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Mondkinder
“Freddy mach auf, ich weis das du da bist!” Romeo polterte an die Tür zu Fredericks Zimmer. Es war zwei Uhr in der Nacht und in den Fluren des Heimes, in dem die beiden Jungen lebten war es düster wie in einem Verlies. Frederick öffnete langsam die Tür und versuchte mit zusammengekniffenen Augen zu erkennen, wer ihn so unsanft aus seinem schlaf gerissen hatte.
“Was zum Teufel soll der Lärm? Bist du das Romeo?” Er nahm eine Öllampe von dem kleinem Tisch der neben der Tür stand und entzündete sie mit den in greifbare Nähe gelegten Streichhölzern. Nun konnte er seinen alten Freund erkennen. Er trug einen dunklen Mantel und hatte seine langen dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden.
“Freddy, wir müssen hier fliehen, die alte Huger, diese vermaledeite Hexe, hat uns neulich bei unserem Ritual gesehen und uns nun an die Kommission für Verbrechen am Glauben verraten. Sie kommen uns morgen früh holen. Pack deine Sachen, nimm nur so viel mit wie du tragen kannst und komm.”
Frederick schaute einen Moment verdutzt drein und massierte sich dann mit seiner rechten Hand die Stirn. Romeo und er waren Magier, zumindest am Tage. In der Nacht vollführten sie ihre wahre Macht. Sie sorgten dafür, dass der Regen kam, dass die Sonne ihre alles verbrennenden Strahlen nicht endlos auf das Haupt der Erde richteten und, und dies war ihre eigentliche Aufgabe, sie hielten mit magischen Formeln, welche sie alle dreißig Tage aus einem Buch rezitierten, alt wie die Erde und unlesbar für den naiven Menschen, den Mond zurück, denn wenn er in seiner vollendeten Form erscheint, so bricht das Ende über uns hinein. So steht es dort geschrieben.
Frederick kehrte also in sein Gemach zurück und öffnete die Kleidertruhe, welche sich am Fußende des kleinen Bettes befand. Ein, zweimal gefaltetes Laken mit schnüren an den ecken diente als Transportsack für das wenig Hab und Gut welches er besaß. Einzig und allein Das Buch war in einem Tuch eingewickelt und nochmals mit Wachspapier umgeben damit es ja keinen Schaden nahm.
“Was macht dich so sicher, dass sie uns gesehen hat?” Frederick band das Knäuel zusammen und zog dann seinen dunkelgrünen ausgefransten Mantel über sein blaugraues Ãœberhemd welches er in die Stoffhose gesteckt hatte um den Wind auszusperren.
“Ich war gerade eben auf dem Weg in das Gemeinschaftsbad als ich sie mit Benson, dem altem Schreiner von gegenüber, hab sagen hören, dass wir ein Bündnis mit dem Teufel haben müssten, da wir uns regelmäßig nachts hinaus schleichen und dann anfangen unverständliches Kauderwelsch zu Murmeln.
Wenn sie wüsste, das wir damit das Leben aller hier beschützen ,würde sie sich selber dafür die Zunge raus schneiden. Sie hat ungefähr um sechs Uhr am Abend mit dem Vorsteher der Kommission gesprochen und dieser wolle morgen mit seinen Männern kommen und uns der Hexenprüfung unterziehen.”
Die Hexenprüfung sah vor, dass jeder beschuldigte mit einem Wackerstein ,seines Eigengewichtes an seinen Fußgelenken, in einen tiefen Weiher springen musste. Tauchte er auf so war er schuldig, denn dies war Beweis genug für Hexerei. Blieb er jedoch in der Tiefe verborgen, so wurde er freigesprochen. Frederick packte sein Schnitzermesser in die Manteltasche und nahm sein Gepäck auf.“Dann müssen wir wohl wieder fliehen wie? Ich frage mich manchmal, wie unsere Brüder und Schwestern damit zurecht kommen. All die Gezeiten die wir wanderten waren wir stets auf der Flucht. Wann wird der Mensch verstehen das Werte nicht die Welt definieren und ihnen Form und Leben geben?”Â
Romeo und Frederick schauten noch einmal in das kahle Zimmer. Sie hatten die letzten sechs Monate hier verbracht. Lange konnten sie nirgendwo bleiben, denn sie alterten nicht. Seit der Schöpfer den Menschen erdachte, hatte er sich, für den Fall, dass die Lage unkontrollierbar wird, eine Armee aus Gehilfen erschaffen. Mondkinder. Sie waren alt wie die Menschen und wandelten auf der Erde um das absolut Böse, den Mondgeist fern zu halten. Sollte der Mond je vollendet werden, so würden die Meere beginnen das Land zu fressen und Unheil käme über den Verstand der Menschen. Viele der Mondkinder waren gestorben und so mussten die überlebenden Kinder sich über die Länder verteilen um ein Schutznetz zu bilden, denn nur wenn alle Kinder am dreißigsten Tag eines jeden Zyklus beteten, würde der Mond sich nicht fortbilden. Doch mit jedem getötetem Mondkind wuchs die Macht des Mondes.
Der Verstand und die Seele des Menschen wurde dunkler und böser als der Herr es erdachte. So kam es, das er den Kindern befahl Paare zu bilden um aufeinander acht zu geben. Das Vertrauen war geboren.
“Wir werden dieses mal an die nördliche Grenze ziehen, leider dürfen wir dieses Land nicht verlassen, da das Netzt sonst ein zu großes Loch bekommt. Doch glaube mir, irgendwann werden die Menschen verstehen was wir schon lange wissen.”
Er nahm ihn bei der Hand und sie verließen leisen Schrittes das Haus. Auf der Straße war es düster und nebelig. Die Straßenlaternen waren kaum zu erkennen. Die perfekte Nacht für die Flucht. Sie liefen zu einem breitem Fluss der sich durch die gesamte Stadt zog und in das nördliche Meer floss. Der nächste Lastenkahn würde erst in knappen drei Stunden hier vorbeikommen, ihre einzige Möglichkeit ohne Geld zu reisen. Sie würden so lange unter der nahe gelegenen Brücke schlafen.
Es war herbst und die Luft legte ihren kalten Arm um die beiden Jungen. Sie kauerten dicht beisammen und sprachen unentwegt Wörter der Magie um sich mit der Natur zu verbinden, eins mit ihr zu werden und somit nicht länger als Fremdkörper der Kälte, vielmehr als ein Teil von ihr anerkannt zu werden. Die Stunden vergingen und der Lastenkahn blieb fort. Etwas musste ihn aufgehalten haben. Da hörten sie Hufschlag auf der holprigen Pflasterstraße, es mussten gut ein dutzend Reiter sein. Ängstlich drückten sie sich an den Brückenpfeiler und hielten mit ihrem Schutzzauber inne. Sofort schlug die Kälte zu. Die dünnen Hemden und die ausgefransten Mäntel mochten im Spätfrühling vor einer Brise Schutz bieten, doch dem hartem Herbstwind waren sie nicht gewachsen. So klapperten die Zähne der Jungen, ihre Knie zitterten unentwegt und schließlich stand Frederick auf um sich, unter den Bemühungen seines Freundes, unten zu bleiben, die Beine warm zu laufen.
Die Reiter erkannten den Jungen und einer von ihnen rief mit der Stimme einer Frau: “Dort Herr Oberst, sehen sie, die Hexenbrut versucht unter der Brücke ihr Ritual zu vollenden. Sie werden uns allen großes Unheil bringen!” Es war Frau Huger, die Heimherrin. Frederick schaute mit weit aufgerissenen Augen auf die Schar bewaffneter Reiter. Dann begann er zu sprechen. Nicht laut, doch durch die Magie welche er in die Worte legte für jeden von ihnen hörbar.
“Menschen dieser Welt, Bürger dieser Stadt. Ihr habt euch fehlleiten lassen von dem was ihr als Wahrheit erkanntet. Eure Heimat wird im Chaos versinken wenn ihr nicht anfangt miteinander aus zu kommen. Eure Wissenschaften, Waffen und Fortschritte sind nicht der Grund für die Existenz dieser Welt. Ihr Seid nicht mehr und nicht weniger wert als jedes andere Lebewesen, jeder Stein und jeder Baum. Höret meine Worte und lasst ab von dem Versuch zu erklären was keiner Erklärung bedarf.
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Der Herr wird uns schützen, ihr werdet euch schützen. Gebt aufeinander acht und…”
Ein plötzlicher Ruck ging durch seinen Körper und Frederick sackte langsam in sich zusammen. Blut sammelte sich in einer Lache unter ihm und rann langsam in Richtung Fluss. Romeo kroch aus seinem Versteck und näherte sich vorsichtig seinem Freund und Bruder. Eine Pfeilspitze ragte aus seinem Rücken.
“Fredy? Frederick?” Er rüttelte vorsichtig an seiner Schulter doch der Junge blieb regungslos liegen. Heiße Tränen rannen ihm über die Wangen und sein Herz schlug so hart, dass es schmerzte. “Frederick, Frederick!”
Er Schrie aus Leibeskräften und doch wusste er das Frederick ihn nicht hören konnte, er würde ihn nie wieder hören. Ein letztes Mal strich er seinem Gefährten, welcher ihn über so viele Jahrhunderte begleitet hatte durch das klamme blonde Haar.
“Warum?” Er wendete seinen Blick nicht von dem Leblosem Körper ab.
“Warum? Warum habt ihr das getan?” Seine Worte wurden vom Schluchzen fast verschluckt und doch schien jeder es gehört und verstanden zu haben. Der Reiter der geschossen hatte war abgestiegen und trat vor.
“Junge, er hat versucht uns zu verhexen, du musst aufwachen. Er war ein Hexer. Magie ist eine Unheilvolle Sache. Ich, Oberst Jamie Gadar, werde dir die Möglichkeit geben, bei der Hexenprüfung deine Unschuld zu beweisen. Glaub mir mein Junge, mit dem Tod eines Menschen kann man das Leben vieler retten.” Er trat einen Schritt näher an Romeo, welcher immer noch über Frederick gebeugt saß und seine Tränen ohne Hemmungen vergoss.
“Menschen töten um Menschen zu retten?” Dieses Mal war es keine Magie welche die Stimme verkündete. Ihr habt meinen Freund, nein meinen Bruder umgebracht.
Er hat stets an das gute im Menschen geglaubt und gelächelt wenn er helfen konnte. Ihr sagt Magie sein unheilvoll? Warum? Weil ihr sie nicht erklären könnt? Ihr habt Angst! Euer Herz lässt euch vorlauter Furcht die Wahrheit nicht erkennen. Deshalb musste er sterben, weil ihr Menschen dem närrischem Glauben anhaftet, das es für alles auf diesem Planeten eine Erklärung geben muss. Ich werde euch eines besseren belehren.”
Romeo verspürte ein Gefühl welches er noch nie zuvor erfahren hatte, es erfüllte sein Herz mit Dunkelheit und sein Geist wurde von nur einem Gedanken getragen, Rache. Der Hass war geboren. Er erhob sich und wandte sich den Reitern zu, deren Anführer mittlerweile wieder etwas Abstand gewonnen hatte.
“Ich werde euch zeigen was passiert, wenn ihr glaubt Menschen töten zu können um es als Grund zum Schutze zu missbrauchen.” Er breitete die Arme aus und blickte gen Himmel.
“Ich werde euch niemals verzeihen. Leiden sollt ihr. Nicht jetzt sofort, doch in einigen Jahrtausenden wenn die Welt im Fenster der Zeit gefangen sein wird und Euer Geist vollkommen verfinstert sein wird, wird sich der Mensch selbst vernichten. Ich nehme euch den Regen, ihr werdet dursten und alles Wasser im Fluss, welches mit dem Blut des Menschen, der mir am nächsten war, gesegnet ist, wird davon fließen. Feuer wird euer Land regieren und Hunger wird euch nehmen was euch lieb ist.” Er nahm das Messer welches er aus Frederick Tasche geholt hatte und zog die scharfe dünne Klinge aus ihrer, einen halben Fuß langen, Lederhülle. Ein Stich in den Hals und die schnelle Bewegung nach links ließen eine Fontäne aus frischem Blutt freien Lauf. Lächelnd starb er Hand in Hand mit seinem Freund, seinem Bruder. Frederick.
Mit diesen zwei Mondkindern war der Mond nun vollkommen. Das Meer begann sich in Interwallen zum Schein zurück zu ziehen um dann wieder mit aller Macht an Land zu stoßen und gierig die Landmassen in die Tiefe zu reißen. Die Menschen, die dadurch weniger Land zum leben hatten, mussten sich ihre Ländereien mit ihren Nachbarn teilen und es gab unzählige Kriege mit unzähligen Schlachten um das Land, welches allen gehörte. Dort jedoch, wo vor tausenden Jahren zwei Mondkinder mit Namen Romeo und Frederick starben, ist heute nichts als Sand, eine Wüste so weit das Auge reicht und unantastbar für alle Zeit. Da der Mond vollkommen war, waren nun auch die Mondkinder nicht länger von Nutzen und der Schöpfer nahm ihnen ihre Magie und ließ sie altern. Den Regen übernahm von da an der Sonnengott, der dem Mond an jedem Tag ein wenig Wasser stahl um es dann an Land zu verteilen.
Als Gegenleistung für diese Macht, versprach der Sonnengott sich nicht zu nah an die Welt der Menschen zu wagen, damit er sie nicht verletzt.
Die nun sterblichen Mondkinder pilgerten allerdings in das verbotene Land, wo Feuer herrschte und Hunger dir nahm was du liebtest. Es wurden viele Geschichten über diesen Ort verloren und es heißt, das es immer noch ein Mondkind gibt, das letzte von ihnen welches über all die toten wacht. Ihr Name ist Sahara . . .
Und so endet diese Geschichte. Die Entstehung zweier wichtiger und zugleich gegensätzlichen Gefühlen und einer Welt, die in Werten gemessen und mit Herzen gelebt wird. Dies mag einem wirr erscheinen, es entspricht aber der Wahrheit.
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