Kapitel 9 - Ein Brief stürzt den Kronprinzen in panische Angst als er seine tiefsten Ängste bestätigt glaubt.
Shakar betrachtete Karatil eingehend. Die dunkelrote Robe, die der Mencun trug, wirkte fremd auf ihn, doch war sie ausgezeichnet gearbeitet und dezent verziert. Dunkle Bänder hielten die Stoffbahnen über den Schultern zusammen und das braune Haar fiel ihm unter einer Kappe her etwas ins Gesicht. Sein junger Begleiter war ähnlich prächtig gekleidet, doch war sein Kopf unbedeckt. Zwischen den Haarbüscheln fielen Shakar die ungewöhnlichen Ohren auf, die nicht sanft spitz zuliefen wie seine eigenen, sondern sich rundeten als
fehle ein Stück. ,Seltsam', dachte er. ,Das erscheint mir fremder als ihre Kleidung und Aufmachung.' Iareg war weniger zurückhaltend und funkelte den Mencun düster an. „Wie könnt Ihr es wagen, hier so einzudringen! Was habt Ihr mit den Wachen gemacht?“ Karatil verzog die Mundwinkel zu einem höhnischen Lächeln. „Glaubt Ihr, ich sei allein hier? Meine eigene Eskorte hat für freien Weg gesorgt und eure Männer waren klug genug, mich nicht aufzuhalten. Ihr solltet sie herein rufen und für ihre Tapferkeit
loben.“ Iareg sprang wutentbrannt auf, doch Shakar trat ihm in den Weg und schob ihn sanft auf seinen Platz zurück. Dann wandte er sich Karatil zu und verbeugte sich tief. „Ich bin sehr froh, Euch nun zu treffen, Fürst Karatil. Ich bitte um Vergebung, dass ich nicht früher versuchte, mit Euch in Kontakt zu treten, aber vielleicht grollt Ihr mir nicht mehr, wenn ich Euch sage, dass ich selbst erst vor wenigen Stunden hier in Landis eingetroffen bin.“ Der Fürst nickte und trat näher. Shakar wich nicht zurück. „Nun dann, Prinz von
Illian, warum seid Ihr hier?“ Shakar lächelte höflich. „Ich überbringe Euch die besten Wünsche meines Vaters, des König Arnthio. Er sandte mich Euch zu versichern, dass er, als er seine Zustimmung gab, das Bergland zu besiedeln, nicht im Geringsten beabsichtigte in das Territorium der Mencun vorzustoßen. Mit Bedauern hörte er von den Problemen, die er euch unbeabsichtigt bereitete und bittet Euch hiermit, dies nicht die guten Beziehungen beeinträchtigen zu lassen, die jeher zwischen unseren Völkern bestanden
haben.“ Karatil schnaubte. „Die guten Beziehungen? Es gab nie Beziehungen irgendwelcher Art zwischen uns und ich wünsche, dass es dabei bleibt.“ Hinter ihm zuckte sein Sohn Tamaril etwas zusammen, blieb jedoch stumm. Shakar bemerkte die Bewegung und lächelte dem Jungen aufmunternd zu. Tamaril lächelte scheu zurück. Karatil, dem der Austausch nicht entgangen war, warf seinem Sohn einen düsteren Blick zu. Shakar lächelte ruhig weiter. „Vielleicht
entstammt eure Ablehnung dem Ruf, den mein Volk sich leider bei euch gemacht hat. Ich bitte euch aber die Zeit aufzubringen, uns etwas kennen zu lernen. Ich bin sicher, dass sich dies zum Vorteil unserer beiden Völker auswirken würde.“ Der Fürst der Mencun verbeugte sich würdevoll. „Auch wenn ich in Euren Worten nichts anderes sehe, als das, wovor mich meine Väter warnten, will ich doch nicht, dass Ihr glaubt ich wäre Sklave meines Urteils über Euch.“ Shakar atmete kaum merklich auf und wartete, dass der Fürst fortfuhr. „Ich
möchte mich für diesen Abend revanchieren und lade Euch für morgen Abend mit Eurer Eskorte zur Pforte des Osget ein. Dort wollen wir die Art der Beziehungen unserer Völker ohne störende Einmischung besprechen.“ Er warf Iareg einen unfreundlichen Blick zu. Shakar drehte sich zum Anführer der Siedler um und bedauerte fast, das getan zu haben, als er den Hass in Iaregs Augen sah. Er verbeugte sich hastig vor Karatil. „Eure Einladung ehrt mich. Mit großer Freude sehe ich einer Einigung unserer Völker
entgegen.“ Karatil nickte knapp und gab Tamaril ein Zeichen, der geschmeidig zur Tür trat und sie für seinen Vater und Fürsten öffnete. Einen Augenblick später waren die beiden Mencun fort und nach einem kurzen, aber lauten Wortwechsel außerhalb der Gasthalle, stürmte einer von Iaregs Männern, dicht gefolgt von Shian, dem Hauptmann der Eskorte Shakars, herein. Bevor Iareg, dessen Gesicht vor Zorn dunkelrot angelaufen war, sich auf seine Wache stürzen konnte, trat Shakar auf Shian zu und legte ihm die Hand auf die
Schulter. „Ich danke Euch für Euer überlegtes Verhalten“, sagte er laut. „Es war klug, keinen Konflikt zu provozieren und die Lage für beide Seiten noch angespannter zu machen. Immerhin war es auch ein Grund meiner Reise Karatil zu treffen, und da er mir die Mühe abgenommen hat, den ersten Kontakt herzustellen, wäre es töricht gewesen, sein Kommen zu verhindern.“ Shian lächelte wissend und salutierte zackig. Iaregs Soldat betrachtete seinen Herrn unsicher, bis ihn dieser mit einem knurrigen Murmeln und einer Handbewegung wieder nach draußen
schickte. „Ihr habt weise gehandelt, Hoheit“, sagte eine melodische Stimme an Shakars Seite. Der Prinz wandte sich um und fand sich im Bann der durchdringendsten grünen Augen, die er je gesehen hatte. Binnen eines Herzschlags war Iareg an der Seite des schönen Geschöpfs und legte mit sichtlichem Stolz einen Arm um ihre Schultern. „Dies, mein Prinz, ist meine Tochter, Jilla. Das schönste was Illian zu bieten hat.“ Jilla errötete und lächelte verlegen. „Ein
jeder Vater würde wohl so reden“, sagte sie und knickste elegant. „Hoheit, bitte akzeptiert unsere Entschuldigung für den etwas misslungenen Auftakt Eures Besuchs. Hätten wir nur die Reaktion der Mencun vorhergesehen, hätten wir auch sie hierher eingeladen, so dass Eure Gespräche nicht mit diesem Missklang hätten beginnen müssen.“ Shakar lächelte zurück. „Es ist schwer die Gedanken eines Volkes vorherzusehen, mit dem man noch nie zu tun hatte. Gegenseitige Missverständnisse sind niemandes Schuld, Mylady, ganz besonders nicht die
Eure.“ „Eure Großzügigkeit wird nur von Eurer Weisheit übertroffen. Bitte erlaubt mir jedoch, Euch als Wiedergutmachung morgen mit Allem hier vertraut zu machen, sowohl mit den Leuten als auch mit den Geschehnissen bisher. Ich bin sicher, dass Euch das bei Eurem Besuch der Mencun nur von Vorteil sein kann.“ „Ein wahrlich großzügiges Angebot Eurerseits, Mylady Jilla. Ich freue mich bereits darauf.“ Sie lächelte wieder, knickste und setzte sich auf eine einladende Geste hin an einen Platz gegenüber dem des Prinzen.
Shakar winkte Cayoun zu sich, der neben ihm Platz nahm und setzte sich dann selbst. Iareg ließ sich neben seiner Tochter nieder und war sehr bemüht das Gespräch nicht auf die Vorkommnisse des Abends zu lenken, was Shakar zu dem Schluss führte, dass er wohl klug genug war, zu bemerken, dass er keinen allzu guten Eindruck hinterlassen hatte. Schließlich überließ er Jilla ganz das Reden und konzentrierte sich nur noch auf die sonstigen Genüsse des hastig zusammengestellten Banketts. Als sich der Prinz tief in der Nacht verabschiedete, blieb er noch etwas mit seiner Tochter sitzen und unterhielt sich leise mit ihr.
Cayoun war stumm als er mit Shakar das Zimmer betrat, das man für sie bereit gemacht hatte. Er hatte den ganzen Abend nicht viel geredet, doch seine Augen hatten den Prinzen nie verlassen. Shakar sah müde aus. In dem Licht der Kerzen wirkte er sehr bleich, doch seine Augen brannten. „So beginnt es also.“ Shakars Stimme war etwas rau, doch fest. Cayoun legte eine Hand auf Shakars Schulter und lächelte aufmunternd. „Euer
Vater war sehr klug, dies Euch zu überlassen.“ Shakar ließ sich seufzend auf einem Stuhl nieder und starrte ins Leere. „Ich werde dich bei dieser Sache mehr als alles andere brauchen, Cayoun. Wenn wir morgen zu diesem Osget aufbrechen, wirst du dabei sein, doch nicht in meiner unmittelbaren Nähe. Versuche Kontakt mit einem Mencun herzustellen, der weniger verstockt ist als dieser Karatil, mit dem ich das zweifelhafte Vergnügen haben werde. Du konntest schon immer gut mit anderen umgehen. Es tut mir Leid, dich bitten zu müssen, dieses Talent so gezielt einzusetzen,
doch ich fürchte, ohne einen Mencun auf unserer Seite, werden wir es schwer haben, diesen Konflikt zu lösen.“ Cayoun zuckte die Schultern und lehnte sich an die Wand, ein entspanntes Lächeln auf seinen Zügen. „Es besteht kein Grund mich um Vergebung zu bitten. Zwar habe ich bis jetzt nur die Bekanntschaft von zwei Mencun gemacht, doch der jüngere, Tamaril scheint mir bereits jetzt von einem sehr anderen Kaliber als sein Vater. Ich denke, mit ihm in Kontakt zu kommen, könnte vielleicht sogar ein echtes Vergnügen
sein.“ Er sah wie Shakar ihm einen kurzen Blick zuwarf und antwortete mit einer kleinen Verbeugung. „Wenn Ihr mir diese Feststellung erlaubt, denke ich, wir sollten beide zu etwas Schlaf kommen, damit wir morgen in der Lage sein werden, neue Freundschaften zu knüpfen.“ Shakar nickte langsam. „Hoffen wir, dass es wirklich ein Tag neuer Freundschaften wird.“
Am nächsten Tag schien die Sonne noch etwas strahlender und das gesamte Bergdorf schien geradezu zu erblühen. Kleine Vögel hüpften zwischen den Häusern umher und Kindergesichter leuchteten mit den Blumen um die Wette. Von den Gipfeln der nahen Berge leuchteten weiß die Überreste des Schnees des letzten Winters und die Dorfbewohner schienen durch den Besuch ihres Prinzen in allerbeste Laune versetzt zu sein. Cayoun hätte sie am liebsten alle
verwünscht. Er bemühte sich sehr, nicht allzu finster drein zu sehen als er Shakar und Jilla nachblickte, die schon viel zu lange durch die Straßen spazierten, sich angeregt unterhielten und von Zeit zu Zeit in fröhliches Gelächter verfielen. Er war bereits vor Sonnenaufgang aufgestanden, hatte versucht den Tag so zu planen, dass er auf alle Eventualitäten vorbereitet war. Was Shakar betraf, hätte er sich diese Mühe gar nicht machen müssen. Eine gewisse rothaarige Dame hatte das Kommando über den Prinzen übernommen, kaum
dass dieser sich blicken ließ. Ehe Cayoun es sich versah, hatte sich Shakar entschuldigt und ihn in dem strahlendsten aller Morgende stehen gelassen. Unter anderen Umständen hätte ihm das sogar gefallen. Ehrgeiz war ihm selbst nur zu vertraut und er schätzte ein helles Köpfchen. Auch wenn er nie den gleichen Fehler wie Shakar machen und Jillas zuvorkommende Hilfe für Freundlichkeit halten würde, hatte sie ihn doch noch mehr beeindruckt als schon bei ihrem Auftritt am vorigen Abend. Doch dass sie ihn heute Morgen überrumpelt hatte, ärgerte ihn zutiefst –
wenn er auch zugeben musste, dass der Fehler dafür eher bei ihm selbst lag. Das und natürlich, dass sie nicht an seiner Seite ihre entzückenden, kleinen Pläne spann. Er schaffte es letztlich doch noch schief zu lächeln, als er dem Prinzen und seiner Dame nachsah. Sie würden ja noch sehen, wer dieses Spiel besser spielte. Die Sonne hatte den höchsten Punkt bereits überschritten, als er Shakar wiedersah. Der Prinz lächelte beinahe verlegen als er das Zimmer der beiden betrat, um sich für den Abend
bereitzumachen. Cayoun zwinkerte ihm zu und erwiderte das Lächeln, bemüht ihm nicht mehr zu zeigen als nötig. Shakar seufzte, doch behielten seine Augen ihr fröhliches Funkeln. Er schien etwas sagen zu wollen, doch dann nickte er Cayoun lediglich zu und ließ sich von seinem Diener in eine angemessene Aufmachung helfen.
Tamarils Herz klopfte vor Aufregung. Endlich! Endlich würden sie Kontakt zu dem Volk
Illians bekommen. Nicht mehr nur die Siedler, nein richtige Abgesandte, selbst der Prinz des Reichs würde kommen. Dass sein Vater die Gäste nicht in die Stadt hineinlassen würde und statt dessen vor dem Osget einen Platz herrichten ließ, war ein kleiner Wermutstropfen, doch letztlich konnte auch das Tamarils Enthusiasmus nicht bremsen. So lange schon war es ihm zuwider, wie die Mencun sich abschotteten. Einst waren sie ein großes Volk gewesen, hatten über weite Teile des Landes geherrscht, das nun Illian hieß, doch
Kriege hatten ihre Zahl schrumpfen lassen bis dieser Stadtstaat die letzte Enklave ihrer Art bildete. So jedenfalls erzählten es die Aufzeichnungen, über die das Einhorn wachte. Nicht einmal Itaral, die Hüterin des alten Wissens, konnte genau sagen, wie das Einhorn entstanden war und warum es geschaffen wurde. Die Aufzeichnungen sprachen von einem Knotenpunkt im Gefüge von Raum und Zeit, den zu kontrollieren mit dem Einhorn möglich war. Er vermutete, dass einst weit mehr möglich war, als nur sich das Lebensnotwendige herstellen zu lassen, doch er kannte auch die
Warnungen, dass der Missbrauch dieser Macht den Fall der Mencun eingeleitet hatte. Letztlich war es ihm auch nicht so wichtig. In der Vergangenheit mochte sein Volk groß und mächtig gewesen sein, aber er strebte nicht danach, zu diesen Tagen zurückzukehren. Lediglich das Eingesperrtsein in der Stadt, stets wissend, dass seine Grenzen nicht weit von den steinernen Toren lagen und er niemals die Erlaubnis haben würde, die Welt dort draußen kennenzulernen, hatten ihm das Herz schwer gemacht. Umso enthusiastischer war er nun als er sich einkleidete, seinen Zeremoniendolch
anlegte und auf den Platz vor dem Osget hinaustrat. Die Sonne ließ den hellgrauen Stein beinahe silbern schimmern und er musste gegen die Helligkeit anblinzeln. Er reckte den Hals um vielleicht schon einen Blick von der Delegation Illians zu erhaschen, doch ein strafender Blick seines Vaters ließ ihn eine würdevollere Position einnehmen. Er hatte noch nicht lange gewartet als Bewegung in die Wachmannschaften kam. Die verabredete Zeit war gekommen und auf dem Pfad zum Vorplatz des Osget tauchten die ersten
Reiter auf. Geleitet von zwei Grenzern kamen der Prinz und seine Leibwache und Bediensteten den Hang herauf. Prinz Shakar sah müde und grau vom Staub der Straßen aus, doch als er das Osget sah, wie es 15 Meter hoch in die Felswand eingelassen war, wischte ehrliches Staunen alle Erschöpfung fort. Tamaril konnte ein amüsiertes Lächeln kaum unterdrücken. Wie gern hätte er den Prinz mit in die Stadt genommen und ihm gezeigt, wie viel mehr hinter diesen Steinwänden verborgen lag. Nun, vielleicht würde es eines Tages
doch noch dazu kommen. Er musste sein Möglichstes tun, um heute einen guten Eindruck zu hinterlassen und seinen Vater daran zu hindern, die Gespräche vorschnell zu beenden. Er warf Karatil einen schnellen Blick zu und stellte erleichtert fest, dass dieser zumindest nicht mehr so grimmig erschien wie noch am vorigen Abend. Prinz Shakar verbeugte sich zur Begrüßung und seine Eskorte tat es ihm gleich, was Fürst Karatil wohlwollend erwiderte. Bedienstete huschten hervor, nahmen die Pferde in Empfang und versorgten sie,
während andere die Gäste zu dem Baldachin geleiteten, unter dem man Sitzgelegenheiten für die hohen Herrschaften bereitet hatte. Auf eine einladende Geste Karatils hin nahm Shakar Platz.
Cayoun hatte eine Weile auf eine Gelegenheit gewartet sich unter die Mencun zu mischen, doch diese hatten sich nicht wie erhofft in kleinere Grüppchen verteilt, sondern standen schweigend ihrem Fürsten zu Diensten.
Auch Tamaril wartete stumm hinter seinem Vater auf den Ausgang der Gespräche. Also hatte sich auch Cayoun näher an Shakar positioniert um möglichst viel von dem, was gesprochen wurde, hören zu können. Karatil schien verbissen entschlossen, Shakar dazu zu bringen, irgendwelche unlauteren Absichten der Siedler zuzugeben und ignorierte alle gegenteiligen Aussagen. Der Prinz tat sein Bestes nicht sein höfliches Lächeln zu verlieren, doch schien es ihm von Minute zu Minute schwerer zu fallen seine Frustration zu
verbergen. Daher überraschte es Cayoun um so mehr, dass der Fürst trotz seines Misstrauens ein weiteres Kennenlernen der beiden Völker nicht mehr rundweg ablehnte, wie noch am Abend zuvor. Fürs Erste wurde entschieden, Landis, das Dorf der Siedler, dort zu belassen wo es sich befand, doch durften keine weiteren Häuser gebaut und keine weiteren Siedlungen gegründet werden. Hinter seinem Vater konnte Cayoun Tamaril sehen, der atemlos auf jedes gesprochene Wort achtete und fühlte sich in seiner Ahnung bestätigt, dass dem
jüngeren Mencun diese Verhandlung viel bedeutete. Die Abendbrise brachte kühlere Luft mit sich und Cayoun wandte sich um und blickte versonnen in den blutroten Sonnenuntergang. Hinter sich hörte er Shakar zustimmen eine Delegation von Mencun in Schloss Triannar zu empfangen, wo man eine endgültige Entscheidung darüber treffen wolle, ob die Siedler die Berge wieder verlassen mussten oder nicht, und empfand eine seltsame Wehmut bei dem Wissen, dass es niemals zu diesem Treffen kommen würde. Der letzte Streifen Sonne verschwand hinter dem Horizont und das
Leuchten, das sie am Abendhimmel hinterließ, vermischte sich mit dem flackernden Licht der Fackeln. Bewegung kam in die Mencun und Cayoun wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Karatil in die Hände klatschte und auf sein Geheiß Speisen für die Gesandtschaft herausgetragen wurden. Nun begannen auch die Würdenträger der Mencun sich entspannter auf dem Plateau zu verteilen und Cayoun sah den Moment gekommen sich möglichst zwanglos dem Sohn des Fürsten zu nähern. Er sah Tamaril vor sich hinlächelnd
allein dastehen, wo er in Gedanken versunken auf das verblassende Leuchten im Westen starrte. In der Hand hatte er einen weißen, geschnitzt wirkenden Krug, an dem er sich festhielt. „Ihr müsst zu den glücklichsten Völkern der Welt gehören, so einen Anblick direkt vor Eurer Haustür zu haben.“ Der Prinz der Mencun fuhr etwas zusammen, dann wandte er sich zu Cayoun und lächelte wieder verlegen. „Es gehört mehr zu Glück als ein schöner Ausblick“, erwiderte er vorsichtig. „Doch von Zeit zu Zeit ist es gut, auch solche Momente nicht zu
vergessen.“ Cayoun neigte zustimmend den Kopf. Tamarils Lächeln wurde noch eine Spur unsicherer. „Ich nehme an, Ihr seid herzlichere Empfänge gewohnt als wir Euch geboten haben.“ Er hob eine Hand als Cayoun protestieren wollte. „Nein, ich weiß, dass unser Volk sich sehr schwer damit tut, Außenseitern mit Vertrauen zu begegnen. Ich habe letzte Nacht viel Zeit damit verbracht, meinen Vater um Offenheit zu bitten. Und dennoch scheint es mir als würde jeder Fortschritt nur zögerlich gemacht, als würden wir zu sehr in Furcht vor unserer Vergangenheit leben, als dass wir uns der
Zukunft stellen könnten.“ Er legte den Kopf schief und strich sich eine Haarsträhne hinter das runde Ohr. „Verzeiht, ich mache meinen Gefühlen stets zu sehr Luft, dabei sollte ich es besser wissen. Ich kenne nicht einmal Euren Namen, doch als ich Euch gestern in der Siedlung sah, schien mir, als würdet Ihr all das verstehen können, vielleicht sogar besser als ich selbst.“ „Hoheit, Ihr ehrt mich mit Eurer Offenheit. Lasst mich Euch versichern, dass nichts von dem, was Ihr sagtet, meine hohe Meinung von Euch zunichte machen konnte. Im Gegenteil, ich freue mich zutiefst, über Euer Interesse an
Veränderungen zu hören.“ Mit ausladender Geste verbeugte sich der Diener des Prinzen tief. „Mein Name ist Cayoun. Ich stehe seit vielen Jahren dem Prinzen Shakar in allem, was er tut, zur Seite.“ Er lächelte und zwinkerte fröhlich. „Nun kennt Ihr meinen Namen, also soll dies nicht länger zwischen uns stehen.“ „Cayoun“, wiederholte Tamaril „ich freue mich sehr, Euch kennen zu lernen. Ich hoffe, zu der Delegation zu gehören, die mein Vater nach Triannar schicken wird, nun da ich bereits die Bekanntschaft eines seiner Bewohner gemacht
habe.“ „Ich würde mich geehrt fühlen, Euch dort wieder zu begegnen. Ich hoffe, dass auch in der Zwischenzeit ein reger Austausch zwischen unseren Völkern stattfinden wird. Immerhin habt ihr nun eine Siedlung Illians direkt vor Eurer Haustür, die zum Kontakt einlädt.“ Ein Zögern huschte über Tamarils Züge. „Ich bin nicht sicher, ob diese Siedler zu den Repräsentanten gehören, die sich die Bürger Illians wünschen.“ Cayoun hob eine Augenbraue. „Es tut mir Leid, das zu hören. Ich wünschte, ich
könnte Euch versichern, dass alle Zusammenstöße mit diesen Leuten sich nie wiederholen werden, doch fürchte ich, dass Misstrauen mit all seinen Auswirkungen in allen Völkern zu finden ist.“ „Das weiß ich nur zu gut.“ Tamaril blickte traurig über die Berghänge. „Mein ganzes Leben lang hat man mich Misstrauen gegenüber anderen gelehrt. Aber so kommen wir nicht voran. Wir können uns doch nicht der ganzen Welt über verschließen.“ Cayoun musste sich sehr anstrengen, sich seine Freude nicht anmerken zu
lassen. Der Junge bettelte ihn geradezu an, sich aushorchen zu lassen. Mit einem offenen Lächeln wagte er, die Hand auf Tamarils Arm zu legen, und dirigierte ihn etwas weiter von den anderen weg. „Euer Volk wird eines Tages einen wirklich weisen Herrscher haben, der es in eine große Zukunft führt. Einen Fürsten der Bündnisse. Einen Fürsten des Wissens. Und ich freue mich sehr, an diesem denkwürdigen Tag der erste zu sein, der die Mencun etwas besser kennenlernt. Bitte lasst mich wissen, was Euch bewegt. Bitte lasst mich helfen, dieses erste Bündnis auf den Weg zu
bringen.“ Der Mencun Prinz sah ihn mit großen Augen an, dann wuchs sein Lächeln in die Breite. „Ich kann Euch kaum sagen, wie viel es mir bedeutet, das zu hören. Seit Jahren träume ich von diesem Tag und nun übertrifft die Chance, die unsere Völker erwartet, alles, was ich mir vorgestellt habe.“ Auf seinen Wangen tauchten aufgeregte rote Flecken auf. „Wir werden so viel von einander lernen können! Ich kann es kaum erwarten, das Schloss von Triannar zu sehen und mit den Gelehrten Eures Volkes zusammen zu kommen. Und was sie dann in den Aufzeichnungen
des Einhorns finden werden, wenn mein Vater endlich Gesandte in unsere Stadt lässt. So viel Wissen ist in den Jahrhunderten verloren gegangen, doch ich wette, wenn sich die klügsten Köpfe daran setzen würden, könnten wir alle daraus Nutzen ziehen.“ „Das Einhorn?“ Cayoun lächelte entspannt, als wäre dies nicht die Enthüllung, auf die er gewartet hatte. „Ein Fabelwesen? Das müsst ihr mir näher erklären.“
Es würde nicht mehr lange bis zum Sonnenaufgang dauern, doch Cayoun fühlte noch immer keine Müdigkeit. Was für ein Abend! Er hatte noch lange mit dem Prinzen der Mencun geredet und Tamaril hatte ihm sein Herz ausgeschüttet. Zwei Geschenke hatte er dabei erhalten. Zum einen einen kunstvoll gearbeiteten Dolch, den ihm der Prinz überreicht hatte, als er ausreichend enthusiastisch seine Bewunderung dafür kundtat. Er hatte sein möglichstes getan, dass
niemand den Vorgang bemerkte, der ihm in einem ungeeigneten Moment in die Quere kommen könnte. Das andere war das Mittel um Shakar auf den Weg zu bringen, den er gehen musste. Den Weg in den Krieg. Er konnte es immer noch kaum fassen, was ihm Tamaril enthüllt hatte, doch glaubte er auch nicht daran, dass der Prinz ihn täuschen wollte. Was für einen Vorteil sollte es ihm bringen eine so seltsame Geschichte zu erzählen, dass die Vorfahren der Mencun ein Einhorn geschaffen hatten, dass auf wundersame Weise all ihre materiellen Bedürfnisse
stillen konnte. Nun, auch wenn der Prinz übertrieben oder gar gelogen hatte, würde das den Sieg über die Mencun wohl eher leichter machen. Aber wie es auch immer sein mochte, musste Falam natürlich von dieser schrecklichen neuen Bedrohung erfahren. Cayoun strich noch einmal den Brief glatt, den Arris bald erhalten würde. Ein Teil der Botschaft war für Saskuens Ohren und damit auch für die des Kronprinzen bestimmt, doch hatte er auch detaillierte Anweisungen für seinen treuen Schatten, die das
Königreich ebenso erschüttern würden. Seine Augen brannten, doch er hatte nicht länger mit dem nächsten Schritt seines Plans warten können, als sie mitten in der Nacht, begleitet von einer Eskorte der Mencun, wieder in Landis, dem Dorf der Siedler, eintrafen. Und nun hielt er den Schlüssel zur Zukunft Illians in den Händen.
Er faltete den Brief sorgfältig und versiegelte ihn. Am nächsten Morgen würde er sich sofort zu den Postreitern aufmachen und dafür sorgen, dass alle Spielfiguren auf den Plan gerufen würden.
Shakar richtete sich auf seinem Pferd auf und blickte zurück auf die versammelten Siedler. Jilla stand vor den anderen am Rand von Landis, ihren Vater neben sich, und hob die Hand zum Abschiedsgruß. Er erwiderte die Geste und zwang sich zu einem Lächeln. Er würde sie bestimmt wiedersehen. Sie hatte versprochen einen Weg zu finden nach Triannar zu kommen, entweder mit der Delegation der Mencun, die in zwei Wochen aufbrechen sollte, oder auf
anderem Wege und bei ihrer Findigkeit hatte er keinen Zweifel, dass ihr das gelingen würde. Er seinerseits hatte versprochen ihr in Erwiderung ihrer Freundlichkeit in der Siedlung das gesamte Schloss zu zeigen. Die Vorfreude ließ den Abschied beinahe erträglich werden. Nachdem sie vor drei Tagen von ihrem Besuch bei den Mencun zurückgekommen waren, hatte Shakar sich auf einen baldigen Aufbruch vorbereitet, da er vorhatte, sich so bald wie möglich mit seinem Vater zu beraten und ihrerseits den Empfang der Mencun
vorzubereiten. Er hatte bereits gegrübelt wie er Falam am besten in die Gespräche einbinden konnte, ohne dass ein Schaden entstand. Doch bis genügend Proviant zur Verfügung stand, war noch etwas Zeit vergangen, für die er insgeheim sehr dankbar war. Es waren die schönsten Tage seines Lebens gewesen. Er hatte fast ein schlechtes Gewissen, in einer solchen Zeit so guter Dinge zu sein, statt sich wie gewohnt um den Ausgang Sorgen zu machen. Aber doch nur
fast. Jilla hatte es völlig verstanden, die Sorgen aus seinen Gedanken zu vertreiben. Sie war so eine angenehme Gesellschaft gewesen und gleichzeitig hatte sie ihn auch aufgebaut. Ihn mit guten Ratschlägen auf den Kontakt mit den Mencun vorbereitet. Ihm Selbstvertrauen gegeben, ohne dass er sich belogen und lediglich geschmeichelt fühlte. Auch wenn er versuchte es sich selbst nicht einzugestehen, wusste er doch, dass er verliebt
war. Er hatte sich nie vorgestellt, wie seine zukünftige Frau einmal sein sollte, hatte sich damit abgefunden, dass eine derartige Verbindung wohl von seinen Eltern zum Wohl Illians arrangiert werden würde. Doch nun hatte er jemanden gefunden, der perfekt war. Er seufzte und lächelte vor sich hin. Er würde zu passender Zeit schon einen Weg finden. Seine Eskorte drängte sich um ihn, doch seine Gedanken hingen weiter schöneren Dingen nach, als sich um seine
Umgebung zu kümmern. Und so bemerkte er auch nicht, dass sich Cayoun nicht unter den anderen Reitern befand.
Iareg legte den Arm um seine Tochter, die immer noch dem Prinzen und seinen Begleitern hinterher sah. Er war zutiefst stolz auf sie. Sie ließ sich durch nichts aus der Bahn werfen, nicht einmal durch den Tod ihrer Mutter vor sechs Jahren. Sie wusste genau was sie wollte und war ehrgeizig genug all das zu bekommen. Und deshalb war es auch genau das, was
sie verdiente. Er selbst hatte sich seinen Weg gegen alle Hindernisse gebahnt, war bereit gewesen seine Heimatstadt hinter sich zu lassen um sich unter den Siedlern nach oben zu arbeiten. Jilla würde es noch höher schaffen. Der Prinz mochte ein cleverer Bursche sein, doch Iareg war nicht entgangen, wie er seine Tochter angesehen hatte. Schade, dass er nicht der Kronprinz war, doch vielleicht würde sich auch da etwas machen lassen. Sie hatte Shakar schon fast da wo sie ihn haben wollte und er würde seinen Teil dazu beitragen, dass sie so bald wie möglich nach Triannar
aufbrach, damit sie ihn vollends für sich gewinnen konnte. Besser sie ging noch bevor die Mencun eine Gesandtschaft schicken konnten. Er traute dem Höhlenvolk nicht. Fast wäre ihm lieber gewesen, der Prinz hätte sich nicht bei ihnen eingeschmeichelt. Dann hätte der Konflikt endlich ausgetragen werden können und sie wären frei gewesen, diesem arroganten Haufen das zu geben, was sie verdienten. Um sie herum waren die übrigen Siedler bereits aufgebrochen und ins Dorf zurückgekehrt als nichts mehr vom Prinzen und seinem Gefolge zu sehen
war. Nun machte sich auch Jilla auf den Weg und er folgte ihr. Vor dem Haus, das sie beide bewohnten, verabschiedete sie sich und wanderte gedankenverloren die Straße entlang, während er hinein ging, darauf bedacht sich den Staub der Straße mit einem kühlen Bier aus der Kehle zu spülen. Er summte fröhlich vor sich hin als er in die Stube wanderte und sich auf einen Stuhl fallen ließ. „Marna!“ rief er nach dem Hausmädchen, die auch als Köchin und in einem halben Dutzend anderer Funktionen bei ihm angestellt war. Er
summte weiter und trommelte etwas mit den Fingern auf den Tisch, doch als auch nach einigen Minuten und wiederholtem Rufen niemand auftauchte, machte er sich grummelnd selbst auf den Weg in die Speisekammer. Der Raum war angenehm kühl und etwas dunkler als der Rest des Hauses, so dass seine Augen einen Moment brauchten sich umzugewöhnen. Er fand Marna nach eben diesem Moment. Im gleichen Augenblick, in dem er gewahr wurde, dass die Flüssigkeit in der sie lag, Blut war und ihre Haltung keine normale Position war, spürte er den
Dolch, der ihm von hinten durch die Rippen drang und seine Lunge durchstieß. Er versuchte Luft zu holen, doch dann drang Blut in seine Lunge und sein Schrei wurde zu einem erstickten Gurgeln. Er sank nach vorn und seine Gedanken waren nicht mehr in der Lage seinen Angreifer zu identifizieren, der neben ihm niederkniete und den Dolch mit kühler Präzision in seinen Hals trieb. Dann wurde alles dunkel und Kareg war bereits tot als Cayoun sich wieder erhob und den Mencun-Dolch zurückließ als er geduckt aus der Kammer verschwand.
Falam war seinem Diener Saskuen nie sonderlich verbunden gewesen. Es war einer der ersten Gründe gewesen, seinem Vater stets mit Misstrauen zu begegnen, als dieser vor zehn Jahren Saskuen als seinen persönlichen Diener und Begleiter auswählte. Während Shakar jemanden bekam, der nur wenige Jahre älter und weit abenteuerlustiger war, folgte Falam nun ein Mann, der nicht müde wurde ihn an seine Verantwortung zu erinnern. Sicher, sein Vater hatte behauptet, dass
dies nur zu seinem Besten war, dass Saskuen ihn auf den Thron vorbereiten sollte, etwas das bei Shakar nicht nötig war. In Falams Ohren klang es weniger danach, auf Shakars Position in der Thronfolge hinzuweisen sondern eher, dass sein Vater Shakar für so perfekt hielt, dass er schon jetzt bereit war den Thron zu besteigen. Und so war seine Jugend geprägt gewesen von Saskuens Hüsteln und seinen ewigen Ermahnungen „nicht vorschnell zu handeln“, „seine Zeit nicht mit Frivolitäten zu vergeuden“ und „sein Temperament zu zügeln“. In der selben Zeit war Shakar mit seinem
Diener Cayoun zu Streifzügen zu den Seen rund um Triannar aufgebrochen, hatte sich von ihm vorsingen lassen und hatte das Leben in vollen Zügen genossen. Natürlich ohne das Wohlwollen ihres Vaters zu verlieren. Doch seit Saskuen ihm vor einigen Monaten die ersten Gerüchte über die verräterischen Pläne seines Bruders zugetragen hatte, war zum ersten Mal so etwas wie Wertschätzung in ihm gewachsen. Nicht auszudenken, was aus ihm geworden wäre, wenn er nicht wenigstens gewarnt worden wäre. „Er hat sich also mit den Mencun verbündet“, wiederholte er
fassungslos. Saskuen nickte diensteifrig. „Meine Informantin hat Freunde in der Eskorte des Prinzen. Sie sagte mir, dass der Prinz lange mit den Höhlenleuten verhandelt hat und dass sie eine Geheimwaffe haben, mit der er Euch besiegen könnte. Er wird auf seiner Reise wahrscheinlich versuchen, noch mehr Leute um sich zu scharen.“ „Was weiß mein Vater davon?“ Das ließ den Eifer von einem Moment auf den anderen verfliegen. „Ich glaube nicht...“, stammelte Saskuen, „Seine
Majestät würde ganz sicher nicht seinen jüngeren Sohn... Er hat Euch stets als Thronfolger anerkannt. Bestimmt geht dieser Verrat Shakars auch gegen ihn.“ Falam unterdrückte ein verächtliches Schnauben. Nun gut, mochte Saskuen weiter vor dem König kriechen, er selbst würde natürlich die Augen offen halten müssen. „Ruf die Generäle und Heerobersten zusammen! Alle, die sich in der Umgebung von Triannar befinden, und halte Schreiber bereit, um die zu benachrichtigen, die die Außengebiete schützen.“ Saskuen starrte ihn entgeistert
an, doch als Falam einen wütenden Schritt auf ihn zu machte, setzte er sich hastig in Bewegung. Falam machte sich nicht die Mühe ihm auch nur hinterher zu sehen. Er hatte wichtigeres zu tun. Wenn Shakar einen Krieg wollte, dann sollte er ihn auch bekommen.
König Arnthio hetzte durch die Korridore Triannars. Er war mehr als ungehalten darüber, dass sein Sohn die Heerführer zusammengerufen hatte, ohne
den König selbst einzuladen. Mehr als das, ohne ihn auch nur zu informieren. Wäre nicht der völlig verwirrte und aufgelöste Saskuen zu ihm gekommen und hätte ihn von seiner Jagdgesellschaft weggeholt, wäre dieses Treffen völlig hinter seinem Rücken abgelaufen. Er erreichte die Doppeltüren des Ratszimmers und schritt an den erschrockenen Dienern vorbei, die ihm hastig die Tür öffneten. „Ich hatte doch befohlen, niemanden hier hereinzulassen!“ begrüßte sein Sohn ihn, zugegebenermaßen bevor er
sich umgedreht hatte. Arnthios Blick ließ ihn in sich zusammenfallen. „Was geht hier vor?“ grollte der König langsam. „Vater“, begann Falam zögernd. „Ich hatte gehofft bereits zu einer Entscheidung gekommen zu sein, bevor ich Euch mit dieser furchtbaren Sache belästige.“ Arnthio hob eine Augenbraue. „Wichtige Entscheidungen werden in diesem Land noch immer vom König getroffen, mein Sohn. Was nun ist so furchtbar, dass es einen solchen Aufruhr rechtfertigt, doch
nicht meiner Aufmerksamkeit bedarf?“ Falam trat von einem Fuß auf den anderen. „Vater, ich habe von einer Verschwörung erfahren, die so schnell wie möglich gestoppt werden muss. Doch richtet sich dies in der Hauptsache gegen mich selbst, weshalb ich es für Richtig gehalten habe, auch selbst Schritte zu unternehmen.“ „Eine Verschwörung? Von wem? Und woher hast du dieses Wissen?“ Der Kronprinz lächelte triumphierend. „Nun, Vater, von der gleichen Person, die Euch von diesem Treffen unterrichtet
hat“, sagte er mit einer ausladenden Geste zu Saskuen hin. König Arnthio wandte sich zu dem nervösen alten Mann um. Dieser fingerte einen Moment an seinen Knöpfen herum, dann hüstelte er und verbeugte sich steif. „Euer Majestät, mir sind in der Tat höchst bedenkliche Dinge zu Ohren gekommen“, sagte er und mit jedem Wort schmolz seine Nervosität dahin. „Wie es scheint, gibt sich Euer jüngerer Sohn nicht mit der Position zufrieden, die ihm seine Geburt zugedachte hat. Man hat mir zugetragen, dass er sich bei seinen Verhandlungen mit den Mencun Verbündete in einem Bürgerkrieg gesucht
hat.“ Arnthio starrte ihn fassungslos an. „Was redest du da? Zugetragen von wem?“ Ein Hauch Unsicherheit huschte wieder über Saskuens Züge, doch mit einem Blick auf Falam fing er sich. „Ein Dienstmädchen, das sehr engen Kontakt mit Mitgliedern von Shakars Eskorte pflegt, hat mir von ihren Beobachtungen berichtet. Alles was sie mir in der Vergangenheit erzählt hat, habe ich nachprüfen lassen und als wahr erkannt.“ „Ein Dienstmädchen?,“ knurrte Arnthio. Er konnte sich kaum davon zurückhalten,
Saskuen am Kragen zu packen und zu schütteln. Mit brodelndem Zorn zischte er: „Ihr wagt es? Ihr wagt es den Prinzen des Hochverrats anzuklagen auf das Wort eines Dienstmädchens hin?!“ Das ließ den alten Mann erschrocken zurückweichen. Falam aber machte eher noch einen Schritt auf seinen Vater zu. „Natürlich, Vater“, sagte er und lächelte humorlos. „Euer wertvollster Sohn ist selbstverständlich über jeden Zweifel erhaben. Wenn auch alle anderen zu Verrätern werden mögen, Shakar bleibt der strahlende Prinz, der große Anführer, den Ihr an meiner Statt auf dem Thron zu sehen stets vorgezogen
habt.“ Er schnaubte. „Glaubt Ihr, ich wüsste es nicht? Glaubt Ihr, ich war blind gegenüber Eurer Zuneigung zu meinem verräterischen Bruder?“ Sein Blick wurde kalt. „Ich frage mich nur welche Rolle Ihr bei diesem kleinen Trauerspiel hattet, Vater.“ Nun war es genug! Arnthio packte den Kronprinzen am Kragen und herrschte ihn an: „Ich verbitte mir diese Anschuldigungen! Wie kannst du es wagen, mir so zu begegnen! Du wirst deine Anmaßungen sofort einstellen und dich in deine Gemächer zurückziehen!“ Er ließ seinen Sohn los und ließ den Blick durch den Raum schweifen. „Diese
Sitzung ist geschlossen! Es wird keinen Feldzug geben, der nicht vom König befohlen wird.“ Unter Verbeugungen huschten die Fürsten und Heerführer hinaus. Auch Saskuen hatte längst die Flucht ergriffen. Nur Falam warf seinem Vater noch einen hasserfüllten Blick zu, dann verschwand auch er. Arnthio zog einen Stuhl heran und sank darin zusammen. Er verbarg das Gesicht in den Händen und blieb noch lange regungslos dort sitzen.
Als Falam am nächsten Morgen in den Spiegel seines Ankleidezimmers blickte, erschrak er fast über die eingefallenen Wangen und die Schatten unter seinen Augen. Zugegeben, es war eine unruhige Nacht gewesen, eine Nacht in der er, auch nachdem Saskuen geflohen war, noch tobend in seinen Gemächern auf und abgewandert war und seinen Vater und Bruder verflucht hatte. In der er in ohnmächtiger Wut gegen die Wände geschlagen hatte, voller hilfloser Angst, was ihm noch bleiben würde, wenn Shakar sich des Throns bemächtigt hatte.
Eine Nacht in der er immer wieder aus dem Schlaf gerissen wurde, als er in seinen Alpträumen seinen Untergang sah. Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Saskuen stand in der Tür, das graue Haar zerwühlt, die Hände fahrig über den Türrahmen tastend. Gegen seinen Willen musste Falam lächeln. „Du hattest wohl auch eine raue Nacht.“ Zumindest eine Person litt wirklich mit ihm. Doch Saskuen erwiderte das Lächeln nicht. „Euer Majestät“, hauchte er. „Es...“ Er suchte nach Worten, bewegte
die Lippen ohne einen weiteren Ton hervorzubringen. Falam runzelte die Stirn. „Was ist es?“ fragte er ungeduldig. „Euer Vater...“ Die Augen des Kronprinzen wurden schmal. „Was will er denn nun?“ zischte er wütend. „Hat er entschieden mich gleich zu entmachten?“ „Er ist tot.“ Falam blinzelte.
„Was?“ „Man hat ihn heute morgen tot in seinen Gemächern aufgefunden.“ Falams Hand wanderte zu seinem Gesicht, glitt über seine Augen. Für einen Moment glaubte er zu träumen, aber dies war zu irreal für einen Traum. Schweigend ging er an Saskuen vorüber und sank im Nebenzimmer auf einen Stuhl. Sein Diener folgte ihm durch die Tür, blieb dann aber stehen als wage er sich nicht
näher. Der Prinz starrte ins Leere und war überrascht als in seinen Augen unvergossene Tränen brannten. „Euer Majestät.“ Müde hob er den Kopf. „Da ist noch etwas.“ Saskuen schien sich beinahe noch mehr zu winden als zuvor. „Euer Vater... Er starb nicht eines natürlichen Todes. Man hat ihn ermordet.“ Binnen einer Sekunde war Falam auf den
Beinen und stand vor seinem Diener. „Wer? Wer hat das getan?“ „Er wurde vergiftet. Die Wachen haben das Dienstmädchen festgenommen, das ihm das Essen brachte. Sie...“ Er stockte. „Ihr Name ist Arris. Ich habe es den Wachen gesagt. Heute Morgen. Ich hätte seiner Majestät ihren Namen gleich gesagt, wenn er mich gefragt hätte. Ich wäre gleich heute zu ihm gegangen und hätte alles gesagt, was ich weiß!“ Falam packte Saskuen an den Schultern und stellte erst jetzt fest wie sehr der alte Mann zitterte. „Saskuen? Sag mir,
dass das nicht wahr ist! Es war nicht deine Informantin! Sag es mir!“ Das verzerrte, bleiche Gesicht war Antwort genug. Mit einem wütenden Schrei stieß Falam ihn von sich und ballte die Fäuste. „Was für eine Schlange hast du mir da angeschleppt, alter Mann? Du hast behauptet, du hättest überprüft, was sie dir erzählt hat! Bist du einfach nur unfähig gewesen?“ Saskuen war zu Boden gegangen und brachte keine Antwort hervor. Das machte Falam nur noch wütender. „Was denn? Sind dir die klugen Ansprachen
ausgegangen?“ Der Diener des Prinzen machte noch immer keine Anstalten wieder aufzustehen und begann unbeholfen zu stammeln, doch Falam hörte ihn kaum. Er wusste nicht was er denken sollte. Waren denn all die Dinge, die ihm Saskuen über Shakars Verrat erzählt hatte, gelogen? Nein, das konnte einfach nicht sein. Er hatte sich die Rivalität zu seinem jüngeren Zwilling nicht nur eingebildet! Es wäre Wahnsinn jetzt all seine Verteidigungspläne aufzugeben. Nein, er musste weiter gegen Shakar vorgehen, wenn er seinen Thron sichern
wollte. „Man hat uns getäuscht, Euer Majestät“, nahm er Saskuens Stimme wahr und in diesem Moment wurde ihm etwas bewusst. Es spielte keine Rolle. Was immer dieses Mädchen für Gründe gehabt hatte, zu Saskuen zu gehen, er selbst wusste was er wollte und nur das zählte jetzt. Er wollte seinen Thron nicht mit Shakar teilen, wollte nicht ständig in Furcht leben, seine Macht an einen beliebteren Kandidaten zu verlieren. Also musste er jetzt handeln. Es würde keinen besseren Zeitpunkt geben als
diesen. Ohne Saskuen eines Blickes zu würdigen schritt er zur Tür und rief nach den Wachen. Als Hauptmann Irjen mit zweien seiner Männer hereinkam schluckte er alle restlichen Zweifel herunter und stand aufrecht. „Hauptmann, wo befindet sich die Mörderin meines Vaters?“, fragte er mit fester Stimme. „Sie ist in den Verliesen sicher angekettet. Meine Männer such noch nach
Mitverschwörern...“ „Diese Mühe kann ich Euch abnehmen, Hauptmann“, unterbrach ihn Falam. „Wie sich herausgestellt hat, hat mein eigener Diener Freundschaft mit dieser Schlange geschlossen. Nehmt ihn mit wenn Ihr zu ihr ins Verlies hinabsteigt und mir ihren Kopf bringt.“ Irjen starrte ihn einen Moment mit offenem Mund an, dann winkte er seinen Männern den protestierenden und seine Unschuld beteuernden Saskuen hinauszubringen. Bevor er selbst folgte, wagte er allerdings noch eine zögernde Frage: „Soll die Schuld des Mädchens
nicht noch in einer Verhandlung bestätigt werden?“ Falam schnaubte verächtlich. „Besteht denn ein Zweifel an ihrer Schuld?“ „Nun, wir fanden sie als sie versuchte aus den Gemächern des Königs zu schleichen.“ „Das reicht völlig aus, würde ich sagen. Wozu die Angelegenheit weiter in die Länge ziehen?“ Irjen schien nach Worten zu suchen, doch dann verbeugte er sich lediglich und eilte pflichtbewusst
davon. Als nächstes schickte Falam nach dem Zeremonienmeister und nach seiner Mutter. Er musste schnell handeln, das wusste er. Er würde die Zustimmung der Königin brauchen, doch er war zuversichtlich, dass sie die Lage schnell erkennen und in seinem Sinne handeln würde. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte er an der Zuneigung seiner Mutter nie gezweifelt. Königin Lalay vom Verrat ihres zweiten Sohnes zu überzeugen, sowie von der Notwendigkeit, das Land in dieser Stunde der Not nicht ohne Führung sein
zu lassen, ging so rasch von statten, dass selbst der frühere Kronprinz verblüfft war, als noch am gleichen Abend eine hastig einberufene Krönungszeremonie abgehalten und die schwere Krone auf sein blondes Haupt gesetzt wurde.
Dann richtete sich Falam auf und setzte sich unter den gedämpften Beifallsrufen der anwesenden Würdenträger auf den Thron.
„Lasst die Militärbefehlshaber hereinkommen. Heute Nacht noch soll mit der Musterung begonnen werden, denn Morgen ziehen wir in den Krieg!“
ZMistress Re: - Zitat: (Original von hanni86 am 05.04.2010 - 21:59 Uhr) Jilla ist auch eine von den Bösen? Hihi, der Kronprinz muss sich in seine Gemächer zurückziehen. Das ist ein bisschen albern aber ich verstehs, hab ich in meinen fantasyartigen Geschichten auch immer gemacht. "Du ab in dein Zimmer, du in deins..." da kommt man wohl nicht drumherum. Hmm. Und der Königssohn wird nicht verdächtigt? Ist schon spannend wies weitergeht. Der Tamaril ist halt nicht so ein Häschen... Jilla ist karrieregeil und recht skrupellos. Außerdem weiß sie, dass sie gut aussieht und setzt das für sich ein. In Fantasykönigshöfen gilt nicht unbedingt, dass alle vor dem Gesetz gleich sind. Kronprinzen werden irgendwie immer bevorzugt, besonders wenn sie kurz vor der Bevörderung zum König stehen und man noch einen viel bequemeren Schuldigen hat. Außerdem müssen sie nicht in den Kerker, wenn sie den König verärgern, sondern nur auf ihr Zimmer. :P Dass mit Tamaril raffe ich grade nicht. Ich stehe irgendwie häschentechnisch auf dem Schlauch. |
hanni86 Jilla ist auch eine von den Bösen? Hihi, der Kronprinz muss sich in seine Gemächer zurückziehen. Das ist ein bisschen albern aber ich verstehs, hab ich in meinen fantasyartigen Geschichten auch immer gemacht. "Du ab in dein Zimmer, du in deins..." da kommt man wohl nicht drumherum. Hmm. Und der Königssohn wird nicht verdächtigt? Ist schon spannend wies weitergeht. Der Tamaril ist halt nicht so ein Häschen... |