wirst sehen, wir schaffen das alles, die Hauptsache ist doch, dass unsere Kleine bei uns ist. Vielleicht geschieht ein Wunder und sie wird gesund, bitte lass uns an ein Wunder glauben. Wir sind stark und am stärksten ist unsere kleine Tochter. Wir werden sie niemals enttäuschen, wir lieben sie, so wie sie ist und so ist sie wunderbar“.
ZU Hause entwickelt sich die kleine Angie prächtig. Sie ist den ganzen Tag am Lachen, lässt sich von jedem auf den Arm nehmen und herzen. Andere Kinder fremdeln oder wollen nur zur Mama oder dem Papa, Angela liebt wirklich alles und jeden. Zu Anfang wurde sie noch mitleidig angesehen, aber dann mit der Zeit merkte jeder, dass sie ein ganz besonderes Kind war. Sie war ein Kind, das alle Herzen öffnete. Wer die Kleine einmal im Arm hatte, der wurde zu einem neuen Mensch, er war plötzlich voller Liebe und Friede.
Bis zu ihrem zweiten Lebensjahr ging es Angie einigermaßen gut, aber dann wurde sie jeden Tag ein bisschen schwächer. Die Ärzte waren machtlos und bereiteten die Eltern behutsam auf den Abschied vor. Angst und Hoffnungslosigkeit lag wie ein schweres Tuch über der kleinen Familie. Wie sollten sie ohne ihren kleinen Engel weiter leben, was für einen Sinn hatte das Leben ohne Angie? Die einzige, die trotz der Schwäche immer ein Lachen hatte, war dieses kleine Mädchen. Sie war es auch, die den Eltern die Kraft gab, endlich wieder frei zu atmen und wieder glücklich zu sein.
Der Abschied kam an einem wunderschönen Sonnentag. Angie lag in ihren Kissen, auf dem Sofa, Martina und Michael saßen neben ihr und hielten sie im Arm. Ganz zärtlich schaute die Kleine ihre Eltern an und sagte mit leiser Stimme:
„Mami, Papi, ich habe euch so lieb, jetzt bin ich endlich ein Engel“.
„Sie war ein Engel auf Erden und wird der wunderbarste Engel im Himmel sein. Manchmal schickt der liebe Gott uns etwas ganz besonderes, damit wir wieder lernen was LIEBEN heißt, uns hat er Angela geschickt. Schau nur, wie viele Menschen sie in ihrem kurzen Leben, ein warmes Lachen geschenkt hat und wie viele sind nach der Begegnung mit ihr glücklicher gewesen, als je zuvor. Liebes, lass uns unserem Engelchen danken, dass wir sie lieben durften“. Liebevoll nimmt Michael seine Martina in den Arm. Beide wissen, dass Angie für immer bei ihnen ist.
©UteAnneMarieSchuster